Naiver Realismus
Naiver Realismus (auch Klassischer Realismus, direkter Realismus, common sense Realismus) ist eine bestimmte Position in der philosophischen Erkenntnistheorie, genauer der Theorie der Wahrnehmung. Ihr zufolge sind die Dinge im Wesentlichen so, wie sie uns erscheinen. Die gelbe Farbe etwa kommt einem Gegenstand selbst zu und ist kein Effekt unserer Wahrnehmung. Bildlich gesprochen nimmt der Wahrnehmende eine passiv-rezipierende Rolle ein, während sich die wahrzunehmenden Dinge gleichsam aufdrängen.
Beispiele für naiven Realismus
Kinder sind (unbewusst) naive Realisten, solange bis sie die ersten optischen Täuschungen erleben.
Manche Menschen sind z.B. deshalb bei Zaubertricks zutiefst überzeugt, es geschehe ein Wunder, weil sie naiv-realistisch glauben, es wäre Magie im Spiel, so wie es manche unseriöse Zauberkünstler vorgeben. Wenn hingegen beim Zauberkünstler wie beim Zuschauer von vorn herein klargestellt ist, daß es sich um eine gekonnte Sinnestäuschung handelt, kann man dennoch auch als Nicht-Eingeweihter des Trickmechanismus die Eleganz der Ausführung genießen und sich „verzaubern“ lassen, den „naiv-realistischen Zustand“ also auch willentlich herbeiführen.
Ein schönes Beispiel für den naiven Realismus in der Literatur ist die Geschichte von Paul Watzlawick, „Die zerkratzten Windschutzscheiben“.
Naiver Realismus im 20. Jahrhundert
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Philosophie der Naive Realismus kaum vertreten, da u.a. Bertrand Russell in der Nachfolge von George Berkeley und David Hume überzeugend wirkende Argumente gegen ihn geliefert hatte.
In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Varianten des Naiven Realismus von Dewey, William James, J. L. Peirce, John Langshaw Austin, John Searle, John McDowell, teilweise auch Husserl und Wittgenstein und Hilary Putnam (Threefold Cord, 2000) vertreten.
Searle spricht dabei von einem genetischen Fehlschluss: So seien viele Konstruktivisten der Ansicht, dass eine kausale Erklärung für die Genese von Wahrnehmung, die komplizierte Gehirnprozesse beschreibt, den Naiven Realismus widerlege. Aber: „Aus der Tatsache, dass unsere Erkenntnis/Vorstellung/Bild der Wirklichkeit von menschlichen Gehirnen in menschlichen Interaktionen konstruiert wird, folgt nicht, dass die Wirklichkeit, von der wir Erkenntnis/Vorstellung/Bild haben, von menschlichen Gehirnen in menschlichen Interaktionen geschaffen worden ist. (Es gibt darüber hinaus ein Problem mit den menschlichen Gehirnen und den menschlichen Interaktionen selbst. Sollen auch sie durch menschliche Interaktionen konstruiert worden sein?) Der Schluss aus der kollektiven neurophysiologischen kausalen Erklärung unserer Erkenntnis der externen Welt auf die Nichtexistenz der Außenwelt ist einfach nur ein non sequitur, ein genetischer Fehlschluss.“ [1]
Kritik am naiven Realismus
Einige Wissenschaftstheoretiker interpretieren Theorien wie die Quantenmechanik, insbesondere die Verletzung der Bellschen Ungleichung dahingehend, dass dies einen naiven Realismus ausschließt. Diese Interpretation ist ihrerseits umstritten.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Searle, John R.: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Reinbek 1997, 166
Literatur
- Pierre Le Morvan (2004) „Arguments Against Direct Realism and How to Counter Them“, in: The American Philosophical Quarterly 41(3), 221-2
- Moltke S. Gram (1983): Direct Realism. A Study of Perception, Dordrecht: Kluwer.
- Rebecca Copenhave (2004): A Realism for Ried. Mediated but Direct, in: British Journal for the History of Philosophy 12(1), 61–74
- David Macarthur (2004): Putnam's Natural Realism, in: Philosophical Explorations, Vol. 7, No 2
- Douglas McDermid (2004): The Real World Regained? Searle’s External Realism Examined, in: KRITERION Nr. 18 (2004), 1-9
- David W. Smith (1982): The Realism in Perception, in: Nous 16(1), 42-55.
- Stephen Wilcox / Stuart Katz (1984): Can Indirect Realism be demonstrated in the psychological laboratory, in: Philosophy of the Social Sciences 14, 149-57.