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Belarussische Sprache

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Weißrussisch (auch Belarussisch)

Gesprochen in

Weißrussland, Russland, Ukraine, Polen (in der Umgebung von Białystok), Lettland, Litauen, Kasachstan, USA
Sprecher 7,9 Millionen
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache in Weißrussland (Belarus)
Sprachcodes
ISO 639-1

be

ISO 639-2 (B) bel (T) –


Das Weißrussische (neuere Bezeichnung Belarussisch, veraltet Weißruthenisch) wird von ca. 7,9 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen. Von diesen lebt eine Minderheit in Polen bei Bialystok, die Mehrheit jedoch in Weißrussland, wo es eine der beiden Amtssprachen ist (die andere ist das Russische).

Geschichte

Das Weißrussische ist zusammen mit dem Russischen und dem Ukrainischen eine der drei ostslawischen Sprachen, die sich im Mittelalter aus einer gemeinsamen Vorgängersprache entwickelt haben. Diese wird oft als "Altrussisch" bezeichnet, was aber irreführend ist, weil es eine Priorität des Russischen suggeriert - vorzuziehen ist der Ausdruck "Altostslawisch".

Die Geschichte des Weißrussischen beginnt im 14. Jahrhundert, als der westliche Teil des ostslawischen Sprachgebiets an das Großfürstentum Litauen fiel, das ab 1386 in Personalunion mit dem Königreich Polen von den Jagiellonen regiert wurde. Schriftsprache im Großfürstentum Litauen war nicht das Litauische (dessen erste Sprachdenkmäler stammen aus dem 16. Jahrhundert), sondern eine slawische Sprache, die damals "Prostaja mowa" (wörtlich "einfache Sprache") oder als "Ruskaja mowa" bezeichnet wurde und Merkmale aufwies, die für das heutige Weißrussische und Ukrainische charakteristisch sind. In der älteren Forschung wurde sie als "westrussische Sprache" ("sapadnorusski jazyk") bezeichnet, heute nennt man sie in der Regel "Altweißrussisch" oder "Altukrainisch". Neben Urkunden und Rechtstexten entstanden auch religiöse Schriften, so u.a. in einer stark kirchenslawisch beeinflussten Variante die Bibelübersetzung des Franzischak Skaryna (erschienen in Prag 1517-1519).

Die "Prostaja mowa" wurde in kyrillischer Schrift geschrieben, ab dem Ende des 16. Jahrhunderts war auch die Lateinschrift im Gebrauch. Ferner verfassten die in Weißrussland ansässigen Tataren bis ins 19. Jahrhundert weißrussische Texte in arabischer Schrift.

Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Weißrussische vom Polnischen verdrängt, nach dem Anschluss der weißrussischen Gebiet an das Russische Reich im Zuge der ersten und der zweiten polnischen Teilung stand es unter starkem Druck durch das Russische. Zwar entstanden schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten literarischen Werke in einer neuen weißrussischen Schriftsprache, die sich auf die nordöstlichen Dialekte des Weißrussischen stützte, aber erst nach der Revolution von 1905 konnten legal Bücher und Zeitungen gedruckt werden. Von 1903-1911 erschien in Warschau das wichtige Werk "Die Weißrussen. Die Sprache des weißrussischen Volkes" ("Belorussy. Jazyk belorusskowo naroda") von Jauchim Karski, in dem die Schriftsprache kodifiziert wurde. Eine wichtige Rolle spielt in dieser Zeit ferner die ab 1906 erscheinende Zeitschrift "Nascha niwa" ("Unsere Flur").

1917 scheiterte der erste Versuch, einen eigenen weißrussischen Staat zu gründen, danach lebten die meisten Weißrussen in der Sowjetrepublik Weißrussland, ein kleinerer Teil in Polen. In der Sowjetunion konnte sich das Weißrussische bis Ende der zwanziger Jahre frei entfalten, danach geriet es wieder unter deutlichen Druck des Russischen. 1933 wurde durch eine Orthografiereform die Annäherung an das Russische erzwungen, auch Wortschatz und Grammatik standen seitdem unter deutlichem russischen Einfluss. Das gleiche Schicksal ereilte das Weißrussische in den polnischen Gebieten, die 1939 an die Sowjetunion angeschlossen wurden.

Erst unter der Perestroika kam es zu einer Wiederbelebung der weißrussischen Schriftsprache, die im Januar 1990 zur Staatssprache der Sowjetrepublik Weißrussland erklärt wurde. Die kurze Phase der "Wiedergeburt" (weißrussisch: Adradschenne) endete schon 1995 wieder. Nach dem Wahlsieg von Aljaksandar Lukaschenka wurde per Volksabstimmung das Russische als zweite und de facto erste Amtssprache eingeführt.

Der gegenwärtige Stand ist der, dass die weißrussische Schriftsprache nur von einer kleinen intellektuellen Schicht in den Städten gesprochen wird. Auf dem Land sind weißrussische Dialekte verbreitet, der größte Teil der Stadtbevölkerung spricht eine Übergangsform zwischen dem Weißrussischen und dem Russischen, die abwertend als "Trasjanka" ("Viehfutter") bezeichnet wird. Im Bildungssystem ist das Weißrussische nur schwach verankert, im Sommer 2003 wurde gegen starken Widerstand der Schüler und Lehrer das einzige Gymnasium mit weißrussischer Unterrichtssprache geschlossen. Nach Einführung des Weißrussischen als einziger Amtssprache erfolgte einen kurze Blüte, die aber durch die Einführung des Russischen als weiterer Amtssprache durch Präsident Lukaschenko im Jahre 1994 wieder endete. Die Zukunftsprognose ist eher düster, viele Weißrussen befürchten, dass ein völliges Aufgehen des Weißrussischen im Russischen fast nicht mehr zu verhindern ist.

Schrift und Orthografie

Die heutige weißrussische Schriftsprache wird mit kyrillischer Schrift geschrieben, vgl. die folgende Tabelle:

Buchstabe Transliteration Transkription
А а A a A a
Б б B b B b
В в V v W w
Г г G/H g/h G/H g/h (je nach Aussprache)
Д д D d D d
Е е E e E e (am Wortanfang: Je je)
Ё ё Ë ë Jo jo
Ж ж Ž ž Sch sch
З з Z z S s
І і I i I i
Й й J j I i (am Wortende wird й nach и und nach і nicht wiedergegeben)
К к K k K k
Л л L l L l
М м M m M m
Н н N n N n
О о O o O o
П п P p P p
Р р R r R r
С с S s S s
Т т T t T t
У у U u U u
Ў ў Ŭ ŭ U u
Ф ф F f F f
Х х Ch ch Ch ch
Ц ц C c Z z
Ч ч Č č Tsch tsch
Ш ш Š š Sch sch
Ы ы Y y Y y
Ь ь ' ' - (vor Vokalen: j)
Э э Ė ė E e
Ю ю Ju ju Ju ju
Я я Ja ja Ja ja

Das Buchstabeninventar entspricht etwa dem des Russischen bzw. des Ukrainischen. Typisch weißrussisch ist der Buchstabe ў, der nur in dieser Sprache vorkommt, ferner ist die Schreibung des ë obligatorisch (anders als im Russischen). Dem Weißrussischen fehlen die russischen Buchstaben щ und ъ (dafür hat es zusätzlich das і). Im Vergleich mit dem Ukrainischen fehlen ihm die Buchstaben ї und є (dafür hat es zusätzlich ы, э und ë).

Die Rechtschreibung des Weißrussischen ist streng phonetisch, d.h. sie richtet sich weitgehend nach der Aussprache. Dies bedeutet auch, dass unbetontes o nicht nur (wie im Russischen) als a gesprochen, sondern auch geschrieben wird. Durch die phonetische Rechtschreibung entsteht ein deutlicher Unterschied des Schriftbilds zum Russischen und Ukrainischen. Vgl. etwa weißrussisch вада "Wasser" gegenüber russisch вода, die Wörter werden gleich gesprochen, aber unterschiedlich geschrieben.

Die Buchstabenverbindungen дж und дз werden manchmal als eigene Einheiten behandelt, da sie auch nur einen Laut bezeichnen. In diesen Fällen folgen sie im Alphabet als eigene Buchstaben nach д.

Ein Problem der weißrussischen Orthografie besteht darin, dass sowohl der Laut h wie auch der Laut g durch den Buchstaben г wiedergegeben werden. Bis 1933 wurde für g ein eigener Buchstabe ґ verwendet (wie im Ukrainischen), seine Wiedereinführung wird erwogen.

Die Schreibung des Weißrussischen in Lateinschrift ("lacinka") orientiert sich an der polnischen Orthografie, weist aber auch Sonderzeichen mit Diakritika (š, č usw.) auf und verwendet (anders als das Polnische) den Buchstaben v statt w. Charakteristisch auch für sie eine phonetische Schreibung ("Wasser" heißt dann also vada).


Grammatik

Die Grammatik des Weißrussischen unterscheidet sich nicht wesentlich von der anderer slawischer Sprachen. Im Einzelnen kann folgendes gesagt werden:

  • Die Substantive weisen drei Genera auf (Maskulina, Feminina, Neutra), die sich wiederum in belebte und unbelebte aufteilen. Es gibt sechs Kasus und zwei Numeri, Singular und Plural. Auffällig ist, dass die Deklination der Substantive stärker ausgeglichen ist als etwa im Russischen oder im Tschechischen, was dadurch zu erklären ist, dass die weißrussische Standardsprache im 19. Jahrhundert aus der Volkssprache hervorgegangen ist und keine direkte Kontinuität zum Altweißrussischen besteht.
  • Die Adjektive haben die aus anderen slawischen Sprachen bekannten prädikativen Formen (sog. Kurzformen) eingebüßt.
  • Das Verbum weist vier Tempora auf, neben Präsens, Präteritum und Futur auch das in slawischen Sprachen seltene Plusquamperfekt, außerdem die für die slawischen Sprachen charakteristische Kategorie des Aspekts. Das System der Partizipien und Adverbialpartizipien ist weniger entwickelt als in anderen slawischen Sprachen.

Wortschatz

Der Wortschatz des Weißrussischen setzt sich aus verschiedenen Schichten zusammen. Neben dem slawischen Erbwortschatz und einer einigen Einflüssen des Kirchenslawischen sind vor allem Entlehnungen aus dem Polnischen charakteristisch, die hingegen dem Russischen fehlen. Vgl. etwa weißruss. дзякаваць "danken" gegenüber russisch благодарить und polnisch dziękować. weißrussisch цікавы "interessant" wie polnisch ciekawy usw. In der Zwischenkriegszeit waren weißrussische Linguisten bemüht, statt polnischer (und russischer) Lehnwörter eigene Wörter auf der Grundlage von Dialektwörtern zu bilden, ab 1933 wurde der Fachwortschatz jedoch gezielt russifiziert.

Literatur

  • Knauf, Holger: Kauderwelsch, Weißrussisch (Belarus) Wort für Wort. 2001. ISBN: 3894165529
  • Bieder, Hermann: Das Weißrussische. In: P. Rehder (Hrsg): Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 1998, 110-125.
  • Hurtig, Claudia: Belarussische Grammatik in Tabellen und Übungen. Hramatyka belaruskai mowy u tablizach i praktykavannjach. München 2003.