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Pius XII.

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Gekrönter Papst Pius XII. auf der Sedia gestatoria

Pius XII. (bürgerlicher Name Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli, * 2. März 1876 in Rom; † 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo) war Papst von 1939 bis 1958.

Leben

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Wappen Pius XII.

Pacelli wurde am 2. März 1876 in Rom geboren. Er studierte ab 1894 Theologie und promovierte 1901 zum Dr. theol. sowie 1902 zum Dr. jur. Pacelli schlug aber nicht nach Familientradition die Juristenlaufbahn ein, sondern ließ sich 1899 zum Priester weihen.

Pacelli durchlief eine Reihe Ämter innerhalb des römischen Klerus, im Diplomatischen Dienst der Kurie. Überdies war er Professor für Kanonisches Recht am päpstlichen Institut Apollinaire und von 1909 bis 1914 Professor für kirchliche Diplomatie an der Päpstlichen Diplomatenakademie (Akademie für höhere Kirchenlehre in Rom). Bereits 1916 versuchte Pacelli als Sondergesandter von Papst Benedikt XV. erfolglos zwischen den Parteien des Ersten Weltkrieges zu vermitteln.

Pacelli wurde 1917 Nuntius im Königreich Bayern. Seit 1920 zugleich erster päpstlicher Nuntius für Deutschland, handelte er Konkordate zwischen dem Vatikan und den deutschen Ländern Bayern (1924) und Preußen aus. Mit Sitz in Berlin ab 1925 war er auch Nuntius in Preußen (1929 Konkordat). Mit seiner Ernennung zum Kardinal 1929, mit der Titelkirche Ss. Giovanni e Paolo, wurde er aus Deutschland abberufen. Pacelli nahm wieder Ämter in Rom wahr als Kardinalstaatssekretär und Kardinalkämmerer. In dieser Funktion folgte er der politischen Linie des Papstes Pius XI., wobei er sich als fähiger Diplomat erwies. Er wurde in den folgenden Jahren von Pius XI. als Papstnachfolger vorbereitet. Am Zustandekommen des Reichskonkordats von 1933 wie auch an der 1937 veröffentlichten Enzyklika Mit brennender Sorge war er maßgeblich beteiligt.

Pontifikat

Man berichtet, dass der Kardinalstaatssekretär im Konklave am 2. März 1939 mit 61 von 62 Stimmen (ohne seine eigene) im dritten Wahlgang zum Papst gewählt wurde. Andere Quellen sprechen von einer geringeren Stimmzahl (etwa vier weniger), da angeblich einzelne Kurienkardinäle Pacelli nicht unterstützen wollten. Kardinal Baudrillart nannte nur 48 Stimmen für Pacelli (vielleicht für den 2. Wahlgang).

Am 12. März erfolgte die feierliche Krönung auf der Loggia des Petersdoms. (Krönungen im Petersdom haben seit den Lateranverträgen 1929 nicht mehr stattgefunden.) Pius XII. war nach 1655 und 1667 erst der dritte Kardinalstaatssekretär, der aus einem Konklave als Papst hervorging. Außerdem war er seit Innozenz XIII. (amtierte 1721–1724) der erste Römer auf dem Stuhl Petri. Die Wahl Pacellis wurde in der ganzen Welt, besonders in Frankreich, England und USA, gerade auch von jüdischen Medien[1], sehr positiv aufgenommen und lediglich in Deutschland kritisiert, da der Papst allgemein als Gegner des Nationalsozialismus bekannt war. Der Beginn seines Pontifikats stand im Zeichen der Vermeidung des drohenden Krieges. Im Zweiten Weltkrieg bewahrte er eine neutrale Stellung und widmete sich in erster Linie Friedensappellen und der Unterstützung humanitärer Hilfe, ganz nach dem Vorbild von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg, unter dessen Pontifikat Pacelli bereits Leiter des päpstlichen Hilfswerks für Kriegsopfer aller Nationen gewesen war. Das Hilfswerk Pius XII. leitete jetzt Msgr. G.B. Montini, der spätere Papst Paul VI. Der Wunsch des Papstes, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen, wurde von den Alliierten abgelehnt. („Wieviel Divisionen hat der Papst?“ soll Stalin verächtlich gesagt haben. Als Stalin 1953 starb, verwies Pius auf die ewige Bestimmung des Menschen: „Jetzt wird er sehen, wie viele Divisionen wir haben“.)

Seine erste, kurz nach Kriegsausbruch herausgegebene Enzyklika mit dem Titel Summi pontificatus wandte sich gegen Rassismus, den Herrschaftsanspruch von Diktaturen und die Besetzung Polens. Diese blieb die einzige Enzyklika Pius XII. mit expliziten Bezügen zur katholischen Soziallehre, der sich der Papst im übrigen in der Form zahlreicher Ansprachen und Radiobotschaften widmete.

Mit der Ernennung 32 neuer Kardinäle erweiterte und internationalisierte Pius 1946 das Heilige Kollegium, ein zweites und letztes Konsistorium fand Anfang 1953 statt. Seitdem setzt sich dieses jetzt aus Vertretern aller Kontinente zusammen. Als Papst schloss er Konkordate (Staatskirchenverträge) mit Portugal, Spanien und anderen Staaten ab. Er förderte die Hierarchiebildung der Katholischen Kirche in Staaten der „Dritten Welt“, um deren Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu betonen (u.a. 1946 Republik China, 1951 Südafrika, 1955 Birma). Pius XII. nahm 33 Heiligsprechungen vor, auch die seines mittelbaren Vorgängers und frühen Förderers Pius X. Wichtige Enzykliken sind zur modernen Ekklesiologie Mystici Corporis (1943), zur Anerkennung der Bibelwissenschaft Divino afflante Spiritu (1943) und zur Anerkennung der Liturgischen Bewegung Mediator Dei (1947) ergangen. In seinem Apostolischen Rundschreiben Humani Generis vom 12. August 1950 warnt der Papst vor einigen Tendenzen der Nouvelle Théologie, ohne diese explizit mit dem Modernismus in einen Zusammenhang zu bringen. In der Apostolischen Konstitution Munificentissimus Deus vom 1. November 1950 verkündete er die Definition des Dogmas von der leiblichen Himmelfahrt Mariens; dies war das erste Mal seit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870, dass ein Papst von seiner Unfehlbarkeit in Verkündigung der Lehre überhaupt Gebrauch machte. Der einzige weitere Fall ist bislang die Definition der Immaculata Conceptio durch Papst Pius IX. bereits im Jahr 1854. Bereits 1944 bekannte sich Pius XII. dazu, dass die Demokratie, christlich geläutert, eine der Monarchie gegenüber vorzugswürdige Regierungsform sei. Bis dahin hatte der römische Katholizismus jede legitime weltliche Autorität unterschiedslos anerkannt und war von monarchischen oder autoritären Staatsmodellen, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 üblich waren, noch nicht eindeutig abgerückt.

Vor den Kardinälen äußerte sich der Papst am 2. Juni 1945 rückblickend zum Nationalsozialismus und zur Lage in Deutschland, jedoch ohne besonderes Echo in den Medien. In seiner Weihnachtsbotschaft 1950 verkündete Pius öffentlich, dass das Grab des Apostels Petrus bei Ausgrabungsarbeiten, mit denen der Papst Prälat Ludwig Kaas beauftragt hatte, unter dem Hochaltar des Petersdom in Rom gefunden worden sei. Spätere Forschungen bestätigten diese Annahme im Wesentlichen.

Papst Pius XII. starb nach über vier Jahren zunehmender Gesundheitsstörungen, die es der Kurie erschwerten, die Kirchenregierung noch zu gewährleisten, am 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo an den Folgen eines erneuten Schlaganfalls. Sein Tod war, wie bereits das Ableben seines Vorgängers, begleitet von weltweiter Trauer. Seine letzte Ruhe fand der Pontifex, nur sechs Meter vom Grabmal des Apostels Petrus entfernt, das er hatte suchen lassen, in der Krypta des Petersdoms.

Eine unrühmliche Rolle beim Tod des Papstes spielte sein Leibarzt Riccardo Galeazzi-Lisi. Er fiel beim Vatikan in Ungnade, als er versuchte, heimlich aufgenommene Bilder des kranken und sterbenden Papstes an die Presse zu verkaufen, und weil er den Leichnam von Pius XII. auf unsachgemäße Weise einbalsamierte. Johannes XXIII. verbot ihm daraufhin jeglichen Zugang zum Vatikan und traf Vorsorge gegen Wiederholungsfälle solcher Art. Jedweder Medienkontakt beim Tod eines Papstes ist seither streng untersagt.

Pius XII. hat die Amtsführung im Vatikan in den Nachkriegsjahren so sehr auf seine Person zugeschnitten, dass er für die Zeitgenossen zum Inbegriff des Papsttums überhaupt wurde. Seit 1944 hat er keinen Kardinalstaatssekretär mehr ernannt, 1952 anlässlich seines zweiten und letzten Konsistoriums dann stattdessen zwei Pro-Staatssekretäre (Tardini amtierte bis 1958 und neben ihm von 1952 bis 1954 auch Msgr. G.B. Montini), von denen jedoch keiner zum Kardinal erhoben wurde.

Im Laufe der 1950er Jahre ließ die enorme Schaffenskraft des alternden Papstes nach, so dass sich in der Kurie mehr und mehr Symptome des Stillstands zeigten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der Pacelli systematisch als Nachfolger aufgebaut hatte, hat Pius XII. bewusst vermieden, seine Nachfolge zu beeinflussen. Der französische Philosoph Jean Guitton bezeugt, dass Pius XII. angesichts der Zeitumstände eine klare Vorahnung davon hatte, dass er der letzte Papst typisch römischer Tradition sein würde (Il disait lui-même qu'il était „le dernier pape,“ ultime chaînon d'une longue dynastie), seine Nachfolger also vor neuen Fragen stehen. Nach Meinung des Jesuiten Riccardo Lombardi sah der Papst auch bereits voraus, dass sein Nachfolger ein Konzil einberufen werde.

Papst Paul VI. eröffnete 1965 den Seligsprechungsprozess für Pius XII. und Johannes XXIII., seinen Nachfolger, den Pius XII. zunächst zum Nuntius nach Paris beordert und dann als Kardinal zum Patriarchen von Venedig berufen hatte (Beatifikation im Jahr 2000). Als Voraussetzung für die Seligsprechung auch Pius´ XII. erkannte die zuständige Heiligsprechungskongregation im Mai 2007 den „heroischen Tugendgrad“ des Papstes an.



„Sei mir gnädig, o Herr, gemäß deiner großen Barmherzigkeit. Die Vergegenwärtigung der Mängel und Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit begangen wurden, hat mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt.“

Aus dem Testament Pius XII.

Das Reichskonkordat von 1933

Die Gründe, weshalb die katholische Kirche auch schon vor der Zeit Pius XII. an einem Konkordat mit dem Deutschen Reich interessiert war, reichen bis zu der Zeit des Kulturkampfes unter Kanzler Bismarck in Preußen zurück. Am 8. Juni 1871 wurde die katholische Abteilung im Kultusministerium aufgelöst. Die oppositionelle Zentrumspartei war der politische Arm des Katholizismus. Bismarck suchte mit repressiven Mitteln die „Reichsfeinde“ zu zerschlagen. Am 10. Dezember 1871 wurde der „Kanzelparagraph“ als § 130a in das Strafgesetzbuch aufgenommen, in dem es hieß:

Ein Geistlicher …, welcher … die Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft..

Es kam in der Folge auch zu politisch motivierten Haftstrafen gegen katholische Geistliche wie gegen Mieczyslaw Graf Halka-Ledochowski, den Erzbischof von Posen [1]. Er wurde zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt. 1876 wurden in Preußen alle Bischöfe festgenommen oder ausgewiesen.

Es folgten im Jahr 1872 ein Gesetz, das den Jesuitenorden verbot und ein Gesetz, das die Übernahme der Aufsicht über alle Schulen in Preußen durch den Staat vorsah. Außerdem wurden 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. In einer Reichstagsrede bekräftigte Bismarck mit dem Ausspruch „Nach Canossa gehen wir nicht!“, seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“. Den Höhepunkt des Kulturkampfes markierten die Maigesetze von 1873, die die staatliche Reglementierung der katholischen Kirche gewährleisten sollten.

Durch das Brotkorbgesetz von 1875 wurden der Kirche jegliche staatliche Zuwendungen entzogen. Im Mai 1875 folgte das Klostergesetz (Auflösung aller Klostergenossenschaften außer den krankenpflegerischen in Preußen).

Als Folge des Kulturkampfes wurde Katholiken in Preußen der Zugang zu Ämtern in Wirtschaft und Verwaltung erschwert. Dieses war gleichsam die Beerdigung des bis dahin seit der Aufklärung geltenden friderizianischen Toleranzedikts. Zugleich sah sich die katholische Kirche in Deutschland in ihrer Glaubensfreiheit massiv beeinträchtigt.

So suchte seither also der Vatikan der Katholischen Kirche in Deutschland einen weitgehenden Freiraum zu verschaffen, da auch die inzwischen in Kraft getretene Bismarcksche Reichsverfassung einen solchen Schutz nicht unmittelbar vorsah. Mit dem Abschluss des Reichskonkordats sollte der deutschen katholischen Kirche vor allem die Freiheit der Religionsausübung gesichert werden. Die Forderungen des Vatikans erwiesen sich aber zur Kaiserzeit als nicht durchsetzbar.

Durch die Neuorganisation vieler Staaten nach dem Ersten Weltkrieg und die Wiedererlangung der territorialen Integrität des Vatikanstaats durch die Lateranverträge erhielt die Idee eines Konkordats neuen Schwung. Aber auch in der Weimarer Republik hatten die vatikanischen Bemühungen keine Aussicht auf Erfolg.

Erst die Hitler-Regierung fand sich bereit, ein Konkordat mit dem Vatikan abzuschließen, sah Hitler darin doch die konkrete Möglichkeit, eine Rechtsgrundlage für einen Maulkorb speziell für die Katholische Kirche zu schaffen. In dem Konkordat sollte festgelegt werden, dass die Kirche sich politischer Stellungnahmen zu enthalten habe und auch ansonsten nicht politisch tätig werden sollte. Pius XI. und Pacelli indes hofften auf einen Freibrief für die Religionsausübung, die bis dahin immer noch nicht garantiert war. Für das Dritte Reich bedeutete der Abschluss des Konkordats einen internationalen Prestigegewinn und die Ausschaltung der Opposition von Seiten der kirchennahen Zentrumspartei. Ob Pius XI. und Pacelli dies um des Konkordats willen billigend in Kauf genommen haben, wird allenthalben diskutiert. Vielleicht ging es dabei aber auch um den internationalen Prestigegewinn des noch jungen Vatikanstaats, der nach den Lateranverträgen gerade erst wenige Jahre bestanden hatte.

Indessen ist aber deutlich geworden, dass Hitler und der Vatikan mit dem Konkordat zwei ganz verschiedene Zwecke verfolgten. Als Pius XII. gegen die Verfolgung der katholischen Kirche in Polen nach Kriegsbeginn protestierte, verstand die deutsche Reichsregierung dies als politisches Handeln und verbat sich den Protest. Für Pius indes stellte sein Protest die Verteidigung der Glaubensfreiheit dar. Beide, Reichsregierung und Pius, sahen die Grundlage ihrer Auffassung jeweils in eben diesem Konkordat.

Für den Heiligen Stuhl war Graf Preysing als vatikanischer Diplomat in dieser und auch der im nächsten Absatz angeschnittenen Frage wichtig. Die von Pius XI. im März 1937 publizierte Enzyklika Mit brennender Sorge war für ihn eine Wegmarke hin zu einer klaren Abgrenzung vom NS-Staat. Er fordert innerkirchlich eine öffentliche Gegenwehr und das Eintreten für die Menschenrechte.

Pius XII. und der Nationalsozialismus

Die Haltung Papst Pius XII. gegenüber dem Nationalsozialismus wird überaus kontrovers bewertet. Die bislang veröffentlichten Meinungen weichen auf denkbar größtmögliche Weise voneinander ab.

Bis heute wird diese Auseinandersetzung um die Person Pius XII. und sein Amt geführt. Eine endgültige Bewertung seiner Haltung im historischen Kontext ist schwierig, nicht zuletzt aufgrund der der Öffentlichkeit immer noch nicht zugänglichen vatikanischen Archive aus der Regierungszeit Pius XII.

Da die wissenschaftliche Aufarbeitung als noch nicht abgeschlossen bezeichnet werden muss, ist eine einheitliche enzyklopädische Darstellung nicht möglich. Daher werden Kritik und Verteidigung hier einander gegenübergestellt.

Darstellung der Kritik

Hochhuths „Der Stellvertreter“

1963 veröffentlichte Rolf Hochhuth das teilweise dokumentarische Drama „Der Stellvertreter“.

Das umstrittene Drama behandelt den erfolglosen Versuch des SS-Offiziers Kurt Gerstein, mit Unterstützung des (fiktiven) Jesuitenpaters Riccardo Fontana den damaligen Papst Pius XII. zu einem öffentlichen Protest gegen die Judenvernichtung zu veranlassen. Als detaillierte Augenzeugenberichte Kurt Gersteins aus den Konzentrationslagern zunächst beim päpstlichen Nuntius in Berlin, dann im Vatikan selbst die erhoffte Resonanz verfehlen, lässt Riccardo Fontana sich in einem Akt existenziellen Protests als „Stellvertreter“ eines Papstes, der sich seiner historischen Verantwortung entzieht, zusammen mit den Juden Roms nach Auschwitz deportieren.

Die zentralen Vorwürfe gegen die Haltung Pius XII., in denen Riccardo Fontanas Entschluss zum Martyrium manifest werden, lauten (IV. Akt):

„Gott soll die Kirche nicht verderben, nur weil ein Papst sich seinem Ruf entzieht.“
„Ein Stellvertreter Christi, der das vor Augen hat und dennoch schweigt, ein solcher Papst ist ein Verbrecher.“[2]

Beträchtliches Konfliktpotential bezieht Hochhuths Werk sowohl aus seinen kontroversen Thesen, darunter die Brandmarkung eines ökonomischen und antikommunistischen Kalküls des Papstes sowie die Übertragung der päpstlichen Stellvertreterfunktion auf den Märtyrer Riccardo Fontana, als auch aus der historischen Authentizität, die der Autor durch seine mehr oder weniger ausgiebige Recherchetätigkeit und die Darstellung von Personen der Zeitgeschichte beansprucht. Der Autor indes hat verschiedentlich eingeräumt, die wirkliche Verantwortung Pius XII. nie exakt recherchiert zu haben

Die Uraufführung löste kontroverse, bis heute andauernde Debatten aus und hatte entscheidenden Einfluss auf das Bild, welches sich Kritiker von Pius XII. während des Nationalsozialismus machten.

Entwicklung der Kritik nach 1963

Dem Papst wird im Zuge der allgemeinen Diskussion schuldhaftes Schweigen gegenüber den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, Duldung des Holocaust, teilweise sogar Komplizenschaft mit den Nationalsozialisten vorgeworfen. Er, der als ehemaliger Nuntius für Deutschland über Kontakte dorthin verfügte und über den Völkermord informiert gewesen sein muss, hätte Stellung beziehen müssen, da auch viele Katholiken und Nicht-Katholiken auf der ganzen Welt sich entschiedenere Äußerungen gewünscht hätten.

Eine andere Kritik an Pius XII. beinhaltet, erst sehr spät (nicht vor 1942) Kritik an der Behandlung der Juden in den besetzten Gebieten Osteuropas geübt zu haben, und dann auch lediglich durch verklausulierte Verurteilungen. Als die deutsche Wehrmacht 1943 Rom besetzte, habe der Papst selbst zur Deportation von Juden „vor der Haustür“[3] des Vatikans geschwiegen.

Im Zuge der allgemeinen Diskussion wird dem Papst eine antibolschewistische Haltung vorgeworfen, die ihn für die Gefahren des Nationalsozialismus blind oder gleichgültig gemacht habe.

Ausdehnung der Kritik auf Antisemitismus

Einer der prominentesten Vertreter der Piuskritiker ist John Cornwell (Cambridge) mit seiner Veröffentlichung „Pius XII. - Der Papst der geschwiegen hat“. Im englischen Original ist die Stoßrichtung des Buches noch weit schärfer formuliert: „Hitler's pope. The secret history of Pius XII.“ Cornwell geht inhaltlich weit über Hochhuths Kritik hinaus, da er nicht nur das Verhalten dieses einen Papstes massiv angreift, sondern auf eine Systemkritik gegenüber dem päpstlichen Zentralismus vom Ersten Vatikanischen Konzil bis zu Johannes Paul II. zielt. So lautet wohl die wichtigste These seines Buches:

„Wenn das Papsttum zu Lasten des Gottesvolkes zu stark wird, erleidet die katholische Kirche zum Schaden für uns alle einen Verlust an moralischer und spiritueller Kraft“[4]

Der Vatikan habe, um seinen Suprematieanspruch gegenüber den Ortskirchen durchzusetzen, auf Abmachungen mit den Staaten hingearbeitet, was zu den Konkordaten mit dem faschistischen Italien (1929) und NS-Deutschland (1933) geführt habe, um den Preis der Anerkennung dieser Regime und des Schweigens zu ihrer mörderischen Politik, insbesondere des Holocausts. So sei der päpstliche Zentralismus zu dem größten Steigbügelhalter der aufstrebenden Nationalsozialisten geworden. Im weiteren Verlauf dieses Buches wird Pius XII. neben der Mitschuld am 1. Weltkrieg (sic!) geistige Nähe zu den Nationalsozialisten, Rassismus, Antisemitismus[5] und billigende Inkaufnahme der Deportation insbesondere der römischen Juden vorgeworfen.[6]

Nach seinem 1996 veröffentlichten Erfolgsbuch „Hitlers willige Vollstrecker“ brachte der amerikanische Autor Daniel Jonah Goldhagen eine neue Studie auf den deutschsprachigen Markt[7]. Es handelt sich um eine massive Anklage über das Verhalten der Kirche gegenüber den Juden im Verlaufe der letzten zwei Jahrtausende, insbesondere aber über ihre „antisemitische“ Haltung im 20. Jahrhundert.

Darstellung der verteidigenden Ansicht

Eintreten für die Verfolgten trotz verbaler Zurückhaltung

Die Verteidiger Pius XII. differenzieren zwischen schuldhaftem Schweigen und verbaler Zurückhaltung. Letzteres wird im Falle Pius XII. auch von seinen Verteidigern nicht bestritten. Dem Vorwurf des schuldhaften Schweigens jedoch wird mitunter vehement entgegengetreten. Damit zusammenhängend wird insbesondere bezweifelt, dass der Grund für seine verbale Zurückhaltung übertriebene Furcht vor dem Kommunismus, falsch verstandene Deutschfreundlichkeit oder gar geistige Nähe zum Nationalsozialismus gewesen sein soll. Eugenio Pacelli schrieb bereits im Jahre 1929 (!) über Adolf Hitler:

„Ich müsste mich sehr, sehr täuschen, wenn dies hier ein gutes Ende nehmen sollte. Dieser Mensch ist völlig von sich selbst besessen, alles, was ihm nicht dient, verwirft er, was er sagt und schreibt, trägt den Stempel seiner Selbstsucht, dieser Mensch geht über Leichen und tritt nieder, was ihm im Weg ist - ich kann nur nicht begreifen, dass selbst so viele von den Besten in Deutschland dies nicht sehen, oder wenigstens aus dem, was er schreibt und sagt, eine Lehre ziehen - wer von all diesen hat überhaupt das haarsträubende Buch "Mein Kampf" gelesen?[8]

In diesem Zusammenhang wird angeführt, dass Pius XII. am Zustandekommen der EnzyklikaMit brennender Sorge“ seines Vorgängers Pius XI. - durchaus im Sinne einer geistigen Urheberschaft - beteiligt war. Unter Berufung auf die im Original erhaltenen Minuten, die die Handschrift Pacellis tragen, wird den Kritikern entgegengehalten, dass er einen zunächst sehr verhaltenen Entwurf, der der Deutschen Bischofskonferenz entstammte, in seinen antinationalsozialistischen Formulierungen sogar noch wesentlich verschärft habe. Auch habe er zusammen mit Pius XI. 1938 den Begriff des „Im-geistigen-Sinne-Semit-Seins“ der Christen geprägt.

Zudem wird geltend gemacht, dass Pius XII. die klaren Verurteilungen des Nationalsozialismus durch seinen Vorgänger Pius XI. in keiner Form widerrufen, relativiert oder neu interpretiert habe. Den diesbezüglichen kirchlichen Lehrschreiben seines Vorgängers wird heute noch bindender Charakter, durchaus im Sinne eines Dogmas, zugesprochen, weswegen Pius XII. keinen Anlass gehabt habe, in dieser Frage eine weitere Grundsatzentscheidung herbeizuführen.

Dem Vorwurf seiner Deutschfreundlichkeit wird mit dem Argument entgegengetreten, dass er in seiner Antrittsenzyklika „Summi Pontificatus“ (1939) den deutschen Angriff auf Polen in ungewöhnlich deutlicher und scharfer Form verurteilt habe.

Auf Anweisung des Papstes vom 19. Januar 1940 sendete Radio Vatikan am 21. Januar 1940[9]:

„Die Bedingungen des religiösen, politischen und wirtschaftlichen Lebens haben das edle polnische Volk, insbesondere in den von den Deutschen besetzten Gebieten, in einen Zustand von Terror, Abstumpfung und, wir möchten sogar sagen: von Barberei versetzt (...) Die Deutschen benutzen dieselben Mittel und vielleicht noch schlimmere als die Sowjets.“

Cornwells und Goldhagens Behauptungen, dass Antibolschewismus und sogar ein latenter Antisemitismus die leitenden Motive seiner verbalen Zurückhaltung gewesen sein sollen, wird unter Nennung folgender Quellen entgegengetreten:

Am 11. Mai 1940 (einen Tag, nachdem er Sympathietelegramme an die Monarchen der Beneluxstaaten wegen des deutschen Angriffs auf ihre Länder geschickt hatte) notierte Pius XII. für seine Mitarbeiter den Inhalt eines Gespräches, das er mit dem aus Warschau nach Italien zurückgekehrten italienischen Konsul geführt hatte:

„Er [der Konsul] bestätigte - in voller Übereinstimmung mit seiner Gattin -, daß es unmöglich ist, sich die Grausamkeit und den Sadismus vorzustellen, mit denen die Deutschen oder, besser gesagt, die Gestapo - geführt von Himmler, einem wirklichen Verbrecher, und zusammengesetzt aus widerlichen Individuen - das polnische Volk quälen und es zu zerstören versuchen.“[10]

Zwei Tage später verteidigte der Papst gegenüber dem italienischen Botschafter Alfieri seine Sympathietelegramme und ging dann auf die Lage in Polen ein:

„Sie (die Italiener) kennen genau und vollständig die fürchterlichen Dinge, die in Polen geschehen. Wir müssten feurige Proteste dagegen erheben, und das einzige, was Uns davon abhält, ist das Wissen, dass Unser Sprechen den Zustand dieser Unglücklichen nur noch verschlimmern würde.“[11]

Auch gegen die durch die Nationalsozialisten betriebene Praxis der Euthanasie bezog Pius XII. Stellung. Auf Veranlassung Pius' dekretierte 1940 das Hl. Offizium, dass die Euthanasie gegen das Tötungsverbot des Dekalogs verstoße und mit dem Christentum unvereinbar sei[12]. Er bereitete damit den drei Predigten des Clemens August Graf von Galen 1941 den Boden.

Pius' Verteidiger verweisen auch auf seine Weihnachtsansprachen 1941 und 1942. Insbesondere in seiner Weihnachtsansprache 1942[13] bekundete er seiner Sorge um die

„... Hunderttausende, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind...“[14]

und sprach damit - aus seiner Sicht erkennbar - die Nationalsozialisten und ihre Opfer, allen voran die Juden, an. Aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Greueltaten der Nationalsozialisten machte er auch vor seinen Kardinälen keinen Hehl, indem er hinwies auf die:

„ ... Bitten derjenigen, die sich mit angsterfülltem Herzen flehend an Uns wenden. Es sind dies diejenigen, die wegen ihrer Nationalität oder wegen ihrer Rasse von größerem Unheil und schwereren Schmerzen gequält werden und die auch ohne eigene Schuld bisweilen Einschränkungen unterworfen sind, die ihre Ausrottung bedeuten.[15]

Anhand der Reaktionen in aller Welt, allen voran der New York Times, konnte Pius XII. davon ausgehen, dass seine Botschaft angekommen sei. Die Wahrnehmung der westlichen Presse in den Kriegsjahren über Pius XII. war das genaue Gegenteil von dem, was seine Kritiker ihm ab 1963 vorwarfen: Die New York Times berichtete 1940 von einer Audienz des deutschen Außenministers Joachim von Ribbentrop, bei der der Außenminister dem Papst vorwarf, auf der Seite der Alliierten zu stehen, und Pius XII. mit einer Liste von nationalsozialistischen Grausamkeiten antwortete:[16]

“In den flammenden Worten, mit denen sich der Papst an Herrn von Ribbentrop richtete, verteidigte der Heilige Vater die Juden in Deutschland und Polen.[17]

Auf seine Weihnachtsansprache 1941 reagierte die New York Times:

„Die Stimme von Pius XII. ist eine einsame Stimme im Schweigen und in der Dunkelheit, welche Europa an dieser Weihnacht umfangen. Er ist so ziemlich der einzige Regierende auf dem europäischen Kontinent, der es überhaupt wagt, seine Stimme zu erheben. […] Indem er eine »wirklich neue Ordnung« forderte, stellte sich der Papst dem Hitlerismus in die Quere. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Ziele der Nazis mit seiner Auffassung vom Frieden Christi unvereinbar sind.“[18]

Ebenso schrieb die New York Times 1942:

„In dieser Weihnacht ist er [der Papst] mehr denn je die einsame aufbegehrende Stimme im Schweigen eines Kontinents... Papst Pius drückt sich so leidenschaftlich aus wie jeder Regierende an unserer Seite, indem er ausführt, dass diejenigen, die an einer neuen Weltordnung bauen wollen, für die freie Wahl einer Regierung und der Religion eintreten müssten. Sie müssten sich dagegen wehren, dass der Staat aus Individuen eine Herde mache, über die er dann verfüge wie über leblose Dinge.“ [19]

Auch in seiner Korrespondenz mit den deutschen Bischöfen mache Pius deutlich, dass er den wahren Inhalt seiner Weihnachtsbotschaft wohlverstanden wusste:

„Zu dem, was im deutschen Machtraum zurzeit gegen die Nichtarier vor sich geht, haben Wir in Unserer Weihnachtsbotschaft ein Wort gesagt. Es war kurz, wurde aber gut verstanden.“[20]

Allein die Regierungen der USA und Großbritanniens hätten sich, das geht aus der Korrespondenz Franklin Delano Roosevelts mit seinem persönlichen Botschafter Myron Taylor und dessen Mitarbeiter Harold Tittmann hervor, vom Papst eine noch deutlichere Äußerung gewünscht. Daran erweist sich, dass der Vatikan und die westlichen Regierungen in regem Kontakt standen und sich im Prinzip über die Verurteilung der Nationalsozialisten einig waren. Der Natur der Sache entsprechend gingen dabei die Vorstellungen der Kriegsverbündeten USA und Großbritannien weit über die des militärisch neutralen Vatikan hinaus. So führte der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Sir Osborne, aus:

„...dass eine solch umfassende Verurteilung, die ebensogut das Bombardement deutscher Städte gemeint haben könnte, nicht dem entspricht, was die englische Regierung erbeten hat.“[21]

F.D. Roosevelts Sonderbotschafter berichtete von einem sichtlich erstaunten Papst, der der Meinung war, sich als Oberhaupt eines militärisch neutralen Staates nun wirklich nicht deutlicher ausgedrückt haben zu können.

„Was die Weihnachtsbotschaft anbelangt, so machte der Papst mir den Eindruck, daß er aufrichtig glaubt, er habe sich klar genug geäußert, um alle, die im Vergangenen darauf bestanden, er solle einige Worte zur Verurteilung der nationalsozialistischen Grausamkeiten sagen, zufriedenzustellen. Er schien überrascht, als ich ihm sagte, nicht alle Leute seien derselben Ansicht. Er sagte mir, seines Erachtens sei es für alle Welt klar, daß er die Polen, die Juden und die Geiseln meinte, als er von Hunderttausenden von Menschen sprach, die man getötet oder gefoltert habe, ohne ihnen irgendwelche Schuld beimessen zu können, ja manchmal nur auf Grund ihrer Rasse oder ihrer Nationalität. (...) Im großen und ganzen meinte er, seine Botschaft müsse vom amerikanischen Volk gut aufgenommen werden, und ich sagte ihm, ich stimmte mit ihm überein.“[22]

Vollumfänglich verstanden wurde Pius indes ausgerechnet von den Nationalsozialisten. Der Deutsche Sicherheitsdienst brachte die Papstansprache auf den Nenner:

"... eine einzige Attacke gegen alles, für das wir einstehen. Der Papst sagt, dass Gott alle Völker und Rassen gleichwertig ansieht. Hier spricht er deutlich zugunsten der Juden... Er beschuldigt das deutsche Volk, Ungerechtigkeiten gegenüber den Juden zu begehen, und macht sich zum Sprecher der jüdischen Kriegsverbrecher."[23]

Außenminister von Ribbentrop befahl dem Gesandten beim Vatikan, Diego von Bergen, dem Vatikan als Reaktion auf die Weihnachtsansprache 1942 mit Vergeltungsmaßnahmen zu drohen. Der Gesandte, der dem Auftrag seines Berliner Vorgesetzten nachkam, berichtete, dass der Papst dem deutschen Gesandten zunächst schweigend zugehört habe. Dann habe er in aller Ruhe gesagt, ihn bekümmere nicht, was ihm zustoßen werde. Doch käme es zu einem Konflikt zwischen der Kirche und dem deutschen Staat, so würde der Staat den Kürzeren ziehen. Kommentar von Bergen:

„Der Papst ist so wenig durch Drohungen zu beeinflussen wie wir selbst.“[24]

Auch von den verfolgten Juden wurde die Botschaft Pius XII. seinerzeit deutlich verstanden:

„Das Volk von Israel wird nie vergessen, was seine Heiligkeit für unsere unglücklichen Brüder und Schwestern in dieser höchst tragischen Stunde unserer Geschichte tut. Das ist ein lebendiges Zeugnis der göttlichen Vorsehung in dieser Welt.“ -Yitzhak HaLevi Herzog am 28. Februar 1944[25]
„Der Heilige Stuhl bietet seine mächtige Hilfe überall an, wo es ihm möglich ist, das Los meiner verfolgten Religionsgenossen zu lindern.“ - Chaim Weizmann, 1943
„Die Stimme des Papstes war während der Nazizeit klar, und sie verteidigte die Opfer.“ Golda Meir, 1958

Die Verteidiger Pius XII. verweisen auch auf seine Eingaben bei der deutschen Reichsregierung, mit denen man, so sagte Ex-Außenminister Joachim von Ribbentrop während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, „ganze Registraturen füllen konnte“[26]. Auch bei der Vichy-Regierung Frankreichs machte er Eingaben im Sinne der Juden:

„Der vom Heiligen Stuhl bei der französischen Regierung unternommene Schritt zwecks Milderung der Maßnahmen gegen die Juden ist bisher ohne Ergebnis geblieben. Im Vatikan ist man nach wie vor durch die dort eingehenden Nachrichten sehr beeindruckt.“[27]

Die Times titelte:

„Papst setzt sich angeblich für Juden auf französischen Deportationslisten ein“[28]

Drei Wochen später berichtete die New York Times:

Vichy deportiert Juden. Papst Pius wurde ignoriert.[29]

Im Sinne der Juden entsandte Pius auch seinen Nuntius in Berlin, Msgr. Caesare Orsenigo, am 21. Juni 1943 direkt zu Hitler:

„In allerhöchstem Auftrag bin ich vor einigen Tagen nach Berchtesgaden geflogen. Ich wurde vom Führer und Kanzler Hitler empfangen, aber sobald ich das Thema Juden und Judentum . . . angeschnitten hatte, drehte sich Hitler ab, ging ans Fenster und trommelte mit den Fingern gegen die Scheibe. Sie können sich vorstellen, wie peinlich es mir war, im Rücken meines Gesprächspartners mein Vorhaben vorzutragen. Ich tat es trotzdem. Dann drehte sich plötzlich Hitler um, ging an einen Tisch, wo ein Glas Wasser stand, faßte es und schleuderte es wütend auf den Boden. Mit dieser hochdiplomatischen ... Geste durfte ich meine Mission als beendet und gleichzeitig leider als abgelehnt betrachten.“[30]

Ein weiteres Hauptargument der Verteidiger Pius XII. ist, dass er konkreten Anlass zu der Befürchtung haben musste, eine offene Verurteilung des Nationalsozialismus würde eine noch stärkere Kirchen- und Judenverfolgung nach sich ziehen und insbesondere die ohnehin schon bedrängten katholischen Priester und Gläubigen einer noch größeren Gefahr aussetzen. Diese Einschätzung Pius' deckt sich mit folgender Aussage Hitlers:

„Es scheint im Ausland in gewissen Kreisen die Meinung zu bestehen, daß die besonders laute Bekundung einer Sympathie für Elemente, die in Deutschland mit dem Gesetze in Konflikt geraten sind, eine Erleichterung ihrer Situation mit sich bringen könnte. Vielleicht hat man die Hoffnung, durch gewisse publizistische Methoden auf die deutsche Staatsführung in diesem Sinne einen terroristischen Einfluß ausüben zu können. Die Meinung beruht auf einem kapitalen Irrtum: In der Unterstützung gewisser gegen den Staat gerichteter Unternehmen durch das Ausland ersehen wir die letzte Bestätigung ihres hochverräterischen Charakters! ... Diese Unterstützung scheint also nur für jene bestimmt zu sein, die das Deutsche Reich zu zerstören beabsichtigen. Wir werden aus diesem Grund in ihr in jedem einzelnen Fall nur einen zwingenden Anlaß zu einer Verschärfung unserer Maßnahmen sehen.“[31]

Nach dem Überfall auf Polen hatten die Nationalsozialisten dort 3.642 Priester, 389 Kleriker, 341 einfache Brüder und 1.117 Nonnen in Konzentrationslager gesperrt, letztendlich wurden 4 Bischöfe, 1.996 Priester, 113 Kleriker und 238 Nonnen ermordet[32].

Pius konnte auch auf die Ereignisse in den Niederlanden verweisen. Dort hatten die katholischen Bischöfe gegen die bevorstehenden Deportationen protestiert, woraufhin die deutsche Besatzungsmacht Ende 1942 gezielt Juden katholischen Glaubens inhaftierte und deportierte. Seyss-Inquart bezeichnete die Deportation katholischer Juden in einer Stellungnahme vom 3. August als „Gegenmaßnahme gegen den Hirtenbrief vom 26. Juli“[33]. Unter den Deportierten befand sich auch Edith Stein, deren Wirken als jüdische Konvertitin, Karmeliterin und Philosophin Pius mit besonderer Anteilnahme verfolgt hatte. Die Nachricht von ihrer Deportation hatte ihn sehr getroffen. Pius musste daher eine Abwägung treffen. Diese Abwägung, so seine Verteidiger, habe kein geringeren Rang gehabt als den einer Gewissensentscheidung.

„Den an Ort und Stelle tätigen Oberhirten überlassen Wir es, abzuwägen, ob und bis zu welchem Grade die Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen und Druckmitteln im Falle bischöflicher Kundgebungen sowie andere vielleicht durch die Länge und Psychologie des Krieges verursachten Umstände es ratsam erscheinen lassen, trotz der angeführten Beweggründe, ad maiora mala vitanda (lat. Um Schlimmeres zu verhindern, Übers. d. Verf.) Zurückhaltung zu üben. Hier liegt einer der Gründe, warum Wir selber Uns in Unseren Kundgebungen Beschränkung auferlegen; die Erfahrung, die Wir im Jahre 1942 mit päpstlichen, von Uns aus für die Weitergabe an die Gläubigen freigestellten Schriftstücken[34] gemacht haben, rechtfertigt, soweit Wir sehen, Unsere Haltung.“[35]

Er unterließ es auch nicht, den Bischöfen in Deutschland Mut zuzusprechen, ihrerseits für die Menschlichkeit einzustehen und sich nicht durch den Gedanken an einen „Vaterlandsverrat“ davon abhalten zu lassen. Er wies sie sogar in einzelnen Fragen an, ihre Stimme zu erheben.[36] Hierdurch trat Pius XII. mehr oder weniger offen der auf Beschwichtigung und Nichtkonfrontation ausgerichteten Linie der deutschen Bischofskonferenz entgegen. Diese in der Deutschen Bischofskonferenz mehrheitlich vertretene Linie wurde vor allem durch ihren Vorsitzenden Kardinal Bertram, dem Erzbischof von Breslau, propagiert. Ihr entgegengetreten sind im Wesentlichen nur Clemens Graf von Galen, Konrad von Preysing und Kardinal Faulhaber[37].

„Man wende nicht ein, daß bischöfliche Kundgebungen, die mutvoll der eigenen Regierung gegenüber für die Rechte der Religion, der Kirche, der menschlichen Persönlichkeit, für Schutzlose, von der öffentlichen Macht Vergewaltigte eintreten, gleichviel ob die Betroffenen Kinder der Kirche oder Außenstehende sind - daß solche Kundgebungen eurem Vaterland in der Weltöffentlichkeit schaden. Jenes mutvolle Eintreten für Recht und Menschlichkeit stellt euer Vaterland nicht bloß, wird euch und ihm vielmehr in der Weltöffentlichkeit Achtung schaffen und kann sich in Zukunft sehr zu seinem Besten auswirken. (...) Es hat Uns, um ein naheliegendes Beispiel zu nehmen, getröstet, zu hören, daß die Katholiken, gerade auch die Berliner Katholiken, den sogenannten Nichtariern in ihrer Bedrängnis viel Liebe entgegengebracht haben, und Wir sagen in diesem Zusammenhang ein besonderes Wort väterlicher Anerkennung wie innigen Mitgefühls dem in Gefangenschaft befindlichen Prälaten Lichtenberg.[38]

Robert Graham, einer der vier Herausgeber der „Actes et documents“ beschreibt das Gefühl von Papst Pius XII. zu den Judenvernichtungen in Polen:

„Es war nicht Mangel an Mitgefühl oder an Wissen, sondern die Gegenwart der Gewalt, rücksichtsloser Gewalt, die seinen Mund verschloss. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine formelle Verurteilung der Nazi-Greueltaten durch den Papst die Lage der Opfer erleichtert hätte, war sehr gering; dagegen war es möglich, dass ein so gezeigtes Interesse des Papstes noch größere Grausamkeiten verursacht hätte. Dafür hätte man dann den Papst verantwortlich gemacht...“[39]

Das Schicksal der römischen Juden

Der Kritik zum Schweigen des Papstes insbesondere angesichts der Deportation der römischen Juden wird entgegnet, dass Pius XII. unverzüglich nach Beginn der Deportationen vehemente Eingaben beim Deutschen Botschafter im Vatikan, Ernst von Weizsäcker, gemacht habe.

Unter dem umfangreichen Quellenmaterial, das bei Dalin[40] angeführt wird, befindet sich auch das Zeugnis der katholischen Prinzessin Enza Aragona Cortes. Sie und andere bezeugen, dass der damalige Papst seinen Staatssektetär, Kardinal Luigi Maglione, angewiesen habe, beim deutschen Botschafter im Vatikan, Ernst von Weizsäcker, Beschwerde einzulegen. Nach Worten Tenembaums habe der Kardinal diesem Auftrag Folge geleistet und den Botschafter aufgefordert:

„Versuchen Sie, die Unschuldigen zu retten, die darunter leiden, einer bestimmten Rasse anzugehören.“

Auf diese Bitte hin habe der deutsche Botschafter in Berlin darauf hingewirkt, die Deportation zu stoppen. Pius XII. habe daraufhin seinerseits die Anweisung gegeben, die Pforten des Vatikans zu öffnen, um den Juden Roms Unterschlupf zu gewähren.

Pius XII. - das ist anhand des römischen Salvatorianerarchivs nachweisbar[41] - agierte nicht nur durch diplomatische Eingaben, sondern ebenso durch die Hilfe des deutschen Salvatorianerpaters Pankratius Pfeiffer. Pater Pfeiffer verfügte über gute persönliche Kontakte zu katholischen Angehörigen der Wehrmacht und der SS, die er erfolgreich im Sinne der Verfolgten nutzbar machen konnte.

Nachdem in Rom die Judendeportationen angefangen hatten, benutzte Pius XII. eine Verbindung über Pfeiffer und dem Stadtkommandanten Roms direkt zu Himmler. An Himmler sollte in beeinflussender Weise berichtet werden, dass Neapel kurz zuvor durch die Mithilfe Aufständischer an die Alliierten gefallen sei. Das gleiche drohe Rom, wenn die Deportationen nicht unmittelbar eingestellt würden, die Stimmung in der Stadt ginge in Richtung eines Aufstandes, der durch die deutschen Truppen nur schwer unter Kontrolle zu bringen wäre. Zusammen mit dem Wirken v. Weizsäckers führte dies dazu, dass Himmler daraufhin widerwillig seine Schergen mit der vorübergehenden Einstellung der Deportationen der römischen Juden beordern musste. Dieselbe Verbindung über Pankratius Pfeiffer benutzten dann – in die andere Richtung – auch die deutschen Besatzer Roms anlässlich der Verhandlungen über die Übergabe der Stadt an die Alliierten, und trugen so Pius den Wunsch an, diese Verhandlungen zu initiieren. Pius erklärte sich dazu bereit, indes forderte er von den Besatzern als Zeichen guten Willens, namhafte Gefangene freizulassen sowie die Deportationen einzustellen.

Während der deutschen Besatzung Roms wirkte Pius durch Pfeiffer, indem er ihm direkte Order erteilte, für wen er sich im Einzelnen bei der Besatzung bzw. bei der SS einzusetzen habe. Auf diese Weise konnten viele Menschen befreit werden, die sich bereits im Gewahrsam der Besatzer befanden, darunter Kommunisten, Royalisten und auch Juden. Bei dem alsbald als „Engel von Rom“ stadtbekannten Pankratius Pfeiffer machten viele italienische Familien Eingaben im Sinne ihrer gefangenen Angehörigen, 90 Prozent der später als „Pfeiffers Liste“ bekannt gewordenen Initiativen gehen auf direkte Order Pius XII. zurück.

In der Folgezeit sind auf Befehl Papst Pius XII. in 150 Kirchen Roms Juden versteckt worden. Im Geheimen ließ Pius rund 4500 Juden in Klöstern und Häusern in und um Rom dauerhaft verstecken. In Castel Gandolfo fanden zeitweise bis zu 8000 Flüchtlinge Unterschlupf, von denen ein Teil Bombenflüchtlinge waren, aber auch Kommunisten und Juden waren unter ihnen. Wo überall sonst in Europa 80 % der Juden umkamen, sind in Rom 80% der Juden gerettet worden. In Erinnerung an diesen Umstand hatten die Juden Roms nach dem Krieg an der ehem. SS-Kommandantur in Rom eine Gedenktafel angebracht, die auch heute noch auf diesen Umstand des helfenden Einschreitens Pius XII. hinweist.

Als die Judenverfolgung in Europa ihren Höhepunkt erreichte, war Pius XII. selbst Gefangener im Vatikan. Rom war von deutschen Truppen besetzt, und Hitler plante sogar, Pius XII. wegen seiner Aktivitäten gegen die Nationalsozialisten zu entführen und nach Deutschland zu deportieren[42]. Der Papst hatte für diesen Fall bereits einen schriftlichen Amtsverzicht vorbereitet. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass allzu offene, ggf. reißerisch im Stile eines Winston Churchill formulierte kritische Äußerungen des Papstes für Hitler ein willkommener Vorwand für den offenen, direkten Angriff auf den Vatikan gewesen wären und somit nicht nur den Papst, sondern alle dort untergebrachten Verfolgten gefährdet hätte.

David G. Dalin, Professor für Geschichte und Politikwissenschaften an der „Ave Maria University“ im US-Bundesstaat Florida, vertritt die Auffassung, dass Pius XII. den jüdischen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ erhalten sollte, weil er Hunderttausende von Juden vor dem Tod im Konzentrationslager gerettet habe. Das erklärt er in seinem Buch „The Myth of Hitler’s Pope“ (Der Mythos vom Hitler-Papst), das im August 2005 im amerikanischen Verlag „Regnery“ veröffentlicht wurde. Dalin zitiert in seinem Werk auch das Dankschreiben der langjährigen israelischen Aussenministerin und späteren Premierministerin Golda Meir (1898 bis 1978) anlässlich des Todes von Pius XII. im Jahr 1958. Dort heißt es:

„Wir trauern. Wir haben einen Diener des Friedens verloren. Die Stimme des Papstes war während der Nazizeit klar, und sie verteidigte die Opfer.“

Vatikanische Hilfe außerhalb Roms

Im Hintergrund wirkte die Kirche durch Taufen, Fälschung von Ausweisen und Asyl in katholischen Einrichtungen und konnte so Menschenleben retten. Der jüdische Theologe und Historiker Pinchas Lapide schätzt, dass die katholische Kirche mindestens 700.000, wahrscheinlich aber sogar 860.000 Juden vor dem sicheren Tod rettete.[43] In Anbetracht von etwa 1.000.000 jüdischen Holocaustüberlebenden erscheinen diese Zahlen sehr hoch, da viele Juden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland fliehen konnten und auch in anderer Form als durch kirchliche Hilfe überlebten.[44]

Intervention zugunsten der slowakischen Juden

Im Frühjahr 1943 verhinderte Pius XII auf diplomatischem Wege, dass die slowakische Regierung die Judendeportationen fortsetzte. Dieser Schritt wird vereinzelt kritisch beurteilt mit der Begründung, dass er angeblich in erster Linie dem Ansehen der Kirche habe helfen sollen. Denn in der Slowakei bekleidete der Priester Jozef Tiso das Amt des Präsidenten, und auch weitere hohe Staatsämter wurden von Geistlichen ausgeübt. Der „Außenminister“ des Vatikan, Domenico Tardini, stellte fest, dass die slowakische Beteiligung an den Judendeportationen dem Ansehen der Kirche massiv schaden könnte. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Juden nach Kriegsende auf Seiten der Sieger stehen würden, habe der Papst sodann zum Handeln geraten. Eine andere Sicht der Dinge lässt auch den Schluss zu, dass Pius XII. es in diesem Einzelfall besonders leicht hatte, da der Präsident der Slowakei ein Priester war. Weitere diplomatische Eingaben ähnlicher Intention an andere Regierungen hatten nicht den gleichen Erfolg.

Begrenzte Möglichkeiten zugunsten der polnischen Juden

Des weiteren wird angeführt, dass der Vatikan sich weigerte, die deutschen Eroberungen und Annexionen in Polen anzuerkennen, solange nicht entsprechende Friedensverträge unterzeichnet seien. Hitler antwortete damit, dass er das Reichskonkordat fortan ausschließlich auf das Gebiet des Altreichs anwendete. Dies bedeutete eine Einengung des Zuständigkeitsbereichs des vatikanischen Nuntius in Deutschland auf ebendieses Gebiet. Wenn der Vatikan die deutsche Anwesenheit in diesen besetzten und eroberten Gebiete nicht anerkennt, dann anerkennt Deutschland auch nicht das Recht des Hl. Stuhles, mit ihm irgendein diesen Raum betreffendes Problem zu erörtern[45]. So wurde in den deutsch besetzten Gebieten durch die Reichsregierung ein vertragsloser Zustand eingerichtet[46]. Von diesem Moment an hatte das deutsche Außenministerium einen leichten Vorwand, die Appelle und Proteste des Hl. Stuhles, die sich auf Vorkommnisse in jenen Gebieten bezogen, abzuweisen. Eingaben diesen Inhalts wurden den jeweiligen Überbringern urschriftlich zurückgegeben[47] oder blieben in den Registerschränken des Auswärtigen Amts liegen[48].

Zudem waren allein in Polen etwa 2000 Priester und Ordensleute, darunter 4 Bischöfe,[49] ermordet worden. Die Struktur der Katholischen Kirche in Polen war nachhaltig zerstört. Alles, was verblieben war, erlaubte keine zentral gesteuerten Maßnahmen[50]. Vatikanischer Diplomatenverkehr in das sog. Generalgouvernement war aufgrund der genannten Haltung der Reichsregierung nur höchst eingeschränkt möglich. Ab Mitte 1943 bestand praktisch kein Kontakt des Vatikans zur polnischen Kirche mehr. [51]

Billigung US-amerikanischer Hilfe für die Sowjetunion

Angesichts des deutschen Einmarsches in die Sowjetunion 1941 interpretierte Pius XII. die Enzyklika „Divini Redemptoris“ seines Vorgängers Pius XI. neu. Diese hatte den Katholiken eine Zusammenarbeit mit dem Kommunismus untersagt. In der neuen Deutung wurde allerdings zwischen einem Volk und seiner jeweiligen Regierung unterschieden. Diese neue Interpretation ließ Pius XII. über diplomatische Kanäle den amerikanischen Bischöfen übermitteln. Diese hatten eine Hilfe der USA für die bedrängte Sowjetunion stets abgelehnt. Daraufhin unterstützten die Bischöfe die amerikanischen Waffen- und Ausrüstungslieferungen. Ein internes Dokument[52] enthüllt die Hoffnungen, die man sich diesbezüglich im Vatikan machte. Kurz nach dem Beginn des Überfalls wurde damit gerechnet, dass Hitler Stalin schnell bezwingen könnte, da die Blitzkriegtaktik erneut aufzugehen schien. Eine solche Entwicklung konnte für die Kirche nichts Gutes bedeuten, da der Nationalsozialismus nach dem Endsieg das Christentum verdrängen wollte. Einer Beeinflussung des Krieges zugunsten Stalins stand man ebenfalls skeptisch gegenüber, denn auch von diesem war eine Kirchenverfolgung zu erwarten, wenn er weitere europäische Länder unter seine Kontrolle bringen würde. Die im Vatikan erhoffte Entwicklung bestand darin, dass die amerikanische Waffenhilfe für Stalin nur so zaghaft ausfiel, dass sowohl das deutsche Reich wie auch die Sowjetunion ihre Kräfte in einem langen Krieg erschöpfen würden. Der Kommunismus sollte besiegt werden, der Nationalsozialismus stark geschwächt aus der Auseinandersetzung hervorgehen und sodann „zur Strecke gebracht werden“[53].

Kritik an den Methoden der Piuskritiker

Gegen Goldhagen wird ins Feld geführt, er sei kein Historiker, habe darüber nicht eigenständig geforscht und habe in seiner Ausarbeitung die grundlegenden Arbeiten der Geschichtswissenschaft zum 20. Jahrhundert im Wesentlichen außer Acht gelassen.

Gegen Cornwell werden Quellen-Übersetzungsfehler schwerster Art ins Feld geführt, die sich im Zuge der Übersetzung seines Werkes in die deutsche Sprache sogar noch potenziert haben. Auch Cornwell habe seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts überall einsehbare Primärquellen schlicht außer Acht gelassen. Dies habe im Ergebnis derart unglaubliche Folgerungen bewirkt wie die These, Pius XII. habe Schuld am Ersten Weltkrieg. Historiker sehen den Grund für derart überzogene Kritik in einem erstarkenden Antikatholizismus.

Neuere Entwicklungen zur historischen Bewertung Pius XII.

Im April 2007 kam es zu Irritationen in den Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel wegen einer Bildunterschrift unter dem Porträt von Pius XII. in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Dort steht, dass die Haltung von Papst Pius XII. zur Judenvernichtung unter Historikern umstritten ist. Dies fasste der apostolische Nuntius in Jerusalem als Beleidigung für die gesamte katholische Kirche auf und boykottierte deshalb die Teilnahme am Holocaustgedenktag[54].

Der israelische Botschafter am Heiligen Stuhl, Oded Ben-Hur erklärte, dass die endgültige Rolle des Papstes in der NS-Zeit nur durch die Öffnung der gesperrten Akten des vatikanischen Geheimarchivs ans Licht kommen kann.[55]

In der Januar-Ausgabe des konservativen US-Magazins National Review erzählte Ioan Mihai Pacepa, ehemaliger rumänischer Securitate-General und der höchstrangige jemals in die USA übergelaufene Geheimdienstmitarbeiter des früheren „Ostblocks“, unter dem Titel „Moskaus Anschlag auf den Vatikan“ eine „Geschichte, die nie zuvor erzählt wurde“.

Von 1960 bis 1962 habe er als rumänischer Verbindungsmann in einer KGB-Operation namens „Seat 12“ gedient, schreibt Pacepa. Deren Ziel sei es gewesen, die moralische Autorität des Vatikans in Westeuropa zu untergraben. Nach dem Motto „Tote können sich nicht verteidigen“ sollte Pius XII. als „kalter Nazisympathisant“ porträtiert werden. Dafür sollten Akten aus dem Vatikan „leicht verändert“ und „ins rechte Licht gerückt“ geeigneten Personen im Westen in die Hände gespielt werden. Unter einem Vorwand habe man daher um Zugang zu den Vatikanischen Archiven ersucht und bis 1962 hunderte Fotografien von Dokumenten hinausgeschleust, freilich nichts wirklich Belastendes gefunden. 1963 dann habe der damalige Chef der KGB-Propagandaabteilung, Ivan Agayants, ihm berichtet, dass die Operation „Seat 12“ sich erfolgreich in einem Theaterstück namens „Der Stellvertreter“ niedergeschlagen habe. Tatsächlich hat dann das Bühnenstück „Der Stellvertreter“ im jährlichen Pflichtprogramm einer jeden Bühne im Ostblock gestanden.

Diese neuere Entwicklung wird jedoch überwiegend sehr zurückhaltend bewertet.

Fazit und Ausblick

Der Streit zwischen Verteidigern und Anklägern Pius XII. wird wohl auch zukünftig um die Fragen geführt werden, ob der Papst seinen moralischen Standpunkt gegen die Nationalsozialisten noch deutlicher hätte publik machen müssen, und ob er in der Rolle des Verantwortungsträgers tatsächlich mehr Menschenleben hätte retten können.

Pius XII. hat sich - auch kraft seines diplomatisch-staatsmännischen Selbstverständnisses - bewusst dafür entschieden, den Verhandlungsweg offen zu lassen und pragmatische Erwägungen einer symbolhaften Geste vorzuziehen. Ob dieser Weg richtig war, ist letztlich Ansichtssache. Für Pius war dieser Weg nicht einfach, jedoch erklärtermaßen eine Gewissensentscheidung.

Ob offener Widerspruch mehr Leben gerettet hätte, ist auch eine sehr hypothetische Fragestellung, die einer zufriedenstellenden Antwort kaum zugänglich sein dürfte. Obwohl die eigentlichen Verbrecher bei den Nationalsozialisten, der SS und ihrem Gefolge zu suchen sind und obwohl Pius nicht einmal in der Lage war, seine eigenen Priester und Ordensleute wirksam zu schützen, lässt sich im Nachhinein gut diskutieren, ob Pius' Einschätzung, offener Protest würde das Leiden der Verfolgten erheblich verschlimmern, womöglich etwas zu pessimistisch war.

Die ihm nachgesagte geistige Nähe zum Nationalsozialismus ist vor dem Hintergrund der hier aufgeführten Zitate eher fernliegend.

Die Rattenlinie

Hauptartikel: Rattenlinie

Nach dem Untergang des nationalsozialistischen Regimes waren kirchliche Stellen an der Fluchthilfe für Naziverbrecher, der sog. Rattenlinie, beteiligt. Nazi-Größen wie Adolf Eichmann oder Josef Mengele verließen Italien mit Pässen und Visa, an deren Beschaffung und Herstellung unter anderem auch päpstliche Behörden beteiligt waren. Es ist allerdings umstritten, ob es sich um zusammenhanglose Handlungen einzelner Personen wie etwa dem Bischof Alois Hudal handelte, oder um eine organisierte Aktion, und wieviel Papst Pius XII. über diese Vorgänge wusste.

Literatur

siehe auch

Quellen

  1. Palestine Post (Jerusalem) vom 6. März 1939 und Jewish Chronicle (London) vom 10. März 1939
  2. Der Stellvertreter, S. 83
  3. Susan Zuchoti: Under His very Windows
  4. (S. 429).
  5. S. 101
  6. S.369
  7. Daniel Jonah Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne, Siedler Verlag, Berlin 2002
  8. Aus einer 1929 an die deutschen Bischöfe gerichteten Ansprache anläßlich seiner Verabschiedung als apostolischer Nuntius in Deutschland
  9. Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 74
  10. Actes et documents du Saint-Siège relatifs à la seconde Guerre Mondiale, Bd. 3/1 Nr. 138
  11. Actes et documents du Saint-Siège relatifs à la seconde Guerre Mondiale, Bd. 1 Nr. 313
  12. Dekret des Heiligen Offiziums, 2. Dezember 1940; Acta Ap. Sedis, vol. XXXII (1940) 553-554.
  13. Discorsi e radiomessaggi di S.S. Pio XII, Bd. 4, Città del Vaticano 1960
  14. Discorsi e radiomessaggi di S.S. Pio XII, Bd. 4, Città del Vaticano 1960
  15. Ansprache an das Kardinalskollegium vom 2. Juni 1943; Acta Apostolicae Sedis, vol. XXXV S. 165 ff.
  16. The New York Times, 14.03.1940
  17. The New York Times, 14.03.1940
  18. New York Times, 25.12.1941 (Spätausgabe), Seite 24.
  19. New York Times, 25.12.1942 (Spätausgabe), Seite 16.
  20. Brief Pius XII. vom 30. April 1943 an den Berliner Bischof Graf von Preysing, veröffentlicht in „Documentation catholique“ vom 2. Februar 1964.
  21. Dokument CCXVIII-78 des Centre de Documentation juive contemporaine.
  22. Telegramm von Harold Tittmann an das State Department vom 5. Januar 1943; Foreign Relations of the United States 1943 II, S. 911 ff
  23. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Inland I D/Kirche 17/9 (R 98833); Teil-Abdruck (mit falschem Datum) bei Anthony Rhodes, Der Papst und die Diktatoren. Köln u.a. 1980 (zuerst engl. 1975), S. 233-235.
  24. Zitiert nach: Victor Conzemius, Schreien oder Schweigen? ­ Das Dilemma eines Papstes, in: Vaterland Nr. 209, 9. September 1988.
  25. Actes et documents du Saint-Siège relatifs à la seconde Guerre Mondiale, Bd. X, Seite 292.
  26. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Amtlicher Text in deutscher Sprache, Bd. X, S. 162
  27. Telegramm Nr. 232 vom 14. September 1942 des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl, von Bergen, zitiert nach Saul Friedländer, Pius XII. und das Dritte Reich, S. 84 f.
  28. New York Times, 06.Aug.1942
  29. New York Times, 27. Aug. 1942
  30. Erklärung Msgr. Orsenigos gegenüber Professor Edoardo Senatra wenige Tage nach der Intervention. Die Erklärung wurde wiedergegeben im Petrus Blatt, dem Organ der Diözese Berlin, vom 7. April 1963, dort mit dem offensichtlich falschen Datum November 1943 (zu der Zeit war Hitler auf der Wolfsschanze und nicht in Berchtesgaden). http://www.catholicculture.org/library/view.cfm?recnum=1438 nennt den 21. Juni 1943.
  31. Rede vor dem Reichstag am 30.01.1939
  32. Blet, Aus den Akten des Vatikans S. 70
  33. Zitiert nach: Schmid: Papst Pius XII. begegnen, Augsburg, 2001, Seite 96
  34. Pius XII. meinte hiermit den Protest der niederländischen Bischöfe, die ihrerseits in dem Protestschreiben bekundet hatten, auf Weisung des Papstes zu handeln.
  35. Brief Pius XII. vom 30. April 1943 an den Berliner Bischof Graf von Preysing, veröffentlicht in „Documentation catholique“ vom 2. Februar 1964.
  36. Brief Pius XII. vom 30. April 1943 an den Berliner Bischof Graf von Preysing, veröffentlicht in „Documentation catholique“ vom 2. Februar 1964.
  37. Antonia Leugers in: Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens. Der Ausschuß für Ordensangelegenheiten und seine Widerstandskonzeption 1941-1945, Frankfurt am Main (Knecht) 1996
  38. Brief Pius XII. vom 30. April 1943 an den Berliner Bischof Graf von Preysing, veröffentlicht in „Documentation catholique“ vom 2. Februar 1964.
  39. Robert Graham, Papst Pius XII. und seine Haltung zu den Kriegsmächten, in: Pius XII. zum Gedenken, Schambeck, Berlin 1977, 157.
  40. Rabbi David G. Dalin: The Myth of Hitler's Pope
  41. http://www.radiovaticana.org/tedesco/tedarchi/2005/Mai05/ted12.05.05.htm#schlagzeile3
  42. International Express, African Edition, vom 29. Mai 2007; Dan Kurzman: A Special Mission, Hitler's secret Plot to seize the Vatican An Kidnap Pope Pius XII
  43. Kath.net: Rolf Hochhuth lobt Holocaust-Leugner David Irving 18. Februar 2005
  44. R. Decker, Rezension, s. Weblinks
  45. Robert Graham, Papst Pius XII. und seine Haltung zu den Kriegsmächten, in: Pius XII. zum Gedenken, Schambeck, Berlin 1977, 161.
  46. Dieter Albrecht: Notenwechsel zwischen H. Stuhl und Dt. Reichsregierung Bd. II Dok. 15*, S. 235/37 und Bd. III, Dok. 934, S. 657/58; Albrecht Kirche im Dr.Reich S. 164. Goebbels-Tagebücher Bd. II/6, S. 181.
  47. Dieter Albrecht: Notenwechsel zwischen H. Stuhl und Dt. Reichsregierung Bd. III S. XXXII und in Dok. 1000, S. 695/97; auch in Friedländer Pius XII S. 122/23; Albrecht Kirche/Dr. Reich S. 168/69; Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 90; Falconi Schweigen S. 242.
  48. Dies ergab die Vernehmung von Ribbentrops im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Amtlicher Text in deutscher Sprache, Bd. X, S. 162
  49. Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 70
  50. Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 87
  51. Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 85 ff.
  52. Actes et documents du Saint-Siège relatifs à la seconde Guerre Mondiale, 15. September 1941; Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 125 f.
  53. Pierre Blet: Aus den Akten des Vatikans, S. 126
  54. Radio Vatikan: Vatikan: Gumpel verteidigt Nuntius in Israel 13. April 2007
  55. Radio Vatikan: Irsael / Vatikan: Weiter Streit um Pius XII. 14. April 2007

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