Indogermanen
Indogermanen (oder seltener auch Indoeuropäer) sind dem linguistischen Verständnis gemäß alle muttersprachlichen Sprecher einer indogermanischen Sprache.
In der Völkerkunde und der Ethnolinguistik bezeichnet man mit (Ur-)Indogermanen die Angehörigen der prähistorischen Kulturgruppen (Urgesellschaft), von welchen man ausgeht, dass sie die durch die vergleichende Sprachwissenschaft ermittelte hypothetische indogermanische Ursprache (Proto-Indogermanisch) gesprochen haben könnten. Die Verbindung der prähistorischen Kulturgruppen mit der ur-indogermanischen Sprache wird dadurch motiviert, dass nur durch eine Urgesellschaft und nicht schon durch einen Sprachbund die enge lexikalische und grammatische Verwandtschaft vieler europäischer, indischer und iranischer Sprachen erklärbar ist. Damit wird jedoch keine Aussage über die Abstammung der heute eine indogermanische Sprache verwendenden Menschen gemacht. Im Gegenteil wird davon ausgegangen, dass die bereits ansässige Bevölkerung die Sprache von meist kleinen einwandernden Gruppen übernommen hat.
Die vergleichende Sprachwissenschaft setzt für das Ur-Indogermanische den Zeitraum zwischen 6000 und 3000 v. Chr. an. Diese Datierung ist kein linguistisch zwingendes Ergebnis beispielsweise der Glottochronologie, sondern wird aus dem plausibelsten Szenario der Ausbreitung des Indogermanischen abgeleitet.
Indogermanisch und indoeuropäisch
Durch vergleichende Sprachforschung entdeckte William Jones Ende des 18. Jahrhunderts, dass viele Sprachen in Europa und dem Vorderen Orient von einer gemeinsamen Ursprache abstammen müssen (siehe: indogermanische Sprachen). Der dänisch-französische Forscher Malte-Brun verwendete 1810 hierfür den Namen „langues indo-germaniques“ nach der – damals bekannten – östlichsten (indo-arisch) und westlichsten indogermanischen Sprache (germanisch), zwischen denen alle anderen Sprachräume lagen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand man jedoch im weiter östlich gelegenen Tarim-Becken (Chinesisch-Turkestan) Schriftrollen mit der bis dahin unbekannten indogermanischen Sprache Tocharisch.
Da indogermanisch als Klammerbegriff ursprünglich den östlichsten und westlichsten Sprachzweig der Sprachfamilie benannte, müsste dieser nach demselben Prinzip jetzt eigentlich tocharo-germanisch heißen. Auch der im übrigen Europa gebräuchliche Begriff indoeuropäisch ist gleichermaßen unpräzise. Schließlich gibt es sowohl in Europa (z. B. Finno-ugrische Sprachen) als auch auf dem indischen Subkontinent (z. B. Dravidische Sprachen) weitere, nichtindogermanische Sprachfamilien.
Die Diskussion, welcher Begriff „richtig“ oder „treffender“ ist, ist müßig. Innerhalb des deutschen Sprachraums wird in der Fachwelt weiterhin der Begriff indogermanisch verwendet, während in den anderen westeuropäischen Sprachen der Typus indoeuropäisch (englisch Indo-European, französisch indo-européen) üblicher ist. Die Begriffe sind völlig synonym.
Urindogermanen in der Völkerkunde
- Siehe auch Proto-Indoeuropäer
In der Ethnologie setzt man die durch vergleichende Sprachwissenschaft rekonstruierten indogermanischen Ursprache mit prähistorischen Kulturgruppen (Urvolk) gleich. Nur durch ein indogermanisches Urvolk ist nach heute herrschender Meinung die enge lexikalische und grammatische Verwandtschaft vieler europäischer, indischer und iranischer Sprachen erklärbar. Bloße Sprachbünde können den hohen Grad an sprachgenetischer Verwandtschaft in der gesamten Indogermania nicht nachvollziehbar machen.
Durch die Forscher wurden mit dem indogermanischen Urvolk viele prähistorische Kulturen in Verbindung gebracht und nach der Urheimat der Indogermanen gesucht. Heute überwiegt die Sichtweise, dass in der Kurgankultur die Ur-Indogermanen zu erkennen seien. Das indogermanische Kulturgut wurde nach dem vorindogermanischen Alteuropa, Indien und Persien weitergegeben. Während nach Indien und Persien die Weitergabe indogermanischen Kulturguts über die einfallenden Arier (Aryas), welche die einheimischen Bevölkerungsschichten unterwarfen, kriegerisch eingeführt wurde, gelangte es nach Alteuropa vermutlich zuvörderst durch friedliche kulturelle Übermittlung (Substrat). Den europäischen Schnurkeramikern kam dabei als Übermittler wahrscheinlich eine zentrale Rolle zu.
Durch archäologische Ausgrabungen konnte nachgewiesen werden, dass die Kurganvölker europid waren. Das zeigen Untersuchung europid anmutender Mumien aus der Takla Makan – sie werden im Provinzmuseum der Stadt Ürümqi (Urumtschi) aufbewahrt –, und verschiedener früher chinesischer Historien von Völkern in Ost-Turkestan (Xinjiang) mit einem nicht typisch mongolischen oder altaischen Aussehen. Daneben sind auch genetische Untersuchungen aufschlussreich, wie sie in jüngster Zeit an „skythischen“ Skeletten und Bewohnern der Mongolei vorgenommen wurden. Europide Bevölkerungsschichten waren jedoch auch in Alteuropa und Vorderasien autochton. So waren z. B. die finno-ugrischen Magyaren im heutigen Ungarn vom körperlichen Aussehen eindeutig mitteleuropäisch. Archäologische Befunde zeigten, dass der genetische Beitrag der Indogermanen in Europa bedeutend geringer war, als in Asien. Diese Erkenntnis stützt die Annahme einer friedlichen Übertragung indogermanischer Sprache und Kultur nach Europa.
Die Indogermanen gaben ihre Sprache und ihr Kulturgut im Osten bis nach Ost-Turkestan (ausgestorbenes Tocharisch), im Westen bis zum Atlantik, nördlich bis fast zum Polarkreis (Island), südwestlich bis zum Mittelmeer und südöstlich bis zum Indischen Ozean weiter. Überall stießen sie dabei auf Sprecher anderer, nicht indogermanischer Sprachen, z. B. auf das bis heute noch im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Spanien an der Atlantikküste gesprochene Baskische oder auf die bis ins frühe Mittelalter noch nachweisbaren Sprachen der Pikten in Schottland, Iberer in Spanien, Etrusker in Italien, Räter in den Alpen, Minoer, Pelasger und Lemnier in Griechenland, sowie Hattier in Kleinasien. Sprachlich am unterschiedlichsten sind dabei die indogermanischen Sprachgruppen in Südosteuropa am Schnittpunkt von keltischen (in der Antike), germanischen, italischen, griechischen, albanischen, slawischen und anatolischen Sprachen. Siehe indogermanische Sprachen.
Die schon Anfang des 20. Jahrhunderts von vielen Linguisten geäußerte Vermutung, die Urheimat der indogermanischen Sprachen befinde sich in den Steppen nördlich und nordöstlich des Schwarzen Meeres, wird auch heute noch von der Mehrheit der Sprachwissenschaftler favorisiert und gilt seit der Widerlegung der Hypothesen Renfrews (s. u.) auch in der Ethnologie zunehmend wieder als Standard. Die Urindogermanen könnten demnach auf Grund vorhandener Wörter als eine patriarchal organisierte halbnomadische Gesellschaft angesehen werden, die den Pflug kannte, das Pferd nutzte und mit einiger Sicherheit nicht am Meer beheimatet war, aber z. B. ein Wort für Schnee kannte. Archäologen versuchten, dies mit Hilfe archäologischer Indizien zu bestätigen. Die während des Neolithikums und der frühen Bronzezeit in Südrussland, der Ukraine und Moldawien existierenden Kulturen nördlich und östlich des Schwarzen Meeres und an der unteren Wolga wurden von Marija Gimbutas in den 1950er Jahren nach der charakteristischen Bestattungsweise in Grabhügeln (Kurgan) zur sogenannten Kurgankultur zusammengefasst.
Dieser Hypothese zufolge lebten die Indogermanen im 5. vorchristlichen Jahrtausend als kriegerisches Hirtenvolk in Südrussland, sie domestizierten das Pferd (Sredny-Stock-Kultur um 4000 v. Chr.), gegen 3000 v. Chr. erfanden sie auch das Fuhrwerk (Worte für Rad, Achse, Deichsel, Geschirr, Nabe stehen dafür), sie betrieben eine intensive Weidewirtschaft mit Schafen und Rindern. Sie seien nach Klimaverschlechterungen zwischen 4400 und 2200 v. Chr. in mehreren Schüben west-, süd- und ostwärts gezogen. Die so genannten Streitaxtleute bzw. Schnurkeramiker wären eine dieser Auswanderungswellen des Kurganvolkes. Auf den Wanderungen hätten sie auch Mitteleuropa erreicht und sich mit den dort ansässigen Menschen vermischt. Schon lange vor Maria Gimbutas galt die sich Ende des 4. Jahrtausends ausbreitende Streitaxt als Kennzeichen der indoeuropäischen Bevölkerung. Unterstützt wird diese Hypothese durch den genetischen mitochondrialen Stammbaum der J (Skandinavier) und T-Haplogruppen (Kelten, Germanen), der die Bergregionen nördlich des Schwarzen Meeres als Heimat der Nord- und Mitteleuropäischen Bevölkerung identifiziert. Als Auswanderungsgrund käme sowohl der sinnflutartige Dammbruch zwischen Mittelmeer und Schwarzmeer als auch die Klimaveränderung vom Monsunklima zum heutigem Klima im Nahen Osten in Frage. Allerdings müsste dies auf die Zeit zwischen 7000 und 5000 zurück datiert werden. Durch ein Modell wurde nachgewiesen das die Sinnflut des Dammbruches mehr als 750000 qkm geflutet hat, was durchaus eine Wanderbewegung der angrenzenden Völker plausibel auslösen würde.
Mit ihrer Kurgan-Hypothese erklärt Marija Gimbutas gesellschaftliche Umbrüche, die nach ihrer Meinung im 3. Jahrtausend die neolithische Gesellschaft Mittel- und Südeuropas erschütterten: im Norden wich die Kollektivbestattung in Megalithgräbern der Einzelbestattung, beim Grabinventar tauchen andere Beigaben auf (Waffen, Schmuck usw.), Schmuckformen und Verzierungen bei der Keramik wandeln sich. In Griechenland findet sich um 2200 v. Chr. ein ausgedehnter Brandhorizont, anschließend werden erstmals indogermanische Dialekte sprechende Protogriechen fassbar, die sich bis etwa 1500 v. Chr. mit der mittelmeerischen Vorbevölkerung vermischen. Auch Troja erlebt um 2200 v. Chr. eine Brandkatastrophe, wenig später werden im mittleren Kleinasien die Hethiter fassbar.
Fazit: Die Kurgan-Hypothese postuliert einen raschen gesellschaftliche Umbruch, dem die älteren, seit dem 7. Jahrtausend fassbaren neolithischen Kulturen in weiten Teilen Europas zum Opfer fallen. Die sozial nicht geschichteten matriarchalen Bauernkulturen werden von einer patriarchalischen und feudal gegliederten indogermanischen Erobererschicht überlagert, die aufgrund ihrer kriegerischen und technologischen Überlegenheit und trotz beträchtlicher zahlenmäßiger Unterlegenheit ihre Sprache und Gesellschaftsstruktur durchsetzt.
Aus der Vermischung von Indogermanen und nicht-indogermanischer Urbevölkerung sowie durch isolationsbedingte Differenzierung entwickelten sich die verschiedenen indogermanischen Volks- und Sprachgruppen, wie die Kelten, Germanen, Slawen, Italiker, Griechen, Iranier, Inder, Balten, Armenier, Thraker u. a.
Diese Theorie, die aufgrund Gimbutas’ Annahmen zur Kultur der nichtindogermanischen Vorbevölkerung (Alteuropa) zeitweise sehr stark in die Kritik geraten war, passt im Gegensatz zu Renfrews Annahme am besten zum sprachlichen Befund, wonach die Indogermanen nicht zum Beginn des Neolithikums nach Europa kamen, sondern erst in relativ später Zeit etwa um 3000 v. Chr. mit dem Beginn der Eisenzeit nach Westen vorstießen. Das Problem aus archäologischer Sicht ist nur wesentlich komplizierter, da sich Reitpferde erst später (nicht jedoch Pferde an sich, deren gehäuftes Auftreten in Europa mit der Indogermanisierung einherging) und Reitervölker regelmäßig nur in der Steppe (bis zum Karpatenbecken in einigen Fällen bis in die Puszta) nachweisen ließen. Auch in späterer Zeit endete die Invasion der Reitervölker (Magyaren, Altbulgaren, Mongolen, Hunnen, Türken) spätestens dort und sie drangen nur temporär weiter vor, denn in den ausgedehnten Waldgebieten Mittel- und Westeuropas hätten sie Lebens- und Wirtschaftsweise umstellen müssen, was die Indogermanen möglicherweise größtenteils getan haben könnten, woraus sich auch die erst spätere weitere Durchsetzung des Reitpferdes in Europa erklären ließe.
Genetisch gesehen haben Reitervölker nur einen geringen Beitrag zur heutigen Bevölkerung in Europa, oder im Falle der Türken in Anatolien beigetragen. Die Genetiker haben deutlich gezeigt, dass Ungarn mehrheitlich aus slawischer Bevölkerung besteht, anstatt finno-ugrischer, die Türkei vorwiegend von europäischem Typus besiedelt (statt Turkvölkern) und Europa genetisch von einer alteuropäischen Urbevölkerung dominiert wird, die den Kontinent vermutlich mit ihrer alten nichtindogermanische Sprache mit den ersten Ackerbauern besiedelte. In allen Fällen kann man aber beobachten, wie die Sprache als ein kleiner Teil der Kultur einer militär-technisch überlegenen Migrantenschicht auf die Gesamtbevölkerung überging.
Ähnlich stellen sich heutige Sprachforscher den Übergang zu den indoeuropäischen Sprachen vor. Die überlegene Technik gleich welcher Art (nicht die des Pfluges, denn seine Spuren finden sich bereits vorher), verbreitete sich – trotz des nicht allzugroßen genetischen Beitrags der technisch überlegenen indogermanischen Einwanderungsschicht – über Europa und die älteren Ackerbaukulturen und bildete in Folge in kurzer Zeit wiederum neue Kulturen heraus. Man geht davon aus, dass sich neue Technologien mit der Sprache explosionsartig verbreiteten und sich Gesellschaften bildeten, die aber an die Umgebung Mitteleuropas angepasst, die Viehzucht einstellten und mit der autochthonen Ackerbau-Bevölkerung verschmolzen, auf die die neuen Technologien übergingen. Tatsächlich ist das gehäufte Auftreten des Pferdes in Mittel- und Nordeuropa erst ab 3000, in Westeuropa (nichtindogermanische Kelten) meist erst um 1500 v. Chr. nachweisbar. Wildpferde kamen vor der Indogermanisierung in Europa nur regional vor, während sie in Steppengebieten große Herden bildeten. Dort hat der Archäologe David Anthony an Pferdezähnen (um 4000 v. Chr.) Spuren entdeckt, die auf Zaumzeug zum Reiten schließen lassen. Tatsächlich aber enthält die urindogermanische Grundsprache einen reichen Wortschatz aus der Milch- und Viehwirtschaft (Milch, Butter, Wolle, Webtechnik), während Bezeichnungen für Kulturpflanzen, darunter nur eine unbekannte Getreidesorte, entweder nicht vorhanden waren oder nicht erhalten blieben.
Ähnlich muss der Prozess in Mittelasien, Persien und Nordindien verlaufen sein. So erklärt sich, dass die durch den Kaukasus abgegrenzte Hethitische Sprache Anatoliens, dem nach Renfrew angeblichen Ursprungsgebiet der Indogermanen, am weitesten vom Urindorgermanischen abweicht, hingegen das Finno-Ugrische, wahrscheinlich eine Nachbarsprachfamilie, Ähnlichkeiten mit dem Urindogermanischen aufweist, und auch die Litauische Sprache sowie andere Baltische Sprachen besonders altertümliche Bestandteile der urindogermanischen Grundsprache bewahrten. Diese Völker und Stämme lebten wahrscheinlich im 5. Jahrtausend v. Chr. noch in unmittelbarer Nähe, nördlich der vermuteten Urheimat der Indogermanen und waren in den folgenden Jahrtausenden, insbesondere im vierten, als die Wanderbewegungen begannen, Verdrängungen unterworfen; sie lebten sozusagen in einem Rückzugsgebiet, aus dem sie von Slawen und Goten – die Finno-Ugren von den Balten – an den Rand der Ostsee und in den Norden abgedrängt wurden.
Auf diese differenzierter betrachtete Weise käme der vormals kritisierte Großteil der Theorie von Gimbutas zu seinem Recht.
Zwei der Theorien gehen von Anatolien als Urheimat aus. Die des britischen Forschers Colin Renfrew setzt die Indogermanen mit den neolithischen (jungsteinzeitlichen) Bauern gleich, die den Ackerbau ab 7000 v. Chr. über den Balkan bzw. den westmediterranen Raum nach Mittel- und Nordeuropa brachten. Diese gegenüber den Theorien der Sprachwissenschaftler neuartige Hypothese geht von einer allmählichen und friedfertigen Ausbreitung einer indoeuropäischen Ackerbauernkultur (im Durchschnitt von 1 km/Jahr) aus, aber auch von dem Irrtum, dass die Indogermanen aufgrund ihres technischen und kulturellen auch einen großen genetischen Einfluss auf das spätere Abendland gehabt hätten, so dass Renfrew auf der Suche nach ihnen zwangsläufig bei der europäischen Vorbevölkerung landet.
Renfrews Theorie erfuhr vermeintliche Unterstützung von den neuseeländischen Evolutionsbiologen R. Gray und Q. Atkinson. Diese veröffentlichten in der (naturwissenschaftlich=) renommierten Zeitschrift Nature im Jahre 2003 mit Hilfe eines Programms der Bioinformatik und leider fragwürdigen lexikostatistischen Daten eine Ausgliederungsreihenfolge für 87 indogermanische Sprachen. Die Ergebnisse begegnen daher einiger Kritik: Viele linguistische Ergebnisse widersprechen anerkannten Gliederungen; v. a. jedoch soll sich Hethitisch bereits vor 9000 Jahren ausgegliedert haben, was mit Rekonstruktionen des Wortschatzes (z. B. Rad- und Wagen-Terminologie) nicht zu vereinbaren ist.
Die andere, die der Gruppe um die ehemals sowjetischen Forscher Gamkrelize und Iwanow, sehen Ostanatolien, eigentlich den Raum südlich des Kaukasus (Armenien) als Ausgangspunkt der indogermanischen Sprache und einer von hier ausgehenden in mehrere Richtungen erfolgenden aber später einsetzenden und langsamer verlaufenden indoeuropäischen Wanderung an, die zunächst ostwärts um das Kaspische Meer herum führte (dort ihre tocharische bzw. nordindische Abspaltung erfuhr) und dann westwärts in den Nordpontischen Raum führte. Evolutionsgenetiker um den Forscher Cavalli-Sforza unterstützen die Theorie von Gamkrelize und Iwanow und wiederholen damit Renfrews Irrtum eines starken genetischen Einflusses der Indogermanen.
Diese beiden Theorien schließen sich gegenseitig aus. Renfrews mehrfach revidierte Theorie erklärt darüber hinaus nicht die nicht-indogermanischen Sprach-Inseln beispielsweise auf der Iberischen Halbinsel (Basken, Iberer) oder der Apenninen-Halbinsel (Ligurer, Etrusker). Insbesondere aber vermag sie nicht die Sprachinseln in der Ägäis (Ägäische Sprachen, Lemnische Sprache), auf den Inseln Kreta (Eteokretische Sprache) und Zypern (Eteokyprische Sprache), sowie Pelasger und Leleger in Griechenland u. a zu erklären, diese Gebiete wurden teilweise erst im Neolithikum besiedelt. Renfrews Theorie geht auch von einem zu frühen Auftreten des Urindogermanischen in Europa aus, da die rekonstruierte Grundsprache noch in ihrem sprachlichen Grundzustand bereits Wörter für Dinge enthält, die nach heutigem Kenntnisstand frühestens im 6. Jahrtausend von viehzüchtenden Steppennomaden in Asien erfunden wurden, wie Pflug und Joch, noch später Rad und Wagen.
Alteuropa-Theorie
Die von Hans Krahe begründete und von Wolfgang P. Schmid weiterentwickelte „Alteuropa-Theorie“ (die außer dem Namen nichts mit Gimbutas’ Alteuropa-Konzeption einer nichtindogermanischen Vorbevölkerung gemeinsam hat) stützt sich auf die Untersuchung alter Gewässernamen. Sie geht davon aus, dass sich Gewässernamen gegenüber Umbenennungen als besonders resistent erwiesen haben und damit eine sehr alte Sprachschicht repräsentieren. Dabei bedienen sich die Forscher einer Unterdisziplin der Sprachforschung, der sogenannten Onomastik (Namenforschung). Die Göttinger Schule der Gewässernamenkunde (Hydronymie, derzeitig prominentester Vertreter: Prof. Jürgen Udolph) nimmt ein sogenanntes „alteuropäisches“ sprachliches Kontinuum an. Eine besonders von italienischen und spanischen Forschern herausgearbeitete Theorie einer „Paläolitischen Kontinuität“ (Palaeolithic Continuity Theory – PCT) könnte zu diesen Ergebnissen passen. Passen würde aber sogar Renfrews Theorie, sofern man davon ausgeht, dass ausgerechnet die Gewässernamen der ersten Bauern die Indoeuropäisierung überstanden, denn die Gewässernamen gelten auch als Substrat älterer vorindogermanischer Sprachschichten, z. B. des Vaskonischen.
Sonstige Theorien
Balkan
In manchen Theorien kommt dem Balkan eine Art Schlüsselstellung zu, da er mindestens als „Durchzugsgebiet“ infrage kommt. In letzter Konsequenz muss auch die These geprüft werden, ob nicht auch der Balkan, insbesondere das Donaubecken als „Urheimat“ in Frage kommt.
Mitteleuropa-Theorien
Anhänger dieser Richtung gehen, im Gefolge Gustaf Kossinnas davon aus, dass die Indogermanen auf die mesolithische Bevölkerung Mitteleuropas zurückgehen und somit die Urbevölkerung bilden würden. Nach ihrer Auffassung erstreckte sich der dafür infrage kommende Raum zwischen Weser, Ostsee, Ostpolen und Karpaten. Etwa um 4000 v. Chr. hätten diese Frühindogermanen die Trichterbecherkultur ausgebildet und ca. 2500 v. Chr. ihre Wanderungen auf den Balkan, nach Vorderasien und Indien angetreten. Eine Invasion aus dem asiatischen oder südrussischen Raum hätte es danach nicht gegeben. In den 30er und 40er Jahren vertraten zahlreiche Wissenschaftler diese Ansicht, die auf europäischer Ebene heute nicht mehr relevant ist (Pontische Wanderung).
Out-of-Iran-Hypothese
Der iranische Wissenschaftler Derakshani glaubt, indogermanische Ausdrücke auf früharische Sprecher im Gebiet des heutigen Iran zurückführen zu können. Dies Volk hätte im 4. Jahrtausend v. Chr. im Hochland des Iran gelebt. Neueste Ausgrabungen belegen in der Tat eine bisher nicht entdeckte Kultur (Aratta); jedoch bleibt der Zusammenhang noch zu beweisen. Von dort aus sollen sich die Arier als Proto-Indoeuropäer (Urindogermanen) ausgebreitet haben.
Methodik
Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft und die Sprachtypologie erschließen durch Vergleich verwandter Sprachen so genannte Protosprache.
Für archäologische Kulturen gilt ähnliches wie für Protosprachen: Früher versuchte man, durch Untersuchung der in den indogermanischen Sprachen gemeinsamen Pflanzen- und Tierbezeichnungen, die also auch Bestandteil der indogermanischen Ursprache gewesen sein sollten, eine Urheimat ihrer Träger zu ermitteln. Diese Ansätze stehen wegen der anzunehmenden häufigeren Bedeutungswechsel in der Kritik. Allerdings weisen die gemeinsamen Pflanzen- und Tiernamen auf mittlere gemäßigte Breiten und aufgrund von Lehnwörtern auf frühe Kontakte mit Sprechern uralischer und altaischer Sprachen hin. Der Längengrad kann aber nicht ermittelt werden.
Dies weist in der heute als Standardtheorie angesehenen sogenannten Kurgan-Theorie als Ausbreitungszentrum auf ein Gebiet in Südrussland, auf Viehhirten, die nicht mehr Jäger und Sammler waren und – analog zu entsprechenden Begriffen in der indoeuropäischen Grundsprache – vermutlich einen rudimentären Ackerbau betrieben. Nach diesen Untersuchungen liegt der Ausbreitungszeitpunkt mit einer Unsicherheit von fast tausend Jahren bei 3100 v. Chr.
Gemeinsame indogermanische Bezeichnungen des Ackerbaus, wie z. B. Pflug, als auch des Transports wie Rad, Wagen und Joch legen nahe, dass die indogermanischen Stämme sich erst nach Übernahme des Wagentransports (zunächst von Ochsen gezogen) ausbreiteten. Danach können Sie nicht die Träger der ersten Ackerbaukulturen gewesen sein, die im Alt-Neolithikum von Kleinasien aus Europa erreichten, sondern erst relativ späte (ca. 3600–2600 v. Chr.) Migranten. Diese frühmetallzeitliche Periode brachte wie bereits vorher die Landwirtschaft eine größere Umwälzung mit sich. Archäologen ordnet die Funde zu Fund-Horizonten. Horizonte mit ausreichend umfangreicher Datenlage werden Kulturen genannt. Eine so genannte „Kultur“ wird durch typische Funde, zumeist der Keramik, definiert (Leitfunde). Eine Gleichsetzung archäologischer Kulturen mit ethnischen Einheiten, Sippen oder Völkern ist jedoch in der Regel unmöglich, auch wenn das im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in Deutschland besonders von Gustaf Kossinna, versucht wurde.
Sprachwissenschaftler, die eine Protosprache beschreiben, versuchen immer auch, archäologische Evidenzen für diese Protosprache zu finden, und mitunter (aber seltener) versuchen Archäologen, die eine Kultur beschreiben, in Ermangelung historischer Daten sprachwissenschaftliche Evidenzen zu finden. Dies ändert nichts daran, dass ein Zusammenhang zwischen Protosprachen und Kulturen prinzipiell hypothetisch ist, so dass zwar allgemein von Gesellschaften gesprochen werden kann, die Sprechergemeinschaft der linguistisch rekonstruierten Protosprache und ganz oder teilweise Träger der betreffenden archäologischen Kultur gewesen sein könnten, während jedoch nicht mit Bestimmtheit behauptet werden kann, diese Gesellschaften seien ein Volk gewesen oder ihre Sprache wäre auf die Kulturebene begrenzt gewesen.
Die obigen Theorien, jede für sich, beruhen auf völlig verschiedenen Annahmen. Manche Theorien, obwohl sie sich zu widersprechen scheinen, schließen sich aber keineswegs gegenseitig völlig aus.
Zeitlicher Rahmen
Die verschiedenen Theorien differieren bereits beim Versuch, die Proto-Indogermanen zeitlich zu fassen. Beim Jungpaläolithikum (Otte) angefangen, lägen die Ursprünge in Nordafrika. Späteste Annahmen datieren die Ausbreitung der Indoeuropäer nach Europa in das beginnende Neolithikum oder in die lokal unterschiedlich beginnende Bronzezeit (in Mitteleuropa ca. 2500 v. Chr.).
Siehe auch
Literatur
sprachwissenschaftlich
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archäologisch
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- Marija Gimbutas: Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas. in: Archeolingua. Series minor 6., jointly edited by the Archaeological Institute of the Hungarian Academy of Sciences and the Linguistic Institute of the University of Innsbruck. Archaeolingua Alapítvány, Budapest 1994 (auch als Buch). ISSN 1216-6847, ISBN 3-85124-171-1
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- Alexander Häusler: Ursprung und Ausbreitung der Indogermanen. Alternative Erklärungsmodelle. Indogermanische Forschungen. in: Zeitschrift für Indogermanistik und allgemeine Sprachwissenschaft. de Gruyter, Berlin 107.2002, S. 47–75. ISSN 0019-7262
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- Colin Renfrew.: Archaeology and Language. The Puzzle of Indo-European Origins. Jonathan Cape, London 1987, Cambridge 1990. ISBN 0-521-38675-6.
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- C. Renfrew, A. McMahone, Larry Trask (Hrsg.): Time Depth in Historical Linguistics. McDonald Institute for Archaeological Research, Cambridge 2000. ISBN 1-902937-06-6
historisch
- Jahanshani Derakshani: Die Arier in den nahöstlichen Quellen des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. Teheran 1998. ISBN 964-90368-1-4
- Bernard Sergent : Les Indo-Européens, Paris, Payot, 2005.
allgemein
- Hans J. Holm: The new Arboretum of Indo-European ‚Trees‘. Can new Algorithms reveal the Phylogeny and even Prehistory of IE? In Journal of Quantitative Linguistics 14–2, 2007, S. 167–214. (englisch; linguistische, archäologische, und mathematische Auseinandersetzung mit den derzeitigen Stammbaumkonstruktionen).
- Martin Kuckenburg: Auf den Spuren der Indoeuropäer. in: Abenteuer Archäologie. Spektrum der Wissenschaft Verl.-Ges., Heidelberg 2006, 2, S. 48ff. ISSN 1612-9954 (gute aktuelle Einführung)
- Reinhard Schmoeckel: Die Indoeuropäer. Aufbruch aus der Vorgeschichte. Bastei-Lübbe-Taschenbuch 64162. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1999. ISBN 3-404-64162-0 (jeder Abschnitt ist hier in ein illustrierendes belletristisches und ein konkret wissenschaftliches Kapitel aufgeteilt)
Führende Zeitschrift:
- Journal of Indo-European Studies. University of Southern Mississippi, Hattiesburg Miss 1.1973ff. ISSN 0092-2323
- Journal of Indo-European Studies. Monograph. Institute for the Study of Man. Washington DC 1975,1ff. ISSN 0895-7258
Weblinks
- M. Alinei: Towards an Invasionless Model of Indoeuropean Origins. The Continuity Theory
- Hans J. Holm: A possible Homeland of the Indo-European languages. (Deutsch und Englisch; neuer Stammbaum von 2007 und Karte)
- Wolfgang P. Schmid: Was Gewässernamen in Europa besagen.