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Ammen-Dornfinger

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Dornfinger

Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), Weibchen

Systematik
Ordnung: Webspinnen (Araneae)
Unterordnung: Echte Webspinnen (Araneomorphae)
Teilordnung: Entelegynae
Familie: Dornfingerspinnen (Miturgidae)
Gattung: Cheiracanthium
Art: Dornfinger
Wissenschaftlicher Name
Cheiracanthium punctorium
(Villers, 1789)

Der Dornfinger oder Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium) ist eine Spinnenart aus der Familie der Dornfingerspinnen (Miturgidae). Diese wärmebedürftige paläarktische Art gilt als in Europa vorwiegend mediterranes Faunenelement,[1] fehlt auf den britischen Inseln ganz[2] und ist auch in Mitteleuropa nur lückenhaft verbreitet. Dornfinger sind nachtaktiv und verbringen den Tag in Ruhegespinsten in krautiger Vegetation. Für den Eikokon und die daraus schlüpfenden Jungspinnen bauen die Weibchen im Hochsommer auffällige, bis zu hühnereigroße Gespinste.

Der Dornfinger ist die einzige mitteleuropäische Spinne, deren Biss für den Menschen spürbare Folgen haben kann. Der Biss ist in erster Linie schmerzhaft, diese Schmerzen breiten sich von der Bissstelle aus und halten zusammen mit anderen Symptomen meist mehrere Stunden an; dauerhaftere Schädigungen oder gar Todesfälle gibt es jedoch nicht. Obwohl Dornfinger in geeigneten Lebensräumen durchaus häufig sein können, ist das Risiko eines Bisses aufgrund der Lebensweise der Art sehr gering.

Merkmale

Dornfinger (Weibchen)

Der Dornfinger ist die größte europäische Art der Gattung Cheiracanthium. Die Spinne erreicht eine Körperlänge von bis zu 1,5 Zentimeter, wobei die Weibchen etwas größer werden als die Männchen. Der Vorderkörper (Prosoma) ist einfarbig rot-orange. Von vorn zeigt der Dornfinger eine auffallende Warntracht. Die sehr kräftig ausgebildeten Kieferklauen (Cheliceren) sind im oberen Teil ebenfalls rot-orange gefärbt, im unteren Teil ebenso wie die anschließenden Klauen schwarz. Die Beine sind im Verhältnis zum Körper relativ lang und bräunlich-gelb gefärbt, nur die Spitzen der Tarsen sind dunkelgrau bis schwarz.

Der Hinterkörper (Opisthosoma) ist gelblich bis olivgrün. Weibchen zeigen auf dem Opisthosoma bis zur Eiablage einen deutlichen, diffus hell begrenzten Spitzenfleck. Nach der Eiablage ist dieser Spitzenfleck kaum noch erkennbar und das Opisthosoma wirkt daher einfarbig.

Beim Männchen zeigt der Hinterkörper ein breites, grüngraues Mittelband, außerdem sind bei den Männchen die Cheliceren stark verlängert und etwas nach außen gebogen.

Verwechslungsmöglichkeiten

Insgesamt kommen in Europa 25 Arten der Gattung Cheiracanthium vor.[3] Der Dornfinger unterscheidet sich von allen anderen in Europa vorkommenden Arten durch die Kombination aus Größe, ausgeprägter schwarz-roter Warntracht der Vorderseite des Prosomas und einfarbig grünlichgelben Opisthosoma.[4] Weitere sichere Bestimmungsmerkmale sind bei der Untersuchung der Genitalien feststellbar.[5]

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Art umfasst die warm gemäßigten bis subtropischen Zonen vom östlichen Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum ostwärts bis Zentralasien.[3] Genauere Angaben zur Verbreitung liegen aus dem größten Teil dieses Areals nicht vor. Die nordwestliche Verbreitungsgrenze flächiger Vorkommen in Europa verlief Ende der 1990er Jahre durch Deutschland etwa auf einer Linie RathenowFrankfurt am Main; die Art fehlt bereits in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie weiter westlich und nördlich in den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen und Finnland.[6] Möglicherweise kommt sie nördlich der oben beschriebenen Verbreitungsgrenze aber noch im Ostseeraum vor. Die einzigen schwedischen Nachweise stammen aus den 1940er Jahren und von 2004 von der Ostseeinsel Öland[7][8]; südlich daran schließen sich Einzelfunde aus Dänemark, Schleswig-Holstein und nach Osten ein Fund von Usedom in Mecklenburg-Vorpommern an.[9]

Dornfinger-Weibchen an der Unterseite eines Brutgespinstes, Portrait.

Auch südöstlich der oben genannten Verbreitungsgrenze ist die Art in Deutschland nur lückenhaft verbreitet. Großflächig besiedelt sind heute zwei weit voneinander getrennte Areale im Südwesten und im Nordosten, ansonsten fehlt die Art hier oder ist nur mit Einzelfunden nachgewiesen. Solche Einzelfunde liegen aus Bayern, Thüringen und Sachsen vor.[10]

Arealerweiterung in Mitteleuropa

Ob und in welchem Umfang sich die Art im Mitteleuropa in den letzten Jahrzehnten ausgebreitet hat, ist nur ansatzweise geklärt, da eine intensive faunistische Bearbeitung der Spinnen in vielen Regionen Europas erst etwa Anfang der 1990er Jahre begonnen hat. Einigermaßen flächendeckende Verbreitungsangaben liegen für die Art nur aus Deutschland vor.

Die nach Norden etwa bis Frankfurt am Main reichenden Vorkommen in der klimatisch begünstigten Oberrheinischen Tiefebene waren schon Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt, im übrigen Deutschland fehlte die Art. Im Saarland wurden Dornfinger 1983 nachgewiesen [11], gezielte Nachsuchen ab 1990 ergaben dort eine annähernd flächendeckende Besiedlung der Niederungen.

Der erste sichere Nachweis der Art im Nordosten Deutschlands erfolgte 1961 bei Treuenbrietzen im Westen von Brandenburg.[12] Danach wurden jedoch erst wieder Anfang der 1980er Jahre in Sachsen-Anhalt Dornfinger nachgewiesen.[13] Eine gezielte Nachsuche im Gebiet der heutigen Landkreise Dahme-Spreewald und Teltow-Fläming erbrachte 1989 auch dort eine Reihe von Funden.[14] Zahlreiche weitere Funde ergaben bis 1998 ein ziemlich geschlossenes Verbreitungsgebiet von der nordwestlichen Niederlausitz im zentralen Süden Brandenburgs über den Fläming bis in den Westen Sachsen-Anhalts und nach Norden bis Rathenow und Potsdam. Isolierte Einzelvorkommen wurden bis 1998 südlich dieses Gebietes aus der Dübener Heide in Sachsen, weiter westlich aus dem Huy nördlich des Harzes und bei Haldensleben gefunden.[15] Ob die Art in dem hier umrissenen Gebiet vor 1980 wirklich großflächig fehlte, ist unklar. Mit „größerer Sicherheit“[16] hat sich die Besiedlung hier seit 1990 jedoch stark verdichtet. Ob hierfür die großflächige Ausbreitung von Ackerbrachen nach 1990 oder eine Klimaänderung verantwortlich ist, bleibt unklar.

Das nordöstlich an das oben beschriebene Verbreitungsgebiet in Brandenburg anschließende Berlin war bis 1991 mit Sicherheit nicht besiedelt.[17] Heute kommt der Dornfinger dort vor, wurde 2002 jedoch noch als sehr selten eingestuft.[18]

Auch in Österreich wurden Vorkommen der Art schon im 19. Jahrhundert beschrieben. Hier ist die Art heute in den Bundesländern Niederösterreich, Wien, Burgenland, Steiermark, Tirol und Kärnten nachgewiesen, die flächige Verbreitung ist nicht genau bekannt.[19]

Für die Schweiz meldete bereits de Lessert 1910 den Dornfinger für die vorwiegend westlich und südlich gelegenen Kantone Baselland, Genf, Tessin, Waadt und Wallis.[20]

Lebensraum

Die Spinnen bewohnen extensiv genutzte Offenbiotope mit hohem Gras und Hochstauden, in Mitteleuropa vor allem Waldlichtungen, Ackerbrachen und Wiesen, besonders häufig Saumbiotope wie Wegränder, Bahndämme oder Grabenränder. Meist wird die Art an trockenen Standorten nachgewiesen, gelegentlich jedoch auch in Feuchtwiesen. Dornfinger zeigen dabei zumindest regional eine deutliche Präferenz für Bestände des Land-Reitgrases.[15] An geeigneten Stellen kann die Art auch häufig auftreten; in Sachsen-Anhalt wurden an einem von Land-Reitgras begrenzten Sandweg auf eine Strecke von 150 m 34 Brutgespinste gefunden.[13]

Lebensweise

Dornfinger bauen wie alle Arten der Gattung keine Fangnetze. Sie gehen nachts auf Nahrungssuche, über diese nächtliche Jagd ist bisher nichts bekannt. Auch Angaben über das Beutespektrum liegen bisher nicht vor.

Der Tag wird in kugeligen Ruhegespinsten verbracht, die niedrig in krautiger Vegetation in Blüten, Blüten- oder Fruchtständen und ähnlichen Stellen angelegt werden. Sie weisen meist ein bis zwei Öffnungen auf, werden aber während der Häutungen verschlossen. Diese Ruhegespinste sind bei Eintritt der Geschlechtsreife (in Mitteleuropa meist im Juli) am größten. Markierungsversuche am Oberrhein ergaben, das diese Gespinste jeweils nur für wenige Tage (maximal 5) genutzt wurden.[21] Die Art ist einjährig, geschlechtsreife Tiere können von Juni bis September (Männchen) bzw. Juli bis November (Weibchen) gefunden werden.[5]

Fortpflanzung

Im Vergleich zu den meisten anderen mitteleuropäischen Spinnen ist die Fortpflanzungsbiologie des Dornfingers relativ gut untersucht.[21][13]

Brutgespinst eines Dornfinger-Weibchens zwischen Farnblättern. Die Farnblätter sind um die sehr feste innere Hülle zusammengezogen.

Geschlechtsreife Männchen spinnen direkt an die Ruhegespinste subadulter Weibchen das eigene Ruhegespinst, in Mitteleuropa geschieht dies meist im Juli. Nach der letzten Häutung des Weibchens durchbricht das Männchen die Zwischenwand und kopuliert mit dem Weibchen. Dabei wenden sich die Partner wie bei allen Arten der Gattung um 180° gegeneinander gedreht die Bauchseite zu, die Bauchseite des Männchens befindet sich also vor dem Vorderkörper des Weibchens. Das Männchen führt dann abwechselnd seine Pedipalpen in die Geschlechtsöffnung (Epigyne) des Weibchens ein. Kurz nach der Kopulation sterben die Männchen.

Das Weibchen betreibt ein intensive Brutpflege. Kurz vor der meist im August erfolgenden Eiablage baut das Weibchen das sogenannte Brutgespinst. Dieses auffällige Gespinst ist tauben- bis hühnereigroß, meist völlig geschlossen und sehr stabil. Es wird meist nach oben exponiert zwischen Grashalmen oder Stängeln krautiger Pflanzen angelegt. Hierzu werden entweder mehrere Blätter oder bis zu 30 Grashalme dicht miteinander verwoben. Häufig wird das sehr dicht gewebte innere Gespinst noch mit einer weiteren Hülle aus locker gewobenen Fäden versehen. Der Eikokon wird an der Innenseite des Brutgespinstes befestigt. Zehn Kokons am Oberrhein enthielten zwischen 173 und 292 Eier[21], sechs Kokons in Sachsen-Anhalt enthielten minimal etwa 80, maximal 164 Eier.[13]

Die Jungspinnen schlüpfen drei bis fünf Wochen nach der Eiablage, also etwa im September bis Anfang Oktober. Sie verbleiben noch mindestens drei Wochen bis nach der ersten Häutung im Gespinst. Das Weibchen hält sich von der Eiablage bis zur Abwanderung der Jungspinnen fast ununterbrochen im Brutgespinst auf und bewacht dieses. Bei Störungen schnellt es mit weit geöffneten Cheliceren vor und versucht zu beißen.

Meist im Oktober, vereinzelt auch erst im November reißen die Weibchen das Gespinst mit ihren Cheliceren auf, um die Jungspinnen frei zu lassen. Das bis dahin stark eingeschrumpelte Opisthosma der Weibchen deutet daraufhin, das sie nach der Eiablage nicht mehr jagen. Die Weibchen bleiben im Gespinst und sterben dort im Spätherbst, Brutgespinste mit toten Weibchen können noch im Dezember und Januar vorhanden sein. Die Jungspinnen überwintern in Bodennähe in kleinen Gespinsten an welken Blättern.

Dornfinger-Weibchen mit Eikokon in einem geöffneten Brutgespinst.

Bedeutung des Namens

Der deutsche Name „Dornfinger“ ist eine wörtliche Übersetzung der von C. L. Koch 1839 vergebenen Gattungsbezeichnung Cheiracanthium (griech.: ῆ χείρ hē cheir = „die Hand“; ῆ ἂχανθα hē akantha = „der Dorn“).[19] Bei der häufig verwendeten Schreibweise Chiracanthium handelt es sich um eine nach den internationalen Regeln der zoologischen Nomenklatur nicht gerechtfertigte, linguistisch motivierte Korrektur der Umschreibung.[3]. Der Name bezieht sich auf einen dornartigen Fortsatz an dem Cymbium genannten, umgestalteten Tarsus der männlichen Pedipalpen, stammt somit aus der Genitalmorphologie und weist daher keine Verbindung mit der Gefährlichkeit für den Menschen auf, wie man vielleicht glauben könnte.[19] Die Anwesenheit dieses Spornes ist in der Gattung üblich, bei verwandten Arten - beispielsweise bei der in den deutschsprachigen Ländern ebenfalls vorkommenden Spezies Cheiracanthium oncognathum Thorell 1871 - kann er auch noch deutlich länger ausgebildet sein als bei Ch. punctorium.[22] Das von Villers 1789 - damals noch zu der linguistisch weiblichen Gattung Aranea - vergebene Epitheton punctoria (jetzt punctorium)[23] ist ein Derivat vom lateinischen Substantiv punctum (= „Stich, Punkt“),[19] der sich von dem Verb pungĕre herleitet[24] und lässt sich möglicherweise mit „fähig (oder „gewohnt“) zu stechen“ übersetzen.[25] Der ebenfalls für diese Art gebräuchliche deutsche Name „Ammen-Dornfinger“ nimmt Bezug auf die intensive Bewachung des Brutgespinstes durch das Weibchen, wie sie auch für anderen Arten der Gattung Cheiracanthium bekannt ist.[19] Wenn auch unter „Dornfinger“ häufig Cheiracanthium punctorium verstanden wird, so gilt die Bezeichnung im weiteren Sinne jedoch für alle Arten der Gattung Cheiracanthium.[19] Bei der Verwendung der deutschen Bezeichnung „Dornfinger“ sind Verwirrungen und Verwechslungen leicht möglich. Obwohl nicht Cheiracanthium, sondern Miturga wissenschaftlich namengebend für die Familie (Miturgidae) ist,[3] wird als triviale Entsprechung für den Familiennamen doch auch „Dornfingerspinnen“ für die verschiedenen Gattungen der Miturgidae benutzt. Die Dornfinger-„Hysterie“ im Jahr 2006 in Österreich könnte sich zudem an einer südeuropäischen, nach Nordamerika eingeschleppten und wohl auch nach Österreich eingeschleppten oder eingewanderten Art - Cheiracanthium mildei L. Koch 1864 - entbrannt haben[19][26], deren Epitheton von L. Koch nach einem Herrn Milde vergeben wurde und auch in die deutsche Bezeichnung „Mildes Dornfingerspinne“ eingeflossen ist.[19]

Systematik

Eine systematische Bearbeitung der mindestens 195 beschriebenen Arten der Gattung Cheiracanthium[3] steht bisher aus, Angaben zur näheren Verwandtschaft der Art liegen daher nicht vor. Bisher wurden auch keine Unterarten beschrieben.

Gefährdung

In Deutschland steht der Dornfinger auf der Roten Liste in Kategorie 3 („gefährdet“). In den einzelnen Bundesländern wird die Gefährdung jedoch sehr unterschiedlich beurteilt. In den Ländern mit den Hauptvorkommen (Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg) gilt die Art als ungefährdet. In Baden-Württemberg wurde die Art 1985 noch als „stark gefährdet“ bezeichnet (Kategorie 2), in der neuen Roten Liste von 2003 aufgrund zahlreicher Nachweise jedoch als ungefährdet eingestuft.[27]

In den Ländern mit einzelnen Vorkommen wurde die Art entweder als „selten“ ohne Gefährdung eingestuft (Berlin), eine Gefährdung angenommen ohne genauere Einstufung (Schleswig-Holstein), keiner Gefährdungskategorie zugeordnet (Thüringen), der Vorwarnliste zugeordnet (Sachsen), oder als „stark gefährdet“ (Kategorie 2) eingestuft (Bayern).[28]

Für Österreich insgesamt liegt keine aktuelle Rote Liste vor, im Bundesland Kärnten wurde der Dornfinger als „gefährdet“ (Kategorie 3) bezeichnet.[29]

Giftwirkung bei Menschen

Der Dornfinger gilt als einzige Spinnenart Mitteleuropas, die dem Menschen relevante Vergiftungen zufügen kann. Sowohl Männchen als auch Weibchen können mit ihrem Giftbiss die menschliche Haut durchdringen. Bei fast allen anderen einheimischen Spinnenarten, eine Ausnahme ist z. B. die Wasserspinne, sind die Giftklauen dafür zu kurz. Die Cheliceren des Dornfingers dagegen durchdringen mit ihren Giftklauen mühelos und schnell auch die vergleichsweise dicken und harten Hautpartien der menschlichen Fingerkuppen.[30] Die Spitzen der bis zu ihrer Basis eindringen könnenden Cheliceren sollen sich aufgrund ihrer gekrümmten Form in der Bißstelle übereinander schieben, überkreuzen und so eine schwer zu lösende Verankerung bilden.[30]

Mit vorgestreckten und gespreizten Cheliceren drohendes Dornfinger-Weibchen nach Öffnung des Ruhegespinstes. An den Spitzen der gespreizten Cheliceren tritt das Gift aus.

Der Biss selbst und die anschließenden klinischen Symptome - im anglophonen Schrifttum zuweilen als Chiracanthism[31] oder Cheiracanthism[32] geführt - werden in der Literatur sehr unterschiedlich beschrieben, da offenbar häufig Vergiftungen ohne ausreichende Sicherheit dem Dornfinger zugeschrieben wurden.[33][34] Gesicherte Dornfingerbisse werden gelegentlich kaum wahrgenommen, meist aber als ähnlich schmerzhaft wie ein Wespen- oder Bienenstich empfunden. Fast immer stellt sich an der Bissstelle nach einigen Minuten ein brennender Schmerz ein. Diese Schmerzen dehnen sich dann innerhalb von Minuten oder einigen Stunden auf die gesamte gebissene Gliedmaße aus. Bei Bissen in die Finger treten fast immer Schmerzen und Druckempfindlichkeit in den Lymphknoten der Achselhöhlen auf. Selten sind schwerere Verläufe mit Schüttelfrost, Schwindel, Erbrechen, leichtem Fieber oder Kreislaufversagen. Nach 24 bis 30 Stunden sind die Symptome meist vollständig abgeklungen. Berichte über dauerhaftere Schädigungen oder gar Todesfälle gibt es nicht. Bisse bei Kindern und empfindlicheren Erwachsenen sollten ärztlich beobachtet, aber nur symptomatisch behandelt werden. Zu diesem Zweck können analgetische Steroid-Salben, Aspirin oder ein Relaxans (Erschlaffungsmittel) zur Anwendung kommen.[31]

Die in der Literatur häufig zu findende Feststellung, dass Bisse des Dornfingers auch kleinflächige Nekrosen verursachen, ist so pauschal offenbar falsch. Eine kritische Auswertung aller publizierten Dornfinger-Vergiftungen ergab nur in einem Fall eine sicher durch einen Dornfinger verursachte, bohnengroße Nekrose an der Bissstelle. Weder in Europa, noch in Amerika oder Australien konnten darüber hinaus weitere Nekrosen durch Dornfingerbisse oder Bisse andere Arten der Gattung Cheiracanthium nachgewiesen werden.[35]

Gesicherte Angaben zur Häufigkeit von Bissen gibt es nicht. Auch bei zahlreichen publizierten Mitteilungen zu Vergiftungen ist häufig unklar, ob die Patienten tatsächlich durch Dornfinger gebissen wurden, da die Spinne meist nicht zur Bestimmung vorlag oder zum Teil gar nicht gesehen wurde. Vetter et al. konnten für ganz Europa bis 2006 nur 12 gesicherte Fälle von Vergiftungen durch Dornfinger nachweisen.[35]

Für einen unbeabsichtigten Kontakt mit der Art kommen im ländlichen Raum vor allem Dornfinger-Männchen in Frage, die nachts auf der Suche nach Weibchen in Häuser geraten. Zwei der 12 oben genannten gesicherten Bisse betrafen schlafende Personen, ein weiterer Fall wurde 2006 aus der Umgebung von Karlsruhe bekannt.[36] Eine Bissmöglichkeit entsteht auch bei Mahdarbeiten von Hand, wenn die Tiere dabei in den Ruhegespinsten gestört werden.

Die Weibchen können nach Bezug des Brutgespinstes im August nur durch die Zerstörung des Brutgespinstes zu Bissen provoziert werden, da sie sich nun fast ausschließlich darin aufhalten. Von den 12 oben genannten Personen war eine beim Öffnen des Brutgespinstes durch ein Weibchen gebissen worden, weitere Fälle dieser Art schildern Sacher[13] und Wolf.[21]

Quellen

Einzelnachweise

  1. Kurt Arnold, Über die Bißwirkung von Cheiracanthium punctorium beim Menschen (Arachnida: Araneae: Clubionidae) - 1. Beitrag zur Spinnenfauna Bulgariens, Entomologische Zeitschrift, 100, 1990, S. 48-50, hier S. 48
  2. Michael J. Roberts, Spiders of Britain & Northern Europe, Harper Collins, London et al. 1995, S. 1-383, ISBN 0 00 219981 5, hier S. 135
  3. a b c d e [1]N. I. Platnick 2007. The world spider catalog, version 8.0. American Museum of Natural History
  4. Heiko Bellmann: Kosmos Atlas Spinnentiere Europas. 3. Aufl., 2006. Kosmos, Stuttgart. ISBN 978-3-440-10746-1
  5. a b W. Nentwig, A. Hänggi, C. Kropf & T. Blick (Hrsg.): Spinnen Mitteleuropas – Bestimmungsschlüssel, Gattung Cheiracanthium. online
  6. [2] Karte zur europäischen Verbreitung des Dornfingers auf www.spiderling.de. Die Karten der arages geben nur an, für welche Länder Nachweise vorliegen, sie sind also keinesfalls als Verbreitungskarten im engeren Sinne zu interpretieren.
  7. L. J. Jonsson: Den giftiga större taggspindeln Cheiracanthium punctorium (Araneae, Miturgidae) återfunnen i Sverige. Entomologisk Tidskrift 126; 2005: S. 161–224 (genaue Seitenzahl nicht angegeben) Zusammenfassung online (schwedisch; dt. Übersetzung auf Diskussionseite des Artikels)
  8. Albert Tullgren, Egentliga spindlar. Araneae - Fam. 5-7. Clubionidae, Zoridae och Gnaphosidae, Svensk Spindelfauna, 3, [?1946], S. 1-141, hier S. 39
  9. [3] Verbreitung des Dornfingers in Deutschland auf www.spiderling.de
  10. [4] Verbreitung des Dornfingers in Deutschland auf www.spiderling.de
  11. M. Schichtel: Cheiracanthium (Chiracanthium) punctorium (VILL.) im südlichen Saarland. – Faun.-flor. Not. Saarl. 15; 1983: S. 201–202
  12. G. Olberg: Eine deutsche Giftspinne. Kosmos 60; 1964: S. 201–205
  13. a b c d e P. Sacher: Neue Nachweise der Dornfingerspinne Cheiracanthium punctorium (Arachnida: Clubionidae). Hercynia N. F. 27; 1990: S. 326–334
  14. J. Sauer: Der Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium (Villers) in der nordwestlichen Niederlausitz. Biologische Studien Luckau 19; 1990: S. 98–100
  15. a b A. Herrmann, P. Sacher & D. Braasch: Die Verbreitung des Ammen-Dornfingers (Cheiracanthium punctorium Villers, 1789) im östlichen Deutschland (Araneae, Clubionidae). Entomologische Nachrichten und Berichte 43, 1999: S. 53–57.
  16. A. Herrmann, P. Sacher & D. Braasch: Die Verbreitung des Ammen-Dornfingers (Cheiracanthium punctorium Villers, 1789) im östlichen Deutschland (Araneae, Clubionidae). Entomologische Nachrichten und Berichte 43, 1999: S. 54.
  17. R. Platen, M. Moritz & B. v. Broen: Liste der Webspinnen- und Weberknechtarten (Arach.: Araneida, Opilionida) des Berliner Raumes und ihre Auswertung für Naturschutzzwecke (Rote Liste). In: A. Auhagen, R. Platen & H. Sukopp (Hrsg.): Rote Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Berlin. Schwerpunkt Berlin (West). Landschaftsentwicklung und Umweltforschung. Schriftenreihe des Fachbereichs Landschaftsentwicklung der TU Berlin, Sonderheft S6; 1991: 169–205
  18. R. Platen & B. von Broen: Gesamtartenliste und Rote Liste der Webspinnen und Weberknechte (Arachnida: Araneae, Opiliones). In: Landesbeauftragter für Naturschutz und Landschaftspflege und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Hrsg.): Rote Listen der gefährdeten Pflanzen und Tiere von Berlin. Berlin 2005 ISBN 3-00-016815-X
  19. a b c d e f g h Niederösterreichisches Landesmuseum: Dornfinger – eine Spinne wird zum Medienstar. Broschüre, 2007. Volltext als pdf
  20. Richard Maurer & Ambros Hänggi, Katalog der schweizerischen Spinnen, Documenta Faunistica Helvetiae, 12, CSCF, Neuchatel [?1990]; unvollständig paginiert, ISBN 2-88414-001-8, hier Laufnummer 663, mit Verweis auf R. de Lessert, Araignées, in: Catalogue des Invertebrés de la Suisse, 3, Mus. Hist. Nat. Genève, 639 S.
  21. a b c d A. Wolf: Cheiracanthium punctorium – Portrait einer berüchtigten Spinne. Natur und Museum 118; 1988: S. 310–317
  22. Michael J. Roberts (Übers. & Bearb.: Aart P. Noordam), Spinnengids, Tirion, Baarn 1998/1999, S. 1-397, ISBN 90 5210 268 6, hier S. 141-144
  23. Norman I. Platnick 2007, The World Spider Catalog, Version 8.0, American Museum of Natural History, URL:http://research.amnh.org/entomology/spiders/catalog/MITURGIDAE.html, mit Verweis auf C. de Villers, Caroli Linnaei entomologia, faunae Suecicae descriptionibus aucta, Lugduni, 4, S. 86-130, hier S. 128
  24. Fritz Clemens Werner, Wortelemente lateinisch-griechischer Fachausdrücke in den biologischen Wissenschaften, Suhrkamp, 1. Aufl. 1972, ISBN 3-518-36564-9, hier S. 339
  25. Quelle fehlt
  26. Konrad Thaler & Barbara Knoflach, Adventive Spinnentiere in Österreich - mit Ausblicken auf die Nachbarländer (Arachnida ohne Acari), S. 55-76, in: Einwanderer - Neue Tierarten erobern Österreich, S. 275, Stapfia, 37, 1995, S. 1-275 [zugleich: Kataloge des OÖ. Landesmuseums N.F., 84, 1995, 55-76], ISBN 3-900746-78-8, hier S. 57f
  27. D. Nährig & K. H. Harms, unter Mitarbeit von J. Kiechle, H. Rausch, W. Schwaller & J. Spelda: Rote Listen und Checklisten der Spinnen in Baden-Württemberg, Stand: 2003. Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg, 2003. online
  28. Übersicht in R. Platen & B. von Broen: Gesamtartenliste und Rote Liste der Webspinnen und Weberknechte (Arachnida: Araneae, Opiliones). In: Landesbeauftragter für Naturschutz und Landschaftspflege und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Hrsg.): Rote Listen der gefährdeten Pflanzen und Tiere von Berlin. Berlin 2005 ISBN 3-00-016815-X
  29. C. Komposch & K.-H. Steinberger: Rote Liste der Spinnen Kärntens (Arachnida: Araneae). In: W. E. Holzinger, P. Mildner, T. Rottenburg & C. Wieser (Hrsg.): Rote Listen gefährdeter Tiere Kärntens. Naturschutz in Kärnten 15; 1999: S. 567–618 Volltext als pdf
  30. a b Kurt Arnold, Über die Bißwirkung von Cheiracanthium punctorium beim Menschen (Arachnida: Araneae: Clubionidae) - 1. Beitrag zur Spinnenfauna Bulgariens, Entomologische Zeitschrift, 100, 1990, S. 48-50, hier S. 49
  31. a b Zvonimir Maretić, Spider Venoms and Their Effect, in: Wolfgang Nentwig 1987 (Hg.), Ecophysiology Of Spiders, Springer, Berlin et al. 1987, S. 142-159, ISBN 3-540-17034-0, hier S. 156f
  32. Abdullah Bayram, Nazife Yiğit, Tarık Danışman, İlkay Çorak, Zafer Sancak & Derya Ulaşoğlu, Venomous Spiders of Turkey (Araneae), Journal of Applied Biological Sciences, 1, (3), 2007, S. 33-36, hier S. 34
  33. zusammenfassende Darstellung bei R. S. Vetter, G. K. Isbister, S. P. Bush & L. J. Boutin: Verified bites by yellow sac spiders (genus Cheiracanthium) in the United States and Australia: where is the necrosis? American Journal of Tropical Medicine and Hygiene 74; 2006: S. 1043–1048
  34. Selbstversuche in Deutschland siehe P. Sacher: Neue Nachweise der Dornfingerspinne Cheiracanthium punctorium (Arachnida: Clubionidae). Hercynia N. F. 27; 1990: S. 326–334
  35. a b R. S. Vetter, G. K. Isbister, S. P. Bush & L. J. Boutin: Verified bites by yellow sac spiders (genus Cheiracanthium) in the United States and Australia: where is the necrosis? American Journal of Tropical Medicine and Hygiene 74; 2006: S. 1043–1048 PMID 16760517
  36. http://inatura.at/wissen/gem_10480.shtm

Literatur

  • Heiko Bellmann: Kosmos Atlas Spinnentiere Europas. 3. Aufl., 2006. Kosmos, Stuttgart. ISBN 978-3-440-10746-1
  • A. Wolf: Cheiracanthium punctorium – Portrait einer berüchtigten Spinne. Natur und Museum 118; 1988: S. 310–317.
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