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Öffentlicher Personennahverkehr

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Der in Deutschland gebräuchliche Begriff Öffentlicher Personen-Nahverkehr (ÖPNV; in der Schweiz ist Öffentlicher Verkehr = ÖV üblich) bezeichnet Personenverkehr mit Verkehrsmitteln, die nicht dem Individualverkehr oder dem Fernverkehr zuzuordnen sind.

Formen

Zu den Verkehrsmitteln des ÖPNV gehören Omnibus (Stadtbus, Überlandbus, Rufbus, Taxibus), Anrufsammeltaxi (AST), Straßenbahn/Stadtbahn, Oberleitungsbus, Fähre (auf Kurzstrecken) und U-Bahn. Dem ÖPNV wird auch der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) (S-Bahn, in Deutschland zudem Regionalexpress und Regionalbahn, in der Schweiz RegioExpress und Regionalzug) zugerechnet, den übrigen ÖPNV bezeichnet man häufig als Stadtverkehr oder Regionalverkehr.

Die Verkehrsmittel des ÖPNV fahren in der Regel nach Fahrplan. Oft ist der Fahrplan vertaktet (Taktfahrplan), die Abfahrten erfolgen in einem festen Rhythmus (beispielsweise stündlich oder alle 10 Minuten). Eine Ausnahme bilden Rufbus- und AST-Systeme, die auf Bedarf fahren. Taxis werden aufgrund ihres öffentlichen Charakters manchmal auch zum ÖPNV gerechnet.

Träger des ÖPNV in Deutschland, soweit es sich nicht um SPNV handelt, sind üblicherweise Gebietskörperschaften (Gemeinden und Kreise). Meistens sind sie zu Verkehrsverbünden zusammengeschlossen. Der Betrieb erfolgt entweder in Form kommunaler Eigenbetriebe (immer seltener) oder durch Verkehrsunternehmen privater Rechtsform; diese können in kommunalem Besitz sein oder nicht; sie werden durch freihändige Vergabe oder Ausschreibung beauftragt. In der Schweiz ist es ähnlich, nur werden hier auch Grossunternehmen wie die SBB, BLS oder das Postauto damit beauftragt und von den kommunalen oder kantonalen Körperschaften subventioniert.

Der SPNV wird von den Verkehrsverbünden (in NRW und Hessen), von den Gesellschaften der Bundesländer (z. B. "Bayern-Takt") oder von Schienenverkehrszweckverbänden (Rheinland-Pfalz) bestellt. Details regeln Gesetze der einzelnen Bundesländer.

Geschichte

Der Öffentliche Personennahverkehr begann auf dem Wasser in Form regelmäßiger Fährverbindungen über Flüsse und an Flussufern. Frühe Formen des städtischen ÖPNVs bestanden aus Sänften (so genannten Portechaisen, die ab 1617 in Paris eingeführt wurden und sich von da aus über Europa verbreiteten und aus Kutschen.

Im 19. Jahrhundert nahm der ÖPNV erheblichen Aufschwung, da die Städte im Zuge der industriellen Revolution stark an Bevölkerung gewannen und sich räumlich ausdehnten. Mehrere Erfindungen, die alle zu Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgten, legten die technische Basis für den ÖPNV als Massentransportsystem:

  • Erfindung der Pferdebahn, die insbesondere als Pferdestraßenbahn benutzt wurde,
  • Entwicklung der Pferdeomnibusse, die im Gegensatz zu Kutschen oder Droschken von breiten Bevölkerungsschichten genutzt werden konnten (lat. omnibus = für alle)
  • Entwicklung der Dampflokomotive, die Vorortzüge antreiben konnte und die Ballungsräume weiträumiger erschloss
  • Entwicklung der Dampfomnibuse, die insbesondere in England Furore machten, aber schon bald durch Zulassungs- und Geschwindigkeitsbeschränkungen ins Hintertreffen gerieten.
  • Entwicklung der Dampfschiffe, die regelmäßige Verkehre nach Fahrplan über Seen und Flüsse sowie in den großen Häfen (z. B. Hamburg) ermöglichten.
  • Entwicklung des ersten mit Benzin betriebenen Omnibusses gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Erster Linienbetrieb durch die Netphener Omnibusgesellschaft im Jahre 1895.

Insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dehnten sich die Städte soweit aus, dass die Arbeiter aus den zum Teil in die Außenbezirke verlegten Wohnquartieren nur noch nach stundenlangen Fußwegen oder Busfahrten zur Arbeit kamen. Mit der Einführung der elektrischen Straßenbahn (Tram, Trambahn, Elektrische) reagierte der ÖPNV auf dieses Problem. Der Verkehr stieg so stark an, dass beispielsweise um 1890 in Hamburg zwischen Hauptbahnhof und Rathaus alle 40 Sekunden eine Bahn fuhr. Dies führte zu Verkehrsstaus und Unzuverlässigkeiten. Um die Leistungsfähigkeit des ÖPNV wieder herzustellen, wurden zunehmend Bahnen auf eigener Trasse über und unter der Erde errichtet (Hochbahn, U-Bahn, Metro und S-Bahn). Speziell für den Tunnelbetrieb wurden diese Strecken entweder bald auf elektrische Traktion umgestellt oder von Beginn an mit elektrischen Triebwagen betrieben.

Datei:Paris-Metro.jpeg
Station Simplon in der Pariser Métro

Ab den 1950er Jahren entwickelte sich das Automobil zunehmend zum Massenverkehrsmittel. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV sanken. Darauf reagierten die Verkehrsunternehmen mit der Bildung von Verkehrsverbünden, die den Grundsatz "eine Fahrkarte, viele Verkehrsmittel" umsetzten und neben dem Tarifverbund auch zunehmend eine abgestimmte Planung vornahmen. Als erster Verkehrsverbund wurde im Jahre 1965 der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) in Hamburg gegründet, der das Stadtgebiet sowie einige Randgemeinden umfasste. Deutschlands größter Verkehrsverbund ist der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr VRR. In der Schweiz war der Tarifverbund Nordwestschweiz (TNW) 1987 der erste Verbund. Andere Ballungsräume in Europa folgten.

Bedeutung

ÖPNV im ländlichen Raum. Bushaltestelle in Trollebüll (Nordfriesland)

Der ÖPNV ist auch heute von großer Bedeutung für das Funktionieren der Mobilität in Ballungsräumen. Während früher die Aufgabe im Vordergrund stand, überhaupt Verkehr zu ermöglichen, so wird heute vornehmlich die "dienende" Funktion des ÖPNV-Ballungsräume von Individualverkehr und die Umwelt von Schadstoffen zu entlasten- betont. Ein Blick auf einige Kennzahlen des städtischen Verkehrs zeigt aber, dass diese Sichtweise der Realität nicht entspricht.

In den meisten Städten Österreichs und Deutschlands, die noch über ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz verfügen, beträgt der Anteil der Wege, die mit dem Kraftfahrzeug zurückgelegt werden, unter 50 Prozent. In Wien (Österreich) werden rund 65 Prozent der Wege entweder mit "Öffentlichen", mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt. Ebenso ist die vermeintlich geringe Auslastung der "Öffentlichen" zu sehen. Die durchschnittliche Belegung von Kraftfahrzeugen beträgt rund 1,3 Personen (26%). Rund 23 von 24 Stunden sind die Kraftfahrzeuge in der Regel überhaupt außer Betrieb (geparkt). Busse und Straßenbahnen sind meistens um die 20 Stunden täglich im Einsatz, U-Bahnen teilweise noch länger. Dazu kommen spezielle Nachtverkehre (meist AST und/oder Busse, in größeren Städten auch Bahnen). Die Auslastung liegt während der gesamten Betriebszeit bei rund 30 Prozent und somit deutlich höher als im MIV. Der spezifische Energieverbrauch und die spezifische Schadstoffemission pro Fahrgast sind ebenfalls deutlich geringer als beim MIV. So verursacht ein gut besetzter Bus pro Fahrgast nur etwa 10-25% der Treibhausgas-Emissionen eines gut besetzten Autos und nimmt erheblich weniger Straßenraum ein. Dazu ist weiter anzumerken, dass gerade der Flächenverbrauch für den ruhenden Verkehr (Parken) sehr hoch ist und in der Regel bei vergleichenden Betrachtungen nicht berücksichtigt wird.

Bemerkenswert ist, dass der Anteil der Mobilitätskosten am Bruttosozialprodukt einer Stadt etwa proportional zum Anteil des MIV an der Verkehrsleistung verläuft. Die Einwohnermobilität in "Autostädten" nach amerikanischem Vorbild ist volkswirtschaftlich gesehen etwa doppelt so teuer wie in Städten mit stark ausgebautem ÖPNV wie München (Quelle: Statistik der UITP, Prof. Wolfgang Meyer). Eine Verlagerung des realen Modal Split im Personenverkehr hin zum ÖPNV, wie sie mittlerweile vielerorts deutlich beobachtet werden kann, z. B. in Karlsruhe oder in den französischen Städten, die Stadtbahnnetze neu eröffnet haben, ist somit auch aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert.

Zukünftige Entwicklung

Betriebswirtschaftliche Chancen und Probleme

Schon heute liegt der Deckungsgrad der Betriebskosten des ÖPNV bei rund 70% mit weiter steigender Tendenz, wobei in erster Linie die Stammkunden mit Zeitkarten zu diesem Ergebnis beitragen. Es gibt zahlreiche Politikeraussagen, die eine vollständige Kostendeckung im ÖPNV fordern; dies setzt die ÖPNV-Anbieter unter Druck, eher wie privatwirtschaftliche Unternehmen als wie Behörden zu agieren und z. B. nicht nur die rohe Steigerung der Transportleistung, sondern auch des damit erzielten Betriebsergebnisses zu betreiben.

Die den öffentlichen Verkehr tragenden Unternehmen nutzen mittlerweile verstärkt die Instrumente des Marketing, um weitere Stammkunden zu gewinnen und auf diese Weise das eigene betriebswirtschaftliche Ergebnis zu verbessern. Z.B. haben die Träger in den letzten Jahren allmählich begonnen, neue Angebote im Bereich des Gelegenheitsverkehrs (Einkauf und Freizeit) zu entwickeln. Shuttlebusse bei Großveranstaltungen, rabattierte Einkaufstickets, "Bäderbusse", Fahrradsonderzüge etc. gehören dazu.

Ob diese Angebote nicht nur der Erhöhung der Fahrgastzahlen dienen, sondern auch zur Kostendeckung und zur Dauerkundenbindung (Verlagerung des Modal Split) beitragen können, ist zuweilen fraglich. Zumindest einige davon werden unter politischem Druck eingeführt. Punktuelle Verbesserungen des Modal Split (wie auch die Steigerungen der Fahrgastzahlen) können nicht über eine Stagnation des Modal Split im Bundesschnitt hinwegtäuschen.

Vielfältige, unter anderem durch europäische Rechtsnormen geforderte Privatisierungsmaßnahmen wie die Trennung von Netz und Betrieb in Stadtbahnnetzen und die zunehmende (auch europaweite) Ausschreibung von Verkehrsleistungen mit einem strikten Anforderungskatalog tragen ihr Teil zur Verbesserung der Kostendeckung im ÖPNV bei. Die Verkehrsleistungen werden von den Dienstleistern entweder mit eigenen Fahrzeugen oder mit über Fahrzeugmanagementgesellschaften geleasten Fahrzeugen des Trägers erbracht. Wartungsverträge sind Teil der Fahrzeugbeschaffung; die gesamte schwere Instandhaltung erledigen die Fahrzeughersteller. Die Bestellverträge sehen Konventionalstrafen gegen Hersteller oder Betreiber vor, falls Verfügbarkeitsstandards (Pünktlichkeit, Kapazität, Fahrzeugzustand) nicht gehalten werden.

Es werden oft separate Beschäftigungsgesellschaften gegründet, um die Tarifbestimmungen der Branche zu umgehen und die Lohnkosten unter anderem der Fahrzeugführer niedrig zu halten. Dies weckt Unmut der Beschäftigten und der Gewerkschaften bis hin zur Ablehnung der Ausschreibungen und zu den Vorwürfen der "tariflichen Tricks".

Technische Visionen

Informationstechnik, Elektronic Ticketing

Der öffentliche Nahverkehr der nahen Zukunft wird nach den Vorstellungen der Verkehrsplaner stark durch vernetzte Informationstechnik geprägt sein. Schon in die Fahrplanauskunft über Mobilgeräte (WAP o.Ä.), Internet oder Zugzielanzeiger gehen dynamische Daten über den Betriebszustand des Netzes ein, so dass der (potenzielle) Fahrgast mit geringem Aufwand ein gültiges und optimales Beförderungsangebot mit Preisauskunft erhalten kann und minutengenau darüber informiert ist, wann "sein" Fahrzeug an der Zugangsstelle eintrifft. Das Informationsangebot erledigt auch direkt online das Rufen von AST- oder Rufbus-Diensten. Andererseits ist dann wiederum mit Akzeptanzproblemen der Fahrgäste zu rechnen, die eine Fahrtauskunft von einem lebenden Menschen wünschen.

Nach einigen Vorstellungen soll die Fahrgelderhebung bargeldlos und berührungsfrei erfolgen, z. B. über "SMS-Ticket" (dies wird beispielsweise in Bonn verwirklicht), auch über Transponderkarten, die entweder nach dem Prinzip der Guthabenkarte ("Prepaid") arbeiten oder als vorausbezahlte Zeitkarte gelten. Da die Transponder den Ein- und Ausstieg des Fahrgastes erfassen, sollte die gefahrene Strecke kilometergenau erfasst und so stets der günstigste Tarif berechnet werden. Alle Daten würden unmittelbar in die Betriebszentrale eingehen und dort der Kapazitätsberechnung und der Angebotsplanung dienen. Dem entgegen stehen die Befürchtungen von Datenschützern, die in der elektronischen Erfassung der Fahrgäste einen weiteren Schritt in Richtung "Gläserner Mensch" sehen. Darüber hinaus gibt es Stimmen, die die der Sicherheit dienende massive Videoüberwachung kritisieren.

Die mit einem Chip ausgestattenen Monatskarten wurden unter anderem im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und im Verkehrsverbund Rhein-Sieg Wirklichkeit. Ursprünglich gab es Pläne, auf die derzeit mit speziellen Geräten lesbaren Chipkarten sollten automatisch erfassbare Transponderkarten folgen. Dies stieß auf technische Probleme und hat auch Datenschutzbedenken verursacht. Bei den Marburger Stadtwerken hingegen sind Guthaben-Transponderkarten neben traditionellen Papierzeitkarten seit Jahren gut eingeführt.

Zu den Anwendungsmöglichkeiten der Informationstechnik zählen auch verbesserte Methoden der Datenerhebung, z. B. durch fahrzeugseitige elektronische Fahrgastzählung.

Fahrzeuge und Haltestellen

Die Zugangsstellen selbst sollen auf die Niederflur-Fahrzeuge angepasst, vollständig barrierefrei und behindertengerecht, zentral videoüberwacht werden, mit Auskunftsterminals und Notrufeinrichtungen versehen. Während dies in Deutschland die Regel ist, hinkt man in der Schweiz nach. Erst das 2004 eingeführte Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) verlangt den Einsatz von behindertengerechten und barrierefreien Rollmaterial und Haltestellen. Den ÖPNV-Anbietern wird jedoch eine Übergangsphase von 20 Jahren gewährt. Das heisst, bis 2024 müssen alle ÖPNV behindertengerecht sein. Neues Rollmaterial und neue Haltestellen sind jetzt generell schon behindertengerecht entworfen. Alle Strukturen, die Raumängste auslösen oder Vandalen anziehen könnten wie Aufzugschächte etc. sollen möglichst "transparent" gestaltet und gebaut werden. Einheitliche, ggf. farbkodierte Wegeleitsysteme sollen dabei der Übersicht dienen. Straße und Schiene werden dabei durch Kombibahnsteige und ähnliche Systeme eng verknüpft.

Die Fahrzeuge selbst würden dabei videoüberwacht und weitgehend vandalensicher gebaut. Netzplan, Haltestellenfolge, Uhrzeit, Informationen, Werbung etc. können über RIS-Displays eingespielt werden. Zur Kapazitätsanpassung werden auch heute schon Fahrzeuge in möglichst unterschiedlichen Gefäßgrößen eingesetzt (auf der Straße: Mikrobus, Midibus, Solobus, Gelenkbus, Doppelgelenkbus; auf der Schiene: traktionsfähige Gliedertriebzüge in unterschiedlichen Längen). U-Bahnen fahren größtenteils vollautomatisch und unbemannt. Alle Fahrzeuge sind in einer einheitlichen Corporate Identity ausgeführt, auch wenn sie von diversen beauftragten Firmen gestellt werden.

Überhaupt beschäftigt der Verkehrsträger der Zukunft viel weniger Betriebs- und Wartungspersonal als heute.

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