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Victoria von Großbritannien und Irland (1840–1901)

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Victoria, preußische Kronprinzessin, 1867.
(Maler: Franz Xaver Winterhalter.)

Victoria Adelaide Mary Louisa von Sachsen-Coburg und Gotha, nach dem Tode ihres Mannes auch Kaiserin Friedrich genannt (* 21. November 1840 im Buckingham Palace, London; † 5. August 1901 in Schloss Friedrichshof, Kronberg im Taunus), war das erste Kind von Albert von Sachsen-Coburg und Gotha und Königin Victoria von Großbritannien und als Gemahlin Friedrichs III. preußische Königin und deutsche Kaiserin.

Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha war in ihrer politischen Haltung wesentlich von ihrem Vater geprägt, der zu den Liberalen des Vormärzes gehörte. Ähnlich wie ihr Mann Friedrich III. war sie der Auffassung, dass sich Preußen beziehungsweise das Deutsche Reich zu einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Muster entwickeln müsse. Diese politische Haltung isolierte sie über lange Zeit am preußischen Hof. Zu ihren entschiedensten politischen Widersachern zählte Otto von Bismarck. Das Kronprinzenpaar hatte allerdings nur für wenige Wochen die Möglichkeit, die Politik des Deutschen Reiches zu beeinflussen: Friedrich III. verstarb 99 Tage nach seiner Thronbesteigung an den Folgen seiner schweren Krebserkrankung. Auf dem Kaiserthron des Deutschen Reiches folgte Wilhelm II., der politisch eine völlig konträre Richtung vertrat. Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha war ihre letzten Lebensjahrzehnte weitgehend isoliert.

Die Korrespondenz zwischen Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha und ihren Eltern ist nahezu lückenlos erhalten geblieben. Diese geben einen detaillierten Einblick in die Lebensweise des preußischen Hofes zwischen 1858 und 1900.

Familienhintergrund

Die Familie auf mütterlicher Seite

Nachdem die präsumtive britische Thronfolgerin Prinzessin Charlotte Augusta im Jahre 1817 nach einer Todgeburt gestorben war, fehlte es dem herrschenden Königshaus an legitimen Nachkommen. Von den Söhnen Georg III. waren zu diesem Zeitpunkt nur der Prinzregent Georg sowie der jüngste Sohn standesgemäß verheiratet. Die Ehe des jüngsten Sohnes war bislang kinderlos geblieben und die des Prinzregenten mit Caroline von Braunschweig galt als derart zerrüttet, dass es wenig wahrscheinlich schien, dass aus dieser Verbindung noch weitere Kinder hervorgehen würden. Der Tod Charlotte Augustas war daher für die bislang unverheirateten Söhne Georg III. der Anstoß, unter den protestantischen Prinzessinnen Europas nach geeigneten Ehefrauen Ausschau zu halten. So verheirateten sich am 13. Juli 1818 in einer Doppelhochzeit der Herzog von Kent mit der verwitweten Fürstin von Leiningen und der Herzog von Clarence mit Adelheid von Sachsen-Meiningen. [1] Bereits im Frühjahr 1819 wurde der Herzog von Kent Vater einer kleinen Tochter, der späteren Königin Victoria von Großbritannien. Der Herzog verstarb knapp acht Monate nach dieser Geburt und ließ seine Familie mittellos und hoch verschuldet zurück. Thronnachfolger von Georg IV. war nun der nächstjüngere Bruder, der Herzog von Clarence. Da dessen Ehe kinderlos blieb, blieb Prinzessin Victoria nach ihm die zweite in der Thronnachfolge. Allerdings war das für Georg IV. weder Anlass, die Familie seines verstorbenen Bruders finanziell zu unterstützen noch für eine angemessene Erziehung der präsumtiven Thronfolgerin zu sorgen. Die Herzogin von Kent lebte mit ihren zwei Kindern aus erster Ehe sowie Prinzessin Victoria bis zur Thronbesteigung des Herzog von Clarence im Jahre 1830 überwiegend von den Zuwendungen ihres Bruders Leopold, dem belgischen König. Prinzessin Victoria 1837 folgte mit knapp 18 Jahren ihrem Onkel auf dem britischen Thron nach. Drei Jahre später, knapp 21-jährig hielt sie um die Hand ihres Cousins Albert von Sachsen-Coburg und Gotha an.

Die Familie auf väterlicher Seite

Albert von Sachsen-Coburg und Gotha war der zweite Sohn des Herzogs Ernst von Coburg, dessen Herzogtum knapp 2.000 Quadratkilometer und 140.000 Einwohner umfasste. [2] Ernst von Coburg hatte im Jahre 1817 die damals erst sechzehn Jahre alte Louise von Sachsen-Coburg-Altenberg geheiratet und mit ihr innerhalb von einem Zeitraum von zwei Jahren zwei Söhne gezeugt. Danach verlor der Fürst das Interesse an seiner jungen Frau. Das Anrecht auf außereheliche Beziehungen, das der Fürst für sich in Anspruch nahm, ließ er nicht in gleichem Maße für seine junge Ehefrau gelten. Nach einer Affäre mit einem Offizier musste Louise von Sachsen-Cobrug-Altenberg den kleinen Fürstenhof verlassen, ohne ihre zwei Söhne noch einmal wieder sehen zu dürfen. Albert von Sachsen-Coburg und Gotha war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt. [3]

Die Heirat zwischen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha und der britischen Königin ist nicht zuletzt auf den Einfluss von Leopold von Belgien zurückzuführen, der gleichzeitig Onkel der Königin Victoria wie auch des Prinzen Alberts war. [4] Leopold I. hatte nicht nur seine in London lebende Schwester finanziell unterstützt, nachdem sie das zweite Mal Witwe wurde, sondern hatte sich auch um eine angemessene Ausbildung für seines Coburger Neffens gekümmert und diese zumindest teilweise finanziert. [5] Auf seine Initiative ging sowohl der erste Besuch des noch 17-jährigen am britischen Königshof zurück als auch der zweite drei Jahre später, bei dem sich die britische Königin binnen drei Tagen mit ihrem Cousin verlobte.

Leben

Frühe Jahre

Princess Royal Victoria mit ihrem Vater, um 1842

Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha war das erste Kind der britischen Königin und ihres deutschen Ehemanns. Sie kam zur Welt, bevor sich der Hochzeitstag ihrer Eltern das erste Mal jährte. Beide Eltern waren zum Zeitpunkt der Geburt erst Anfang zwanzig und fest entschlossen, sowohl ihrer ersten Tochter als auch den nachfolgenden Kindern eine möglichst umfassende und perfekte Erziehung angedeihen zu lassen. Prinz Albert legte kurz nach der Geburt seiner Tochter in einem ausführlichen und von Königin Victoria unterschriebenen Memorandum die Aufgaben und Pflichten all der Personen fest, die in irgendeiner Weise mit der Erziehung der königlichen Kinder beschäftigt waren. Diesem Memorandum folgte anderthalb Jahre später eine weitere, 48-seitige Denkschrift, in dem Baron Christian Friedrich von Stockmar, der Vertraute des königlichen Ehepaares, detailliert die Erziehungsgrundsätze für die königlichen Kinder niederschrieb. [6] Nur ein solch umfangreiches Erziehungsprogramm konnte nach Ansicht von Königin Victoria und Prinz Albert verhindern, dass ihre Kinder sich zu so wenig moralisch gefestigten Persönlichkeiten entwickeln würden, wie es die Söhne von Georg III. allesamt gewesen waren. [7]

Der verwitweten Lady Littleton, die selber fünf Kinder hatte, wurde in Prinzessin Victorias zweitem Lebensjahr die Leitung der „Nursery“ anvertraut, in der die königlichen Kindern jeweils ihre ersten Lebensjahre verbrachten. Die junge Königin Victoria hatte wenig Vorstellung davon, wie eine normale kindliche Entwicklung verlief: So war sie aufgebracht darüber, dass ihre einjährige Tochter an Armbänder lutschte und ihr zweijähriger Sohn Spielzeug aus dem Fenster warf. Dem Herzog von Cambridge gelang es sogar, die junge Mutter davon zu überzeugen, dass das gelegentliche Weinen der kleinen Victoria höchst ungewöhnlich sei. Die erfahrene Lady Littleton war allerdings in der Lage, die teilweise exzessiven Anforderungen der Eltern an ihre Kinder etwas zu mildern. Bereits ab dem 18. Lebensmonat wurde jedoch Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha in Französisch und noch vor Vollendung ihres vierten Lebensjahres auch in Deutsch unterrichtet. [8]

Im Alter von sechs Jahren erhielt Victoria von Sachsen-Coburg und Gothas zwischen morgens 8 Uhr 20 und abends um 18 Uhr Unterricht in Fächern wie Arithmetik, Geografie und Geschichte. Unterbrochen wurde der Unterricht morgens von zwei und nachmittags von einer Spielstunde. [9] Als neue Gouvernante der jungen Prinzessin hatte Baron Stockmar die Pfarrerstochter Sarah Anne Hildyard gewählt – aus Sicht von Hannah Pakula, der Biografin von Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha, eine Wahl, die ein ebenso großer Glücksgriff wie zuvor die Wahl der pragmatischen Lady Littleton als Leiterin der Nursery. [10] Im Gegensatz zu ihrem Bruder Edward, der als Thronfolger einem noch rigoroserem Erziehungsprogramm unterworfen war, war die frühreife und offensichtlich intelligente Victoria lernbegierig und strebsam. Zu den an ihr kritisierten Charaktereigenschaften zählten ein aufbrausendes Temperament und eine ausgeprägte Eigensinnigkeit. [11]

Sowohl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha als auch Königin Victoria lag daran, ihre Kinder möglichst lange vom Hofleben fern zu halten. So verzichtete das Ehepaar ab 1845 darauf, den von Georg IV. errichtete Royal Pavillon in Brighton als Sommerresidenz zu nutzen, da dort kaum Möglichkeit bestand, die Kinder vor der Neugier der übrigen Badegäste zu schützen. Stattdessen erwarb das Ehepaar Osborne House auf der Isle of Wight, das nach den Entwürfen von Prinz Albert in eine neapolitanische Villa umgebaut wurde. [12] Auf dem großen Gelände ließ Prinz Albert in einiger Entfernung vom Haupthaus für die Kinder ein Schweizer Chalet errichten, zu der unter anderem eine kleine Küche und eine Schreinerwerkstatt gehörte. Die Kinder sollten dort praktische Fähigkeiten erlernen – so hatten die Kinder unter anderem im dortigen Garten eigene kleine Beete zu pflegen. Prinz Albert spielte eine große und direkte Rolle in der Erziehung seiner Kinder: er nahm großen Anteil an den Unterrichtsfortschritten seiner Kinder, unterrichtete sie teilweise auch selber und verbrachte viel Zeit mit ihnen spielend. [13]

Die erste Begegnung zwischen Prinzessin Victoria und Prinz Friedrich Wilhelm

Zu den mit Königin Victoria und Prinz Albert befreundeten Mitgliedern regierender Königshäuser Europas zählten der preußische Thronfolger Prinz Wilhelm von Preußen und seine Frau, Prinzessin Augusta. Mit der am Hof von Weimar aufgewachsenen und politisch liberalen [14] Prinzessin Augusta stand Königin Victoria seit dem Jahre 1846 in ständigem Briefkontakt. Prinz Wilhelm von Preußen, im Gegensatz zu seiner Frau ein Gegner des Parlamentarismus, fand während des Revolutionsjahres 1848 drei Monate lang am britischen Hof Asyl. Als 1851 die Weltausstellung in London statt fand, zählten Prinz Wilhelm von Preußen und Prinzessin Augusta sowie ihre beiden Kindern zu den von Königin Victoria und Prinz Albert eingeladenen Gästen. Dieser Besuch war gleichzeitig das erste Mal, dass sich Prinzessin Victoria und Prinz Friedrich Wilhelm begegneten. Trotz des großen Altersunterschiedes – Prinzessin Victoria war zum Zeitpunkt des Besuches elf Jahre alt, Prinz Friedrich Wilhelm dagegen neunzehn – verstanden sich die beiden gut. Der jungen Prinzessin war die Aufgabe übertragen wurden, den Prinzen durch die Ausstellung zu führen – auf sein zögerndes Englisch antwortete sie in fließendem Deutsch. Noch Jahre später betonte Prinz Friedrich Wilhelm, wie sehr ihn die Mischung aus Kindlichkeit, intellektueller Neugier und natürlicher Würde beeindruckt habe, die sie während der Führung gezeigt habe. <ref< Pakula, S. 30 </ref> In Prinz Albert fand der präsumtive Thronfolger außerdem einen Gesprächspartner, der seine liberalen politischen Ansichten teilte und stärkte. Prinz Friedrich Wilhelm, der insgesamt vier Wochen in England verbrachte, war zudem von der Umgangsweise innerhalb der englischen Königsfamilie angetan. Anders als seine Eltern waren sich Königin Victoria und Prinz Albert einander herzlich zugetan und führten ein Familienleben, das weit entfernt von der Strenge und Förmlichkeit des preußischen Hofes war. [15] Nach der Rückkehr des Prinzen nach Deutschland begannen Prinzessin Victoria und Prinz Friedrich Wilhelm sich regelmäßig zu schreiben. In einem Brief an ihren Onkel, König Leopold I. von Belgien gab Königin Victoria der Hoffnung Ausdruck, dass sich aus dieser Begegnung eine engere Bindung ergeben werde. [16]

Die Verlobung mit Prinz Friedrich Wilhelm

Vier Jahre später reiste Prinz Friedrich Wilhelm nach Schottland, um die britische Familie in ihrem Schloss Balmoral zu besuchen. Er hatte sein Studium an der Universität Bonn 1852 beendet und entsprechend der Tradition des preußischen Königshauses seitdem Aufgaben innerhalb der preußischen Armee übernommen. Seine Reise nach Großbritannien fand in preußischen Hofkreisen nicht nur Unterstützung: viele hätten lieber eine Verbindung mit Russland gesehen und lehnten eine Verbindung mit dem englischen Königshaus ab. König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen hatte seine Einwilligung zu einer möglichen Verbindung von Prinz Friedrich Wilhelm mit der englischen Prinzessin nur widerwillig gegeben und seine Zustimmung zunächst sogar vor seiner eigenen, anglophoben Frau geheim gehalten. [17]

Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha war zum Zeitpunkt des zweiten Besuchs von Prinz Friedrich Wilhelm noch keine 15 Jahre alt. Sie überragte zwar ihre Mutter, war mit rund 157 Zentimeter Körpergröße aber immer noch verhältnismäßig klein. Königin Victoria war durchaus besorgt, dass der als stattlich geltende Prinz Friedrich Wilhelm Prinzessin Victoria nicht hinreichend attraktiv finden werde. [18] Bereits während des ersten gemeinsamen Abendessens war für Königin Victoria und Prinz Albert jedoch deutlich zu erkennen, dass die beiden sich nach wie vor sympathisch fanden und am dritten Tag seines Aufenthalts bat Prinz Friedrich Wilhelm bei ihnen um die Erlaubnis, um die Hand ihrer Tochter anhalten zu dürfen. Die Zustimmung von Königin Victoria und Prinz Albert war jedoch unter anderem an die Bedingungen geknüpft, dass die Hochzeit nicht stattfinden solle, bevor Victoria siebzehn Jahre alt sei. [19]

Die Verlobung zwischen Prinzessin Victoria und Prinz Friedrich Wilhelm, die erst am 17. Mai 1856 bekannt gegeben wurde, stieß in der britischen Öffentlichkeit auf viel Kritik: Preußens neutrale Haltung während des Krimkriegs war nach wie vor nicht vergessen. In einem Artikel der britischen Zeitung Times wurde das Haus Hohenzollern als eine armselige Dynastie bezeichnet, die eine unbeständige und unglaubwürdige Außenpolitik verfolge und deren Fortbestand von Russland abhängig sei. Der Artikel kritisierte, dass die preußische Königsfamilie die Zusicherungen, die sie während der Revolution 1848 dem Volk gegeben habe, nicht eingehalten habe und offensichtlich nicht wisse, was sie den Menschen, über die sie herrsche, schuldig sei. [20] In Deutschland war die Reaktion auf die Verlobung geteilter. Liberale Kreise begrüßten die Verbindung mit dem englischen Königshaus, während die meisten Mitglieder des preußischen Königshauses und der politisch konservativen Kreise die geplante Verbindung ablehnten. [21]

Vorbereitung auf die Rolle einer preußischen Prinzessin

Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha zählte zu den Liberalen des Vormärzes. Bereits während des unfreiwilligen Aufenthalts des preußischen Thronfolger Prinz Wilhelm von Preußen in London während der Revolutionsmonate von 1848 hatte Prinz Albert versucht, diesen von seiner Vision eines unter der Vorherrschaft eines liberalen Preußens vereinigten Deutschlands zu überzeugen. Nach Prinz Alberts Auffassung war dieses Ziel nur zu erreichen, wenn sich Preußen hin zu einer konstitutionellen Monarchie ähnlich der britischen entwickeln würde. [22] Die knapp zwei Jahre zwischen Verlobung und Hochzeit nutzte Prinz Albert, um seine Tochter in diesem Sinne weiterzubilden. Er unterrichtete sie persönlich in Politik und neuzeitlicher europäischer Geschichte und ließ seine Tochter Aufsätze über Ereignisse in Preußen schreiben. Allen Beteiligten wurde jedoch zunehmend klar, welche schwierige Rolle auf die junge Prinzessin Victoria an dem überwiegend gegenüber dem Vereinigten Königreich gegenüber kritische eingestellten Hof zukommen würde. Feodora zu Leiningen, die deutsche Halbschwester von Königin Victoria bezeichnete den preußischen Hof als eine Brutstätte von Neid, Eifersucht, Intrige und bösartiger Gaunereien. [23]

Im Frühjahr 1857 wandte sich Königin Victoria an das britische Parlament, um für ihre Tochter eine angemessene Mitgift zu erhalten. Das britische Parlament genehmigte eine Einmalzahlung an Prinzessin Victoria von 40.000 Britischen Pfund und eine jährliche Apanage von 8.000 Pfund. [24] Für Prinz Friedrich Wilhelm setzte sein Onkel, König Friedrich Wilhelms IV. an Stelle der sonst in Preußen üblichen Morgengabe an die Braut ein jährliches Einkommen von 9.000 Talern fest. Das Einkommen des Prinzes war jedoch nicht ausreichend, um die Kosten eines üblichen prinzlichen Haushaltes zu decken und das prinzliche Paar würde ein Teil des Einkommens der Prinzessin Victoria für die Haushaltskosten verwenden müssen – aus Sicht von Prinz Albert nutzte das preußische Königshaus den Reichtum des britischen Königshauses aus. [25] Der Hofstaat, der im Dienst des jungen Paares stehen sollte, wurde von der preußischen Königin und Prinzessin Auguste, der zukünftigen Schwiegermutter der Prinzessin Victoria ausgewählt. Diese entschieden sich überwiegend für Personen, die bereits länger im Hofdienst standen und damit deutlich älter als das prinzliche Paar waren. Prinz Alberts Bitte, seiner noch jungen Tochter doch wenigstens zwei gleichaltrige und englische Hofdamen beizugeben, wurde nicht entsprochen. Stattdessen wurden mit den Komtessen Walpurga von Hohenthal und Marie zu Lynar zwei Hofdamen gewählt, die Prinzessin Victoria altersmäßig mehr entsprachen. [26] Immerhin konnte Prinz Albert Ernst von Stockmar, den Sohn seines jahrelangen Berater Christian Friedrich von Stockmar als persönlichen Sekretär der Prinzessin durchsetzen. Prinz Albert, der fälschlicherweise der Überzeugung war, dass der preußische Hof die Einheirat einer englischen Prinzessin als Bereicherung sehen würde, bestand außerdem darauf, dass Prinzessin Victoria den Titel einer Princess Royal of the United Kingdom of Great Britain and Ireland beibehielt. An dem überwiegend antienglisch und prorussisch eingestellten preußischen Hof löste dieser Schritt allerdings nur Verärgerung aus. [27] Ihr per

Die Bestimmung des Ortes, an dem die Hochzeit stattfinden sollte, war Anlass für eine Reihe weiterer Verärgerungen. Für das preußische Königshaus war es selbstverständlich, dass ein Prinz, der als zweiter in der Thronfolge stand, in Berlin heiraten werde. Letztlich konnte sich aber Königin Victoria durchsetzen, die als regierende Monarchin für sich in Anspruch nahm, ihre älteste Tochter in ihrem Land zu vermählen. Das Paar heiratete schließlich am 25. Januar 1858 in der Kapelle des St. James’ Palace in London. [28] Ihre zukünftige Hofdame Gräfin Hohenthal schrieb über die Braut, dass sie außerordentlich jung erschiene und hilft weiter fest: [29]

Die Nase war ungewöhnlich klein und leicht nach oben gewendet; ihr Teint war nicht allzu zart, erweckte aber den Eindruck völliger Gesundheit und Kraft. Der Fehler des Gesichtes lag in der Viereckigkeit der unteren Züge; um das Kinn war sogar ein Zug von Entschlossenheit.

Die ersten Ehejahre in Berlin

Mit dem Umzug von Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha nach Berlin setzte ein umfangreicher Briefverkehr zwischen ihr und ihren Eltern ein. Mit ihrem Vater tauschte sie wöchentlich einen Brief aus, der häufig Kommentare zu politischen Ereignisse enthielt. Ihre Mutter erwartete täglich eine detaillierte Berichterstattung über alles, was sich im Leben ihrer Tochter ereignete. Die Mehrzahl dieser Briefe, die in der Regel von Privatkurieren zwischen den Höfen transportiert wurden, ist erhalten geblieben und stellen ein ausführliches Dokument des Lebens am preußischen Hof dar. [30] Die Briefe belegen auch, dass Königin Victoria nach wie vor versuchte, jeden einzelnen Schritt ihrer Tochter zu kontrollieren und von ihr verlangte, sich gleichzeitig ihrem Geburtsland als auch ihrem neuen Heimatland gegenüber loyal zu verhalten – eine Anforderung, der die Prinzessin zwar zu entsprechen versuchte, an der sie aber zwangsläufig scheitern musste. Bereits verhältnismäßig geringfügige Ereignisse stellten die Prinzessin vor nicht lösbare Konflikte. Der Tod einer entfernten Verwandten beider Königshäuser wurde beispielsweise am englischen Hof einen Monat lang betrauert, am preußischen dagegen nur eine Woche. Prinzessin Victoria hielt sich an die am preußischen Hof übliche Trauerzeit, wofür Königin Victoria sie scharf tadelte und sie darauf hinwies, dass sie sowohl als ihre Tochter als auch als Princess Royal verpflichtet sei, die am englischen Hof übliche Trauerzeit einzuhalten. [31] Baron Stockmar war zunehmend besorgt über die Wirkung der ständigen Vorwürfe Königin Victorias gegenüber ihrer Tochter auf das seelische Gleichgewicht letzterer und konnte über Prinz Albert letztlich eine Mäßigung erreichen. [32] Nicht mäßigen konnte Baron Stockmar dagegen die Ablehnung, die Prinzessin Victoria durch die prorussische Fraktion am preußischen Hof erlebte.

Ich wünschte, Du hättest all das gehört, was meine Verwandtschaft anlässlich ihres Besuches bei mir von sich gab. Ich wünschte, Du hättest hinter einem Wandschirm gestanden und hättest ihre sinnentleerten Bemerkungen gehört und hättest gesehen, wie sie auf alles, was ich tue oder trage, mit Augen-Verdrehen und Schulterzucken reagieren…. [33]

schrieb Prinzessin Victoria an ihre Mutter.

Prinzessin Victoria - wegen ihrer englischen Herkunft hatte sie am preußischen Hof eine persönlich schwierige Rolle inne

Angeregt durch ihren Vater setzte Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha auch in Berlin ihre Ausbildung fort. Zum Teil gemeinsam mit ihrem Mann nahm sie Unterricht in deutscher Geschichte und Naturwissenschaften. [34] Die Anforderungen des preußischen Hoflebens ließen ihr jedoch zunehmend weniger Zeit, ihren persönlichen Interessen nachzugehen. An fast jedem Abend war sie verpflichtet, bei den förmlichen Abendessen, den Theaterbesuchen und den anschließenden Empfängen im Palast ihrer Schwiegermutter zu erscheinen. Sonntags fand zusätzlich zwischen zwei und fünf Uhr ein gemeinsames Mittagessen der gesamten Königsfamilie statt, bei dem die Damen Abendgarderobe und die Männer Uniform trugen. Waren Mitglieder anderer europäischer Fürstenhäuser wie etwa die eng verwandten Romanows in Berlin oder Potsdam zu Gast, erweiterten sich die repräsentativen Pflichten der Prinzessin. Mitunter hatte sie bereits morgens um 7 Uhr Gäste des Königshauses am Bahnhof zu begrüßen und noch um Mitternacht bei Empfängen anwesend zu sein. [35] Als Wohnort hatte man dem jungen Paar zunächst das Alte Schloss in Berlin zugewiesen, das sich in einem schlechten Bauzustand befand und das noch nicht einmal über eine Badewanne verfügte. Im November 1858 wurde das Kronprinzenpalais in Berlin zu ihrer Stadtresidenz und das Neue Palais in Potsdam zu ihrer Sommerresidenz. [36]

Am 27. Januar 1859, ein knappes Jahr nach der Hochzeit, kam der erste Sohn des Prinzenpaares zur Welt. Das zögerliche Handeln der anwesenden Hofärzte, die es nicht wagten, die Prinzessin gynäkologisch zu untersuchen, die Steißlage des Kindes sowie die durch Gedankenlosigkeit eines Dienstboten verspätete Unterrichtung des Geburtsspezialisten sorgten für einen dramatischen und langwierigen Geburtsverlauf, in dessen Verlauf das Überleben von Mutter und Kind zeitweilig fraglich schien. [37] Der linke Arm des Kleinkindes sollte sich als verkümmert erweisen – er blieb in seinem Wachstum deutlich hinter dem rechten Arm zurück. Sehr wahrscheinlich ist außerdem, dass der zukünftige Kaiser Wilhelm II. während der Geburt für einen Zeitraum von acht bis zehn Minuten mit Sauerstoff unterversorgt war und dadurch einen leichten Gehirnschaden davontrug. [38]

Die behandelnden Ärzte hatten zunächst eine schnelle Besserung des Armes in Aussicht gestellt, so dass das Prinzenpaar während der ersten vier Monate davon absah, die englischen Großeltern des jungen Prinzen über dessen Behinderung zu informieren. Es wurde jedoch zunehmend deutlich, dass die Schädigung des linken Armes dauerhaft war. Über die nächsten Jahre hinweg wurde eine Reihe, aus heutiger Sicht teils bizarrer Methoden versucht, den Arm zu kräftigen. Unter anderem erhielt der einjährige Prinz Wilhelm sogenannte „animalische Bäder“, bei dem der Arm für eine halbe Stunde in den noch warmen Kadaver eines frisch geschlachteten Hasens gesteckt wurde, um ihn zu kräftigen. [39] Mit vier Jahren musste Prinz Wilhelm ein Eisenkorsett tragen, da die verkürzten Armmuskeln zunehmend dazu führten, dass Prinz Wilhelm seinen Kopf beständig schief hielt. Prinzessin Victoria, die die Schuld für die Behinderung bei sich suchte, empfand letztere Behandlung besonders grausam. Die Geburt des zweiten Kindes am 24. Juli 1860 verlief dagegen deutlich komplikationsloser. Dem Kind wurde Victoria Elizabeth Augusta Charlotte getauft, aber weder Königin Victoria noch Königin Elisabeth waren mit der Namenswahl zufrieden. [40]

Kaiserin Friedrich in Renaissance-Kleidung, Gemälde von Heinrich von Angeli

Kronprinzessin Victoria

Am 2. Januar 1861 starb König Friedrich Wilhelm IV.. Sein Nachfolger war Wilhelm I., Vater von Prinz Friedrich Wilhelm, der nun Kronprinz von Preußen war. Die Position des Kronprinzenpaares wurde dadurch keineswegs einfacher: Wilhelm I. weigerte sich, das Einkommen des Kronprinzen zu erhöhen, so dass weiterhin das Einkommen der Kronprinzessin aus ihrer englischen Mitgift notwendig war, um einen angemessenen Haushalt zu führen. In einem Brief an Prinzessin Victorias Sekretär Baron Stockmar kommentierte ihr Vater Prinz Albrecht: [41]

Für mich ist offensichtlich, dass eine bestimmten Person gegen eine finanzielle Unabhängigkeit der Prinzessin ist … Sie erhält nicht einen Pfennig von Preußen, was bereits schäbig genug ist und muss ihre Mitgift einbringen, wozu sie nicht verpflichtet ist. Wenn dem armen Kronprinzen etwas verweigert wird, weil er eine „reiche Ehefrau“ hat, dann zielt das nur auf ihre Verarmung ab.

Von Mitgliedern des preußischen Hofes wurde jetzt außerdem erwartet, dass sie zunächst die Erlaubnis des Königs einholten, bevor sie ins Ausland reisten – laut Hoftratsch eine Maßnahme, um ein zu häufiges Reisen der Kronprinzessin in das politisch liberalere Vereinigte Königreich zu verhindern. [42] Ein langer Brief, in dem Prinz Albert ungefragt Wilhelm I. ermahnte, die preußische Verfassung aktiv zu unterstützen und damit den anderen deutschen Staaten ein Vorbild zu sein, sorgte bei Wilhelm I nur für Verärgerung und nahm ihn gleichzeitig gegen das Kronprinzenpaar ein, von dem er wusste, dass sie Prinz Alberts politische Ansichten teilten. [43]

Prinz Albert starb am 14. Dezember 1861 erst 42-jährig an Typhus. Die erste große Krise unter der Herrschaft von Wilhelm I., der sogenannte Preußische Verfassungskonflikt traf das Kronprinzenpaar deshalb in einer Phase, in dem beide noch intensiv um den Vater beziehungsweise Schwiegervater trauerten: Preußen verfügte über zwei militärische Einheiten. Die Landwehr mit überwiegend schlecht ausgebildeten und bürgerliche Offizieren sowie wenig trainierten Soldaten entsprach dem Gedanken eines Volksheeres aus der Reformzeit 1848/49 [44]. Die eigentliche preußische Armee, in der die große Mehrzahl der Offiziere dem Adel angehörte, war dagegen ein „Monarchenheer“, das zuerst dem König verpflichtet war. Mit der Einführung einer allgemeinen, dreijährigen Wehrpflicht wollte Wilhelm I. zu Lasten der Landwehr diese preußische Armee stärken. Das preußische Abgeordnetenhaus genehmigte jedoch die dazu notwendige Erhöhung des Militäretats nicht, worauf Wilhelm I. am 11. März 1862 das Abgeordnetenhaus entließ und gleichzeitig seine Abdankung erwog. Kronprinzessin Victoria, die sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Mutter in Gotha aufhielt, riet ihrem Mann das Abdankungsangebot seines Vaters anzunehmen: [45]

Wenn der König sieht, er könne nicht die notwendigen Schritte tun, um Ordnung und Vertrauen im Lande wiederherzustellen, ohne gegen sein Gewissen zu handeln, finde ich es weise und ehrlich, es anderen zu überlassen, die diese Pflichten übernehmen können, ohne ihr Gewissen zu belasten. Ich sehe keinen Ausweg und meine, Du müsstest dem Lande dieses Opfer bringen ….

Kronprinz Friedrich Wilhelm versuchte dagegen, seinen Vater zum Einlenken gegenüber dem Parlament zu bewegen - ein Monarch, der wegen einer Entscheidung des Parlaments abdanke, würde einen bisher einmaligen Präzedenzfall schaffen und eine Herrschaft das nachfolgenden Monarchen erheblich erschweren. Seine Weigerung, die Abdankung seines Vaters zu seinen Gunsten anzunehmen, entsprach außerdem seinem Verständnis von seinen Pflichten als Sohn und Angehöriger des Hauses Hohenzollern. [46] Am 22. September berief Wilhelm I. Otto von Bismarck zum neuen Ministerpräsidenten. Otto von Bismarck war bereit, das Amt anzutreten, ohne über eine Mehrheit im Parlament oder einen genehmigten Haushalt zu verfügen und stellte aus Sicht von Wilhelm I. die beste Lösung in der aktuellen Krise dar. Die Berufung des als erzkonservativ bekannten Junkers stieß sowohl bei Königin Augusta als auch beim Kronprinzenpaar auf Ablehnung. [47] Otto von Bismarck sollte über die nächsten Jahrzehnte das Amt des Ministerpräsidenten inne haben und maßgeblich zur politischen Isolation des Kronprinzenpaares beitragen.

Die zunehmende politische Isolierung des Kronprinzenpaares

In den Wochen und Monaten nach der Ernennung Otto von Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten ließ jedes Ereignis und jede Handlung das Kronprinzenpaar zur Zielscheibe von Kritik werden. Als es sich Anfang Oktober 1862 auf Italienreise begab und dabei unter anderem die Jacht der Königin Victoria nutzte, sahen sich liberale Kreise vom Kronprinzenpaar in dem noch schwelenden Preußischen Verfassungskonflikt im Stich gelassen, während Konservative kritisierten, dass die beiden sich während einer schweren politischen Krise im Mittelmeer auf einem englischen und von englischer Kriegsmarine begleiteten Schiff aufhielten. [48] Die geplante Heirat zwischen Prinzessin Victorias ältestem Bruder, dem Prince of Wales Edward und Prinzessin Alexandra von Dänemark, der Tochter des dänischen Königs Christians IX. schwächte Prinzessin Victorias Position am preußischen Hof und im Ansehen der Öffentlichkeit ebenfalls erheblich. Man sagte ihr nach, sie habe mit dieser Verbindung eine Allianz zwischen Dänemark und Preußen gefördert, die nicht in preußischem Interesse lag. [49] Zum offenen Bruch zwischen Wilhelm I. und dem Kronprinzenpaar kam es wegen der von Bismarck veranlassten Preßordonnanz vom 1. Juni 1863, die die Verwaltungsbehörden ermächtigte, das Erscheinen von Zeitungen und Zeitschriften wegen der „Gesamthaltung des Blattes“ zu verbieten. [50] Kronprinz Friedrich Wilhelm kritisierte während einer Reise nach Danzig öffentlich mit wenigen und sehr zurückhaltenden Worten diese weitreichenden Einschränkungen der Pressefreiheit. Dies löste einen wütenden Brief König Wilhelm I. aus, in dem er seinen Sohn des Ungehorsams beschuldigte und ihm damit drohte, ihn von seinen Funktionen innerhalb der preußischen Armee zu entbinden und vom Kronrat auszuschließen. Der reaktionäre jüngere Bruder Wilhelm I., Prinz Carl von Preußen sowie General Manteuffel sprachen sich sogar dafür aus, den Kronprinzen vor ein Kriegsgericht zu stellen. [51] Viele vermuteten als Antriebskraft hinter der von Kronprinz Friedrich Wilhelm geäußerten Worten allerdings Kronprinzessin Victoria. [52]

In England fand das Verhalten des Kronprinzenpaares Zustimmung. Die englische Times hob in einem Artikel besonders die Rolle der Kronprinzessin hervor, die den Kronprinz unterstütze und führte weiter aus: [53]

Es ist nicht einfach, sich eine schwierigere Rolle als die des Kronprinzenpaares vorzustellen, die ohne einen einzigen Berater zwischen einem eigensinnigen Monarchen, einem mutwilligen Kabinett und einer empörten Bevölkerung stehen.

Die Times spielte auch auf einen Briefwechsel zwischen dem Kronprinz und dem preußischen König an, in dem dieser eine andere politische Linie als sein Vater vertreten habe. Unklar wer, über wen die Information über den Vater-Sohn-Konflikt an die Presse gelangt wurde. Verdächtigt wurde jedoch Kronprinzessin Victoria und in einem Brief an ihre Mutter schrieb sie, es habe deswegen am Hofe eine regelrechte Inquisition gegeben. [54]. Unter dem Druck der Verdächtigungen gab Ernst von Stockmar schließlich sein Amt als Privatsekretär der Kronprinzessin auf.

Die Situation verschärfte sich noch weiter, nachdem Otto von Bismarck erneut das Parlament auflöste und Neuwahlen ansetzte. Kronprinz Friedrich Wilhelm bat seinen Vater, ihn von der Teilnahme an weiteren Kronratssitzungen zu entbinden, um nicht in Opposition zu seinem Vater zu geraten. Wilhelm I. ging darauf nicht ein und ließ seinem Sohn ausgerechnet durch Otto von Bismarck mitteilen, dass er weiterhin teilzunehmen habe. Der in diesem Gremium stimmrechtslose Kronprinz begann daraufhin, nach jeder Kronratssitzung seine Ansichten schriftlich dem König mitzuteilen, wobei er wiederholt die Bedeutung der Verfassung hervorhob. [55]

Der Deutsch-Dänische Krieg im Jahre 1864

Otto von Bismarck verfolgte als langfristiges Ziel, den Deutschen Bund zu beenden und Österreichs Einfluss in Deutschland zugunsten Preußens zu beschneiden. Die erste kriegerische Auseinandersetzung auf dem Weg dahin war der Deutsch-Dänische Krieg um Schleswig und Holstein im Jahre 1864, während dem Österreich allerdings noch Allianzpartner Preußens war. Im Frieden von Wien, mit dem am 30. Oktober 1864 dieser Konflikt beendet wurde, musste Dänemark die beiden Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen abtreten. Der Friedensschluss, der eine gemeinsame preußische und österreichische Verwaltung für die eroberten Herzogtümer vorsah, barg jedoch hinreichend Konfliktstoff für weiterreichende Auseinandersetzungen mit Österreich. [56]

Das Vereinigte Königreich war zwar nicht bereit gewesen, für Dänemark einen militärischen Konflikt mit Österreich und Preußen einzugehen, hatte aber diplomatisch stets die Position dieses kleinen Landes vertreten. Während Kronprinz Friedrich Wilhelm unter Feldmarschall von Wrangel an der Front Dienst tat, sich dabei unter anderem bei der Erstürmung der Düppeler Schanzen auszeichnete und schließlich den Oberbefehl über das Zweite Armeekorps erhielt, [57] verdächtigte man deshalb Kronprinzessin Victoria, dass sie unglücklich über die preußischen Erfolge sei. [58] An ihren an der Front befindlichen Mann schrieb sie, dass sie gehofft habe, die Bewunderung des Volkes für seine militärischen Erfolge würden sich auch auf sie übertragen und man aufhöre zu bedauern, dass sie die Kronprinzessin sei: [59]

Sie kritisieren mich hier dafür, dass ich zu englisch sei und zu Hause, dass ich zu preußisch bin. Es scheint, dass ich nichts richtig machen kann.

Die mittlerweile das vierte Mal schwangere Victoria, die während des Krimkriegs Florence Nightingale kennengelernt hatte, begann sich für eine bessere medizinische Versorgung verwundeter Soldaten zu engagieren. Anlässlich des Geburtstages von Wilhelm I. startete das Kronprinzenpaar einen Hilfsfond zugunsten der Familien gefallener oder schwer verletzter Soldaten. [60]

Die Schlacht von Königgrätz

Königin Victoria von England - bis an ihr Lebensende stand sie im brieflichen Austausch mit ihrer Tochter

Der Sieg über Dänemark hatte nur einen kurzen Frieden zur Folge: Der Gasteiner Vertrag vom 14. August 1865 löste die gemeinsame preußisch-österreichische Administration der Herzogtümer Schleswig und Holstein zunächst wieder auf, konnte jedoch den unterschiedlichen Interessen der beiden Länder nicht gerecht werden. Nachdem Preußen am 9. Juni in das von Österreich verwaltete Holstein einmarschierte, beantragte Österreich in Frankfurt die Mobilisierung des nichtpreußischen Bundesheeres, dem am 14. Juni stattgegeben wurde. Preußen reagierte darauf mit dem Einmarsch in Sachsen, Hannover und Kurhessen. Danach drangen preußische Verbände immer weiter nach Süden vor, bis sich die österreichische Armee am 3. Juli bei Königgrätz der preußischen stellte. Generalstabschef Helmuth von Moltke, ein alter Freund des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, hatte sich entschieden, das preußische Heer in drei getrennten Armeen marschieren zu lassen. Zunächst eröffneten die Elbarmee unter Leitung von Herwath von Bittenfeld und das Erste Armeekorps unter Leitung von Prinz Friedrich Karl von Preußen die Kampfhandlungen gegen die österreichische Armee, die nördlich der Festung Königgrätz Stellung bezogen hatte. Die preußischen Angriffe konnten trotz hoher Verluste zunächst keine nennenswerten Erfolge erzielen, so dass die schlachtentscheidende Rolle dem 2. preußischen Armeekorps unter Leitung des Kronprinzen zufiel, das sich in Gewaltmärschen dem Schlachtfeld näherte. Kronprinz Friedrich Wilhelm entschied sich für einen Flankenangriff auf die kaiserlichen Streitmächte, um die zwei anderen preußischen Armeen zu entlasten. Dabei gelang es ihm, die Höhe von Chlum zu besetzen, von der aus seine Artillerie ein verheerendes Flankenfeuer gegen die österreichische Armee eröffnen konnte. Die Niederlage von Königgrätz zwang Österreich letztlich zur Kapitulation. Im Friedensschluss vom 23. August in Prag schied Österreich aus dem Deutschen Bund aus. Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt wurden durch Preußen annektiert.

Am 18. Januar 1871 riefen die siegreichen Fürsten des Norddeutschen Bundes König Wilhelm I. von Preußen zum Deutschen Kaiser aus. Friedrich und Viktoria wurden Kronprinz und Kronprinzessin des Deutschen Kaiserreichs (Kaiserliche und Königliche Hoheit).

Politischer Einfluss

Die Kronprinzessin geriet 1884 wegen ihrer liberalen Ansichten und ihrer Unterstützung Stauffenbergs neuer links-liberaler Deutschen Freisinnigen Partei (DFP) in Konflikt mit Bismarck. Sie versuchte ihren Mann dazu zu bewegen, die neue „Kronprinzenpartei“ zu unterstützen. Dem Kronprinzen, den Victoria dazu bewegt hatte, die ultrakonservativen Ansichten seiner Jugend aufzugeben und einige gemäßigt liberale Einsichten zu entwickeln, war trotz seines guten Einvernehmens mit Stauffenberg eine Partei die unter anderem die Rechte des Reichstages zulasten des Monarchen erweitern wollte instinktiv zuwider. Er gratulierte zwar Ludwig Bamberger zur Gründung der neuen DFP, unterstützte die Partei oder ihre Politiker aber nicht. Victoria hielt weiter an ihrer Absicht fest, die DFP nach der Thronbesteigung an die Regierung zu bringen. Bismarck gelang es, das Kronprinzenpaar in der Folge politisch immer weiter zu isolieren.

Regentschaft

Nach dem Tod seines Vaters am 9. März 1888 wurde der schwer kranke Friedrich Wilhelm als Friedrich III. König von Preußen und Deutscher Kaiser. Er regierte nur 99 Tage und starb am 15. Juni an Kehlkopfkrebs. Während seiner kurzen Regierungszeit konnte und wollte er nicht gegen den von Victoria und ihm ungeliebten Bismarck politisch Stellung beziehen.

Die Witwe

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Kaiserin Friedrich

Nach dem Tod ihres Gatten nannte sie sich seinem Andenken zu Ehren Kaiserin Friedrich und zog sich auf ihren Witwensitz Schloss Friedrichshof (das heutige Schlosshotel in Kronberg) im Taunus zurück, das eigens zu diesem Zweck errichtet und von der Kaiserin persönlich mit den auf vielen Reisen gesammelten Möbelstücken und Kunstschätzen ausgestattet wurde. Hier verbrachte sie den größten Teil des Jahres, den Rest der Zeit unternahm sie Reisen. Ihre politischen Ansichten blieben liberal, was das ohnehin angespannte Verhältnis zum Kaiser, ihrem ihrer Meinung nach missratenen Sohn, noch stärker belastete. Zusammen mit liberalen Politikern arbeitete sie daran das Gedächtnis an ihren beim Volke beliebten Mann, der von seinem Sohn, Kaiser Wilhelm II. nahezu totgeschwiegen wurde in der Weise aufrecht zu erhalten, dass er nun als durch und durch liberaler Kronprinz und Monarch eher britischen Zuschnitts erschien. Dies wurde Kaiser Friedrich III. nur in eher begrenztem Umfange gerecht. Es war der Beginn der auch bei manchen Historikern erfolgreichen, heute sogenannten „Kaiser-Friedrich-Legende“. In Berlin gründete sie mehrere Schulen für die Ausbildung von Mädchen und die Berufsausbildung von Krankenschwestern. Die Kaiserinwitwe, die selbst eine begabte Malerin war, förderte Künste und Bildung und wurde 1891 Schirmherrin der Großen Berliner Kunstausstellung. Auch mit der Kronberger Malerkolonie hielt sie guten Kontakt. 1900 erhält eine Bad Homburger Schule ihren Namen und nennt sich Kaiserin-Friedrich-Gymnasium.

Die Verbindung zum englischen Königshaus

Während ihrer Ehejahre und ihrer Witwenzeit blieb die Kaiserin stets in enger Verbindung mit der königlichen Familie in London, besonders mit dem von ihr bewunderten Vater und ihrem ältesten Bruder, dem künftigen König Edward VII. Sie unterhielt regelmäßige Korrespondenz mit ihren Eltern und nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter. In langen Briefen berichtete sie über alles, was sie erlebte und bewegte, auch politische Themen kamen dabei zur Sprache. 3.777 Briefe der Queen Victoria an ihre älteste Tochter und ungefähr 4000 Briefe der Tochter an ihre Mutter sind laut Royal Encylopedia erhalten und katalogisiert. Ein Teil davon wurde nach dem Ersten Weltkrieg in England veröffentlicht, was in Deutschland zu heftiger Kritik führte.

Victoria starb im August 1901 in Friedrichshof an Brustkrebs, der bereits Metastasen im Rücken gebildet hatte – von ihr selbst verharmlosend als Hexenschuss bezeichnet. Sie wurde neben ihrem Gemahl im Mausoleum der Friedenskirche im Park von Sanssouci in Potsdam beigesetzt. Ihrem letzten Wunsch, ihren Körper mit der britischen Flagge, dem Union Jack zu bedecken und ihr Herz zu entnehmen, um es in England zu bestatten, entsprach ihr Sohn Kaiser Wilhelm II. nicht. Schloss Friedrichshof ging an ihre Tochter und ist heute im Besitz des Hauses Hessen.

Nachkommen

Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha hatte gemeinsam mit ihrem Mann acht Kinder:

  • Wilhelm (27. 1. 1859–1941) – der spätere König von Preußen und deutsche Kaiser
  • Charlotte (24.07.1860–1919) – verheiratet mit Bernhard, Herzog von Sachsen-Meiningen
  • Heinrich (1862–1929)
  • Sigismund (1864–1866)
  • Viktoria (1866–1929) – verheiratet mit Adolf, Prinz von Schaumburg-Lippe und in zweiter Ehe mit Alexander Zubkov
  • Waldemar (1868–1879)
  • Sophie (1870–1932) – die spätere Königin von Griechenland durch Heirat mit Konstantin I.
  • Margarethe (1872–1954) verheiratet mit Friedrich Karl von Hessen-Kassel, dem späteren König von Finnland

Titel

  • Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Victoria von Großbritannien und Irland, Princess Royal, Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha, Herzogin von Sachsen (bis 1858)
  • Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Victoria von Preußen (1858-1861)
  • Ihre Königliche Hoheit Kronprinzessin Victoria von Preußen (1861-1871)
  • Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit Kronprinzessin Victoria des Deutschen Reichs (1871-1888)
  • Ihre Majestät Kaiserin Victoria des Deutschen Reichs (seit 1888)

Quellen

Einzelbelege

  1. Panzer, S. 219
  2. Herre, S. 13
  3. Pakula, S. 9
  4. Die Herzogin von Kent war die ältere Schwester und Fürst Ernst von Coburg der ältere Bruder von Leopold I. In erster Ehe war er außerdem der Ehemann der präsumtiven britischen Thronfolgerin Charlotte Augusta gewesen, die 1817 im Kindbett verstarb
  5. Pakula, S. 9
  6. Pakula, S. 11 – 13
  7. Sinclair, S. 25f
  8. Pakula, S. 16 – 21
  9. Sinclair, S. 26
  10. Pakula, S. 21
  11. Pakula, S. 17
  12. Herre, S. 25
  13. Pakula, S. 20 und S. 22 und Herre, S. 25ff
  14. Sinclair, S. 22
  15. Sinclair, S. 35f und Herre, S. 32f
  16. Pakula, S. 31
  17. Pakula, S. 43
  18. Pakula, S. 50
  19. Kurth Tetzeli von Rosador und Arndt Mersmann (Hrsg): Queen Victoria – Ein biographisches Lesebuch aus ihren Briefen und Tagebüchern, Deutscher Taschenbuchverlag, München 2001, ISBN 3-423-12646-1, S. 103-106
  20. Pakula, S. 52
  21. Herre, S.41
  22. Pakula, S. 26 und S. 27
  23. Pakula, S. 90
  24. Herre, S. 42
  25. Pakula, S. 58 – 61
  26. Pakula, S. 61
  27. Pakula, S. 96
  28. Sinclair, S. 51f und 58
  29. Herre, S. 7
  30. Pakula, S. 96ff
  31. Pakula, S. 96
  32. Pakula, S. 113 f.
  33. Pakula, S. 133 f
  34. Pakula, S. 98
  35. Pakula, S. 99 und S. 130
  36. Herre, S. 54 und S. 61 f
  37. Pakula, S. 115 – 118
  38. Wilhelm Ober: Obstetrical Events That Shaped Western European History, The Yale Journal of Biology and Medicine, Band 65, 1992, S. 208 – 209
  39. Pakula, S. 123 und Herre, S. 65
  40. Pakula, S. 132
  41. Pakula, S. 149
  42. Pakula, S. 148
  43. Pakula, S. 147 und Herre, S. 74f
  44. Herre, S. 83
  45. Herre, S. 92
  46. Pakula, S. 168f, Herre, S. 92 und Sinclair S. 107f
  47. Pakula, S. 169
  48. Sinclair, S. 110 und Pakula, S. 181
  49. Sinclair, S. 97 und S. 101
  50. Ernst Engelberg: Bismarck – Urpreuße und Reichsgründer, Siedler Verlag, Berlin 1985, ISBN 3-88680-121-7, S. 532
  51. Sinclair, S. 120-127 und Pakula, S. 188 – 191
  52. Dies ist auch die Ansicht einiger heutiger Historiker; siehe beispielsweise Ernst Engelberg: Bismarck – Urpreuße und Reichsgründer, Siedler Verlag, Berlin 1985, ISBN 3-88680-121-7, S. 532
  53. Pakula, S. 191
  54. Herre, S. 106 f
  55. Pakula, S. 195-197 und Herre, S. 111f
  56. Ernst Engelberg: Bismarck – Urpreuße und Reichsgründer, Siedler Verlag, Berlin 1985, ISBN 3-88680-121-7, S. 553f
  57. Sinclair, S. 138
  58. Sinclair, S. 139f
  59. Pakula, S. 218
  60. Pakula, S. 219

Literatur

  • Karin Feuerstein-Praßer: Die deutschen Kaiserinnen. 1871-1918. Piper Verlag, München 2005, ISBN 3-492-23641-3
  • Franz Herre: Kaiserin Friedrich – Victoria, eine Engländerin in Deutschland, Hohenheim Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-89850-142-6
  • Hannah Pakula: Victoria. Tochter Queen Victorias, Gemahlin des preußischen Kronprinzen, Mutter Wilhelm II. Marion von Schröder-Verlag, München 1999, ISBN 3-547-77360-1
  • Andrew Sinclair: Victoria – Kaiserin für 99 Tage , Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1987, ISBN 3-404-61086-5
  • Thomas Weiberg: … wie immer Deine Dona. Verlobung und Hochzeit des letzten deutschen Kaiserpaares. Isensee-Verlag, Oldenburg 2007, ISBN 978-3-89995-406-7. Die Mutter Wilhelms II. war maßgeblich an dem Eheprohjekt beteiligt.

Vorlage:PND


VorgängerAmtNachfolger
deutsche Kaiserin und Königin von Preußen
1888

Vorlage:Personenleiste/Wartung


Kaiserin Victoria