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Eskimo-Wörter für Schnee

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Die Vorstellung, dass die „Sprache der Eskimo“ (eine einzige solche Sprache gibt es nämlich nicht) eine im Vergleich zu anderen Sprachen extrem hohe Anzahl an Wörtern für Schnee habe, ist ein weitverbreiteter Moderner Mythos und unter Linguisten zu einer Art interner Witz geworden.

Geschichte

Zuerst erwähnt wurde die Thematik 1911 von dem Ethnologen und Sprachwissenschaftler Franz Boas. Boas nannte zunächst vier unterschiedliche Wörter und kontrastierte sie mit Englisch snow, dem angeblich einzigen Wort für das Konzept in dieser Sprache. Damit wollte er zeigen, dass sich in dem Vokabular der verschiedenen Sprachgemeinschaften Züge ihrer Kultur und Lebensweise widerspiegeln. In diesem Zusammenhang wird das Thema etwas später auch von Benjamin Whorf erwähnt (vgl. Sapir-Whorf-Hypothese).

Diese Überlegungen wurden von den Medien aufgegriffen und popularisiert; im Lauf der Zeit vermehrte sich die vermeintliche Anzahl der Wörter für Schnee im vermeintlichen Eskimo auf wundersame Weise von vier über 50 auf 100 Wörter.

Was ist dran?

Nicht viel. Zunächst gibt es wie oben angesprochen, keine einzelne Sprache mit dem Namen Eskimo. Die eskimo-aleutische Sprachfamilie umfasst eine ganze Reihe von Sprachen, die im Norden Kanadas, Alaska, Sibirien und Grönland gesprochen werden. Zunächst variiert die Zahl der Wörter für Schnee allein dadurch, dass verschiedene Sprachen gemeint sein können. Für die Sprache Yupik z. B. wird eine Zahl von ca. 24 lexikalischer Einheiten angesetzt, die aber teilweise durch Wortbildung aufeinander bezogen sind (wie z. B. im Deutschen Schnee und Pulverschnee).

Weiters umfasst das Wortfeld Schnee auch in anderen Sprachen etliche Wörter. Im Deutschen unterscheiden zumindest Skifahrer, Bewohner der Alpenregionen und ähnliche Fachleute sowohl nach Alter des Niederschlages – Neuschnee (maximal drei Tage alt) und Altschnee – sowie nach seiner Konsistenz, z. B. Pulverschnee (locker, unter 0 Grad gefallen), Harsch (überfrorener Pulverschnee), Bruchharsch (eine besonders massive Schicht aus Eisschnee), Pappschnee oder Feuchtschnee, Sulzschnee (nass und schwer), Schneematsch oder Faulschnee (gemischte Konsistenz ohne Zusammenhalt), Gries (wiederholt gefrorener, körniger Schnee) und Firn (mindestens ein Jahr alt, wiederholt gefroren). Dazu kommen weitere Unterschiede zwischen den Schweizerdeutschen und bairischen (inklusive den österreichischen) Dialekten.

Auch das Englische hat mehr als nur ein einziges Lexem für schnee-bezogene Konzepte (snow, slush, sleet, blizzard usw.).

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass sämtliche Eskimo-Aleutische Sprachen hochgradig polysynthetische Sprachen sind. Das bedeutet, dass viele Konzepte, die in nicht-polysynthetischen Sprachen nur auf phrasaler Ebene ausgedrückt werden können, in diesen Sprachen via multipler Affigierung durch ein einziges Wort realisiert werden. So gibt es im Deutschen etwa keine andere Möglichkeit, als z. B. phrasale Kombinationen wie gerade frisch gefallener Schnee oder Schnee, der zu schmelzen begonnen hat zu verwenden, um das gewünschte Konzept zum Ausdruck zu bringen. In eskimo-aleutischen Sprachen kommen solche Einheiten i. d. R. als ein einziges, komplexes Wort daher. Das heißt aber natürlich nicht, dass dies die Anzahl der einfachen Wörter für ‚Schnee‘ erhöht, solche komplexe Wörter sind immer auf einfache lexikalische Wurzeln zurückführbar, deren Anzahl wiederum zumindest nicht signifikant höher ist als in anderen Sprachen. Diese Unterschiede sind also rückhaltslos auf den Sprachtyp zurückzuführen.

Literatur

Geoffrey K. Pullum (1991): The great Eskimo Vocabulary Hoax and other irreverent Essays on the Study of Language. Chicago: Chicago University Press.