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Sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen

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Die Soziale Ungleichheit der Gesundheitschancen bezeichnet den Zusammenhang von Armut und geringerer Gesundheit bzw. größeren Krankheitsrisiken.

Soziale Ungleichheit der Gesundheitschancen in Deutschland

Armut hat in der Bundesrepublik Deutschland Konsequenzen für den Gesundheitszustand.[1] Nach Klaus Peter Strohmeier, Professor an der Ruhr-Universität in Bochum, sind 80% der Jugendlichen in den bürgerlichen Vierteln Bochums gesund, in den Trabantenvierteln sind es nur 10 bis 15 Prozent. Als Krankheiten, die mit Kinderarmut einhergehen, nennt er vor allem Übergewicht und motorische Störungen.[2] Winkler stellt fest, dass auch bei den Erwachsenen Arme häufiger unter Übergewicht leiden, sie rauchen häufiger und treiben weniger Sport. Die Folge sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen.[3] Winkler und Stolzenberg konnten nachweisen, dass Arme häufiger von Lungenkrebs, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Durchblutungstörungen im Gehirn, Durchblutungsstörungen in den Beinen, Diabetes Typ II, Bandscheibenschäden und Hepatitis betroffen waren als Nichtarme.[4]

Nach Beobachtungen des Robert-Koch-Instituts[5] zeigten sich Zusammenhänge von sozialer Schicht und Gesundheitschancen in den Bereichen:

  • Herz-Kreislauf-Krankheiten
  • Hypertonie und Hypercholesterolämie
  • Übergewicht und Adipositas
  • Tabak- und Alkoholkonsum
  • Körperliche Aktivität und Sport
  • Medikamentenkonsum
  • Subjektive Gesundheit und Lebenszufriedenheit
  • Gesundheitsbezogene Lebensqualität
  • Inanspruchnahme des Versorgungssystems

Gesundheit und Armut bei Kindern und Jugendlichen

Die Kinderarmut nimmt in Deutschland stark zu. In diesem Bereich ist eine Verschränkung von Armut und Gesundheit fatal, weil sie die Möglichkeiten der Kinder auf ein gutes Leben einschränken. Vor der Einschulung werden bei Kindern aus armen Familien bereits vermehrt Entwicklungsverzögerungen und Gesundheitsstörungen festgestellt. Zudem sind sie häufiger von Unfallverletzungen und zahnmedizinischen Problemen betroffen.

In einer Broschüre des Robert-Koch-Instituts zum Thema heißt es:

"Neben schlechteren Startchancen in Schule und Beruf kommen ein oftmals schlechterer Gesundheitszustand und ungünstige Gesundheitsverhaltensmuster zum Tragen. Gleichzeitig weist die neuere sozialpsychologische Forschung aus, dass die Ergebnisse des Sozialisationsprozesses durch eine Vielzahl von sozioökonomischen Faktoren mitbestimmt werden.".[6]

Im Jugendalter lässt sich ein Zusammenhang zwischen der sozialen Lage und dem psychosozialen Wohlbefinden, dem Vorkommen von Schmerzen sowie dem Gesundheitsverhalten herstellen.

Arbeitslosigkeit und Gesundheit

Das Robert-Koch-Institut stellte fest, dass arbeitslose Menschen einen ungünstigeren Gesundheitszustand haben als Berufstätige:

Die Wahrscheinlichkeit, die eigene Gesundheit weniger gut oder schlecht einzuschätzen, erhöht sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Ein oder mehrere Jahre lang arbeitslose Männer geben bis vier Mal so häufig einen weniger guten oder schlechten Gesundheitszustand an, wie berufstätige Männer ohne Zeiten von Arbeitslosigkeit.

Auch das gesundheitsbewusste Verhalten ist geringer, wobei sich hier ein geschlechtsspezifischer Unterschied zeigt, wie das Beispiel Rauchen verdeutlicht:

Während 49 % der im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 befragten arbeitslosen Männer rauchen, sind es unter den berufstätigen männlichen Befragten 34 %. Die Unterschiede bei den Frauen sind mit 31 % Raucherinnen unter den arbeitslosen Frauen und 28 % Raucherinnen unter den berufstätigen Frauen geringer.[7]

Die Auswertung akuteller Krankenkassendaten zeigt:

  • Arbeitslose Männer verbringen mehr als doppelt soviele Tage im Krankenhaus als berufstätige Männer
  • Arbeitslose Frauen verbringen 1,7mal soviele Tage im Krankenhaus wie berufstätige Frauen.
  • Die Sterblichkeit steigt kontinuierlich in Abhängigkeit von der vorausgehenden Arbeitslosigkeitsdauer.
  • Es wurden Hinweise darauf gefunden, dass Arbeitslosigkeit ursächliche Auswirkungen auf die Entwicklung schwerer Krankheiten hat.[8]

Gesundheit alleinerziehender Mütter und Väter

Belastungen alleinerziehender und verheirateter Mütter
Belastungen/Beunruhigungen alleinerziehende Mütter verheiratete Mütter
Unsicherheit wie eigene Zukunft weitergeht 48,8 % 26,4 %
finanzielle Probleme 47,7 % 18,7 %
Erziehung und Ausbildung der Kinder 34,5 % 27,1 %
zu viele Aufgaben in der Familie 23,8 % 13,0 %
Anforderungen nicht mehr gewachsen sein 22,7 % 11,4 %
nicht genug Erfolg 20,3 % 7,5 %
fehlende Harmonie in der Familie 17,9 % 4,1 %
Probleme mit der Wohnsituation 16,6 % 6,2 %
Gefühl, überflüssig zu sein 15,5 % 8,9 %
Robert Koch Institut / Statistisches Bundesamt: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 14: Gesundheit alleinerziehender Mütter und Väter [6]

Alleinerziehende, die mit mindestens einem minderjährigen Kind, aber ohne Partner bzw. Partnerin zusammenleben, gelten als belastet. Alleinerziehende Mütter sind nicht nur durch finanzielle Probleme, sondern auch durch Zukunftsängste, Anzeichen von Überforderung und durch ein geringes Selbstwertgefühl stärker belastet als verheiratete Mütter (siehe nebenstehende Tabelle des Robert Koch Instituts).

Alleinerziehende Mütter litten bzw. leiden deutlich häufiger unter

  • Nieren- und Lebererkrankungen,
  • chronischer Bronchitis und
  • Migräne.

Besonders auffällig ist, dass sie mit 24,7% mehr als doppelt so häufig psychische Erkrankungen angeben wie die verheirateten Mütter. Zudem leiden sie häufiger und stärker unter Schmerzen als verheiratete Mütter, wodurch sie sich auch häufiger in der Bewältigung des Alltagslebens schwerer beeinträchtigt fühlen. Vor allem in der unteren Sozialschicht fühlen sich alleinerziehende Mütter durch Schmerzen und emotionale Probleme stärker beeinträchtigt als die verheirateten Mütter. Das Robert Koch Institut geht davon aus, dass sich "hier die negativen Effekte des Alleinerziehens auf Einzelaspekte der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch die Zugehörigkeit zur unteren Sozialschicht noch verstärk[en]."[9]

Alleinerziehende und verheiratete Mütter nehmen ungefähr gleichhäufig Arzttermine und Kuren in Anspruch. Allerdings nehmen alleinerziehende Mütter seltener Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch als verheiratete. Die Arzttermine werden auch aufgrund akuter Beschwerden denn aufgrund von Beratung in Anspruch genommen.

Entsprechende Unterschiede in der Gesundheit wie sie zwischen alleinerziehenden und verheirateten Müttern vorliegen, lassen sich nicht zwischen alleinerziehenden und verheirateten Männern finden.

Gründe des Zusammenhangs von Armut und geringer Gesundheit

Die Gründe dafür, dass sozial benachteiligte Menschen häufiger erkranken, liegen nach Andreas Mielck[10] in

  • Unterschieden in den gesundheitlichen Belastungen (z.B. Belastungen am Arbeitsplatz)
  • Unterschieden in den Bewältigungsressourcen (z.B. soziale Unterstützung)
  • Unterschieden in der gesundheitlichen Versorgung (z.B. Arzt-Patient-Kommunikation).

Dies zusammengenommen führt wiederum zu

  • Unterschieden beim Gesundheits- und Krankheitsverhalten (z.B. Ernährung, Rauchen).

Insgesamt führen diese Faktoren zu

Gesundheitlichen Belastungen

Gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz

Umweltbelastungen

Bereits im 19. Jahrhundert problematisierte die deutsche Sozialhygienebewegung den Einfluss von Wohn- und Arbeitsumwelt auf die Gesundheit der Menschen.

Eine neue Debatte um eine Umweltbezogene Gerechtigkeit begann in den Vereinigten Staaten, als im Kontext der Bürgerrechtsbewegungen einkommensschwache und nicht-weiße Gesellschaftsgruppen begannen, eine "Environmental Justice" (umweltbezogene Gerechtigkeit) einzuforden. Eine schichtspezifisch geringere Gesundheit wurde mit dem Arbeits- und dem Wohnumfeld und mit dem Verkehr in Zusammenhang gebracht.

Nach Julia Schlüns treffe die These aus Ulrich Becks "Risikogesellschaft", nach der Umweltbelastungen eher gleichmäßig über die verschiedenen Schichten der Gesellschaft verteilt würden, nicht mehr generell zu. Neuere Erkenntnisse zeigten, dass wohlhabende Schichten größere Möglichkeiten hätten, sich den Umweltbelastungen zu entziehen. Menschen aus unteren Schichten seien einerseits durch Umweltbelastungen stärker belastet (Z.B. Lärm und Feinstaub im Wohn- und Arbeitsumfeld), könnten sie aber andererseits schlechter ausgleichen oder bewältigen (z.B. geringerer Zugang zu Grünflächen).

Bewältigungsressourcen

Gratifikationskrise

Nach dem Erklärungsansatz der Gratifikationskrise erkranken Menschen dann, wenn sie sich stark verausgaben und hierfür nicht entsprechend belohnt werden. Besonders betroffen von der Gratifikationskrise sind gering qualifizierte Arbeiter und alleinerziehende Mütter.

Gesundheitliche Versorgung

Gesundheitsverhalten

Ernährung

Gesundes Essen ist zu teuer [11]
Lebensmittel konventionalle
Lebensmittel
Bio-Lebens-
mittel
450 g. Vollkornbrot 45 Cent 80 Cent
100 g. Früchtemüsli 45 Cent 37 Cent
1,5 Liter Apfelsaft 70 Cent 1,64 Euro
1,5 Liter Mineralwasser 20 Cent 20 Cent
500 g Gemüse 50 Cent 75 Cent
550 g Obst 1 Euro 93 Cent
500 g Spaghetti 30 Cent 79 Cent
500 ml Frischmilch 30 Cent 40 Cent
200 ml Joghurt, fettarm 20 Cent 36 Cent
80 g Käse (45% Fett) 50 Cent 64 Cent
100 g Wurst 1 Euro 99 Cent
125 g Schweinefleisch 1,25 Euro 72 Cent
40 g Butter 12 Cent 21 Cent
35 g Sonnenblumenöl 4 Cent 13 Cent
35 g Marmelade 8 Cent 13 Cent
160 g Kuchen 1,30 Euro 98 Cent
Summe 8,39 Euro 10,04 Euro

Ein Reporter des Magazins Planet Wissen liess sich von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Tagesration für eine 35-jährige Frau und ein zehnjähriges Kind zusammenstellen. Selbst in einem sehr günstigen Supermarkt bezahlte er 8,39 Euro, um die empfohlenen Lebensmittel einzukaufen. Würde man Bioprodukte bevorzugen käme man sogar auf mindestens zehn Euro. Eine 35-jährigen Frau, die ALG2 bezieht, hätte jedoch für sich und ihr Kind nur rund sieben Euro zur Verfügung.[11]

Suchtverhalten

Arbeitslose Männer rauchen häufiger als berufstätige Männer. Auch arbeitslose Frauen rauchen häufiger als berufstätige Frauen, allerdings ist der Unterschied weniger große als bei den Männern.

Literatur

  • Gabriele Bolte/Andreas Mielck (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit - Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen, Weinheim-München 2004
  • Joachim Heinrich u.a.: Soziale Ungleichheit und umweltbedingte Erkrankungen in Deutschland, Landsberg 1998
  • Bita Kolahgar: Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen und gesundheitlichen Folgen an industriellen Belastungsschwerpunkten in Nordrhein-Westfalen, Essen 2006
  • Lampert, T./Kroll, L.E. (2005). Einfluss der Einkommensposition auf die Gesundheit und Lebenserwartung DIW Discussion Paper 527/2005. Download
  • Lampert, T./Ziese, T. (2005). Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit. Expertise des Robert Koch-Instituts zum 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung Schriftenreihe Lebenslagen in Deutschland. Bonn: BMGS. Download
  • Mielck, Andreas: Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Einführung in die aktuelle Diskussion Bern 2005 ISBN 3-456-84235-X
  • Julia Schlüns: Umweltbezogene Gerechtigkeit in Deutschland Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 24 / 11.06.2007 [7]

Referenzen

  1. Mielck, A. (Hrsg.): Krankheit und soziale Ungleichheit. Opladen: Leske + Budrich)
  2. Magazin Mitbestimmung 1+2/2006 (Hans Böckler Stiftung): Interwiev mit Klaus Peter Strohmeier: "Für unsere Gesellschaft sieht es düster aus"
  3. J. Winkler, Die Bedeutung der neueren Forschungen zur sozialen Ungleichheit der Gesundheit für die allgemeine Soziologie, in: Helmert u.a.: Müssen Arme früher sterben? Weinheim und München: Juventa
  4. Winkler, J. und Stolzenberg, H.: (1999): Der Sozialschichtindex im Bundesgesundheitssurvey. In: Gesundheitswesen, 61. Sonderheft 2
  5. Robert-Koch-Institut:Soziale Schicht [1]
  6. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 4: Armut bei Kindern und Jugendlichen [2]
  7. Gesundheitsberichterstattung des Bundes - Heft 13: Arbeitslosigkeit und Gesundheit, Februar 2003[3]
  8. Gesundheitsberichterstattung des Bundes - Heft 13: Arbeitslosigkeit und Gesundheit, Februar 2003[4]
  9. Robert Koch Institut / Statistisches Bundesamt: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 14: Gesundheit alleinerziehender Mütter und Väter [5]
  10. Mielck, 2005, S.53
  11. a b Larissa Kessner: Gesund essen - Eine Frage des Geldes? in UGB-Forum 2/07, S. 89-92 (download am 25.11.2007)