Martin Kirschner (Mediziner, 1879)
Martin Kirschner (* 28. 10. 1879 in Breslau; † 30. 8. 1942 in Heidelberg), Chirurg, war Lehrstuhlinhaber in Königsberg, Tübingen und Heidelberg.
Leben
M. K. lebte ab 1893 als Sohn von Martin Kirschner (1842–1912), des Oberbürgermeisters der Reichshauptstadt, in Berlin. Nach dem Studium (1899–1904) in Freiburg, Zürich, München und Staßburg, wo er 1904 mit einer Arbeit über Syringomyelie und Tabes dorsalis promoviert hatte, begann er seine ärztliche Tätigkeit als Assistent bei dem Internisten Rudolf v. Renvers in Berlin. Nach dem Militärdienst 1907 in München wurde er 1908 Assistent bei Erwin Payr in Greifswald, mit dem er 1910 nach Königsberg wechselte. Unter Paul Leopold Friedrich, der 1911 den Königsberger Lehrstuhl übernommen hatte, habilitierte sich M. K. 1911 mit einer richtungweisenden Arbeit über die freie Sehnen- und Faszientransplantation. Nach kriegschirurgischer Tätigkeit wurde er 1915 mit der Vertretung seines erkrankten Chefs Friedrich als Leiter der Klinik beauftragt. 1916 wurde ihm das Ordinariat endgültig übertragen. Bis 1921 baute er die Klinik grundlegend um. 1927 folgte K. dem Ruf nach Tübingen, wo nach seinen Angaben und Plänen eine völlig neue chirurgische Klinik gebaut wurde. 1933 wurde K. nach Heidelberg an die damals „schlechteste aller Chirurgischen Kliniken Deutschlands“ berufen, wo bis 1939 ebenfalls unter seiner Leitung eine neue Klinik entstand. M. K. starb an den Folgen eines Magenkarzinoms.
Leistung
Als einer der bedeutendsten deutschen Chirurgen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er Mitherausgeber fast aller chirurgischer Fachblätter sowie Initiator und Mitarbeiter an den großen chirurgischen Standardwerken seiner Zeit. Er bereicherte nahezu alle Gebiete der Chirurgie, nicht zuletzt die Anästhesie, für die er die Hochdruck-Lokalanästhesie, die segmentäre Spinalanästhesie und die intravenöse Narkose entwickelte. Untrennbar mit seinem Namen verbunden ist die Erfindung des rotierenden Bohrdrahtes zur Extension und zur Osteosynthese. Weitere Meilensteine seines chirurgischen Wirkens waren der erste Erfolg bei der Trendelenburgschen Operation der Lungenembolie am 18.3.1924, die synchrone abdominosakrale Operation des Rektumkarzinoms sowie die Bildung einer künstlichen Speiseröhre durch den schlauchförmig umgestalteten und bis zum Hals hochgezogenen Magen, ein auch heute noch als Standard geltendes Verfahren. Außerdem stellte er bereits 1926 die auch heute noch gültigen Richtlinien für die Behandlung der Peritonitis auf. Seine 1937 vorgetragene Forderung nach notärztlicher Therapie am Notfallort, im Zweiten Weltkrieg erprobt und ausgebaut, revolutionierte das Rettungswesen und gilt bis heute unverändert. 1934 war Martin Kirschner Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.
Eponyme
K.-Draht: Angespitzter Stahldraht, der durch Rotation in den Knochen eingebohrt wird und dort fest sitzt, ursprünglich zur Anbringung einer Extension, später dann auch für Zwecke der Osteosynthese verwendet. K.-Blutleere: Modifikation der Esmarch-Blutleere, wobei die Kompression durch eine aufblasbare Manschette erfolgt.
Werke (Auswahl)
- M. K. und Alfred Schubert [Hrsgg.]: Allgemeine und spezielle chirurgische Operationslehre, I–V, Berlin 1927–1940
- M. K. und Otto Nordmann [Hrsgg.]: Die Chirurgie. Eine zusammenfassende Darstellung der allgemeinen und der speziellen Chirurgie I–VI, Berlin - Wien 1926–1930
- Ein neues Verfahren der Ösophagusplastik, Arch. klin. Chir. 114 (1920) 2–59
- Ein durch die Trendelenburgsche Operation geheilter Fall von Embolie der Art. pulmonalis, Arch. klin. Chir. 133 (1924) 312–359
- Die Behandlung der akuten eitrigen freien Bauchfellentzündung, Arch. klin. Chir. 142 (1926) 253–311
- Verbesserungen der Drahtextension, Arch. klin. Chir. 148 (1927) 651–658
- Das synchrone kombinierte Verfahren bei der Radikalbehandlung des Mastdarmkrebses, Arch. klin. Chir. 180 (1934) 296–308
- Die fahrbare chirurgische Klinik (Röntgen-, Operations- und Schwerverletztenabteilung), Chirurg 10 (1938) 713–717
Literatur
- M. Goerig, J. Schulte am Esch: Martin Kirschner: Anästhesist – Intensivmediziner – Schmerztherapeut, Anästhesiol. Intensivmed. Motfallmed. Schmerztherap. 29 (1994) 343–353
- F. W. Hörmann: Martin Kirschner (1879–1942). Leben – Werk – Wirkung, med. Diss. Tübingen 2000
- M. Sachs: Geschichte der operativen Chirurgie, III, Heidelberg 2002
- F. W. Schildberg, G. O. Hofmann, M. H. Kirschner: Zum 125. Geburtstag von Martin Kirschner, Chirurg 76 (2005) 69–74
- Ch. Weißer: Martin Kirschners willkürlich begrenzte und individuell dosierbare gürtelförmige Spinanästhesie. Grundlagen – Technik – aktuelle Bedeutung, Ein Beitrag zur Geschichte der Regionalanästhesie, Würzburger med.hist. Mitt. 10 (1992) 39–52
- Ch. Weißer: Die Knochenbruchbehandlung bei Martin Kirschner und die Entwicklung des "Kirschnerdrahtes". Anmerkungen zu einer genialen Idee in der Chirurgie, Würzburger med.hist. Mitt. 12 (1994) 5–18
- Jörn Henning Wolf: Martin Kirschner und seine schrittweise technische Vollendung der direkten Knochenzugmethodik bei Frakturen (Drahtextension), Operat. Orthop. Traumatol. 4 (1992) 293–299