Radverkehr in Münster

Die Stadt Münster in Westfalen gilt als Fahrradstadt. Dies basiert darauf, dass das im Volksmund häufig Leeze (aus der Sondersprache Masematte) genannte Fahrrad das Stadtbild der Westfalenmetropole und das Leben der Münsteraner stark prägt. Auf Grund der vielen Vorteile, die die Radler im Verkehr genießen, gewann die Stadt bereits mehrmals den Fahrradklimatest des ADFC, weshalb Münster als Fahrradhauptstadt Deutschlands gilt.
Zahlen und Fakten
Allgemeines
Von den rund 1,3 Millionen Fahrten täglich werden in Münster je nach Quelle etwa 35% bis 40% mit dem Fahrrad zurückgelegt, dies ist eine um drei- bis viermal höhere Quote als in vergleichbaren Städten. Das Radwegenetz innerhalb der Stadt erstreckt sich dabei auf einer gesamten Länge von 254 km (Ende 2005), davon 243 km auf Bordsteinradwegen, 8 km sind spezielle Fahrradstraßen und auf einer Länge von insgesamt 3 km dürfen Radfahrer die Busspuren mitnutzen. Zur Orientierung wurden 172 Radwegweiser aufgestellt, von denen 142 eine spezielle Themenroute kennzeichnen. [1]
Stellplätze für Räder

Münster beherbergt mit der Radstation Münster das größte Fahrradparkhaus Deutschlands. Sie befindet sich direkt vor dem Hauptbahnhof. Während des Baus skeptisch von den Bewohnern der Stadt beäugt, wurde die Radstation schnell zum Erfolg: Die 3.300 Stellplätze sind bei gutem Wetter ausgebucht, ca. 2.700 Kunden besitzen eine Dauerkarte. Nötig wurde die Anlage, da auf dem Bahnhofsvorplatz regelmäßig sämtliche Wege von abgestellten Fahrrädern blockiert wurden, so dass Fußgänger auf die Straße ausweichen mussten und Radfahrer, die ihr dort abgestelltes Fahrrad zurück haben wollten, nicht zu ihrer „Leeze“ kamen. Den Radfahrern standen zum Ende des Jahres 2004 insgesamt 11.857 Stellplätze für ihre Räder zur Verfügung, darunter die schon genannten 3.300 Plätze in der Fahrradstation, 8.000 Fahrradständer sowie 557 Plätze an Umsteigemöglichkeiten, z.B. Park&Ride-Stationen.
Unfälle
2004 gab es in Münster 9189 Verkehrsunfälle, an 725 von ihnen waren Radfahrer beteiligt. Vier Radfahrer starben, 579 wurden verletzt. Nur in 37% der Fälle verursachte der Radfahrer den Unfall. 2003 starben in ähnlich vielen Unfällen (703) 3 Menschen, 595 wurden verletzt. In den vergangenen zehn Jahren blieben die Unfallzahlen der Radfahrer relativ stabil, 1996 waren es mit 563 die wenigsten, 2003 mit 767 die meisten. Die Verletztenzahlen schwankten zwischen 498 (1996) und 601 (1995), die Anzahl der Getöteten zwischen eins und fünf.
Als häufigste Gründe für einen Unfall werden die Benutzung der falschen Fahrbahn, die Nichtbeachtung der Vorfahrt und die von Ampeln sowie Alkoholkonsum angegeben.
Münster-Barometer

Im so genannten Münster-Barometer, einer regelmäßig von der Westfälischen Wilhelms-Universität durchgeführten Umfrage, geben nur 7% der 280.000 Münsteraner an, kein Fahrrad zu besitzen, immerhin knapp 45% besitzen zwei oder mehr Fahrräder. In offiziellen Schriften gibt die Stadt die Zahl der Fahrräder mit gut 500.000 an. In einer Stadt mit doppelt so vielen Fahrrädern wie Bewohnern tritt auch das Problem des Fahrraddiebstahls in den Vordergrund: So geben weniger als die Hälfte der Befragten an, ihnen sei noch nie ein Fahrrad gestohlen worden, 15% beklagen gar drei oder mehr verschwundene Räder. Auswärtige wundern sich über die häufigen Verkehrskontrollen auch für Radler. Die Münsteraner selber aber sagen zu jeweils knapp 40%, die Kontrollen seien ausreichend bzw. noch zu wenig, nur 11,5% halten die Anzahl der Kontrollen für übertrieben.
Die gefühlte Überlegenheit der Radfahrer im Straßenverkehr zeigt sich deutlich daran, dass das Verhalten der Radfahrer im Straßenverkehr als „rüpelhafter“ eingeschätzt wird als das der Autofahrer. Bei den Radfahrern bildet sich ein Mittelwert von 3,85, bei den Autofahrern von 3,14 („1“ = Verhalten sehr rücksichtsvoll). Dies mag daran liegen, dass gefährliches Verkehrsverhalten von Radfahrern (Nichtbeachten von Ampelrotlicht, Fahren ohne Licht bei Dämmerung und Dunkelheit, Fahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung auf dem „falschen“ Radweg oder das Benutzen von Kopfhörern zum Musikhören) in Münster häufiger beobachtet wird, weil die absolute Zahl von Radfahrern höher liegt als in anderen Städten. In der Unfallstatistik schneidet Münster gegenüber anderen Städten besser ab. Für auswärtige Autofahrer ist es (obwohl lt. STVO vorgeschrieben) teilweise gewöhnungsbedürftig, dass man an Kreuzungen vor dem querenden Radweg halten oder andernfalls mit erheblichem Unmut der Radfahrer rechnen muss.
Gründe

Die Gründe für die Vorliebe der Münsteraner, Fahrrad zu fahren, liegen unter Anderem in den zahlreichen Sonderregeln, die das Radfahren in Münster erleichtern sollen. So gibt es an großen Kreuzungen eigene Fahrstreifen für Radler oder die Fahrradfahrer dürfen zwischen den Autos bis direkt vor die Ampel fahren (die so genannte Fahrradschleuse), damit die Fahrradfahrer bei Grün immer im Blickfeld der anfahrenden Autos sind, was die Sicherheit der Radler im Straßenverkehr erhöht. Außerdem wird so das Warten in den Abgasen der Autos vermieden. Einige Ampeln gelten durch Sonderzeichen nicht für Fahrradfahrer. Weiterhin wird in Münster häufig eine für Autofahrer vorgeschriebene Fahrtrichtung an Kreuzungen und Einmündungen für Radler aufgehoben. Da in Münster die Straßen der Innenstadt nie verbreitert wurden, sind viele Straßen dort Einbahnstraßen, jedoch gilt auch dies nur selten für Radfahrer, die die Straßen in beide Richtungen befahren dürfen. Inzwischen sind elf Straßen im Stadtgebiet als Fahrradstraße ausgewiesen, was den Radfahrern die Hoheit auf diesen Straßen gibt.

Ein weiterer Grund ist, dass die gesamte Innenstadt zwischen Servatiiplatz über den Prinzipalmarkt bis zum Domplatz für private PKW gesperrt ist oder im besten Fall aus Einbahnstraßen besteht. Dies macht für Autofahrer ein Umfahren des Innenstadtbereichs nötig, während Radler ihre Leeze nur durch die Fußgängerzone schieben müssen (oder besser: sollen) und danach weiterradeln können. Auch die problematische Parkplatzsituation trägt ihren Teil zum status quo bei: Kostenfreie Parkplätze sind im Kernbereich, in dem viele der münsterschen Behörden angesiedelt sind, Mangelware. Wer die Innenstadt umrunden will, kann auf der 4,5 Kilometer langen Promenade fahren. Diese befindet sich an der Stelle der ehemaligen Stadtmauer und ist heute als Fahrradautobahn angelegt. Das bedeutet, dass der innere Bereich der Doppelallee nur für Fahrradfahrer zugänglich ist, während die Fußwege zwischen der äußeren Baumbepflanzung liegen. Allerdings sollte man auch im mittleren Teil mit Fußgängern rechnen!
Auch praktische Gründe finden sich mehrere. So ist Münster eine Pendlerstadt, insgesamt ca. 80.000 Menschen pendeln täglich zur Arbeit. Durch die Radialstruktur der Stadt mit nur sechs großen Ausfallstraßen ergeben sich im Berufsverkehr häufig Staus. Da die Ausfallstraßen durch Wohngebiete führen, greifen die dort wohnenden Arbeitnehmer häufig zum Fahrrad, um zu ihrer Arbeitsstelle zu kommen. Dies wird natürlich begünstigt durch die an fast jeder Straße vorhandenen gut ausgebauten Radwege.
Das Radfahren in Münster ist nicht zuletzt deshalb so angenehm, weil es in Münster kaum Steigungen gibt. Münster ist sehr flach und so macht das Radfahren weniger Mühe als in anderen Städten und Gegenden mit größeren Höhenunterschieden.
Ausgezeichnet fahrradfreundlich

Jährlich wird vom Bund für Umwelt und Naturschutz und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) der so genannte Fahrradklimatest durchgeführt, eine Umfrage, bei der die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands gekürt wird. Nach 1991 gewann Münster auch in den Jahren 2004 und 2005 den Titel (zwischen 1991 und 2004 fanden keine Erhebungen statt). Auch der ADAC hat Münster – als einzige Stadt im Testfeld – 2004 mit der Note sehr gut ausgezeichnet. Während bei den ADFC-Tests dem Ergebnis Umfragen unter den Radfahrern selber zu Grunde liegen, hat der ADAC seinen Test in 22 Städten mit Hilfe von Verkehrsexperten durchgeführt, die die Städte bewertet haben.
Auf Grund der Auszeichnungen empfängt Münsters Stadtplanungsamt regelmäßig Verkehrsplaner aus allen Städten der Welt, um in der Praxis zu demonstrieren, wie Radverkehr als funktionierende Alternative zum Auto in einer kleineren Großstadt etabliert werden kann und was dafür getan werden muss. So waren in den letzten Jahren Abordnungen aus Florenz, Kristiansand (Norwegen) und Richfield in Minnesota in der westfälischen Stadt.
Fahrradschleuse
Damit Radfahrer eine Kreuzung zügig und sicher passieren können, wurden an vielen Stellen in Münster so genannte Radfahrschleusen eingerichtet. Es handelt sich um Extra-Haltepunkte für Radfahrer an Ampeln, entweder an einer eigenen Haltlinie direkt vor den Autos oder auch auf einer gesonderten Radfahrerspur neben oder zwischen den wartenden Autofahrern:
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Radler fahren auf das Ende des Radweges zu
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Halt an der roten Radfahrerampel
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Einfahren in die Kreuzung bei roter Autoampel
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Spezielle Linksabbiegerspur für Radler
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Radler stehen sonderberechtigt zwischen Autos
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Linksabbieger dürfen fahren
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Autos und Radler biegen nebeneinander ab
Probleme
Aus der Fokussierung auf das Fahrrad ergibt sich jedoch ein Problem bei schlechtem Wetter. Viele Radler steigen dann auf den Bus oder den eigenen PKW um. Da in Münster im ÖPNV ausschließlich Busse zum Einsatz kommen, sind diese dann oftmals überfüllt und der Masse an Fahrgästen nicht gewachsen.
Außerdem ist der große, zweispurige Kreisverkehr am Ludgeriplatz eine für Fahrradfahrer sehr gefährliche Stelle, an der jährlich bis zu 100 Unfälle zu teilweise schweren oder tödlichen Verletzungen führen. Bis April 2004 gab es an dieser Stelle drei Unfälle mit Todesfolge im Zusammenhang mit Radfahrern. Die Stadt versuchte bis 2005 diese gefährliche Situation zu entschärfen. Dazu wurden die Außenseiten im Bereich der Zufahrtsstraßen des Kreisels, die nicht befahren werden dürfen, zwischen Hammer Straße, Hafenstraße und Schorlemer Straße mit kleinen Betonsperren abgesperrt, da dort fahrende Radler häufig von Autofahrern übersehen wurden und es bereits mehrmals zu Unfällen mit langen Fahrzeugen wie LKW und Bussen gekommen war. Wegen der Absperrungen waren die Radler gezwungen, auf der Fahrbahn und damit zwischen den Autos zu bleiben. Jedoch wurden die Absperrungen immer wieder vandaliert und von vielen Radfahrern nicht akzeptiert. Weiterhin kam es dadurch zu anderen gefährlichen Situationen, bei denen die Fahrradfahrer durch große Fahrzeuge in die Betonsperren gedrückt werden konnten und keine Ausweichmöglichkeit für diesen Notfall bestand. Der Versuch, dieses System zu etablieren, wurde daraufhin im Frühjahr 2005 aufgegeben und die Betonsperren wieder abgebaut.
Stattdessen wurde die Anfahrt zum Kreisverkehr hin verändert: Die hinführenden Spuren der Straßen wurden schmaler gemacht und ein Bereich für Radfahrer durch Straßenmarkierungen abgetrennt. Die Spuren sind nun so breit, dass Autos und Radfahrer gleichzeitig den Kreisverkehr anfahren können, im Falle eines großen Fahrzeugs die Anfahrt jedoch hintereinander erfolgen muss, da die Fahrzeugbreite bei LKW und Bussen die Mitbenutzung des Fahrradstreifens erfordert. So soll die Gefahr des Toten Winkels vermieden werden. Allerdings benutzen auch Autofahrer oftmals verbotswidrig den Fahrradstreifen mit, sodass Radfahrer hier nicht an wartenden Autos vorbeifahren können. Außerdem warnen auch noch Schilder vor dem Toten Winkel und sollen die Radler ermahnen, schon bei der Anfahrt hinter LKW zu bleiben.
Aber nicht nur der fahrende Verkehr sorgt für Probleme, sondern auch der ruhende in Form von wild abgestellten Rädern, die Zugänge und Fußwege versperren. Besonderer Wildwuchs ist dabei zu beiden Seiten des münsterschen Hauptbahnhofs entstanden, der nur bedingt durch die Radstation eingedämmt werden konnte. Ein Teil dieser den Hauptbahnhof „zierenden“ Räder ist zudem herrenlos und muss regelmäßig vom Ordnungsamt der Stadt entfernt werden. Ende 2005 wurde der Bereich hinter dem Hauptbahnhof neu gestaltet und mit 790[2] neuen Fahrradstellplätzen ausgestattet, sodass in diesem Bereich nur noch wenige Fahrräder wild abgestellt werden. Aber auch an anderen Stellen im Stadtgebiet sorgen die abgestellten Leezen für Behinderungen. Besonders betroffen davon sind beispielsweise die Rothenburg südlich des Prinzipalmarktes, wo 2007 innerhalb des Einkaufszentrums „Münster Arkaden“ ein Fahrradparkhaus eröffnet wurde, oder Einrichtungen der münsterschen Universität.
Weblinks
- Commons: Fahrradstadt Münster – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
- Informationen über das Thema Fahrradstadt auf muenster.de
- Radroutenplaner für Münster
- Verkehrskonzept für den Ludgeriplatz des Amtes für Stadtplanung der Stadt Münster
Einzelnachweise
- ↑ Jahresstatistik 2005 der Stadt Münster S. 162
- ↑ Beiträge zur Statistik Nr. 99, S. 14 – Neues aus der Statistik 2006 der Stadt Münster