Sein und Zeit
Sein und Zeit ist das Hauptwerk der frühen Philosophie von Martin Heidegger (1889–1976). Es erschien 1927 und war eines der einflussreichsten Werke der Philosophie im 20. Jahrhundert.
Sein und Zeit gilt als Anstoß der modernen Hermeneutik und Existenzphilosophie und prägt bis heute die internationale philosophische Diskussion. Es ist grundlegend für ein Verständnis der Hauptwerke von Philosophen wie Jean-Paul Sartre, Hans-Georg Gadamer, Hans Jonas, Karl Löwith, Herbert Marcuse und Hannah Arendt.[1]
Überblick
Thema
Thema der Untersuchung ist die Frage nach dem Sinn von Sein, die nach Heidegger in der abendländischen Philosophie bisher nicht gestellt worden ist. Die Frage ist nicht gleichbedeutend mit der Frage nach „dem Sinn des Lebens.“ Eine Formulierung wäre zum Beispiel: Was meinen wir, wenn wir sagen „Der Himmel ist blau.“? Heidegger möchte untersuchen und explizit machen, was unter „Sein“ verstanden wird.
Heidegger kritisiert am bisherigen Verständnis, dass Sein bisher stets wie etwas Seiendes, etwas Vorhandenes charakterisiert worden sei. Als Vorhandenes, beispielsweise als Substanz oder Materie, wird das Sein jedoch nur in Bezug auf die Gegenwart vorgestellt: Das Vorhandene ist gegenwärtig, jedoch ohne dass es Bezüge zu Vergangenheit und Zukunft hätte. Heidegger möchte im Verlauf der Untersuchung zeigen, dass hingegen die Zeit eine wesentliche Bedingung für ein Verständnis des Seins ist, da sie – vereinfacht gesagt – einen Verständnishorizont darstellt, auf dessen Grundlage die Dinge in der Welt erst sinnhafte Bezüge zwischen einander ausbilden können. So ist zum Beispiel nicht zu verstehen, was ein Hammer ist, wenn man nicht Zukünftiges mit in den Blick bringt und sagt: Der Hammer dient dazu, Nägel in Bretter zu schlagen, um ein Haus zu bauen, welches Schutz vor kommenden Unwettern bietet. Es lässt sich also nur im Gesamtzusammenhang einer Welt mit zeitlichen Bezügen verstehen, was der Hammer über Holz und Eisen hinaus ist. Das Beispiel des Hammers zeigt an, dass Heidegger sich für seine Untersuchung am alltäglichen und praktischen Weltbezug des Menschen orientiert. Tatsächlich ist es so, dass für Heidegger der Hammer daher zunächst „das Ding zum hämmern“ ist, dem die theoretische Auffassung des Hammers als aus Holz und Eisen bestehenden nachgelagert ist.
Die Verfehlung der philosophischen Tradition, die Bedeutung der Zeit für das Verständnis des Seins in den Blick zu bringen, möchte Heidegger durch eine fundamentalontologische Untersuchung korrigieren. Die Klärung eines ursprünglichen Sinns von Sein bestimmt Heideggers Lebenswerk weit über Sein und Zeit hinaus.
Kontext
„Sein und Zeit“ zeigt in der Konzeption wie auch in Passagen, die explizit Ausführungen Immanuel Kants kommentieren, starke Bezüge zur „Kritik der reinen Vernunft“ von Kant, mit dessen Werk sich Heidegger verschiedentlich vor und nach der Abfassung seines Hauptwerks auseinandergesetzt hat. Kaum konzeptionell, jedoch ebenfalls für „Sein und Zeit“ einflussreich ist die „Metaphysik“ des Aristoteles, mit der sich Heidegger bereits seit seiner Lektüre von Brentanos Dissertation „Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles“ beschäftigte. Begriffe Heideggers wie Vorhandenheit, Zuhandenheit und Dasein lassen eine Anlehnung an die aristotelischen Termini der theoria, poiesis und praxis erkennen.[2]
Die Phänomenologie Edmund Husserls ist für Heidegger die grundlegende Methode der Untersuchung, wenngleich er an Husserls Phänomenologie einige Änderungen anbringt. Für Heidegger gerät Husserl in eine Aporie, wenn dieser einerseits die Weltzugehörigkeit des Ichs und andererseits die gleichzeitigen Konstituierung der Welt durch das Ich herausstellt. Heidegger versucht, diese Subjekt-Objekt-Spaltung (Ich als Subjekt der Welt gegenüber ich als Objekt in der Welt) radikal zu überwinden: Die Welt steht Heideggers „Subjekt“, dem Dasein, nicht gegenüber, sondern gehört zum Dasein.
Heidegger selbst sah seinen ontologischen Ansatz in scharfem Kontrast zur philosophischen Anthropologie, die in etwa zeitgleich in den Werken Max Schelers und Helmuth Plessners in Erscheinung getreten ist. Auch zu Dilthey und Simmel und ihren Arbeiten zur geschichtlichen Seite des Menschseins, zu dessen Vergänglichkeit und Hinfälligkeit, grenzt sich Heidegger auf besondere Weise ab: Er versucht, sowohl die ungeschichtliche Phänomenologie und deren vermeintliche Verfehlung der Faktizität des Lebens zu umschiffen, als auch den zum Relativismus neigenden Historismus. Verschiedene Interpreten haben darauf hingewiesen, dass sich Heidegger hierzu wohl auf seine in vorangehenden Arbeiten entwickelte Analyse der frühchristlichen Lebenserfahrung stützt, wie er sie bei Paulus, Augustinus und dem frühen Luther findet.[3] Heideggers hermeneutischer Zugang zeigt sich trotz allem der Formulierung Diltheys verpflichtet: „Hinter das Leben kann das Denken nicht zurückgehen.“[4]
Des Weiteren beeinflusste die Existenzphilosophie des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard – hier vor allem die Analyse der Angst – Heideggers Werk. Relevant ist außerdem das Werk Hegels, mit dessen Zeitbegriff sich Heidegger in Sein und Zeit explizit auseinandersetzt.
Aufbau
Das schließlich veröffentlichte Buch umfasst nur eine Einleitung und die ersten beiden Teile des ersten Bands, mehr wurde von Heidegger zunächst nicht ausgearbeitet. In den 30er-Jahren gab Heidegger diese Arbeit ganz auf. Ein Hinweis darauf, dass das Werk Fragment bleiben wird findet sich jedoch erst in der 7. Auflage von 1953.
Dem ursprünglichen Plan zufolge sollte „Sein und Zeit“ aus zwei Bänden bestehen, die sich wiederum in je drei Teile gliederten:
- Die Interpretation des Daseins auf die Zeitlichkeit und die Explikation der Zeit als des transzendentalen Horizontes der Frage nach dem Sinn von Sein
- Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins
- Dasein und Zeitlichkeit
- Zeit und Sein
- Grundzüge einer phänomenologischen Destruktion der Geschichte der Ontologie
- zu Kant
- zu Descartes
- zu Aristoteles
Aus dieser Gliederung erkennt man, wie die Untersuchung verläuft: Heidegger versucht zuerst (Teil 1.1.) eine „Fundamentalanalyse des Daseins“ (auch Fundamentalontologie genannt), in der die sogenannten Existenzialien des Daseins freigelegt werden. Von diesen her erarbeitet Heidegger das Sein des Daseins als Struktur, welche er Sorge nennt. Die Interpretation der Sorge (Teil 1.2.) erweist als ihren „Sinn“ die Zeitlichkeit.
Der anschließende Teil (1.3.) hätte den Bogen von der Zeitlichkeit zur Zeit und von dieser zum Sein selbst spannen sollen, um zur Ausgangsfrage zurückzukehren. Mit der so gewonnenen Erkenntnis sollten in einem weiteren Schritt andere Philosophien „destruiert“ werden, wozu es in dem Fragment gebliebenem Werk nicht mehr kommt. Heidegger interpretierte später seine Abkehr von „Sein und Zeit“ als Kehre und suchte einen anderen Zugang zur Seinsfrage. Zwischen seinen späteren Schriften (etwa dem Aufsatz „Zeit und Sein“) und Sein und Zeit lassen sich gleichwohl viele Verbindungen ziehen. Wie Kontinuität und Brüche in Heideggers Werk letztlich zu beurteilen sind, ist in der Forschung umstritten. Ebenso umstritten ist die Rekonstruktion des nicht erhaltenen Werkteils durch verstreute Äußerungen und Texte (etwa die „Grundprobleme der Phänomenologie“) und deren Interpretation.
Grundbegriffe des Werkes
Sein und Seiendes
- Siehe auch Ontologische Differenz.
Grundlegend für den Heideggerschen Zugriff auf die Seinsproblematik ist die Unterscheidung von Sein und Seiendem, die Betonung der ontologischen Differenz zwischen beidem. Mit „Sein“ bezeichnet Heidegger – vereinfacht gesagt – den ‚Verständnishorizont‘ auf dessen Grundlage erst die Dinge in der Welt, das „Seiende“ begegnen können. Wird das Sein zum Beispiel im Rahmen der christlichen Theologie aufgefasst, dann erscheint vor diesem Hintergrund alles Seiende als von Gott geschaffen. Dabei vertritt Heidegger den Standpunkt, dass das Sein (der ‚Verständnishorizont‘) bis in seine Gegenwart hinein nicht explizit thematisiert worden ist. Nach Heidegger führt dies seit der klassischen Ontologie der Antike zu einer Verwechslung von Sein und Seiendem.
Das Sein ist jedoch nicht nur der nicht thematisierte ‚Verständnishorizont‘, sondern bezeichnet auch das was ist, hat also eine ontologische Dimension. Man könnte sagen, Heidegger setzt Verstehen mit Sein gleich, was bedeutet: Nur was verstanden wird, ist auch und das was ist, ist immer schon verstanden, da Seiendes nur auf dem Hintergrund des Seins erscheint. Dass etwas ist und was etwas ist, gehen also stets miteinander einher. Damit wird auch die Bedeutung der Zeit für eine Bestimmung des Seins verständlich, insofern sich Zeit als Bedingung für jegliches Verstehen erweist.
Eine zentrale Verfehlung der klassischen Ontologie ist nach Heidegger, dass sie die ontologische Frage nach dem Sein vermittels des bloß ontischen Seienden gestellt hat. Unter Missachtung der ontologischen Differenz führte sie also das Sein auf Seiendes zurück. Durch diese Rückführung verstellt sie aber gerade, so Heidegger, das Sein des Seienden. Als Beispiel hierfür mag wieder der Hammer dienen: Geht man davon aus, dass nur Seiendes in Form von Materie ist, dann wird man auf die Frage was ein Hammer ist antworten: Holz und Eisen. So kann man jedoch niemals verstehen, dass der Hammer doch „das Ding zum hämmern“ ist. Die Missachtung der ontologischen Differenz ist somit für Heidegger der Grund, warum in der Tradition Sein oftmals nur als bloße Vorhandenheit (von Dingen oder Materie) thematisiert wurde. Um diesen Fehler zu vermeinden, wird Heidegger statt von Dingen auszugehen, denjenigen in den Blick bringen, der die Frage nach dem Sein stellt, nämlich den Menschen als Dasein.
Die „Sein und Zeit“ zugrundeliegende scharfe Trennung zwischen ontischen und ontologischen Bestimmungen führt zu einer Verdopplung der Begrifflichkeit: zahlreiche Begriffe des Werkes treten daher in einer ontischen und einer ontologischen Bedeutung auf. Dass Alltagssprache und die philosophische Begrifflichkeit der Tradition hier nicht unterscheiden, ist ein Umstand, der in der Rezeption von „Sein und Zeit“ oft zu Missverständnissen geführt hat.
Ontischer Begriff / Bestimmung | Ontologischer Begriff / Bestimmung |
Seiendes | Sein |
Mensch | Dasein |
existenziell | existential |
Stimmung | Befindlichkeit |
Sprache | Rede |
„Welt“ (mit Anführungszeichen: Summe des Seienden) | Welt (in ihrer Weltlickeit) |
Insofern die Verwechslung von ontischen Bestimmungen und Ontologie auch der bisherigen Metaphysik zugrundeliegt (vgl. Seinsvergessenheit), steht „Sein und Zeit“ im Ansatz für eine Destruktion aller bisherigen Ontologie und Metaphysik, ein Anspruch, der aufgrund der Unabgeschlossenheit des Werkes letztlich nicht ganz eingelöst werden kann, welchen aber der spätere Heidegger nach „Sein und Zeit“ nochmals auf andere Weise radikalisiert.
Dasein
- Dasein als Ausgangsbegriff anstelle des bereits vielfach ausgelegten und kategorisierten Begriffs Mensch
Der vielleicht wichtigste Begriff des Werks ist Dasein; so nennt Heidegger das Seiende, das „je ich selbst bin“. Den naheliegenden Ausdruck Mensch vermeidet er, weil er sich von der traditionellen Philosophie und ihren Urteilen abgrenzen will. Unter Dasein soll nicht eine allgemeine Kategorie „Mensch“ verstanden werden, über die jeder bereits theoretische Vorurteile hegt, der neue Begriff soll die Möglichkeit eröffnen die Philosophie an die unmittelbare Lebenserfahrung des Einzelnen rückzubinden. Zugleich ermöglicht der Begriff eine Abgrenzung zur an Kant orientierten Erkenntnistheorie. Heidegger geht in seiner Untersuchung nicht von einem erkennenden Subjekt aus, sondern von einem verstehenden Dasein. Damit verlagert sich die Frage danach, wie das Subjekt die Gegenstände erkennt dahingehend, welche sinnhaften Bezüge die Dinge in der Welt haben und wie man diese versteht: Das Sein der Dinge und des Daseins wird auf seinen Sinn hin befragt.
Zur Beantwortung der Frage nach dem Sinn von Sein beginnt Heidegger seine Untersuchung mit dem Dasein, weil dieses die Frage nach dem Sein stellt. Um diese Frage überhaupt stellen zu können, muss das Dasein über ein bestimmtes Vorverständnis von Sein verfügen – sonst wüsste es nicht einmal, wonach es fragen soll (Vergleiche Platons Dialog Menon).
- Freilegung der Existenzialien als phänomenologische Analyse des Daseins
Jeder Mensch glaubt ungefähr zu wissen, was „Sein“ bedeutet, und sagt „ich bin“ und: „das da ist“. Das Dasein (allein) kann darüber staunen, dass es „überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts.“ Das Dasein findet sich vor – in Heideggers Worten: Es ist geworfen in das „Da-sein“ – und muss sich zu seinem Sein und zum Sein als Ganzem verhalten. Es hat ein Leben zu führen und ist hierfür notwendigerweise auf sich und die Welt immer schon irgendwie bezogen. Es scheint Heidegger daher von Vorteil mit seiner Analyse beim Dasein anzusetzen.
Um der Struktur des Daseins und seinem Verhalten auf die Spur zu kommen, analysiert Heidegger das Dasein mit Methoden der Phänomenologie und legt so dessen Existenzialien frei, also das was Dasein disponiert und in seinem Lebensvollzug bestimmt. Als vorläufiges Ergebnis der Analyse ergibt sich: Das Dasein ist sowohl
- immer „schon in“ einer Welt (Geworfenheit), d. h. faktisch in ein kulturelles Überlieferungsgeschehen eingebunden, als auch
- „sich vorweg“ (Entwurf), indem es diese Welt versteht und Möglichkeiten darin ergreift oder ausschlägt und drittens
- „bei“ allem innerweltlich Seienden (Verfallenheit an die Welt), das heißt bei den Dingen und Menschen an denen es sich unmittelbar orientiert.
In der Einheit dieser drei Punkte sieht Heidegger das „Sein des Daseins“ – in der typisch heideggerschen Terminologie: „Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“.
- Sorge als das Sein des Dasein
Das Sein des Daseins – die existenziale Gesamtstruktur des Daseins – nennt Heidegger abkürzend „Sorge“. „Sorge“ im heideggerschen Sinne ist ein rein ontologisch-existenzialer Titel für die Struktur des Seins des Daseins. Dieser Begriff der Sorge hat also nur oberflächlich etwas zu tun mit Alltagsbegriffen wie Besorgnis oder Sorglosigkeit. Das Dasein ist immer schon in einem umfassenden Sinn in Sorge, indem es sich in der Welt wiederfindet, diese von vornherein verstehend auslegt und dabei von Anfang an auf Dinge und Menschen verwiesen ist.
Heidegger ist sich bewusst, dass die Identifikation der Struktur des Seins des Daseins mit Sorge problematisch ist. So versucht er in § 42 diese existenziale Interpretation vorontologisch zu „bewähren“. Hierzu greift er auf eine antike Fabel des Hyginus zurück (220. Fabel: „Cura cum fluvium transiret …“). Vom heutigen Standpunkt her mag man eine solche Bewährung mindestens verwunderlich finden; es zeigt sich hier aber eine Vorgehensweise Heideggers, die für den späteren Heidegger bezeichnend sein wird. Diese vorontologische Bewährung richtet Heidegger auch gegen Husserls theoretisches Konzept der Intentionalität. Der Terminus Sorge soll dementgegen eine Seinsweise des Menschen beschreiben, die sich eben nicht nur auf das erkennende Anschauen der Welt beschränkt, sondern zunächst im praktischen Umgang mit der Welt steht, der dann auch eine theoretische Erfassung der Welt ausprägen kann.
Sein zum Tode
Die Bestimmung des Daseins als Sorge, sowie als sich vorweg und schon sein in zeigt, dass der Mensch immer „mehr“ ist, als sein bloßer Leib: er ist eine Person mit einer Vergangenheit und einer Zukunft. Diese gehören zum Dasein, erst mit ihnen ist es ein Ganzes. Begrenzt wird es dabei durch sein Ende, den Tod. Dieser ist jedoch nicht nur ein einmaliges Ereignis am Ende des Daseins, sondern er bestimmt das Dasein auch in seinem Leben, denn er steckt den vor dem Dasein liegenden Entscheidungsraum ab. Innerhalb dieses Entscheidungsraums wählt das Dasein Möglichkeiten. Der Tod eröffnet zugleich und macht dem Dasein seinen Entscheidungsspielraum bewusst: Erst angesichts des Todes erfasst sich das Dasein als Person mit einer Vergangenheit und einer eigenen Zukunft. Der Tod erschließt dies dem Dasein durch seine Charakteristik. Vor dem Tod kann sich keiner vertreten lassen, es ist immer der jemeinige Tod, der einen als Einzelnen gänzlich in Anspruch nimmt: Im Tod geht es nur und ganz um mich.
Was das Wort Tod bedeutet, kann aber nicht durch Nachdenken, sondern allein in der Stimmung der Angst erfahren werden. Durch diese wesentlich erschließende Funktion der Angst weist Heidegger gegenüber der Vernunft auch den Stimmungen welterkennende Funktion zu. Angst als ontologischer Begriff meint dabei nicht das bloße Angstgefühl oder die Furcht vor irgendeinem dinglichen Etwas. Auch sind Tod und Angst von Heidegger nicht als wertende Begriffe gemeint, sondern durch ihre Funktion bestimmt: Tod und Angst vereinzeln das Dasein und machen ihm die unwiderrufliche Einzigartigkeit jedes seines Augenblicks klar.
Wegen der Wirkung, die der Tod auf den Lebensvollzug des Daseins hat, bestimmt Heidegger das Dasein als „Sein zum Tode“ (Vergleiche zu dieser Formulierung Kierkegaards Krankheit zum Tode). Hierdurch entfernt sich Heidegger noch weiter von einer Auffassung des Menschen als Vorhandenes, denn im Sein zum Tode wird ja die Zeit von grundlegender Bedeutung für die Bestimmung des Seins des Dasein. Das Vorlaufen zum Tod wird so zum Ausgangspunkt für ein selbstbestimmtes, authentisches und intensives – in Heideggers Worten – eigentliches Leben, das sich nicht von der Verfallenheit an das alltäglich-gesellschaftliche „Man“ bestimmen und leben lässt.
Zeitlichkeit
Betrachtet man die Bestimmung des Daseins als Sein zum Tode genauer, wird deutlich, dass erst die Zeitlichkeit des Daseins es diesem ermöglicht, sich auf den Tod auszurichten. So erweist sich entsprechend der Bestimmung des Daseins als Sorge, nämlich als Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden) die Zeitlichkeit für die gesamte Sorgestruktur als grundlegend: Zeitlichkeit ist der Sinn der Sorge. Die Zeitlichkeit wird durch drei Ekstasen ausgemacht: Gewesenheit, Zukunft und Gegenwart. Heidegger ordnet diese der entsprechenden Bestimmung der Sorge zu:
- Schon-sein-in-der-Welt: Gewesenheit
- Sein-bei (dem momentan zu Besorgendem): Gegenwart
- Sich-vorweg-sein (im Entwurf): Zukunft.
An dem Punkt, wo Heidegger aus ihnen einen allgemeinen Begriff der Zeit herleiten will, bricht das Buch ab.
Inhalt der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung zu Sein und Zeit ist äußerst umfangreich, was die von Heidegger angesprochenen Themen betrifft. Vieles greift den folgenden Kapiteln vorweg, es wird der Bezug zu andere Philosophen und den Wissenschaften angesprochen. Teile der Einleitung beziehen sich auch auf den im veröffentlichten Werk nicht enthaltenen letzten Teil von „Sein und Zeit“.
Erstes Kapitel §§ 1–4
- Die Seinsfrage als scheinbar beantwortete Frage
Zunächst bespricht Heidegger drei Vorurteile gegenüber dem Begriff Sein: 1.) es sei der allgemeinste Begriff, aber doch umgrenzt er nicht einfach eine oberste Gattung, 2.) als allgemeinster sei er nicht zu definieren, also nicht durch niedere Begriffe darzustellen, nicht durch höhere abzuleiten und 3.) der Begriff Sein sei selbstverständlich.[5]
Allerdings zeige gerade der zweite Punkt, dass Sein offensichtlich nicht das gleiche ist wie Seiendes. Ebenso verdunkelt auch die Berufung auf seine Selbstverständlichkeit ein Verständnis: Was ist gemeint mit dem Satz „Der Himmel ist blau“? Da nicht nur die Antwort fehlt, sondern auch die Frage im Dunkeln liegt, soll zunächst wieder ein Verständnis für diese Frage geweckt werden.[6]
- Das Seinsverständnis des Daseins als Geleit für die ontologische Frage nach dem Sein
Da der Sinn von Sein in gewisser Weise immer schon verfügbar ist, kann dieses „vage Seinsverständnis“[7] als Geleit für die Frage dienen. Sein ist das, was Seiendes als Seiendes bestimmt. Es bildet einen Verständnishorizont, innerhalb dessen Seiendes erscheinen kann und verstanden wird. Jedes Seiende wiederum hat sein Sein, also seinen sinnhaften Kontext, der es in der Welt verortet. Das Sein ist also nicht selbst ein Seiendes (keine Entität]) und kann ebenso wenig durch die Rückführung auf anderes Seiendes erklärt werden. Da die Begrifflichkeiten der Tradition (z. B. Kategorien) laut Heidegger auf Seiendes und nicht auf das Sein zugeschnitten sind, ist es notwendig eine eigene Begrifflichkeit zu entwickeln, welche die eben genannten Probleme vermeidet.[8] Als Ausgangspunkt der Untersuchung wählt Heidegger das Dasein. Mit dem Begriff Dasein versucht Heidegger die Existenzform des Menschen in ontologischer Weise zu fassen, d. h. in Abgrenzung zu anderen Disziplinen, wie der Anthropologie, Psychologie, Biologie.
Um die Frage nach dem Sinn von Sein zu stellen, analysiert Heidegger die allgemeine Form einer Frage. Es gibt stets ein Er-fragtes und einen Be-fragten. Um die Untersuchung von paradigmatischen Annahmen (z. B. einem transzendentalem Subjekt) frei zu halten, möchte Heidegger das Dasein befragen, womit er meint, es mittels der phänomenologischen Methode zu untersuchen. Dass das Dasein zugleich auch der Fragende selbst ist, erweist sich zusätzlich als Vorteil: Wer etwas fragt hat zumindest eine ungefähre Ahnung wonach er da fragt. Was zunächst wie ein Zirkel erscheint, ist jedoch keiner, da es bei der Beantwortung der Frage nicht um eine abgeleitete Begründung, sondern um „aufweisende Grund-Freilegung“ geht: Dies ist der gewollt hermeneutische Ansatz, der nach Heidegger allein dazu taugt, paradigmatische Vorgaben zu verhindern. Den Vorrang des Daseins bei der Beantwortung der Seinsfrage unternimmt Heidegger, im Folgenden zu beweisen.
- Der ontologische Vorrang der Seinsfrage als Ausdruck der Grundlagenkrise der Wissenschaften
Der ontologische Vorrang der Seinsfrage wird für Heidegger an den Grundlagenkrisen der positiven Wissenschaften deutlich.[9] Jede Wissenschaft behandelt ihr Gebiet, das Seiende, mit vorausgesetzten Grundbegriffen. Die Biologie behandelt die belebte Natur, die Physik die unbelebte Natur. Da sie jedoch nur nach dem Seienden fragen, bleibt ihre Untersuchung rein ontisch. Sie legen nicht über das Sein (belebt/unbelebt) dieses Seienden Rechenschaft ab. Der Verständnishorizont ihrer Thematisierung wird für sie selbst nur in Krisen zum Problem. Da also die Ergebnisse der Wissenschaften auf der in den Grundbegriffen implizierte Entscheidung über das Sein des Seienden aufbauen, erwartet Heidegger von ihnen keine Antworten auf die Seinsfrage: Die positiven Wissenschaften nehmen diese Grundbegriffe als gegeben und fragen dann nur ontisch weiter. Es ist aber nicht Aufgabe der Einzelwissenschaften ihre ontologischen Voraussetzungen zu klären, sondern die der Philosophie. Allerdings gilt auch für das ontologische Fragen, dass es nicht nur Bedingung der Möglichkeit der positiven Wissenschaften ist (wie zum Beispiel der damals im Schwange befindliche Neukantianismus, gegen den sich Heidegger hier abgrenzt), sondern dass es zunächst den Sinn von Sein erörtern muss. Dieser steht im Zentrum des ontologischen Fragens.[10]
- Seinsverständnis als ontische Auszeichnung des Daseins
Zum ontischen Vorrang der Seinsfrage erläutert Heidegger: Auch die Wissenschaften haben die Seinsart dessen, der sie betreibt. Dies ist das Dasein, welches sich dadurch auszeichnet, dass es ihm „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“.[11] Da das Dasein diese seine Ausgezeichnetheit immer schon in irgendeiner Weise versteht, sagt Heidegger, es habe Seinsverständnis. Dies ist die ontische Auszeichnung (das was es unter anderem Seienden als zu Befragendes hervorhebt) des Daseins, nämlich dass es ontologisch (seinverstehend) ist: Es geht ihm in seinem Sein immer schon sich selbst – und dass es dies versteht, heißt dass es ontologisch ist. Dies meint freilich nicht, dass das Dasein eine Ontologie als Lehre seines Seinsverständnisses ausbildet. Heidegger nennt das Dasein mit vagem Seinsverständnis deshalb präziser „vorontologisch“.
- Existenz als Begründung des ontischen Vorrangs des Daseins bei der Bestimmung der Seinsfrage
Dass das Dasein vorontologisch ist, meint, dass das Dasein sich immer zu sich selbst verhält und sich aus seiner Existenz versteht. Heidegger möchte mit dem Begriff der Existenz vermeiden, den Menschen über eine Wesensdefinition zu erklären. Statt einem statischem Wesen meint Existenz hingegen Vollzugsweise des Dasein: Dasein ist, indem es existiert. (Zum Beispiel ist man Lehrer nicht durch einen Titel, sonden nur, indem man vor einer Klasse steht und unterrichtet.) Dasein bewegt sich innerhalb einer Struktur von Möglichkeiten zu sein. Das alltägliche Verständnis dieses Wählenkönnens zwischen Möglichkeiten ist ein existenzielles und ist für jeden Lebensvollzug nötig. Ein explizites Verständnis davon, was Existenz konstituiert, nennt Heidegger existential. Heideggers Analyse der Existenz ist also eine existentiale Analyse, es ist eine Analytik der Existenzialität der Existenz.[12]
Mit dem Gesagten ergibt sich nach Heidegger: Dasein hat ein Vorverständnis seiner selbst, also seiner Existenz. Diese kann es außerdem explizit machen. Eine Fundamentalontologie, welche die Ontologie auf ihr Fundament, das Dasein, zurückführen möchte, muss also, um die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, in einer existenzialen Analytik des Daseins gründen.[13] Dies ist der ontische Vorrang des Daseins. Das Dasein hat sich somit nach Heidegger zur Beantwortung der Seinsfrage ontisch und ontologisch als vorrangiger Ansatzpunkt der Untersuchung erwiesen. Als dritten Vorrang fügt Heidegger hinzu: Das Dasein hat ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßigen Seienden, dies ist sein ontisch-ontologischer Vorrang.
Zweites Kapitel §§ 5–8
- Seinsfrage und Methode der Untersuchung
Thema des zweiten Kapitels ist die Sorge um die richtige Zugangsart zum Phänomen des Daseins. Aufgrund des ontisch-ontologischen Vorrangs des Daseins versteht dieses sich selbst zunächst und zumeist aus der Welt heraus. Dies stellt für Heidegger jedoch ein Problem dar, denn dass Dasein sich „aus der Welt heraus“ versteht, bedeutet, dass die Weltinterpretation des Daseins auf dieses zurückstrahlt. In der Welt findet sich jedoch nur Seiendes, daher tendiert das Dasein dazu, „das eigene Sein aus dem Seiendem zu verstehen“.[14] Wenn aber das Dasein zur Beantwortung der Seinsfrage das zu Befragende ist, so müsse ein möglichst unvoreingenommener Zugang zu ihm gefunden werden, damit sich die existenzialen Strukturen des Daseins möglichst unverstellt zeigen können.[15] Es soll also keine „Idee vom Menschen“ der Untersuchung vorangestellt werden, vielmehr möchte Heidegger von der durchschnittlichen Alltäglichkeit ausgehen, in der sich das Dasein befindet, verhält und versteht. Durch diese Rückbindung an das Alltägliche möchte Heidegger die Philosophie aus dem Feld der Spekulation zurück in das „tatsächliche Leben“ führen.
Erst nachdem von dort her Grundstrukturen des Daseins herausgearbeitet worden sind, schließt sich die Ontologie an. Diese soll dann als das Dasein auf die Zeitlichkeit hin interpretieren.[16] Es wird sich später zeigen, dass die Zeitlichkeit ein zum Dasein gehöriges Existenzial ist, welches für das Verstehen von Sein überhaupt die Voraussetzung ist. Damit ist jedoch die Frage nach dem Sinn von Sein noch nicht beantwortet. In einem weiteren Schritt will Heidegger aus dieser Zeitlichkeit des seinsverstehenden Daseins die Zeit als Horizont des Seinsverständnisses ausweisen. Um die zum Dasein gehörende Zeitlichkeit von der zum Sein gehörenden Zeit zu unterscheiden, nennt Heidegger die Zeitlichkeit des Seins Temporalität. Ihr war der in „Sein und Zeit“ nicht enthaltene dritte Abschnitt „Zeit und Sein“ gewidmet. (Eine gleichnamige Schrift Heideggers aus späteren Jahren mit dem selben Titel darf nicht damit verwechselt werden.)
Erst durch die Zeitlichkeit des Daseins lässt sich also das Sein verstehen, um dann von dort aus über die Klärung der Temporalität des Seins zu einem neuen Begriff der Zeit zu finden. Auch wenn Heidegger dies nicht durchführte, kann man vermuten, wie dieser neue Zeitbegriff ausgesehen hätte: Dem von Heidegger kritisierten „vulgären Zeitbegriff“, der die Zeit durch herausstellen aus dem Dasein und verdinglichen als eine unendliche Abfolge von Jetztpunkten sieht, hätte Heidegger wohl die an das Dasein gebundene – und wegen der Sterblichkeit des Daseins – endliche Zeit entgegengesetzt.[17]
- Destruktion der Geschichte der Ontologie
Hier folgt die Einführung für den zweiten Teil von Sein und Zeit, welcher jedoch im Buch selber nicht mehr ausgeführt wurde.
Das Dasein neigt laut Heidegger nicht nur dazu – gleichsam in seinem gegenwärtigen Selbstverständnis – an die Welt zu verfallen, d. h. sich aus dieser heraus zu verstehen, sondern es steht immer schon in einer der Vergangenheit entspringenden Tradition des Verstehens, es ist seine Vergangenheit. Neben der ‚Weltverfallenheit‘ gibt es also noch eine ‚Traditionsverfallenheit‘.
Heidegger nennt die Einbindung des Menschen in das kulturelle Überlieferungsgeschehen die Geschichtlichkeit des Daseins.[18] Genauso aber wie das Verstehen aus der Welt heraus dem Dasein ein wirkliches Verstehen seiner selbst verdunkelt, so kann dies auch durch die „Herrschaft der Tradition“ geschehen, denn auch diese erlag der Tendenz sich aus der Welt heraus zu verstehen und ließ, so Heidegger, ihre primären Themen (Subjekt, Ich, Vernunft, Geist, Person) unbefragt auf ihr Sein hin.[19] Deshalb ist zur Klärung der Seinsfrage eine „Destruktion der Geschichte der Ontologie“ nötig, um sich wieder in „den vollen Besitz der eigensten Fragemöglichkeit zu bringen“[20] und somit durch die Tradition übernommene Vorurteile und Ideologien erst wieder als solche sichtbar zu machen.
Innerhalb der Tradition soll nun vor allem der zu thematisieren versäumte Zusammenhang von Sein und Zeit betrachtet werden. Dass nach Heidegger bis jetzt die Zeit niemals als wesentlich für die Bestimmung des Seins erkannt wurde, zeigt sich daran, dass Sein stets nur als Vorhandenes gedacht wurde, nämlich als Substanz, Materie, eben als Seiendes. Der zum Substanzdenken gehörende Modus der Zeit ist jedoch die Gegenwart, der die Substanz in ihrer bloßen Präsenz in den Blick bringt. Heidegger wird später versuchen zu zeigen, dass erst durch die Zeit sinnhafte Bezüge zwischen den Dingen in der Welt möglich sind, z. B. sich ein Werkzeug nur dann verstehen lässt, wenn es für einen zukünftigen Hausbau nützlich ist. Um diese grundsätzliche Verfehlung der ontologischen Tradition aufzuweisen, wollte Heidegger drei konkrete Positionen „destruieren“: Erstens sollte Kants Schematismuslehre untersucht werden, um zu zeigen, wie auch er im vulgären Zeitverständnis blieb. Kant wiederum übernimmt nach Heidegger hierbei dogmatisch die Position Descartes.[21] Dieser hatte mit dem cogito sum einen sicheren Boden für die Philosophie beansprucht, ließ jedoch die Frage nach Seinsart und Seinssinn dieses sum unbeantwortet. Als dritte Station soll Aristoteles’ Abhandlung über die Zeit untersucht werden, welche alle nachkommenden Zeitauffassungen bestimmt hat, auch die Kants.[22] Die Absicht der Destruktion ist dabei eine positive, da sie erst die Möglichkeit für ein neues Verständnis eröffnet.
- Die Phänomenologische Methode der Untersuchung
Heidegger führt seinen Phänomenbegriff anhand einer etymologischen Auslegung der griechischen Begriffe phainomenon als „das Sich-an-ihm-selbst-Zeigende“ und logos als Sehenlassen aus, was zusammen ein „Das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen“ ergibt. Wichtiger ist ihm jedoch, was auf diese Art sichtbar gemacht werden soll: „Offenbar solches, was sich zunächst und zumeist gerade nicht' zeigt (…)“,[23] womit Heidegger das Sein meint. Zeigen tut sich ja nur das Seiende, das Sein als Verständnishorizont wird jedoch nicht explizit. So wie sich auch im Gegebenen nicht das Geben und der Gebende zeigen, sondern unthematisch bleiben. Um aber das aufzuzeigen, was sich zunächst nicht zeigt, braucht es die Hermeneutik, welche Heidegger mit der Phänomenologie verbindet. Die Hermeneutik soll das Verdeckende (der Gegenbegriff zu Phänomen) aufweisen und benennen. Dies geschieht dadurch, dass sie die Motive dafür aufdeckt, warum etwas in der Verborgenheit bleibt, also warum Dasein seinsvergessen ist. Eines dieser Motive liegt für Heidegger in der Flucht des Daseins vor sich selbst – eine Flucht die der Furcht davor sein eigenes Sein zu ergreifen entspringt. Mit dieser Auffassung der Hermeneutik als Motiv-Freilegung unterscheidet sich Heidegger von einer Hermeneutik die den Zugang zur Welt allein als einen Akt der Interpretation beschreibt. Heidegger hält sich somit durchaus die Möglichkeit eines direkten Zugangs zu den Sachen offen.[24]
Erster Teil / Erster Abschnitt
- Vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins
Im ersten Kapitel grenzt Heidegger die Untersuchung von scheinbar ähnlichen Untersuchungen ab. Das zweite Kapitel stellt eine Fundamentalstruktur des Daseins vor: das In-der-Welt-sein. Dieses In-der-Welt-sein ist eine ständig ganze Struktur, von welcher sich einzelne Momente abheben. Hierzu gehört die Welt in ihrer Weltlichkeit als Thema des dritten Kapitels. Das vierte Kapitel behandelt das In-der-Welt-sein als Mit- und Selbstsein. Im Fünften wird das In-Sein als solches zum Thema. Durch die in Kapitel zwei bis fünf ausgebreitete Analyse wird im sechsten Kapitel der existenziale Sinn des Seins des Daseins sichtbar: die Sorge.
Erstes Kapitel §§ 9–11
- Thema der existenzialen Analytik
In der Einleitung wurde als nächste Aufgabe die existenziale Analytik des Daseins festgehalten. Dasein ist jedoch nicht bloß Vorhandensein, sondern es ist Seiendes, dem es in seinem Sein um sich selbst geht. Die Tatsache, dass es dem Dasein in seinem Sein um sich selbst geht, nennt Heidegger Jemeinigkeit. In dieser gründen die „Seinsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit“,[25] auf welche in späteren Kapiteln eingegangen wird. Während der überlieferte Terminus der existentia eine bloße Vorhandenheit anzeigt, möchte Heidegger seinen Gebrauch von Existenz im Sinne des Lebensvollzugs hiervon klar abgrenzen. Existenz meint vor allem „mögliche Weisen zu sein“.[26] Deshalb identifiziert Heidegger Wesen mit Existenz: „Das Wesen des Daseins liegt in seiner Existenz“. In diesen Möglichkeiten, die das Dasein ist, kann es sich selbst wählen – etwas, das bloß Vorhandenem nicht zukommt. Diese zwei Seinsarten sind grundverschieden: „Seiendes ist also ein Wer (Existenz) oder ein Was (Vorhandenheit im weitesten Sinne).“[27] Die das Dasein in seinem Lebensvollzug bestimmenden Momente nennt Heidegger Existenzialien, um sie von den ontologischen Kategorien für das Vorhandenen abzugrenzen.[28] Diese Einteilung gibt eine erste Vorahnung auf die Frage „was der Mensch sei“. Sie soll auch zeigen, dass die Antwort vor jeder humanwissenschaftlichen Betrachtungsweise, wie Psychologie, Anthropologie und erst recht Biologie, liegt – es ist eben eine fundamental onotologische Untersuchung. Im Folgenden nimmt Heidegger die Abgrenzung zu diesen anderen Untersuchungen vor.
- Abgrenzung gegen andere Disziplinen
Für Heidegger verfehlen alle diese Untersuchungen die Antwort auf die Frage „was ist der Mensch“. Vor allem tut dies laut Heidegger ein Ansatz, welcher von einem zunächst gegebenen Ich oder Subjekt ausgeht, wie er sich aus der an Descartes anschließenden Tradition ergibt.[29] Auch die Lebensphilosophie verfehlt das Wesen des Daseins, da ihr das Leben nicht ontologisch zum Problem wird.[30] Die Versuche Husserls und Schelers, das Dasein durch die Person bzw. einen Personalismus zu greifen, stoßen an dieselbe Grenze, wenn sie nicht die Seinsart der Person thematisieren.[31] Die traditionelle Anthropologie hat selbst in ihren zwei Kernthesen ein Bild des seienden Mensch als Vorhandensein. Sie verfehlt damit nach Heidegger den Vollzugscharakter des Lebens, da ihre Bestimmung des Menschen als animal rationale und andererseits ihre Idee des Menschen als ein Wesen, welches über sich hinaus geht, noch im Vorhandensein wurzelt.
Ebenso ist die Psychologie ohne ontologisches Fundament, welcher Mangel sich auch nicht durch die Zunahme von biologischen Erkenntnissen beheben lässt, denn die Seinsart des Lebens ist nur dem Dasein zugänglich, d. h. die Biologie als Wissenschaft ist wiederum in der Ontologie des Daseins fundiert.[32]
Abschließend verwehrt sich Heidegger auch dagegen, eine Daseinsanalyse von einer im anthropologischen Sinne primitiven Daseinsstufe (primitiven Völkern) ausgehen zu lassen. Zwar mögen hier die Phänomene weniger kompliziert und verdeckt sein; das empirische Material hierzu wird jedoch vor allem durch die Ethnologie zur Verfügung gestellt, dieser Wissenschaft müsste aber selbst schon eine Analytik des Daseins vorausgehen.[33]
Zwar lässt sich für das Dasein die ontologische Problematik leicht von der ontischen Forschung abgrenzen, schwieriger ist jedoch die Ausarbeitung der Idee eines „natürlichen Weltbegriffes“. Dies soll im nächsten Kapitel geschehen.
Zweites Kapitel §§ 12–13
- Das In-der-Welt-sein
Das zweite Kapitel stellt eine Fundamentalstruktur des Daseins vor: das In-der-Welt-sein. Durch diesen Ausdruck möchte Heidegger grundsätzlich jegliche Subjekt-Objekt-Beziehung aufheben und überwinden. Die Schreibweise des Wortes soll zeigen, dass es sich um ein einheitliches Phänomen handelt. Trotzdem lassen sich drei konstitutive Strukturmomente abheben, die zwar für sich betrachtet werden können, nicht aber für sich allein bestehen. Diese drei Strukturmomente des Daseins sind nach Heidegger:[34]:
- Welt
- Selbst (das Wer? des In-der-Welt-seins)
- In-sein
Heidegger behandelt zunächst das In-sein. Dies ist nicht einfach sein in, so wie ein Körper im Raum: Da das Dasein seiner Seinsart nach nicht einfach Vorhandenes ist sondern nur im Vollzug, kann es nicht als Ding im Raum bestimmt werden, auch wenn natürlich der Körper des Menschen durchaus in der Welt ist. Das Konzept des In-Seins ist vor allem durch seine Abgrenzung zum Konzept des Subjekts zu verstehen: Geht der Subjektivismus davon aus, dass eine selbstgenügsames, also weltloses, Subjekt erst ‚nachträglich‘ einen Bezug zur Welt aufbaut, möchte Heidegger mit dem In-Sein betonen, dass Dasein und Welt immer schon verbunden sind. Dasein und Welt stehen nicht zunächst beziehungslos nebeneinander, was einem Beisammen-vorhanden-sein von vorkommenden Dingen gleichkäme. Nur wenn das Seiende die Seinsart des In-Seins hat, können ihm die Dinge begegnen, kann es bei den Dingen sein.[35] Die Welt ist der notwendige Horizont, auf dessen Hintergrund dem Dasein die Dinge begegnen. Für Heidegger ist es eine absurde und zugleich rein theoretische Konstruktion, ein weltloses Subjekt anzusetzen, welches dann – wie auch immer – die Welt erst erreichen muss.[36]
In der dem Dasein immer schon gegebenen Welt pflegt es bestimmte Weisen des Umgangs, nämlich zutunhaben mit, verwenden von etwas, erkunden, besprechen usw., welche Heidegger als besorgen fasst. Später wird Heidegger das Sein des Daseins selbst als Sorge sichtbar machen.[37] In § 13 geht Heidegger auf die durch Subjekt-Objekt-Trennung motivierte Erkenntnisproblematik ein, nicht so allerdings, dass er diese löst, sondern ontologisch ihre falschen Grundannahmen aufzeigt, nämlich die Setzung eines „inneren Subjekts“ und einer äußeren „Welt“ als erst nachträgliche Erklärung für das ursprünglichere Phänomen des In-der-Welt-Seins.[38]
Drittes Kapitel §§ 14–24
Das In-der-Welt-sein ist eine ständig ganze Struktur, von welcher sich einzelne Momente abheben. Hierzu gehört die Welt in ihrer Weltlichkeit als Thema des dritten Kapitels.
- Die Weltlichkeit der Welt
Der Begriff „Welt“ kann verschieden aufgefasst werden: „Welt“ ließe sich beschreiben als die Summe alles Seienden, also Bäume, Häuser, Menschen Berge.[39] Mit dem Aufzählen des in der Welt vorhandenen wird allerdings schon immer eine „Welt“ voraus gesetzt. Heidegger betont, dass in der Philosophie bei der Rede von „Welt“ meist nur die Substanz zum Thema wurde, wie auch in der neuzeitlichen Physik die unbelebte Natur, Materie im weitesten Sinne, zunächst Thema ist, wenn es darum geht, die „Welt“ zu erklären. Allerdings sind doch aber die Gegenstände dieser Untersuchungen wiederum Dinge, die sich in einer immer schon vorausgesetzten „Welt“ begegnen. Für Heidegger ist es daher nicht möglich, aus diesem innerweltlich Seiendem rückwirkend „Welt“ zu erklären – sie geht diesen Erklärungen immer voraus.[40] Dieses Vorausgehen der Welt nennt Heidegger transzendental, da es Bedingung aller Erfahrung ist, aber selbst nicht Gegenstand der Erfahrung werden kann – die Welt ist ja kein Ding in der Welt.
Für Heidegger ist das Haben von Welt ein grundlegender Charakterzug des Daseins: die Welt ist dem Dasein in ihrer Weltlichkeit immer schon gegeben und insofern Voraussetzung für alle Untersuchungen, welche sich den Dingen in der Welt zuwenden.[41] Deshalb unterscheidet Heidegger den Begriff „Welt“ (in Anführungszeichen) als Bezeichnung für die Summe alles Seienden, das innerhalb der Welt vorhanden sein kann, von dem Begriff der Welt (ohne Anführungszeichen), der sich auf das Phänomen der Weltlichkeit der Welt bezieht. Dies will Heidegger im nächsten Abschnitt am Beispiel der Umwelt in ihrer Alltäglichkeit verdeutlichen.
- Umweltlichkeit und Weltlichkeit
Heidegger schickt sich nun an, die Struktur der Welt als transzendentalen Erfahrungshorizont zu erläutern. Um deutlich zu machen, dass hinter die Zusammengehörigkeit von Dasein und Welt nicht zurückgegangen werden kann, verweist er darauf, dass im alltäglichem Leben immer schon einen Umgang mit der Welt erfolgt, den er als Besorgen bezeichnet. Auf dem Hintergrund dieses in der Praxis verwurzelten Besorgens begegnet dem Dasein die zu besorgende Umwelt.[42] Traditionell hat man, so Heidegger, in der Philosophie zum Thema der Ontologie aber die Substanzialität, Materialität und Ausgedehntheit zum Thema gemacht. Es scheint aber schwierig, auf der Grundlage von nackter Materie so etwas wie ein praktisches Ding zu verstehen, haftet doch dieses praktisch als Wert dem Ding nicht an.
Heidegger möchte das Verhältnis von Praktischen Dingen und bloßer Substanz grundsätzlich andersherum verstehen. Hierzu folgt eine Analyse des im Besorgen begegnendem, dem Zeug. Dies ist z. B. Schreibzeug, Papier, Tinte. Allerdings wird keines dieser Dinge aus sich selbst heraus verständlich, sondern ist immer schon in einen Sinnzusammenhang eingebunden, der seine jeweilige Funktion erschließt. Die einzelnen Verbindungen innerhalb deren das Zeug eingebunden ist, bezeichnet Heidegger als Um-zu. Die Summe der Um-zu ergibt den Gesamtkontext in dem ein Zeug eingebunden ist: die Zeugganzheit.[43] Dabei geht allerdings die Verweisungsganzheit den einzelnen Bezügen voraus, sie erst gibt dem einzelnen Zeug einen sinnvollen Platz. Diese Bestimmung des Zeug ist wesentlich ontologisch, weshalb Heidegger die Seinsart von Zeug Zuhandenheit nennt, um sie ontologisch von der bloßen Vorhandenheit abzugrenzen. Die Zuhandenheit erschließt sich dem Dasein im praktischen Umgang mit dem Zeug (im Hämmern mit dem Hammer), sie geht dem theoretischen Nur-noch-hinsehen auf den Hammer voraus. Dieses Nur-noch-hinsehen macht aus dem Hammer nachträglich ein bloß vorhandenes Masseding, indem er z. B. auf eine Waage gelegt wird, wodurch von seiner Zuhandenheit abgesehen wird.
Die Zuhandenheit kommt also nicht erst zu den bloß vorhandenen Dingen hinzu, so als würde man einen subjektiven Schleier über sie werfen, sondern das Zeug ist primär so. Scharf formuliert Heidegger deshalb: „Zuhandenheit ist die ontologisch-kategoriale Bestimmung von Seiendem, wie es ‚an sich‘ ist“.[44] Man hat diesen Primat der Praxis, wie er sich bei Heidegger findet, auch gelegentlich mit dem Titel „Pragmatismus“ versehen, wenngleich sich diese Bezeichnung eigentlich auf eine andere philosophische Traditionslinie bezieht, von der Heidegger jedoch keine Notiz nahm.
- Zum Vorschein kommen der Weltlichkeit
Heidegger widmet sich nun der Frage ob dem Dasein die Weltlichkeit der Welt, also die Verweisungsganzheit, in seinem praktischen (also nicht theoretischem) Weltbezug bewusst werden kann. Sie kann: Die Weltlichkeit der Welt meldet sich dann, wenn Zuhandenes beschädigt oder unbenutzbar ist: Wenn der Bleistift zerbrochen, die Schere stumpf ist.[45] Das Um-zu der Dinge ist in ihrem Verweisen auf ein Dazu gestört. Fällt ein Zeug aus, das heißt, wird es vom Zuhandenen zum kaputten und bloß noch Vorhandenen, so wird der Verweisungszusammenhang für das Dasein ausdrücklich. Freilich hat das Dasein in einer solchen Situation noch keine ontologische Theorie über den Vorfall, aber ihm ist die Weltlichkeit der Welt erschlossen.[46] Mit dem Terminus Erschlossenheit bezeichnet Heidegger eine präreflexive Erfahrung von Welt und eigenem Selbst, die im praktischen Umgang mit der Welt wurzelt.
Um das Phänomen des Verweisens herauszustellen, gibt Heidegger eine Analyse des Zeichens. Zeichen ist Zeug, dessen Zeugcharakter im Zeigen liegt (z. B. ein Blinker am Auto).[47] Das Zeichen steht aber nicht mit einem anderen Ding in Beziehung, sondern hebt die Zeugganzheit (z. B. den Zusammenhang von Verkehrsmitteln und -regelung) in die Umsicht. Das Zeichen als ontisch Zuhandenes lässt also die ontologische Struktur der Verweisungsganzheit sehen, nimmt aber gleichzeitig aus dieser erst seine spezifische Bedeutung. Im Umgang mit ihm wird es nicht bloß als Vorhandenes an angestarrt, sondern es wendet sich an die Umsicht des Dasein im besorgenden Umgang mit der Welt.
Diese herausgestellten Verweisungen münden letztendlich alle im Worum-willen des Daseins, denn nur dem Dasein geht es in seinem Sein um sein Sein selbst: Die Seinsart von Zeug (z. B. einem Hammer) nannte Heidegger Zuhandenheit (im Gegensatz zu Vorhandenheit). Die Zuhandenheit hat den Seinscharakter der Bewandtnis (z. B. das Hämmern). Die Umformulierung von „Verweisung“ nach „Bewandtnis“ soll deutlich machen, dass das Dasein konstitutiv für die Bewandnisganzheit ist.[48] Auf Basis des Um-Willen begegnen auch die Dinge in der Welt, sei es ein Zeichen, ein Werkzeug, ein Haus oder auch Rohstoffe in der Natur. Dies macht die Bedingung für die Weltlichkeit der Welt aus. Gleichzeitig lässt sich nun besser verstehen, dass die Welt ein Existenzial ist, d. h. zum Sein des Daseins gehört. Es lässt sich einwenden, dass die Weltlichkeit nur eine gedachte, also rein durch den menschlichen Geist auf die Welt geworfene Interpretation ist.[49] Dies entspricht der Position Descartes, der in seiner Ontologie nur Materie und Geist kennt. Heidegger wird sie im folgenden Abschnitt untersuchen.
- Kritik des cartesischen Subjektivismus. Erstens: Destruktion des Subjekt-Objekt-Dualismus
Heidegger rekapituliert: Descartes unterscheidet res cogitans, das Mentale und res extensa, das Physische. Das an sich selbst Seiende nennt er substantia. Das Wesen dieser Substanz besteht in der Ausgedehntheit. Diese aber lässt sich nicht erfahren, sondern nur die Substanzialität der Substanz, nämlich Härte, Gewicht, Farbe und so weiter. Diese Bestimmungen können von der Materie weggenommen werden bzw. müssen nicht erfahren werden und doch bleibt die Substanz, was sie ist.[50] Das Sein der Substanz wird also gerade durch eine Unabhängigkeit von anderem Seiendem erklärt.
Wie wenig Descartes der Problematik dieser Auffassung bewusst war, zeigt sich für Heidegger an Folgendem: Zwar bestimmt Descartes das Sein Gottes (ens perfectissimum) als von nichts anderem abhängig und das Sein der Welt (ens creatum) als Erschaffenes abhängig von Gott. Aber in den Sätzen „Gott ist“ und „die Welt ist“ kann doch dem Wort ist nicht beides mal die gleiche Bedeutung zukommen (ein bekanntes Problem der Scholastik). Descartes weicht nach Heidegger dieser Frage aus.[51] Die Bestimmung der Substanz bleibt paradoxerweise gerade durch ihre Unerfahrbarkeit charakterisiert.
Als einziger möglicher Zugang zur Welt wird von Descartes die mathematische Erfassung derselben postuliert: nur was so zugänglich wird ist im eigentlichem Sinne.[52] Damit gibt es aber für Descartes weder Welt noch Weltlichkeit im heideggerschen Sinn, da diese sich, wie Heidegger sagt, eben nicht mathematisch fassen lassen. Auch andere Zugangsarten zum Erfassen des Seienden, also das sinnliche Erleben lehnt Descartes ab: der Intellekt ist der einzige Zugang zum Seienden.[53] So bricht Descartes auch die Empfindung von Härte, die ja eigentlich etwas Gefühltes ist, auf das bloße Nebeneinander-Vorhandensein zweier res extensa herunter. Auf dieser Grundlage kann so etwas wie Dasein allerdings niemals richtig erfasst werden, denn Dasein ist eben nicht einfach nur Vorhandenes, sondern vielmehr die Bedingung dafür, dass so etwas wie Härte überhaupt begegnet. Eben von dieser Erfahrung der Härte muss man also zu allererst ausgehen, ihre nachträgliche Rekonstruktion aus der res extensa ist ontologisch äußerst fragwürdig – zumal man gar keinen Bauplan hätte, aus der sie zu rekonstruieren wäre, wenn man sie nicht zuvor erfahren hätte. Auch ein nachträglicher Zusatz von Wertprädikaten, welche der eigentlichen ontologischen Fundamentalschicht, der Substanz, zukommen, ist überhaupt nicht zu verstehen: das Sein dieser Werte bliebe ungeklärt.[54] Nach Heidegger bleibt zu fragen: Warum haben aber Descartes und die Tradition das Phänomen der Welt immer übersprungen und Sein auf innerweltlich Seiendes reduziert?
- Umwelt und Räumlichkeit des Daseins
Im zweiten Kapitel wurde herausgestellt, dass Dasein nicht einfach in der Welt ist, sondern durch das In-sein beschrieben werden muss. Trotz allem ist das Dasein auch räumlich, wie sich an der Räumlichkeit des Zuhandenen zeigt: Zuhandenes ist zur Hand, in der Nähe, Zeug hat seinen Platz, die Dinge gehören in eine Gegend und stehen nicht etwa im euklidisch-mathematischem Raum herum. Das Oben ist an der Decke, das Unten am Boden usw. Diese Orientierung an der Gegend macht das Umhafte der Umwelt aus.[55] Sie wird durch die Bewandtnisganzheit bestimmt.
Die Räumlichkeit des Daseins basiert auf dem In-Sein, sie äußert sich durch die Tendenz des Daseins auf Nähe: Dasein Ent-fernt: damit meint Heidegger, Dasein macht Ferne verschwindend, lässt Dinge begegnen, holt sie zu sich, z. B. auch durch technische Mittel wie Rundfunk und Verkehr.[56] Hierbei fassen Dasein die Entferntheit nicht als Abstand in gemessenen Metern oder Kilometern auf, sondern durch die Umsicht. Dies zeigt sich auch an der Alltagssprache: etwas ist „einen Katzensprung“ entfernt, bis dort ist es „ein Spaziergang“. Dementsprechend können objektiv (in Metern) kürzere Wege subjektiv viel länger sein, wenn sie zum Beispiel beschwerlich oder langweilig sind. Allerdings lehnt Heidegger die klassische Zuweisung objektiv (Meter) und subjektiv (Katzensprung) und die damit verbundene Höherbewertung der Objektivität ab: gerade das „nur“ subjektiv erfahrene zeigt nämlich die Welt wie sie wirklich ist, denn „Das umsichtige Ent-fernen der Alltäglichkeit des Daseins entdeckt das An-sich-sein der ‚wahren Welt‘ (.)“, denn das „Zuhandene der Umwelt ist ja nicht vorhanden für einen dem Dasein enthobenen ewigen Betrachter (.)“.[57]
Das Nähern der Dinge basiert auf dem besorgendem In-der-Welt-Sein, diese bringt eine Ausrichtung mit sich, in welcher auch die festen Richtungen nach rechts und links gründen. Heidegger zeigt am Beispiel Kants, dass das In-der-Welt-Sein beim Verständnis von links und rechts stets vor- und einhergeht (auch Kant greift nämlich hierauf zurück) und nicht a priori ein weltloses Subjekt angenommen werden kann, dem dann konstruktiv ein Verständnis von links und rechts zugesprochen wird.[58]
Ontologisch primär ist somit die Weltlichkeit des Raums (einen Katzensprung entfernt, an der Decke, in der Gegend). Erst durch Entweltlichung gelangt man zu einem vermessendem Umgang mit dem dreidimensionalen mathematischen Raum.[59] Der Raum konstituiert also nicht das Phänomen der Welt, sondern kann erst im Rückgang auf diese begriffen werden.[60] Der Raum ist somit weder im Subjekt (Kant) noch ist die Welt im Raum, sondern Dasein ist ursprünglich räumlich[61].
Viertes Kapitel §§ 25–27
- Kritik des cartesischen Subjektivismus. Zweitens: Destruktion des Subjekts als einzelnes
In diesem Abschnitt folgt der zweite Teil der Destruktion des cartesischen Subjektivismus. Hatte Heidegger zuvor versucht zu zeigen, dass es sinnlos ist von einem selbstgenügsamen Subjekt auszugehen, welches dann einen Zugang zur Welt und den Objekten zu finden hat, so konzentriert er sich nun auf eine in seinen Augen weitere Verfehlung Descartes: die Vorstellung eines Subjekts als von allen sozialen und zwischenmenschlichen Bindungen unabhängig seienden. Heidegger eröffnet den Abschnitt hierzu mit der Frage nach dem Wer? des Daseins. Gegen die nahe liegende Antwort ich wird Heidegger versuchen zu zeigen, dass das Dasein in seiner Alltäglichkeit gerade nicht eigentlich es selbst ist.[62]
Da Dasein nicht als Vorhandenes verstanden werden kann, darf die Frage nach dem Wer? nicht mit einer Essenz des Daseins, nicht mit einem Kern des Daseins beantwortet werden. Dasein ist nur, indem es existiert, also als Lebensvollzug, weshalb Heidegger die der ontologischen Tradition entspringenden Begriffe Essenz und Existenz gleichsetzt. Das Wesen des Daseins besteht besteht somit darin, dass es als Möglichkeit ist: „die Substanz des Menschen ist nicht der Geist als die Synthese von Seele und Leib, sondern die Existenz“.[63]
- Mit- und Selbstsein: Der Andere ist immer schon da
Dasein ist nie alleine, als isoliertes Ich ohne die Anderen. Im Laufe der Untersuchung wird sich erweisen, dass dieses Mitsein und Mitdasein grundsätzlich die Möglichkeit des Selbstseins bestimmen.[64] Daher schließt Heidegger zunächst eine Analyse dieser beiden Bereiche an. Die Anderen begegnen durch den zuhandenen, umweltlichen Zeugzusammenhang: so verweist zum Beispiel das verankerte Boot am Strand auf seinen Besitzer. Die Anderen sind nicht bloß zusätzlich vorhanden, sondern immer auch und mit da.[65] Auch meint, dass das Dasein die Anderen ebenfalls als Dasein versteht, ihr Sein als In-der-Welt-Sein begreft. Das Mit ist ein Existenzial und besagt, dass das Dasein sich gerade nicht von den Anderen unterscheidet, so nämlich, dass eine Brücke von isoliertem Subjekt zu Subjekt zu schlagen wäre: Mitsein lässt die Anderen immer als anderes Mitdasein begegnen, nie als zunächst nur Vorhandene. Mitsein meint also nicht ein summatives Vorkommen noch anderer Subjekte.
Da das Sein des Daseins als Sorge bestimmt wurde, gründet hierin auch das Mitsein: das Verhältnis zu Anderen fasst Heidegger in der Fürsorge. Sie umfasst auch die Modi der Defizienz (z. B. Wider-einandersein) und der Indifferenz (Einander-nichts-angehen).[66] Positive Fürsorge kann weiterhin in zwei Formen auftreten, sie kann für den anderen einspringen, dem Anderen die Sorge abnehmen, dies führt für diesen jedoch zur Abhängigkeit, oder aber sie kann für den Anderen vorspringen, sodass sie nämlich dem Anderen hilft, für seine eigene Sorge frei zu werden. Wie zum Besorgen die Umsicht gehörte, so eignet der Fürsorge die Rücksicht und Nachsicht. Mitsein ist somit umwillen Anderer, Besorgen umwillen seiner selbst.[67]
- Das Man als das Wer des alltäglichen Daseins
Mit dem Terminus Man fasst Heidegger den kulturellen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund des Daseins. Der Mensch ist als kulturelles Wesen stets auf ein Überlieferungsgeschehen angewiesen und durch dieses bestimmt. Die Summe der kulturellen und gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen nennt Heidegger Faktizität. Von ihr kann niemals abgesehen werden, da sie wesentlich zum Mensch als kulturelles Wesen gehören. Wird dem Dasein seine Bestimmung durch die Tradition jedoch nicht bewusst, so ist es den vorgegebenen Verhaltensmustern und Anschauungen ausgeliefert. Diesen Zustand des Ausgelieferseins nennt Heidegger uneigentlich.[68]
Heidegger hat nun andererseits den Menschen als Möglichkeit bestimmt: was ihn ausmacht, ist seine Existenz. Allerdings ist unser Verständnis der Möglichkeiten zunächst durch die Anderen bestimmt. Sie nehmen dem Dasein das Sein ab, Dasein steht in der Botmäßigkeit der Anderen.[69] Die Anderen sind hierbei niemand Spezielles und so lautet die Antwort auf die Frage, wer das Daseins in seiner Alltäglichkeit ist: das Man.
- „Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ‚großen Haufen‘ zurück, wie man sich zurückzieht.“
Das Man wacht über jede sich vordrängende Ausnahmen:
- „Alles Ursprüngliche ist über Nacht als längst bekannt geglättet. Alles Erkämpfte wird handlich. Jedes Geheimnis verliert seine Kraft. Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wir die Einebnung nennen wollen“.[70]
Diese Funktion des Man bezeichnet Heidegger als Öffentlichkeit. Das Man übernimmt zudem die Verantwortung für das Dasein, denn das Dasein kann sich stets auf es berufen: Das macht man so. Heidegger formuliert scharf: „Jeder ist der Andere und Keiner er selbst.“
Das Man hat auch auf die Entwicklung der philosophischen Tradition seine Auswirkung, denn es bestimmt das vorontologische Verständnis des Daseins, d. h. die Auslegung des Sinns des Seins, als auch seine ontologische Auffassung des Daseins als aus der Welt heraus verstanden.[71]
Der uneigentlichen Fremdbestimmung stellt Heidegger das eigentliche Selbstsein als existentielle (nicht existenziale) Modifikation des Man entgegen. Hierzu analysiert Heidegger im folgenden Abschnitt die drei dem In-sein zugeordneten Existenzialien Befindlichkeit, Verstehen und Rede. In dem Bestreben, ein authentisches Leben zu führen, kann das Dasein, so Heidegger, nur im Rahmen dieser Existenzialien bleiben, sie konstituieren ja das Menschsein. Allerdings ist es ihm möglich, sich zu ihnen zu verhalten und so eine Modifikation ihrer vom uneigentlichen hin zum eigentlichen zu vollziehen.
Fünftes Kapitel §§ 28–38
Mit einer Analyse des In-Seins (den Momenten des In-der-Welt-Seins) wird die Untersuchung wieder mehr auf das fundamentalontologische Feld zurückgeführt. Da es dem Dasein in seinem Sein immer um sich selbst geht, geht es ihm auch darum, sein Da zu sein. Die drei Elemente, welche das Da des Daseins ausmachen, fasst Heidegger mit den ontologischen Termini
- Befindlichkeit
- Verstehen
- Rede.
Um die volle Bedeutung dieser drei Bestimmungen einzuschätzen, muss man bedenken, dass Heidegger mit ihnen die Grundbestimmung des Menschen als ein praktisch, moralisch, handelndes Wesen wieder aufnimmt und damit implizit an Aristoteles anknüpft.[72] Eine grundsätzliche Analyse der drei Momente es In-seins erfolgt im folgenden Abschnitt A., während ihre alltägliche Ausprägung unter B. untersucht wird, wo sie sich als uneigentlich erweisen. Damit das Dasein sich eigentlich zu ihnen Verhalten kann, wird sich die Zeit als notwendig erweisen, denn erst sie ermöglicht es, sich auf ein zukünftiges Seinkönnen hin zu entwerfen. Die Analyse der Zeit erfolgt im zweiten Teil des Buches.
Heidegger behandelt die drei Elemente als gleichursprünglich, was bedeutet, dass sich keines der drei auf ein anderes reduzieren oder zurückführen lässt.[73]
- A. Drei Existenzialien erschließen die Welt: Befindlichkeit, Verstehen und Rede
- 1) Befindlichkeit als ontologische Voraussetzung für ontische Stimmungen
Das Da in Dasein soll die Erschlossenheit der Welt betonen. Eine dieser Grundarten, welche dem Dasein die Welt erschließt, ist die Befindlichkeit. Erschließen meint dabei für Heidegger nicht so etwas wie logisch durch einen Schluss gewinnen, sondern vielmehr Aufgeschlossenheit. Während in der Tradition Affekte und Gefühle lediglich als Begleitphänomene behandelt wurden,[74] betont Heidegger die zentrale Rolle der Befindlichkeit für das Erschließen von Welt.[75] Damit möchte er vor allem die rein erkenntnistheoretisch ausgeprägte – und damit an die Vernunft gekoppelte – Tradition überwinden. Stimmungen sind ein wesentlicher Teil des Menschseins und für Heidegger sogar die Möglichkeitsbedinung des besorgenden Daseins. Sie bilden den tragenden Grund für den Selbst- und Weltbezug des Menschen, von dem nicht abstrahiert werden kann, denn sie haben wesentlich erschließende Funktion. So erschließt die Befindlichkeit dem Dasein:
- den Lastcharakter des Daseins, die Faktizität der Überantwortung, also die Geworfenheit des Daseins, dass es ist und zu sein hat. Damit meint Heidegger, dass das Dasein zwar wählen kann, wie es sein Leben konkret (existenziell) gestaltet, jedoch des Wählenmüssens kann es sich nicht entledigen. Dem Dasein wird dies meist in einer Verstimmung bewusst, einer Weise der Abkehr von der verstimmenden Rätselhaftigkeit des Daseins: der Frage nach dem Woher und Wohin des Daseins.[76] Die Befindlichkeit ist die zum menschlichen Leben gehörende Gegenseite zum rationalen und klaren Verstehen. Mit ihr möchte Heidegger betonen, dass auch das Trübe und Unverständliche eine bedeutende Rolle für die Existenz des Daseins spielt.
- Befindlichkeit erschließt das In-der-Welt-Sein als Ganzes und macht so ein „Sichrichten auf“ allererst möglich.[77] Nur weil also die Welt das Dasein als Ganzes angeht, wird es auch einzelne Dinge und Geschehnisse in ihr als etwas wahrnehmen, das es selbst betrifft.
- Drittens macht die Befindlichkeit ein Erschließen der Umhaftigkeit der Umwelt erst möglich: die Dinge gehen das Dasein etwas an in ihrer Undienlichkeit, Widerständigkeit und Bedrohlichkeit. Solche Phänomene wären ohne die Befindlichkeit – also z. B. aus einer rein erkenntnistheoretischen Sicht – nicht zu verstehen.
Zur Verdeutlichung des Phänomens gibt Heidegger in § 30 eine Analyse der Furcht als Modus der Befindlichkeit. Die Aufschlüsselung legt drei Strukturelemente der Furcht frei. 1) Das Wovor: die Bedrohlichkeit eines innerweltlich Seienden, damit ist die Furcht durch Intentionalität gekennzeichnet, 2) das Fürchten: als sich-angehen-lassen und 3) das Worum: das Dasein als Seiendes, dem es in seinem Sein um sich selbst geht.[78] (An Heideggers Analyse knüpfen aktuelle Diskussionen um die Intentionalität von Gefühlen und Stimmungen an. Dabei kann man z. B. erstere als intentional charakterisieren, Stimmungen hingegen als ohne speziellen Gegenstand.)
- 2) Verstehen als Aktivität und Selbstbestimmung
„Im Worumwillen ist das existierende In-der-Welt-sein als solches erschlossen, welche Erschlossenheit Verstehen genannt wurde“ (Vgl. § 18). Verstehen bezeichnet bei Heidegger nicht – entsprechend des umgangssprachlichen Gebrauchs – ein Erkennen. Das Verstehen des Worumwillen zielt auf den praktischen Vollzug als Sein-können, so wie man auch umgangssprachlich sagt „Er versteht sich auf das Zigarettendrehen.“ Das im Verstehen vorweggenommene Seinkönnen betitelt Heidegger mit Entwurf,[79] Dasein entwirft sich auf seine Möglichkeiten hin. Das Verstehen geschieht nun in zwei Weisen: als eigentliches und uneigentliches Verstehen. Als uneigentliches Verstehen versteht sich das Dasein aus der Welt heraus, während eigentliches Verstehen dem Worumwillen des eigenen Daseins entspringt: dann existiert Dasein als es selbst.
Für den praktisch-moralischen Bezug des Daseins auf die Welt und die Anderen führt Heidegger drei „Sichten“ ein: Umsicht (praktisches Hantieren), Nachsicht (Umgang mit anderen Menschen), Durchsicht (Selbstbezug des Daseins). Die Sicht, welche mit dem eigentlichen Verstehen einhergeht, nennt Heidegger Durchsichtigkeit, in ihr wird dem Dasein die Struktur seiner Existenz ersichtlich.[80] Der Terminus Sicht soll zugleich den Primat der Praxis deutlich machen und Heideggers Auffassung gegen erkenntnistheoretisch konnotierte Begriffe wie „Wahrnehmen“ abgrenzen.
Da sich nun Dasein auf Möglichkeiten hin versteht, entwirft es sich auf diese hin. Das thematische und explizite Entwerfen auf Möglichkeiten hin nennt Heidegger Auslegung.[81] Der Begriff, ursprünglich auf das Auslegen von Texten bezogen, macht die hermeneutische Dimension des Entwurfs deutlich: Das Dasein kann nicht „bei Null anfangen“, es muss von vorgegebenen (faktischen) Gegebenheiten und Situationen ausgehen, so wie man bei der Auslegung eines Textes zumindest irgendetwas verstanden haben muss, um daran anzuknüpfen.
Heidegger schlüsselt diese unumgängliche hermeneutisch Konstitution in drei Momente auf: in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff.[82] Da der Bezug des Daseins zur Welt wesentlich im moralischen, praktischen und handelnden Umgang wurzelt, sind unter diesen Aspekten die Dinge und Ereignisse „immer schon“ verortet. Heidegger bezeichnet diese vorausgehende Interpretation als Vor-Struktur des Daseins. Die Vor-Struktur ist ein Interpretationsrahmen innerhalb dessen alles etwas als etwas verstanden wird. (Das schließt auch das unverstandene Unbekannte mit ein, nämlich als unbekannt Verstandenes.) Da das Verstehen also Bedingung für jedes weitere Verstehen ist, besteht dieser hermeneutische Zirkel offensichtlich zu Recht. Es kann dann nur noch darum gehen, in diesen Zirkel nach der richtigen Art hineinzukommen, denn ein Nullpunkt des Verstehens, von dem aus sich erst alles andere entwickelt, ist weder denkbar, noch möglich.[83]
Ausgehend von diesen Betrachtungen definiert Heidegger Sinn:
„Wenn innerweltlich Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. (…) Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.“
Das bedeutet aber, Sinn steht in untrennbaren Zusammenhang mit dem Dasein: Sinn ist ein Existenzial des Daseins. Somit versteht das Dasein auch streng genommen nicht den Sinn „von etwas“, sondern das Seiende bzw. das Sein. Für die Leitfrage (die Seinsfrage) der Untersuchung folgt damit, dass wenn nach dem Sinn von etwas gefragt wird, wir nicht nach etwas hinter dem Sein gefragt wird, sondern nach dem Sein selbst.[84]
- 3) Rede: Das artikulierte Leben
Die Rede liegt Auslegung und Aussage schon zugrunde, denn sie ist die notwendig vorausgehende „bedeutungsmäßige Gliederung der befindlichen Verständlichkeit des In-der-Welt-seins.[85] Was sie artikuliert, ist der Sinn, also die Gliederung der Bedeutungsbezüge zwischen den Dingen, Menschen und Geschehnissen der Welt. Wenn die Rede hinausgesprochen wird, so kommt sie zu innerweltlichem Sein, sie wird Sprache.[86] Rede ist also der ontologische Begriff für das ontische Phänomen der (z. B. deutschen) Sprache.
Heidegger bestimmt vier Strukturmomente der Rede: 1.) das Worumwillen der Rede, 2.) das Geredete, 3.) die Mitteilung und 4.) die Bekundung. Sie gehören im praktischen Lebensvollzug stets zusammen, weshalb Heidegger sich kritisch gegen einen Begriff von Sprache wendet, der die propositionale Aussage, bei welcher die Aspekte 1.) und 2.) überwiegen, als vornehmlichen Zugang zur Sprache ansieht. Bei der ontologisch richtigen Verstandenen Mitteilung, so Heidegger, wandert nicht eine Meinung oder ein Wunsch vom einen Subjekt zum anderen, sondern es wird das Mitsein (Mitverstehen und Mitbefindlichkeit also die Verwurzelung im praktischen Lebensvollzug) ausdrücklich geteilt. Nach Heidegger hat die traditionelle Sprachwissenschaft bis jetzt die Verwurzelung der Sprache in der Ontologie des Daseins nicht in ihren Blick gebracht, weshalb ihr das Sein dieses Seienden (der Sprache) dunkel blieb.[87]
Heidegger schickt im § 33 ein Untersuchung zur traditionellen Urteilstheorie voran, in welchem er die „Aussage als abkünftigen Modus der Auslegung“ zeigt. Wie auch an anderer Stelle verfolgt Heidegger hier das Motiv den Primat der Praxis vor der Theorie zu belegen. Die philosophische Tradition hat hingegen, so Heidegger, die Aussage als Mitteilung von Eigenschaften (Prädikation, d. h. von einem Subjekt wird ein Prädikat ausgesagt) einer Sache gefasst.[88] Dem steht aber entgegen, dass der primäre Umgang mit den Dingen ein praktischer ist, also ein umsichtiges Hantieren mit ihnen. Das notorische Beispiel ist der Hammer: Wenn der Hammer zu schwer ist, legen wir ihn beiseite und nehmen wortlos einen leichteren. Bei einer Aussage (im Sinne der traditionellen Prädikation) passiert nun nach Heidegger jedoch folgendes: Das Womit des Hantierens wird zu einem Worüber der Aussage, die in der Praxis wurzelnde Als-Verweisung (Hammer als etwas zum Hämmern) der Auslegung wird zu einem bloßen als Vorhandenes. Heidegger sagt, das existenzial hermeneutische „Als“ der umsichtigen Auslegung wird zum apophantischen „Als“ der Aussage.[89] Der Wechsel vom hermeneutischen Verstehen des Hammers als etwas zur theoretischen Aussage über den Hammer als etwas markiert dabei für Heidegger die „Abkünftigkeit“ der Theorie von der Praxis. Mit ihr einher geht der Wechsel vom Zuhandenen zum Vorhandenen.
Dies hat auch philosophiegeschichtliche Auswirkungen: Da nun sogar der Logos in der Tradition als Vorhandenes aufgefasst wurde (Wörter), entwickelte sich eine Urteilstheorie, welche das Urteil als das Verbinden und Trennen von Begriffen sieht. Darauf aufbauend entwickelt sie dann eine Logik als Regel für die Beziehung der Begriffe aufeinander. Dass die Philosophie gegen ihre in der Praxis wurzelnde Basis blind wurde und gerade in der Logik und Urteilstheorie einen vornehmlichen Zugang zur Wahrheit entdeckte, stellt für Heidegger einen Sündenfall im sprachphilosophischen Denken des Abendlandes dar.[90] Heidegger wird sich außerdem in § 68 anschicken zu zeigen, dass die Rede nur in ihrem Zusammenhang mit den zeitlichen Dimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Sinn ergibt.
- B. Verfallenheit: Rede, Verstehen und Befindlichkeit unter der Herrschaft des Man
Nachdem Verstehen, Befindlichkeit und Rede als für das Da des Daseins grundlegend untersucht wurden, betrachtet Heidegger sie in diesem Abschnitt in ihrem alltäglichen Auftreten. Da das Dasein zunächst und alltäglich im Man aufgeht, werden auch die drei Elemente Verstehen, Befindlichkeit und Rede vom Man her bestimmt.
Existenzial | Bestimmung vom Man her / Modus der Uneigentlichkeit |
Rede | Gerede |
Verstehen | Neugier |
Befindlichkeit | Zweideutigkeit |
- Reden und schreiben, worüber man redet und schreibt: Das Gerede
Ging es in der Rede darum, im Bezug auf Seiendes sich mitzuteilen, so geht es im Gerede hauptsächlich um das Gesagtsein, das Diktum, welches für die Echtheit und Sachgemäßheit einsteht. Es gibt also keinen Seinsbezug zum Seienden, das Gerede hebt ab und setzt sich in Weiter- und Nachrede fort, ebenso wie im Geschreibe. Somit wird jedoch das Gerede anders als die erschließende Rede zum verschließen eines Verständnisses. Da beide von der Aufgabe echten Verstehens entbinden, erleichtert ihnen dies den Einzug in die Öffentlichkeit: jeder kann das Geredete aufraffen, nach- und weiterreden.[91] In diese alltägliche Ausgelegtheit der Welt wächst nun das Dasein hinein und auch nur in ihr und aus ihr heraus kann sich echtes Verstehen vollziehen. Die Ausgelegtheit durch das Man geht sogar soweit, dass sie die Befindlichkeit vorzeichnet, also die Grundart, in welcher wir uns von den Dingen angehen lassen.</ref>Vgl. SZ, Seite 170</ref>
- Was man interessant findet: Die Neugier
Es folgt in § 36 eine Analyse der Neugier. Ausgehend vom Primat des Sehens für Wissenschaft, schlägt Heidegger eine Brücke zur Neugier: gibt es nichts mehr zu tun, beginnt das Dasein die Welt zu sehen in ihrem bloßen Aussehen. Es geht ihm nicht um Verständnis, sondern nur um das Sehen. Daher sucht die Neugier stets das Neue, ihre drei Momente sind Unverweilen, Zerstreuung und Aufenthaltslosigkeit.[92] Auch die Neugier wird durch das Man bestimmt: Es sagt, was man gesehen oder gelesen haben muss.
- Was einen anzugehen hat: Die Zweideutigkeit
Als drittes Phänomen der Erschlossenheit des alltäglichen Daseins führt Heidegger die Zweideutigkeit an (§ 37): „Alles sieht so aus wie echt verstanden (…)“. Wenn jeder schon alles weiß und gesehen hat, so erstickt die Zweideutigkeit hierdurch die Möglichkeiten des Daseins in ihrer Kraft.[93] Jeder ahnt, was man so machen könnte, wird dies jedoch einmal wirklich von einem Einzelnen realisiert, so verlieren Gerede und Neugier ihre Macht über ihn – das Gerede aber rächt sich: das hätte man auch machen können. „Gerede und Neugier sorgen in ihrer Zweideutigkeit dafür, dass das echt und neu Geschaffene bei seinem Hervortreten in die Öffentlichkeit veraltet ist.“[94]
- Verfallen und Geworfenheit: Gerede, Neugier und Zweideutigkeit gehören zum Menschsein
Auch wenn die Worte Gerede, Neugier und Zweideutigkeit nicht frei von einer pejorativen Mitbedeutung sind, so verwahrt sich Heidegger dagegen, sie als moralische Begriffe zu deuten und betont sein rein deskriptives Anliegen. Gerede, Neugier und Zweideutigkeit gehen nämlich nicht aus einer bewussten, gar böswilligen Verstellung des Daseins hervor. Sie sind vielmehr Folgen des Verfallens an die Welt und der Geworfenheit in die kulturelle Praxis und Überlieferung. Da der Mensch immer in eine Tradition eingebunden ist und sich ihrer bedienen muss, so ist ihm dies nicht als Verfehlung anzurechnen. Die Verfallenheit und Geworfenheit gehören zur Wahrheit seiner Existenz.
Der Terminus Verfallen soll anklingen lassen, dass das Dasein von ihm selbst abfällt und an die Welt verfällt als „schon sein bei.“ Das Dasein ist sodann uneigentlich: Es ist immer schon bei der Welt als Seinsart des In-Seins jedoch so, dass es von ihm selbst abgefallen ist, d. h. in der Seinsverfassung des Verfallen. („Ein existenzialer Modus des In-der-Welt-seins dokumentiert sich im Phänomen des Verfallens.“[95]) Eindringlich und drastisch schildert Heidegger die durch Verfallen und Geworfenheit begründete Passivität des Daseins: Grund für das Verfallen ist das Dasein selber. In Form von Gerede und Ausgelegtheit unterbreitet es sich selbst, die Versuchung zu verfallen. Die Entschiedenheit und Selbstgewissheit des Man beruhigen das Dasein jedoch und führen zu einer Unbedürftigkeit des echten Verstehens. Die Beruhigung jedoch führt nicht zu einem Stillstand sondern geradewegs in den Betrieb, in das Alles-kennen-lernen wollen, das angebliche Verstehen fremder Kulturen, das Spiegeln in allen Deutungsmöglichkeiten.[96] Da jedoch ungefragt bleibt, was es überhaupt zu verstehen gilt, treibt das Dasein so einer Entfremdung zu. Da ihm ein echtes Verstehen verschlossen bleibt, verfängt es sich letztendlich in sich selbst. Versuchung, Beruhigung, Entfremdung und Verfangen bilden eine Bewegtheit, die Heidegger den Absturz des Daseins nennt. Dieser Absturz hat den Charakter eines Wirbels, in welchen das Dasein immer schon geworfen ist.
Mit dieser Analyse stellt Heidegger sich gegen die in der neuzeitlichen Philosophie überwiegenden Auffassung des Menschen als autonomes Subjekt. Gegenüber der aktiven Selbstbestimmung und dem Gelingen, weist er damit die Passivität, das Scheitern und die Motivationslosigkeit als eine ebenfalls zum menschlichen Leben dazugehörige Seite aus.
Sechstes Kapitel §§ 39–44
- Das sechste Kapitel als zentrales Bindeglied zwischen den beiden Teilen von „Sein und Zeit“
Durch die in Kapitel 2–5 ausgebreitete Analyse ergab sich: Die durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins kann bestimmt werden als das verfallend-erschlossene, geworfen-entwerfende In-der-Welt-sein, dem es in seinem Sein bei der Welt und im Mitsein mit Anderen um das eigenste Seinkönnen selbst geht.[97] Dieses Strukturganze soll nun im sechsten Kapitel in seiner Ganzheit sichtbar gemacht werden: das Sein des Daseins wird als Sorge bestimmt. Heideggers Anliegen ist es also, in den folgenden Paragraphen 1.) zu zeigen, dass durch die Bestimmung der einzelnen Existenzialien und der Struktur des In-der-Welt-seins nicht das aus dem Blick gerät, dass Dasein immer ein Ganzes ist und 2.) erneut zu bewähren, dass die ontologischen, phänomenologischen und existenzialen Bestimmungen eine ontische, phänomenale und existenzielle Entsprechung haben und es sich nicht um eine davon abgehobene Konzeption handelt.
Den Begriff der Sorge versucht Heidegger dabei nicht von einer Idee des Menschen abzuleiten, sondern ihn als von sich aus angemessene Bestimmung zu erweisen. Um ein paradigmatisches Herangehen zu vermeiden, wird Heidegger als „vorontologische Bewährung“ der Sorge die Cura-Fabel anführen.[98]
In der Angst als Grundbefindlichkeit wird Heidegger den phänomenalen Boden für das Erfassen des Seins des Daseins als Sorge suchen (§ 40). Innerhalb des Zusammenhangs von Sorge, Weltlichkeit, Zuhandenheit und Vorhandenheit wird anschließend Realität zum Thema und das hiermit verbundene Problem von Idealismus und Realismus (§ 43), an welche Analyse Heidegger seine Auffassung des Wahrheitsbegriffes anknüpft (§ 44).
Das sechste Kapitel verbindet außerdem die beiden Teile von „Sein und Zeit“, also den ersten Teil, in welchem die Existenzialien herausgearbeitet werden und den zweiten Teil, welcher diese auf ihre Zeitlichkeit hin interpretiert. Heidegger bereitet die zeitliche Interpretation vor, indem er die Bestimmung der Sorge umformuliert als „Sich-vorweg-schon-sein-in(-der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“. Die Worte vorweg, schon und bei verweisen hierbei auf die zeitlichen Dimensionen von Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart.
- Die Befindlichkeit der Angst erschließt dem Dasein sein In-der-Welt-Sein
Bei der bereits in § 30 gelieferten Analyse der Furcht stellte sich heraus, dass das Wovor der Furcht immer ein innerweltlich Seiendes ist – womit man sagen könnte Furcht ist intentional. Die Angst hingegen hat keine konkreten Gegenstand: das Wovor der Angst ist unbestimmt, kennt kein Hier und Dort aus dem sich das Bedrohliche nähert. Trotz dieser Unbestimmtheit aber führt die Angst zu einer Flucht des Daseins. Das Dasein flieht aber nichts Innerweltlichem sondern sich selbst. „Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein als solches.“[99] In der Flucht aber flieht das Dasein nicht aus der Welt sondern in diese als Welt, d. h. flieht sich selbst, um verfallend in der Welt und im Man aufzugehen.
Befindlichkeiten haben eine erschließende Funktion. Grunsätzlich ist für Heidegger jede Befindlichkeit dazu geeignet das In-der-Welt-sein zu erschließen, die Angst zeichnet sich jedoch in einer besonderen Weise aus. In der Befindlichkeit der Angst sinkt für das Dasein die Bewandtnisganzheit des Zuhandenem zur Unbedeutsamkeit in sich zusammen. Wenn die Welt jedoch für das Dasein an Bedeutsamkeit verliert, so kann es sich nicht mehr in die Welt und das Besorgen flüchten. Auch die öffentlichen Angebote des Man werden für das Dasein bedeutungslos und bieten keine Möglichkeit zur Flucht. Damit wird dem Dasein sein In-der-Welt-sein als Möglichsein bewusst: Die Angst holt das Dasein aus seinem verfallendem Aufgehen in der Welt und bringt es vor die Welt und vor sich selbst als Möglichsein.[100]
In der Angst ist dem Dasein unheimlich (als Nicht-zuhause-sein): Die alltägliche Vertrautheit bricht in sich zusammen, das Dasein ist auf sich vereinzelt und kann sich nicht mehr ohne Weiteres in das Man flüchten. Für Heidegger ist diese Unheimlichkeit das ursprünglichere Phänomen gegenüber dem beruhigt-vertrautem In-der-Welt-Sein, d. h., das Dasein muss sich ein Zuhause, in dem sich wohnen lässt, erst schaffen.
Das Wovor der Angst ist also das In-der-Welt-sein mit seinen drei Strukturelementen, die durch die Grundbefindlichkeit der Angst jeweils folgendermaßen erschlossen werden:
alltägliches Moment des In-der-Welt-seins | durch die Angst erschlossen |
Wohnen bei … | unheimliches In-sein |
Verfallen an die Welt | Unbedeutsamkeit, Belanglosigkeit der Welt |
Aufgehen im Man | Möglichsein, Selbst-sein-können |
- Bestimmung des Seins des Daseins als Sorge
Dasein ist Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht. Es wird durch die Angst vor sein Seinkönnen gebracht. Das Ganze der herausgearbeiteten Strukturmomente belegt Heidegger nun mit dem Terminus der Sorge. Gleichzeitig reformuliert er Existenzialität, Faktizität und Verfallen so, dass deren zeitlicher Aspekt hervortritt:
Dasein ist auch immer schon ungefragt in eine Welt geworfen (Faktizität). Es muss sich also selbst übernehmen, was es im Lebensvollzug tut. Dieses Sich-vorweg-sein beinhaltet: Dasein ist in seinem Seinkönnen immer schon „über sich hinaus“. Um aber gegenwärtig für sich zu sorgen, ist es auf die Welt angewiesen und als verfallenes zunächst und meist beim besorgten innerweltlichen Zuhandenen. Heidegger fasst dementsprechend Sorge als „Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden).“ Damit umfasst Sorge nicht bloß die Existenzialität, sondern auch Geworfenheit und Verfallen:
Strukturmoment der Sorge | ontologischer Charakter | zugehörige Ekstase der Zeitlichkeit |
Sich-vorweg-sein | Existenzialität | Zukunft |
Schon-sein-in-der-Welt | Faktizität | Vergangenheit |
Sein-bei | Verfallen | Gegenwart |
Die Bestimmung des Seins des Daseins als Sorge ist so grundlegend, dass für Heidegger sowohl Theorie als auch Praxis nur als Ausprägungen der Sorge zu verstehen sind. Ebenso sind Wollen, Wünschen, Hang und Drang in der Sorge verwurzelt, ein Sachverhalt, den Heidegger nur kurz skizziert: Wollen braucht ein Gewolltes, während Wünschen auf Unerfüllbares geht und somit Möglichkeiten eher verschließt denn eröffnet. Der Hang ist durch ein passives Gelebt-Werden charakterisiert, es wird etwas nachgehangen, während hingegen der Drang sich durch ein Hin-zu um jeden Preis auszeichnet und so unter Umständen Befindlichkeit und Verstehen überrennt.
In § 42 möchte Heidegger dann eine vorontologische Bewährung der Bestimmung des Seins des Daseins als Sorge liefern, indem er die Cura-Fabel des Hyginus zitiert (der lateinische Text findet sich hier). Bedeutung gewinnt dieses Zeugnis für Heidegger durch das nicht konzeptionelle Selbstverständnis des Daseins als Sorge und den Ursprung des Begriffs der Sorge in der Geschichte.
- Realität und „Außenwelt“
Das Verfallen des Daseins an die Welt bringt es nach Heidegger mit sich, dass Realität (im Sinne der Vorhandenheit: „etwas ist wirklich vorhanden“) und Sein fälschlich miteinander identifiziert werden, weshalb entsprechend Substanzialität als Grundbestimmung des Seins angenommen wird. So wird jedoch das Reale als unabhängig vom Dasein gedacht, als etwas, dem ein eigenständiges Sein außerhalb des Daseins zukomme. Zwar gibt es für Heidegger Daseins-unabhängiges Seiendes, dessen Sein ist jedoch nur im Verbindung mit dem Dasein zu verstehen.
Erst durch die Missachtung der ontologischen Differenz, ergibt sich die Vorstellung eines Seins unabhängig vom Dasein und es stellt sich die Frage, wie das Subjekt „nach draußen“ kommt, in die „Sphäre des Realen“. Solche Fragen erweisen sich jedoch aus der Sicht Heideggers als Scheinprobleme. Heidegger greift im Folgenden verschiedene Spielarten dieser Denkweise auf und versucht auf ihre unausgesprochenen Prämissen aufmerksam zu machen. Dabei ist grundsätzlich festzuhalten, dass alle „Außenwelt“-Probleme von einer Situation ausgehen, die es so nicht gibt, denn es wird doch die Frage nach der „Außenwelt“ notwendigerweise vom Dasein selbst in seinem In-der-Welt-sein gestellt, daher ist „[d]ie Frage, ob überhaupt eine Welt sei und ob deren Sein bewiesen werden könne, […] als Frage, die das Dasein als In-der-Welt-sein stellt – und wer anders sollte sie stellen? – ohne Sinn.“[101] Wenn Kant es einen „Skandal der Philosophie“ nannte, dass der Beweis für die Existenz der „Außenwelt“ immer noch fehle, so kontert Heidegger: „Der ‚Skandal der Philosophie‘ besteht nicht darin, dass dieser Beweis bislang noch aussteht, sondern darin, dass solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden“.[102] Ob man die „Außenwelt“ nun versucht zu beweisen, an sie glaubt, oder sie voraussetzt, allen diesen Positionen ist die nach Heidegger verfehlte Auffassung gemeinsam, dass sie völlig unbegründet ein weltloses selbstgenügsames, mentales, innerliches Subjekt ansetzen, welches sich anschließend erst seiner Welt versichern muss.[103]
Somit bleibt nicht die von Heidegger als Scheinproblem identifizierte Frage nach der „Außenwelt“ und ihrer Erscheinungen zu klären, sondern vielmehr die Frage, warum die Welt als „Außenwelt“ immer wieder zum Problem wird – dies entspricht einem Wandel von einer erkenntnistheoretischen Frage hin zu einer hermeneutischen, die nach den „Motiven“ für die Verfehlung des Problems sucht. Für Heidegger liegt der Grund hierfür im Verfallen des Daseins, das in seinem Seinsverständnis zunächst vom Vorhandenen ausgeht. Das Dasein findet dann als Vorhandenes zunächst und sicher nur das Innere (des Bewusstseins, der Person, des Subjekts, des Erkenntnisapparats) vor, von wo aus dann der Absprung in die vermeintliche „Außenwelt“ erfolgen soll.[104]
- Realismus und Idealismus
Für Heidegger ergibt sich Folgendes zum klassischen philosophischen Gegensatz zwischen Realismus und Idealismus: Der Realismus hat Recht damit, dass die „Außenwelt“ real vorhanden sei, aber die dahinter liegende Beweisbedürftigkeit und Beweisbarkeit der „Außenwelt“ lehnt Heidegger ab. Hingegen hat der Idealismus für Heidegger einen grundsätzlichen strukturellen Vorzug, insofern jener betont, Sein und Realität seien nur im „Bewusstsein“, d. h. Sein ist nur für das Dasein. In dieser Lesart erweist sich der Idealismus daher als sinnvoll, da er betont, dass Sein nicht aus Seiendem erklärt werden kann. Idealismus darf allerdings nicht heißen, dass man alle Realität auf ein ontologisch nicht geklärtes Subjekt zurückführt.[105]
Diese Passage unterstreicht, warum Heidegger von manchen Interpreten dem Idealismus zugezählt wird. Heidegger gibt hier jedoch nur Sympathien aufgrund von Strukturähnlichkeiten zwischen idealistischem Weltzugriff und ontologischer Verfasstheit des Daseins zu erkennen. Letztlich lehnt Heidegger die Unterscheidung von Idealismus und Realisms als ontologisch zu kurz greifend ab.
Heidegger bringt sich mit seiner Ablehnung des „Außenwelt“-Problems in eine gewisse Nähe zu Positionen Max Schelers und Wilhelm Diltheys, die Realität ebenfalls nicht im Bezug auf das Erkennen auslegen, sondern auf einen praktischen und voluntativen Lebensvollzug und der damit verbundenen Widerständigkeit der Welt hin. Er kritisiert sich aber auch, da sie nicht die dieser zugrunde liegende Struktur der Sorge in den Blick bringen.[106]
- Realität und Sorge
Realität ist für Heidegger ein ontologischer Titel, der auf innerweltlich Seiendes bezogen ist. Das heißt aber: in der Welt – in der ja Innerweltliches begegnet – ist Realität immer schon vorausgesetzt. Was innerweltlich begegnet, sind Zuhandenes und Vorhandenes als Modi der Realität. Zuhandenes und Vorhandenes gründen in der Sorge. Insofern zeigt sich auch die Realität als in der Sorge gründend.
Heideggers Betrachtungen zur Realität stellen heraus: Nur solange Dasein ist, gibt es Sein, denn Sein ist vom Seinsverständnis des Daseins abhängig. Es gibt kein An sich, wenn Dasein nicht existiert, mit anderen Worten: Die Frage nach dem eigenständigen Charakter der Erscheinungen und Dinge in der Welt ist unsinnig, wenn sie nicht zugleich das Dasein als dasjenige, was Welt hat, in den Blick nimmt. Die ontologische Differenz von Sein und Seiendem lässt sich daher auch so fassen: Sein ist in gewisser Weise von Dasein abhängig, jedoch nicht Seiendes. Man könnte sagen, Sein bezieht sich darauf, wie die Dinge dem Dasein begegnen, die Dinge als Seiende aber werden weder durch das Dasein geschaffen noch „hören sie auf“ mit seinem Tode. Wenn Heidegger Realität als in der Sorge gründend erfasst, so daher auch nicht in dem Sinne, dass Realität durch Sorge erst „erzeugt“ wird.
- Wahrheit
Zwar wurde schon bei den Griechen Wahrheit und Sein identifiziert, jedoch nicht explizit. Um den Zusammenhang von Wahrheit und Sein zu klären, bespricht Heidegger zunächst den traditionellen Wahrheitsbegriff, um anschließend seine Herkunft aus dem ursprünglichem Phänomen der Wahrheit zu zeigen.
- Der traditionelle Wahrheitsbegriff
Traditionell versteht man, so Heidegger, als den Ort der Wahrheit die Aussage (das Urteil). Wahrheit selbst wird als Übereinstimmung definiert, so in der bekannten Formulierung als „adaequatio intellectus et rei“ (Übereinstimmung von Erkenntnis und Gegenstand).[107] Heidegger geht der Art dieser Beziehung nach und fragt, was übereinstimmen soll: psychischer Prozess und realer Gegenstand oder idealer Gehalt des Urteils und realer Gegenstand? Und als was kann man dann die Beziehung von Idealem auf Reales verstehen: als ideal oder real? Die Untersuchung kommt Heideggers Meinung nach so nicht voran, weshalb Heidegger ein Beispiel gibt, um zu zeigen, was konkret bei einem ausgesprochenem und zu prüfenden Urteil geschieht:[108] Jemand steht mit dem Rücken gegen eine Wand und macht die Aussage: „Das Bild hinter mir hängt schief“. Wenn er sich nun umdreht, um die Wahrheit der Aussage zu prüfen, entdeckt er, ob das Bild wirklich schief hängt. Dieses Entdecken ist für Heidegger die ontologische Vollzugsweise von Wahrheit. Wahrheit liegt damit nicht in einer Übereinstimmung von Erkennen und Gegenstand (ist also keine Subjekt-Objekt-Beziehung), sondern in der Entdecktheit von Seiendem. Dass aber etwas entdeckt werden kann, ist nur möglich auf Grund des In-der-Welt-Seins. Wird die Richtigkeit einer Aussage bewertet, dann geschieht dies als Bewährung durch Entdecken.[109] In der Unterscheidung von Richtigkeit und Wahrheit zeigt sich, dass Heidegger versucht, Wahrheit ursprünglicher zu fassen als es eine Theorie tut, welche die Richtigkeit von Aussagen als Begriff für Wahrheit nimmt. Für Heidegger ist das ontologische Wahrheitsgeschehen des Entdeckens Grundlage auch für Übereinstimmungstheorien. Dies wird er im Folgenden zu zeigen versuchen.
- Die Genese des traditionellen Wahrheitsbegriffes
Die Definition der Wahrheit als Entdecktheit findet sich nach Heidegger schon im vorphilosophischen Verständnis der alten Griechen. Wahrheit, griechisch: Aletheia (Vorlage:Polytonisch, „Das Unverborgene“), übersetzt Heidegger etymologisch als Unverborgenheit – in Heideggers Interpretation bedeutet dieses Wahrheitsverständnis: Seiendes wird durch ein Entdecken aus der Verborgenheit herausgenommen. Durch den Rekurs auf diese Auffassung versteht Heidegger seine Arbeit auch als ursprüngliche Wiederaneignung.[110]
Um den unzertrennlichen Zusammenhang von Wahrheit und Dasein zu betonen, spricht Heidegger auch vom Wahrsein: „Wahrsein als entdeckend-sein ist eine Seinsweise des Daseins.“ Damit ergibt sich ein Vorrang des Daseins als „primär wahr“, das meint „Dasein ist immer in der Wahrheit“, weil überhaupt nur durch es so etwas wie Wahrsein möglich ist: Dasein entdeckt im praktischen Lebensvollzug und Verhalten zur Welt die Dinge (auch) in Bezug auf sich, es erschließt die Welt auf sich hin, was Heidegger als Erschlossenheit bezeichnet. Das Wahrsein wiederum gründet also in dieser Erschlossenheit als einem Existenzial des Daseins. Ohne Dasein ist deshalb auch kein Wahrsein, sobald aber Dasein ist, ist dieses auch primär in der Wahrheit, so zwar, dass es als Verfallenes und durch die Herrschaft des Man notwendig in der Unwahrheit ist.[111] Diese zunächst widersprüchlich klingende Formulierung gewinnt an Plausibilität, wenn man sich ein Beispiel vor Augen führt: Dasein ist in seiner Existenz zu entdecken, seine Faktizität (die konkrete Lebenssituation) lässt jedoch nicht alles Entdecken zu, so kann zum Beispiel eine mittelalterliche Nonne sich nicht vorstellen Computerspezialistin zu werden, diese Möglichkeit ist ihr notwendig verdeckt. Solche notwendigen Verdeckungen sind der Grund, warum Heidegger behauptet, dass Dasein sei gleichursprünglich Entdecken und Verdecken, in der Wahrheit und in der Unwahrheit. Gleichursprünglich meint dabei, dass keine der beiden Seiten auf die andere zurückgeführt werden kann.
Angesichts des ungewöhnlichen Wahrheitsbegriffs der Entdecktheit und der Behauptung, dass dieser grundlegender als andere Theorien ist, muss Heidegger darstellen, wie es zum allgemein verbreiteten Begriff von Wahrheit, als Übereinstimmung verstanden, kommt. Dies geschieht, so Heidegger, dadurch, dass zwar Wahrheit auf der Entdecktheit und Erschlossenheit basiert. Meist wird sich hierüber in der Aussage ausgesprochen. Die Aussage ist sozusagen als etwas in der Welt, wozu sich nun auch andere Menschen verhalten können. Damit bekommt sie den Charakter des Zuhandenen. Soll dieses Zuhandene nun auf seine Richtigkeit überprüft werden, dann tut man dies meist indem man es als Vorhandenes auffasst und mit dem Vorhandenen, auf welches sich die Aussage bezieht, vergleicht. Dieser Bezug als Übereinstimmung zweier Vorhandener hat dann selbst wiederum den Charakter der Vorhandenheit.[112] In der Gesamtbetrachtung diese Vorgangs zeigt sich: Es ist Wahrheit als Erschlossenheit zur vorhandenen Übereinstimmung von innerweltlich Seiendem geworden. Damit ist die Abkünftigkeit der Theorie „Wahrheit als Übereinstimmung“ aus der Erschlossenheit des Dasein gezeigt.
- Die Seinsart der Wahrheit
„Wahrheit gibt es nur, sofern und solange Dasein ist“.[113]. Wegen dieses Zusammenhangs kann man auch sagen „Sein – nicht Seiendes – gibt es nur, sofern Wahrheit ist.“[114] Dasein ist wegen der Erschlossenheit wesenhaft in der Wahrheit. Heidegger betont zwar, dass Wahrheit nur relativ auf das Sein des Daseins ist, meint damit jedoch nicht, dass Wahrheit der Beliebigkeit des Subjekts überlassen wird. Auf die Frage, ob Wahrheit für das Erkennen der Welt vorgesetzt werdne muss, antwortet Heidegger: „Die Wahrheitsvoraussetzung müssen wir machen, weil sie mit dem Sein des Wir schon gemacht ist.“[115] Es kann also auch nicht bewiesen werden, dass es Wahrheit notwendigerweise gibt, denn die Notwendigkeit des Daseins kann und braucht nicht bewiesen zu werden. Auch der Skeptizismus muss nicht widerlegt werden, denn es hat nie einen wirklichen Skeptiker gegeben – man kann sich nicht aussuchen, ob man ins Dasein kommt und somit Erschlossenheit als Existenzial sein eigen nennt: Dasein existiert faktisch, ist also immer schon in der Welt.[116]
Erster Teil / Zweiter Abschnitt
- Dasein und Zeitlichkeit
Heidegger hat im ersten Teil des Buches die Grundverfassung des Daseins als In-der-Welt-sein herausgearbeitet. Es steht allerdings immer noch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein aus. Um diese zu beantworten möchte Heidegger zunächst das „Ganze des Daseins“ in den Blick bringen. Da das Sein des Dasein in seiner Existenz liegt, also im „Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“ (kurz: Sorge) gehört zum Dasein auch das „vorweg“, „schon“ und „Sein-bei“. Mit diesem zeitlichen über sich hinaus greifen ist das Dasein immer mehr als nur bloß vorhanden. Es steht immer etwas zu tun aus. Dasein hat immer etwas vor sich. Dasein ist Möglichsein. Damit das Dasein ganz sein kann, wird also auch diesem Ausstehenden und zum Dasein dazugehörenden Beachtung geschenkt werden müssen.
Zwar ist mit der Sorge eine Beschreibung des Daseins als Strukturganzes gegeben, jedoch wurde, was das Seinkönnen betrifft, bisher nur von der Uneigentlichkeit geredet. Es wird sich im fogenden zeigen, wie das Ganzsein des Daseins mit der Eigentlichkeit zusammen hängt.
Als die Ganzheit des Daseins wird sich das Zwischen Geburt und Tod erweisen. Dabei muss ein ontologisch angemessener Begriff vom Tod gewonnen werden (der Tod ist nur im Sein zum Tode). Es wird sich zeigen, daß das eigentliche Seinkönnen gerade darin besteht, die Existenz in dieser zeitlichen Ganzheit in den Blick zu bekommen. Damit wird zugleich die Frage aufgeworfen: Wie wird man „eigentlich“? Heidegger antwortet hierauf: Das eigentlich Seinkönnen wird durch das Gewissen-haben-Wollen möglich. Durch die Analyse der Zeitlichkeit wird dann auch die Geschichtlichkeit des Daseins verständlich, ebenso wird der Ursprung des vulgären Zeitbegriffs in der Sorge sichtbar: Sorge braucht Zeit und rechnet mit ihr.
Erstes Kapitel §§ 46–53
- Das Sein zum Tode und die Ganzheit des Daseins
Offensichtlich ist es problematisch, die Ganzheit des Daseins als Sorge zu fassen, da Sorge gerade durch das Sich-vorweg-Sein charakterisiert wird. Somit steht das Dasein wesentlich in einer Unabgeschlossenheit: es steht immer etwas aus. Erst mit dem Tod steht nichts mehr aus. Die Behebung des Ausstehenden mit dem Tode ist jedoch keine Vervollständigung des Daseins, sondern das Ende des Daseins. Im Tod fallen also zwei Dinge zusammen: einerseits ist alles verwirklicht, das Dasein ist „ganz“, andererseits steht nichts mehr aus, das Dasein ist gänzlich zu Ende.[117].
Wenn der Tod jedoch das Ende bedeutet, dann kann er nicht erfahren werden. Ein denkbarer Ausweg aus diesem Problem wäre, die Ganzheit des Daseins im Tode über den Tod Anderer zu erfahren. Dies wird jedoch von Heidegger zurückgewiesen. Zwar können im Mitsein (mit Anderen) bewegende Erfahrungen gesammelt werden, jedoch wird hierdurch der Tod niemals als der meine zugänglich[118]. Dies liegt an der Unvertretbarkeit des Todes: Die Anderen können das Dasein in vielen Dingen des Lebens vertreten, aber keiner kann dem Anderen sein Sterben abnehmen[119]. Zwar machen wir Erfahrungen mit dem Tod Anderer im Übergang vom Dasein zum vorhandenem Körperding (der Leiche), aber dies läßt nicht den eigenen Tod erfahren. Auch die Erfahrung des eigenen Todes wäre jedoch eigentlich nur eine Erfahrung des Prozesses des Sterbens. Um den Tod als Tod und nicht als Sterben in den richtigen Blick zu bekommen, beginnt Heidegger daher mit einer grundlegenden Analyse von Ende und Ganzheit.
Versucht man, das Ganze des Daseins in den Blick zu bekommen, so hat sich als Problem vor allem das mit der Sorge einhergehende Noch-nicht (daß immer etwas zu tun bleibt) erwiesen. Heidegger untersucht daher den Charakter dieses Noch-nicht. Dabei zeigt er, daß es sich wohl nicht um einen „Ausstand“ handeln kann, denn ausstehen können z. B. Zinszahlungen oder sonstiges Fehlendes eines Zuhandenen, so nämlich, dass es noch nicht zusammen ist[120]. Dies betrifft aber zwei Teile die zunächst voneinander getrennt sind. Hingegen gilt für das Noch-nicht des Daseins: Es gehört zum Dasein: Dasein wird dieses Noch-nicht. Heidegger gibt das Beispiel einer Frucht, die im Werden zur Reife kommt. Hierbei werden ihr nicht Stücke summativ angefügt, sondern sie kommt durch sich selbst zur Reife. Ähnlich haben wir auch das Noch-nicht des Daseins zu verstehen: das, was es noch nicht ist, muss es selbst werden, kann ihm also nicht einfach zugesetzt werden. Es bleibt allerdings ein Unterschied: Die Frucht vollendet sich im Ende, während wir vom Ende des Daseins im Tode nicht behaupten können, nun hätte sich das Dasein vollendet: Das Dasein ist vielmehr zum Ende.[121] Heidegger: „Der Tod ist eine Weise zu sein […]“[122] Gleichwohl bleibt hier noch unbestimmt, was überhaupt ‚Ende‘ bedeutet. Um es besser in den Blick zu bekommen nimmt Heidegger zunächst eine Abgrenzung gegenüber dem Todesverständnis anderer Disziplinen vor.
- Abgrenzung gegenüber dem Todesverständnis anderer Disziplinen
Die Thematisierung des Daseins als bloßes Lebendiges rückt dieses nach Heidegger in den Bereich einer biologisch-physiologischen Betrachtungsweise. Entsprechend Heideggers fundamental-ontologischem Anspruch wird auch von ihm kritisiert, daß einer Ontologie des Lebens notwendigerweise eine Ontologie des Daseins vorgeordnet sein muß. Um diese Trennung deutlich zu machen, wird in „Sein und Zeit“ der physiologische Tod des Daseins Ableben genannt. Die Seinsweise des Daseins hingegen, in welcher es zum Tode ist, nennt Heidegger Sterben[123]. Es wäre deshalb auch nicht falsch zu sagen, Heidegger gibt statt einer Todesanalyse eher eine Analyse der Sterblichkeit.[124] Dieser begrifflichen Unterscheidung folgend kann man nun sagen, daß das Erleben des Ablebens dem Verständnis des Sterbens nachgeordnet ist. Für Heidegger spielen im Kontext der ontologischen Todesanalyse jedoch nicht nur die Wissenschaften Biologie und Psychologie keine Rolle, auch Theodizee-Problematik und Theologie sollen hier nichts beitragen können.
- Existenzial-ontologische Struktur des Todes
Nach Heidegger kann der Tod nicht als Ausstand begriffen werden, da dies das Dasein als Vorhandenes verdinglicht. Heidegger wählt deshalb den Begriff des Bevorstands. Da dem Dasein jedoch vieles bevorstehen kann, braucht es noch eine Besonderheit, welche den Tod auszeichnet. Diese findet sich darin, daß der Tod die Seinsmöglichkeit ist, die das Daseins selbst zu übernehmen hat.[125] Der Tod kann nicht durch jemand anderen übernommen werden, wie etwa der Gang zum Bäcker. Häufig wurde darauf hingewiesen, daß es eigentlich banal ist, daß der Tod nicht von jemand anderem übernommen werden kann und das dies ja auch für andere Dinge gilt, wie z. B. der Gang zum Arzt nicht von jemandem anderen als von einem selbst vorgenommen werden kann. Der Hinweis hinkt jedoch. Das besondere am Tod ist nämlich, daß es einzig im Tod um den Menschen im Ganzen und in jeder Hinsicht geht, nämlich um sein ganzes Sein und nicht bloß um eine einzelne Möglichkeit des Besorgens.[126] Für Heidegger zeigt sich daher der Tod als die eigenste, unüberhohlbare Möglichkeit. Als solche ist er ein ausgezeichneter Bevorstand“.[127] Da das Dasein in sein Sein geworfen ist, kann es sich auch die Möglichkeit des eigenen Todes nicht aussuchen. Sie erschließt sich ihm jedoch in der Angst, als Angst vor dem eigensten, unbezüglichen und unüberholbaren Seinkönnen. Was Heidegger hier mit „erschließen“ durch eine Stimmung meint, ist, daß es kein reflexives und theoretisches Wissen vom Tod braucht um sich dessen gewiß zu sein. Wenn hingegen dem Dasein der kommende Tod nicht bewusst ist, dann hat dies seinen Grund im Verfallen des Daseins als Flucht vor der Gewissheit welche die Angst vor dem Tod liefert.
Was Heideggers Todesanalyse gegenüber hinsichtlich des traditionellen Todesverständnisses auszeichnet ist, daß bei Heidegger der Tod dem Leben innewohnendes Phänomen darstellt: „Dasein stirbt faktisch, solange es existiert“[128] Heidegger möchte im Folgenden die Richtigkeit seine Todesanalyse, wie schon einige Male mit anderen Themen geschehen, am Dasein in seiner Alltäglichkeit bewähren.
- Tod und Alltäglichkeit
Alltäglich ist das Dasein in seiner Bestimmtheit durch das Man, daher ist zu klären, auf welche Weise die Befindlichkeit des Man den Tod erschließt. Zunächst tut sie dies als innerweltliches Ereignis, nicht jedoch als „je meinen eigenen“ Tod. Damit ist jedoch der Blick auf den Tod verstellt: Der Tod trifft lediglich das Man, wie sich an der alltäglichen Rede zeigt, wenn es heißt: „Man stirbt“ eben auch einmal. In dieser Versuchung verdeckt das Man das eigenste Sein zum Tode. Da dieses „man stirbt“ niemand bestimmtest ist, stirbt in der Auffassung des Man niemand. Hierdurch kommt, so Heidegger, der Anschein auf, das Dasein könne dem Tod entgehen, es kommt zu einer Beruhigung über den Tod.[129] Entsprechend wird auch die Art, wie man sich zum Tod verhält, wird durch das Man bestimmt: Es soll nicht über den Tod nachgedacht werden, keine Angst darf vor ihm aufkommen. Hierdurch entfremdet das Man das Dasein von seinem eigensten Seinkönnen.[130]
Wenn dem Dasein in seiner Alltäglichkeit der Tod also verdeckt bleibt, bleibt zu klären, wovor es sich eigentlich genau in das Man flüchtet. Immerhin gibt der Ausspruch „man stirbt“ eine spezifische Gewissheit des Todes zu, diese ist jedoch, so Heidegger, nicht eigentlich gewiß. [131] Gewissheit gründet in Wahrheit. In seiner Untersuchung der Wahrheit als Entdecktheit hatte Heidegger die Doppelnatur des Daseins bezüglich der Wahrheit betont: Dasein ist zwar immer schon in der Wahrheit, da es Bedingung für jegliches Entdecktes ist (daher ist Wahrheit ein Existenzial), jedoch als faktisches ist Dasein im Modus der Unwahrheit, da ihm durch falsche Vorurteile Sachen verdeckt bleiben. (Siehe Kapitel sechs) Analog ist die Gewissheit – zwar nicht Ungewissheit – aber verdeckte Gewissheit. Selbst wenn für das Dasein einmal der Tod Gegenstand einer kritischen Untersuchung wird, so nur als empirisches Ereignis, aber nicht als eigener.[132] Mit solchen theoretischen Herangehensweisen wird er jedoch noch weniger erschlossen als in der alltäglichen Flucht vor der Gewissheit des Todes. Eine weitere Verdeckung, die der Sichtweise des Man eignet ist die, daß der Tod durch eine Unbestimmtheit des Wann ausgezeichnet ist: dass der Tod jederzeit eintreten kann.
Mit all dem soweit Gesagten ergibt sich der volle existenzial-ontologische Begriff des Todes nach Heidegger: „Der Tod als das Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberhohlbare Möglichkeit des Daseins. Der Tod ist als Ende des Daseins im Sein dieses Seienden zu seinem Ende.“[133]Die Todesanalyse ergibt somit den Tod als
- eigen, wegen der Unvertretbarkeit des Todes,
- unbezüglich, weil angesichts seiner die innerweltlichen Sinnbezüge ihre Bedeutsamkeit verliehren, im Angesicht des Todes bleibe nur ich übrig,
- gewiss, was nicht nur bedeutet, daß dieser mit Sicherheit eintritt, sondern daß angesichts des Todes das Dasein seines In-der-Welt-seins gewiss werden kann. Die eigentliche Gewissheit wird dabei durch die Befindlichkeit der Angst erschlossen, denn es handelt sich eben nicht um ein theoretisches Wissen über den Tod, sondern um etwas was das Dasein angeht. Die Gewissheit des Todes ist also von gänzlich anderer Art, als etwa Wissen über Vorhandenes.[134] Dies unterstreicht die erschließende Funktion von Befindlichkeiten, speziell der Angst als Grundbefindlichkeit.
- unüberholbar, denn er ist die äußerste Möglichkeit der Existenz, mit der zugleich die Existenz endet. Dies modifiziert auch die Fürsorge für die Anderen, denn wenn das Dasein seine Endlichkeit erkennt, dann verzichtet es darauf die Existenzmöglichkeiten der Anderen zu überholen, d. h. auf seine eigenen hin zurückzuzwingen;
- unbestimmt, denn das Dasein weiß nicht, wann es stirbt. Auch die Unbestimmtheit des Todes wird in die Sphäre der Existenz übersetzt als Unheimlichkeit: Während das Man sich in die vertraute Geschäftigkeit flüchten kann, hält das eigentliche Dasein die Unheimlichkeit und Unbestimmtheit seines Seins aus.
Ziel der Todesanalyse war es, die mögliche Ganzheit des Daseins aufzuzeigen. Diese ist durch das Sein zum Tode nun gegeben. Bis jetzt jedoch wurde nur das uneigentliche Sein zum Tode betrachtet. Es bleibt für Heidegger zu zeigen, wie ein eigentliches Sein zum Tode aussehen könnte.
- Das eigentliche Sein zum Tode
Heidegger rekapituliert zunächst, was das eigentliche Sein zum Tode nicht sein kann: Es kann nicht in einem Ausweichen, Verdecken und Umdeuten bestehen. Zwar ist das Sein zum Tode ein Sein zu einer Möglichkeit, jedoch ist diese von ganz anderer Art als z. B. eine anstehende Erledigunge oder Besorgung. Der Tod ist nichts, das das Dasein besorgt.[135]. Auch kann mit dem eigentlichen Sein zum Tode kein Denken an den Tod gemeint sein, dies wird für Heidegger dem Tode als ‚konkrete‘ Möglichkeit nicht gerecht, da es ihn eher distanziert betrachtet. Ein ähnliches Problem ergibt sich, so Heidegger, wenn der Tod lediglich erwartet wird. Was also als eigentliches Sein zum Tode bleibt, nennt Heidegger das Vorlaufen in die Möglichkeit. Dieser Titel soll zwei Sachverhalte betonen: das Dasein verhält sich zum Tod und zwar so, dass hierdurch dieser sich als Möglichkeit enthüllt. Das bedeutet, daß Dasein verhält sich nicht zum Tod als Ende des Daseins (es ist dann nicht mehr). Im eigentlichen Sein zum Tode verhält sich das Dasein vielmehr zum Tode in der Form, wie er in der Todesanalyse herausgearbeitet wurde, nämlich in den oben einzeln aufgeschlüsselten Eigenschaften: als eigenste, unbezügliche, gewisse, unüberholbare, unbestimmte Möglichkeit. [136]
Hiermit zeigt sich die konkrete Struktur des Vorlaufens in den Tod: Im Seinsmodus der Eigentlichkeit entreißt sich das Dasein dem Man und bringt sich so als Vereinzeltes vor sein seine Existenz. Es entwirft es sich auf sich selbst hin, nicht auf die durch das Man vorgegebenen Möglichkeiten. Was dies konkret bedeutet, wird von Heidegger allerdings erst im nächsten Kapitel geklärt. Das Dasein anerkennt weiterhin die Unüberholbarkeit des Todes und hält sich hierin, was bedeutet, daß sich das Dasein seiner Endlichkeit bewusst wird. Hierdurch bewahrt es sich davor, seine eigenen mit den Existenzmöglichkeiten der Anderen zu verwechseln: Weil es sich seiner Endlichkeit bewusst ist, anerkennt das Dasein die im faktischen Möglichkeiten in seiner konkreten Lebenssituation. Erst angesichts des Todes, so Heidegger, kann überhaupt das Dasein Prioritäten setzten, die sich auf es selbst beziehen und nicht in einem potentiell unendlichem Weltgeschehen untergehen. Nur so kann dann das Dasein als Ganzes sein[137].
Heidegger hat soweit die ontologische Möglichkeit eines eigentlichen Seins zum Tode ausgewiesen. Es bleibt jedoch zu klären, ob diese überhaupt ontisch sich verwirklichen lässt, mit anderen Worten: was tut man um eigentlich zu werden? Dabei kann es natürlich nicht darum gehen konkrete Möglichkeiten vorzuschreiben, denn das Dasein soll ja seine eigenen, ihm in seiner Lebenssituation gegebenen Möglichkeiten wählen. Ebenso wird Heidegger eine Analyse anschließen, die darlegt ob es sich lediglich um eine Möglichkeit oder gar um eine Forderung zur Eigentlichkeit handelt. [138]
Zweites Kapitel §§ 54–60
Heidegger hat soweit fast nur von der Uneigentlichkeit des Daseins gesprochen. Es steht nun aus zu zeigen, wie das Dasein zu einer eigentlichen, d. h. authentischen Lebensführung kommen kann. Mehr noch als in anderen Kapiteln könnte man hier den Begriff des Daseins mit dem der Person ersetzten, denn die Eigentlichkeit wird sich als eine besondere Form des personalen Selbstbezugs erweisen. Dabei ist Heidegger nicht so sehr die metaphysische Frage wichtig was eine Person ist, sondern die phänomenologische wie es ist eine Person zu sein. Heidegger wird es vermeiden dazu an irgendeiner Stelle zu sagen, was man soll, darf oder muß und er wird auch nicht zur Eigentlichkeit aufrufen. Gleichwohl er das Verhältnis von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit nicht bewertet, werden von ihm zur Beschreibung Begriffe benutzt die eine wertende Konnotation haben. Dies jedoch deshalb, weil eine phänomenologische Beschreibung die Dinge so beschreiben muß, wie sie sich dem Dasein zeigen.[139]
- Eigentliches Seinkönnen
Gesucht wird ein eigentliches Seinkönnen des Daseins, genauer: ein eigentliches Selbstseinkönnen. Das Selbst ist eine Weise, zu existieren, so nämlich, dass das Dasein der „Herrschaft des Man“ entrissen wird. Dieses sich Zurückholen aus dem Man wird als Nachholen einer Wahl geschehen, als Wählen der Wahl, d. h. das Dasein selber wählt sein Seinkönnen und wird hierin nicht mehr durch das Man bestimmt.[140] Heidegger wurde wegen dieser Betonung der Wahl häufig der Vorwurf gemacht, seine Philosophie sei dezisionistisch, d. h. es käme nur noch auf die Entscheidung an sich an, nicht mehr auf ihren Inhalt. Daher auch der bekannte Witz, der zwischen Heideggers Seminarteilnehmern in Marburg kursierte: „Wir sind ja alle so entschlossen, wir wissen nur noch nicht wozu.“[141] Allerdings ist das was Heidegger mit Entschlossenheit meint (siehe weiter unten) kein leerer Pathos, sondern es geht mit dem Entschluß, den eine Person trifft, stets etwas einher, wozu sie sich entschlossen hat.[142]
Dies geschieht nicht abgelöst vom Rest der Gesellschaft, deshalb handelt es sich nicht um einen einsamen Heroismus oder gar Solipsismus. „Auch der Entschluß bleibt auf das Man uns seine Welt angewiesen […]. Der Entschluß entzieht sich nicht der ‚Wirklichkeit‘ sondern entdeckt erst das faktisch Mögliche, so zwar, daß er es dergestalt, wie es als eigenstes Seinkönnen im Man möglich ist, ergreift.“[143] Das heißt es geht nicht darum, daß die Person (das Dasein) aussteigt, sondern sich die in den gesellschaftlichen Institutionen und Traditionen bestehenden Möglichkeiten souverän aneignet. Uneigentlichkeit bedeutet dementsprechend, daß sich das Dasein in seinem Handeln einzig darauf verläßt was nach Regeln und Gebräuchen üblich ist.
Heidegger muß nun erklären, wie es überhaupt möglich ist, daß das Dasein eigentlich wird. Das Vorgehen läßt sich wie folgt zusammenfassen: Eine zentrale Rolle für die Eigentlichkeit spielt das Gewissen. Das Gewissen hat erschließende Funktion und äußert sich im Ruf, dieser ist Anruf des Daseins durch es selbst. Das Dasein ruft sich selbst an, so nämlich, dass es sich aufruft zum eigentlichen Selbstseinkönnen. Heidegger legt dabei eine sehr eigene Interpretation dessen vor, was das Gewissen ist, welche er dadurch bewähren möchte, dass sich das ‚vulgäre‘ Gewissens-Verständnis aus ihr ableiten lässt. Dem Ruf des Gewissens, welcher sich an das Dasein richtet, entspricht eine Art, ihn zu hören, nämlich das Gewissen-Haben-Wollen, hierin liegt das Wählen der Wahl als Entschlossenheit[144]
- Gewissen und Ruf
Das Gewissen ist für Heidegger nicht eine ‚innere Stimme‘, wie etwa die Gottes, der Gesellschaft oder die der Erziehungsberechtigten. Diese würden ja nur Handlungsmaximen und Regeln mitteilen, welchen zu folgen ist – damit wäre jede Möglichkeit der freien Persönlichkeit verbaut. Der Ruf des Gewissens ist nicht auf etwas Konkretes weltliches hin orientiert. Heidegger läßt die konkrete Bestimmung leer, einzig relevant ist der aufrufende Charakter des Gewissens. Heidegger versteht unter dem Gewissen also etwas, daß das Dasein in Aufmerksamkeit versetzt: Das Dasein verläßt sich im alltäglichen Besorgen auf die durch das Man ausgewiesenen Wege. Es ‚hört‘ auf die durch das Man angebotenen Möglichkeiten. Damit überhört es sich jedoch selbst. Erst der Ruf durchbricht das Hinhören auf das Man. Der Ruf rüttelt auf.[145] Er macht das Dasein aufmerksam auf sich.
Es bleibt die Frage, wen der Ruf trifft. Der Ruf richtet sich an das Selbst, indem er das Man übergeht – jedoch ist das Selbst nicht ein aufregendes Innenleben, noch weniger drängt der Ruf das Selbst in ein Inneres, wo es sich nach außen hin abschließt. Das Selbst ist einzig in der Weise des In-der-Welt-Seins.[146] Das Gewissen ruft, aber es ruft nicht etwas zu das zu tun oder befolgen wäre, sondern es ruft auf. Da es nichts zuruft, erfolgt sein Ruf als Schweigen. Die Stille zwingt das Selbst eigens in die Verschwiegenheit und unterbricht das Gerede des Man. Damit ist klar, daß das Gewissen nicht die verinnerlichte Stimme von gesellschaftlichen Institutionen sein kann, es kann ja gerade sein, daß sich die ‚Gewissensentscheidung‘ gegen jegliche Institution wendet. (Wie z. B. Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“[147])
Heideggers ‚Metapher‘ des Rufs folgend, wurde soweit geklärt, wen der Ruf trifft (das Selbst) und was der Ruf zuruft (nichts, denn er ruft lediglich auf). Offen bleibt wer ruft. Es sind nicht die gesellschaftlichen Regeln und Gesetze, die einen als verinnerlichte Autorität anrufen, wer aufruft ist das Daseins selbst, daß sich aufgrund seiner „Sorge“ im Umgang mit den gesellschaftlichen Institutionen gewahr wird, daß es doch noch ‚etwas anderes geben muß‘, als sich einfach auf die vorhandenen Vorgaben zu verlassen. Damit zeigt sich der Ruf als „Ruf der Sorge.“
Der Ruf kommt nicht vom Man und ruft das Dasein nicht in den Betrieb, es ist das „im Grunde seiner Unheimlichkeit befindende Dasein“, das „ursprünglich geworfene In-der-Welt-sein, das nackte Daß im Nichts der Welt“ welches das Dasein anruft.[148] Es ist verständlich, dass dieser Ruf das Man befremdet, ihm als fremde Stimme erscheint. Wenn es aber das „nackte Daß“ ist, das Ruft, dann erklärt dies andererseits warum der Ruf inhaltsleer ist: dem Dasein, der Person, wird eine allgemeine Struktur seiner Existenz bewusst, die sich auf nichts konkretes bezieht.
Die meisten Erklärungen des Phänomens des Gewissens scheinen sich darin einig zu sein, daß das Gewissen eine Schuld zu verstehen gibt. Was für Heidegger also zu klären bleibt, ist der Zusammenhang von Gewissen und Schuld. Obwohl der Ruf des Gewissens nichts Konkretes zuruft, keine Handlungsanweisung, ist er, so Heidegger, trotz allem eindeutig. Missverstehen kann ihn das Dasein erst, wenn es ihn in einem verhandelnden Selbstgespräch mit dem Man verkehrt.[149] Das wirft außerdem die Frage auf, wie das Dasein den Ruf angemessen verstehen kann.
- Anrufverstehen und Schuld
Wenn das Gewissen nichts konkretes zuruft, so wird auch die Schuld von welcher es spricht keine konkrete Verfehlung der Person sein. Heidegger möchte deshalb zunächst die besondere Art der Schuld klären:[150] Man könnte Schuld als Schulden haben auffassen, oder als schuld sein an, jedoch das wäre stets eine Schuld gegenüber Anderen. Heidegger möchte hingegen ein noch grundlegenderes Schuldverständnis entwickeln. Hierzu formalisiert er die Idee der Schuld soweit, dass Schuld zunächst nicht heißt, sich an den Anderen schuldig zu machen. Heidegger findet eine Bestimmung der Schuld, die der Schuld gegenüber Anderen vorgelagert ist, als „Grundsein einer Nichtigkeit“[151] Damit meint er, daß es zur Seinsweise von Personen gehört, daß sie sich für bestimmte Möglichkeiten entscheiden und andere auslassen. Wenn man eine Möglichkeit realisiert, macht man sich an den ausgelassenen schuldig, diese sind „nichtig“, was bei Heidegger nicht ‚unwichtig‘ bedeutet, sondern daß sie nicht sind.
Die Schuld ist für Heidegger kein Mangel des Daseins, sondern gehört zum Personsein dazu, weshalb Heidegger sagt, Dasein ist ursprünglich schuldig. Das Dasein ist in diese Struktur geworfen, es konnte sich nicht aussuchen, ob es „auf die Welt kommt“, es ist nicht selbst Grund seines Daseins. Trotzdem hat es nun sich selbst als Person zu übernehmen, es muß ja ständig Entscheidungen treffen.
Heidegger kann nun für den vollständigen Charakter des Rufs resümieren: Er ist vorrufender Rückruf, denn er stellt das Dasein vor die Möglichkeit, sich selbst zu ergreifen, er ruft zurück in die Geworfenheit, d. h. er ruft das Dasein aus dem Betrieb des Man und bringt es dazu sich seines Personseins bewusst zu werden und erschließt so das Schuldigsein. Das rechte Hören auf den Ruf versteht also sein Seinkönnen, es ist „hörig seiner eigensten Existenzmöglichkeit“ gegenüber.[152] Das heißt das Dasein versteht nicht nur, was es konkret bedeutet eine Person zu sein, sondern es ändert auch seinen Selbstbezug so nämlich daß es die Verantwortung für seine Person übernimmt. Heidegger faßt dies als Gewissen-Haben-Wollen.[153]
- Die vulgäre Gewissensauslegung
Um zu zeigen, daß seine Interpretation des Gewissens als Eigenschaft dessen wie es ist eine Person zu sein, anderen Gewissens-Interpretationen vorausgeht, untersucht Heidegger einige solcher Auslegungen. Sie zeigen sich für ihn vor allem durch das Man bestimmt, wodurch sie teilweise der ontologisch-existenzialen Auslegung widersprechen. Charakterisieren lässt sich Heidegger zufolge die „vulgäre“ Gewissensauslegung durch vier Aspekte, insofern jene beinhaltet, dass das Gewissen[154]
- eine kritische Funktion habe,
- sich relativ auf eine bestimmte Tat beziehe
- somit sich nicht auf das Sein des Daseins beziehe
- als gutes und schlechtes auftreten könne.
Gegen diese Auffassung von Gewissen wendet Heidegger ein: Das Gewissen als schlechtes Gewissen basiert, ebenso wie das vorwarnende Gewissen, in einer Auffassung des Daseins als einem Vorhandenen, welches abläuft. Dasein läuft in seiner Existenz jedoch nicht einfach ab; (konstruktivistisch gewendet könnte man auch formulieren: Das Dasein ist kein Lebenslauf, sondern gegebenenfalls hat/produziert Dasein einen solchen). Nach Heidegger zeigt sich deshalb die vulgäre Gewissensauffassung als die eines Verrechnens und Ausgleichens von Schuld und Unschuld im Lebenslauf. [155] – daher auch das von Kant in der Kritik der praktischen Vernunft gewählte (letztlich christlich geprägte) Bild vom Gewissen als eines Gerichsthofs sowie Kants Rede von einem (über den Lebenslauf erhabenen) Sittengesetz. Auch das gute Gewissen kann es nicht wirklich geben, denn gerade der Gute würde nicht von sich behaupten, dass er es hätte.[156] Hinsichtlich Punkt zwei gesteht Heidegger den Tatbezug des Gewissensrufs zu, jedoch kritisiert er, daß hier nicht der volle Ruf zur Geltung komme: Der Gewissensruf der Sorge ist ursprünglicher als der tatbezogene Ruf des Gewissens des Man, denn die Möglichkeit sich überhaupt auf Entscheidungen zu Beziehen geht der konkreten Entscheidung voraus. Der Gewissensruf der Sorge muß also „inhaltsleer“ sein, in dem Sinne, dass er sich auf keine konkrete Tat bezieht, sondern auf die Existenz und das eigentliche Selbstseinkönnen.[157]
- Entschlossenheit
Verantwortung für die eigene Person zu übernehmen, nannte Heidegger das Gewissen-Haben-Wollen. Da sich dem Dasein hierbei grundlegende Strukturen seiner Existenz erschließen, ist es eine bestimmte Art und Weise der Erschlossenheit. Die Erschlossenheit setzte sich aus drei Strukturmomenten zusammen: Befindlichkeit, Verstehen und Rede. Diese werden nun im Gewissen-Haben-Wollen modifiziert, die neue Weise des Selbstbezugs ist eigentlich. Die eigentliche Erschlossenheit nennt Heidegger kurz die ENTschlossenheit[158]
Erschlossenheit (Wahrheit der Existenz) | Entschlossenheit (eigentliche Erschlossenheit / Wahrheit) |
Verstehen | sich entwerfen auf das eigenste Schuldigsein |
Befindlichkeit | Angst |
Rede | Verschwiegenheit |
Das Verstehen nimmt sich aus der Auslegung des Man zurück in sein Selbst, ebenso kommt das Dasein aus der vom Man vorgegebenen Stimmung in die Grundbefindlichkeit der Angst. Durch die Verschwiegenheit entzieht sich das Dasein dem Gerede des Man. Statt sich auf die Vorgaben zu verlassen, kann die Person sich bestimmte Handlungsmaxime und Eigenschaften aneignen, so daß sie aus diesen heraus Handelt und zu ihnen steht. Sie unterstellt sich somit diesen selbst gewählten Ansprüchen, was Heidegger als Gewissen-Haben-Wollen bezeichnete. Indem sie sich zu konkreten Handlungen und Maximen entschließt steht sie aus ihrer eigenen Freiheit heraus zu ihnen, dies macht die Entschlossenheit aus. Damit ist also keine Isolation auf ein freischwebendes Ich gemeint, sondern die Entschlossenheit bringt das Dasein gerade in das besorgende Sein beim Zuhandenen und die vorspringend-befreiende Fürsorge für die Anderen, damit diese für ihre Existenz frei werden und ebenso eigentlich sein können. Auch die Entschlossenheit ist auf die Welt des Man angewiesen, aber ihr ist nun das eigene Da erschlossen, die eigene Existenz ist ihr durchsichtig geworden.
Damit einher vollzieht Heidegger eine Erweiterung des Wahrheitsbegriffs. Zuvor wurde Wahrheit bestimmt als Wahrheit der Existenz, weil überhaupt erstmal Dasein sein muß, damit es jemanden gibt, der Wahrheit „entdeckt“. In der Entschlossenheit ergibt sich nun eine eigentliche Wahrheit.[159] Sie modifiziert die Entdecktheit der Welt dahingehend, dass das Dasein die Bestimmung der Bedeutsamkeit aus dem Selbstsein vornimmt.
Drittes Kapitel §§ 61–66
Dieses Kapitel baut eine Brücke zwischen der vorangegangenen Analyse des Daseins und der Freilegung des Sinns von Sein, der – wie sich zeigen wird – Zeitlichkeit. Die Daseinsanalyse war also nur vorbereitend, weshalb die hermeneutische Ausrichtung von „Sein und Zeit“ später erfordern wird, dass unter dem Gesichtspunkt der Zeitlichkeit die Analyse des Daseins und seiner Existenzialien wiederholt wird. Damit interpretieren sich die beiden Hälften von „Sein und Zeit“ gewissermaßen gegenseitig: Das Sein des Daseins als Sorge zu erkennen, ist Bedingung dafür seine Zeitlichkeit freizulegen (mit einer Bestimmung des Menschen als Vorhandenes wäre dies nicht gelungen); die Zeitlichkeit des Daseins wiederum wird erst helfen das Sein des Daseins als Sorge gänzlich – das heißt, nun auch in seiner Geschichtlichkeit! – zu verstehen. Das ist offensichtlich gegen Husserls Anspruch einer idealen und überzeitlichen (also auch übergeschichtlichen) Wissenschaft gerichtet.[160]
Um den Bogen zur Zeitlichkeit zu spannen wird Heidegger das eigentliche Ganzseinkönnen und die Zeitlichkeit verbinden. Daß beides zusammengehört, ist zunächst eine Vorgabe Heideggers, die nach ihrer Erläuterung einer eingehenden Prüfung bedarf. Daher zeichnet sich dieses Kapitel durch einen umfangreichen Teil an Methodenreflexion aus. Heideggers weiteres Vorgehen läßt sich wie folgt zusammenfassen: In den vorangegangenen Analysen wurde die Möglichkeit eines Ganzseinkönnens des Daseins als Sein zum Tode aufgezeigt. Ebenso wurde die Möglichkeit einer eigentlichen Erschlossenheit (Entschlossenheit) verdeutlicht. Aufgabe ist zu klären, wie diese zwei Phänomene zusammenkommen: „Was soll der Tod mit der konkreten Situation des Handelns zu tun haben?“[161] Es wird sich zeigen, dass die Entschlossenheit erst mit dem Vorlaufen in den Tod eigentlich ist. Weiterhin nimmt die Untersuchung folgenden Gang: Als Sinn der Sorge wird sich die Zeitlichkeit erweisen. Hierzu muss der Zusammenhang von Sorge und Selbst geklärt werden. Zeitlichkeit wird wiederum an der eigentlichen Entschlossenheit erfahren. Auf diesem Boden lässt sich dann auch der Ursprung des vulgären Zeitbegriffes verstehen. Das so entdeckte Phänomen der Zeitlichkeit wird sich anschließend in einer erneuten Analyse des Daseins bewähren müssen: Die bis jetzt gewonnenen Strukturmomente des Daseins (Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen) werden dann auf ihre Zeitlichkeit hin interpretiert.[162]
- Eigentliche Entschlossenheit: eigentliche Erschlossenheit und Sein zum Tode
Ganzseinkönnen (d. h. das Sein zum Tode) und eigentliche Erschlossenheit (Entschlossenheit) sollen als zusammengehörig erwiesen werden. Hierzu geht Heidegger folgendermaßen vor: er zeigt zunächst existenziell, daß Entschlossenheit nur im Lebenvollzug möglich ist, daß also die Übernahme der Schuld sich im konkreten Handeln vollziehen muß: „Die existenzielle Übernahme dieser ‚Schuld‘ in der Entschlossenheit wird demnach nur dann eigentlich vollzogen, wenn sich die Entschlossenheit in ihrem Erschließen des Daseins so durchsichtig geworden ist, daß sie das Schuldigsein als ständiges versteht.“ Wichtig ist hierbei die Wendung „als ständiges“: in ihr steckt der Hinweis darauf, daß das Dasein nicht einfach nur als Vorhandenes schuldig ist, sondern daß es sich schuldig macht, indem es handelnd Entscheidungen trifft. „Ständig“ meint deshalb nicht ein sich über eine gewisse Dauer durchhaltende Eigenschaft, sondern ein vollziehen. (Diese Auffassung Heideggers ist gegen die Substanzontologie gerichtet, welche nicht den Vollzug sondern die bleibenden Eigenschaften der Dinge in den Blick bringt.)
Damit sich das Dasein aber selbst schuldig machen kann, muß es verstehen, was es heißt Entscheidungen zu treffen. Sein Entscheidungshorizont eröffnet sich ihm jedoch erst angesichts seiner Endlichkeit. Wie oben gezeigt, ermöglicht ja erst der Tod dem Dasein sein Seinkönnen als das eigene (als jemeiniges) zu verstehen. Weil der Tod die unüberholbare Möglichkeit ist, versteht das Dasein seiner angesichts auch erst den Entscheidungsspielraum der davorliegenden Möglichkeiten und sich somit in seiner Ganzheit. Heidegger schließt an: „Dieses Verstehen aber ermöglicht sich nur dergestalt, daß sich das Dasein das Seinkönnen ‚bis zu seinem Ende‘ erschließt. Das Zu-Ende-sein des Daseins besagt jedoch existenzial: Sein zum Ende.“[163] Nicht umsonst setzt Heidegger das ‚bis zu seinem Ende‘ in Anführungszeichen: diese markieren, daß es sich um eine existenzielle Beobachtung, nicht um eine ontologisch-existenziale Bestimmung handelt. Die Übersetzung vom existenziellen ins existenziale erfolgt erst im zweiten Satz, wenn das auf existenzieller Ebene verständlich gemachte ontologisch-existenzial gefasst wird, nämlich als Sein zum Ende. Erst angesichts des Todes und damit seiner Endlichkeit kann das Dasein (man könnte wieder sagen: die handelnde Person) die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, auf sich selbst hin interpretieren und sich einen Entscheidungsspielraum eröffnen. Das heißt, es genügt in Heideggers Augen zum Personsein nicht, daß die Person sich als Individuum zu allgemeinen Möglichkeiten verhält, sondern sie muß dies in Bezug zu einem durch den Tod begrenzten Ereignisspielraum tun. Nur wenn sie dies ständig tut, ist sie auch eigentlich. Das „ständig tun“ bezeichnet Heidegger als vorlaufend. Erst vorlaufend ist daher das Dasein in der eigentlichen Entschlossenheit, weshalb sie Heidegger auch vorlaufende Entschlossenheit nennt.
Einmal eigentlich geworden, ist dem Dasein auch die Möglichkeit des Zurückfallens in die Unentschlossenheit des Man klar geworden, wogegen es sich in der eigentlichen Entschlossenheit zur Wiederholung ihrer selbst jedoch verwahrt.[164] Der Tod wird bei all dem nicht „überwunden“, noch führt die eigentliche Entschlossenheit für Heidegger in die Weltabgeschiedenheit. Zwar ist ihre Grundstimmung die Angst, mit dieser einher geht jedoch eine „gerüstete Freude“ an der nun entdeckten Möglichkeit der Selbstbestimmung. [165]
- Die hermeneutische Situation
Heidegger verwendet nun etwas Zeit darauf, sein Vorgehen im Sinne der Hermeneutik zu rechtfertigen. Er betont die Schwierigkeiten, welche sich bis jetzt ergeben haben und macht für ihren Grund aus, daß das Untersuchende und der Untersuchungsgegenstand im Dasein zusammenfallen: Das Dasein ist sich im vorreflexiven Selbst- und Weltbezug so vertraut, daß jedes explizite ontologische Wissen ihm abgerungen werden muß.[166] Die Untersuchung stellte sich der dem Dasein innewohnende Verdeckungstendenz entgegen, was gelegentlich den Charakter der Gewaltsamkeit mit sich brachte. Gerade deshalb möchte Heidegger der Frage nachgehen, auf welche Art die Untersuchung überhaupt Evidenz erzeugt. Vor allem muss geklärt werden, woran sich die Eigentlichkeit der Existenz ablesen lässt. Bis jetzt, so Heidegger, ließ sich die Untersuchung von dem im Dasein selbst liegendem Seinsverständnis leiten.[167] Seinsverständnis ist dem Dasein immer schon gegeben. Allein, wenn die Untersuchung vom Seinsverständnis des Daseins ihren Ausgang nimmt, um eine fundamental-ontologische Analyse auf den Weg zu bringen, so stellt sich mit aller Schärfe die Frage nach einem hierin liegenden Zirkel. Der Zirkel ist jedoch, wie sich nun mehr und mehr zeigt, für Heidegger kein Mangel, denn es kommt ihm nicht auf Deduktion an, sondern darauf „dass die solches Verstehen ausbildende Interpretation das Auszulegende gerade erst selbst zu Wort kommen läßt, damit es von sich aus entscheide, ob es (…) erschlossen wurde“.[168]
Heideggers existenziale Analytik kann somit gar nicht nach den Regeln der Konsequenzlogik funktionieren. Wer einen Zirkeleinwand gegen die hermeneutische Daseinsanalyse erhebt, der hat nach Heidegger schlicht die ontologische Differenz mißachtet: aus der Seinsart des Daseins selbst, das nämlich als Verfallenes nur das Seiende und nicht das Sein betrachtet, ergibt sich eine dem Seienden angepasste Logik als Methode. Damit verkennt man jedoch das Verstehen als Grundart des Daseins: Verstehen ist an Sinn gekoppelt, also an Bezüge innerhalb der Welt. Diese sind aber mit der Logik allein gar nicht deduktiv abzuleiten, sondern gehen einem Weltverständnis immer schon voraus. Ein Denken das sich auf die Logik beschränkt, setzt daher zu wenig voraus. Eine Beschränkung auf die Logik ist künstlich und willkürlich, sie beschneidet die thematischen Gegenstände, um dann erst im Nachhinein an sie anzubauen.[169]
- Sorge und Selbstheit
Um im darauffolgenden Abschnitt den Seinssinn der Sorge freizulegen, muss Heidegger diese noch einmal vollständig in den Blick bringen und ihr Zusammenhang mit dem Selbst klären. Die Sorgestruktur zeigte sich als vielfach gegliedert: Sich-vorweg-schon-sein-in als Sein-bei, wobei das Sich-Vorweg als Sein zum Ende bestimmt wurde, dies kann durch den Ruf der Sorge in die Eigentlichkeit gerufen werden, so dass es als vorlaufende Entschlossenheit ist. Die Vielzahl dieser Strukturmomente wirft aber erneut die Frage nach ihrer Einheit auf.
Traditionell, so Heidegger, sollte die Einheit der Sorge bzw. des Subjekts stets durch ein Ich oder das Selbst als tragenden Grund gewährleistet werden.[170] Eine solche Vorstellung äußert sich für Heidegger z. B. im Ich-Sagen: „Das im Ich-sagen Aus- und Angesprochene wird immer als dasselbe sich Durchhaltende angetroffen.“[171] Auch Kant knüpft hieran an, wenn er das transzendentale Subjekt mit dem Ich denke zu fassen versucht. Dieses Ich denke hat für ihn jede Erfahrung zu begleiten. Damit entspricht Kants Ich, so Heidegger, der res cogitans, dem bloßen Bewusstsein als das, welches die Dinge der Anschauung verbindet. Auch bei Kant hat das Ich also zusammenhaltende Funktion (Ich verbinde).[172] Allein, Kant fällt doch wieder in das Substanzdenken zurück, wenn er das Ich als Subjekt fasst, „denn der ontologische Begriff des Subjekts charakterisiert nicht die Selbstheit des Ich qua Selbst, sondern die Selbigkeit und Beständigkeit eines immer schon Vorhandenen.“ Kant stellt sich nämlich Subjekt und Erfahrung (Empirie) als gleichzeitig miteinander vorhanden vor. Aber das Empirische ist innerweltlich Vorhandenes, was also Welt im Sinne Heideggers schon voraussetzt. Weil Kant das Phänomen der Welt nicht sah, so Heidegger, isoliert er nun das Ich wieder aufs Subjekt.
Heidegger hingegen versteht unter dem Ich im Ich-Sagen das sich als in-der-Welt-seiend aussprechende Ich, womit Ich und Welt nicht zwei getrennte Dinge sind, sondern entsprechend des In-Seins untrennbar miteinander verbunden: „Das ich meint das Seiende, das man ‚in-der-Welt-seiend‘ ist“.[173] Erst in der Eigentlichkeit erschließt sich jedoch dieses ständig sich durchhaltende als in-der-Welt-seiend. Das heißt, damit das Dasein sich auf sich selbst beziehen kann, braucht es einen veränderten personalen Selbstbezug (die Eigentlichkeit) und erst dann überhaupt kann sich das Dasein auf sich selbst beziehen, erst dann macht auch die Rede von einem Selbst Sinn. Im erst mit der Eigentlichkeit hervortretenden bewussten Selbstbezug ist das Dasein also selbstständig, wie Heidegger sagt. Es verläßt sich nicht mehr auf die Möglichkeiten des Man, sondern eignet sich diese bewusst an. Damit aber ist das Selbst nicht etwas Vorhandenes, kein Ich, keine Substanz, sondern vielmehr ein Modus der Sorgestruktur. Auch gründet entgegen der Tradition die Sorge nicht auf einem Selbst, sondern sie schließt es nun mit ein.[174]
- Vorlaufende Entschlossenheit gründet in der Zukunft und damit in der Zeitlichkeit
Den Sinn bestimmte die Untersuchung bereits als „das, worin sich Verstehbarkeit von etwas hält, ohne dass es selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt. Sinn bedeutet das Woraufhin des primären Entwurfs, aus dem her etwas als das, was es ist, in seiner Möglichkeit begriffen werden kann.“ Wenn Heidegger also den Sinn von Sein aufzeigen möchte, so muss er folglich das Woraufhin des Entwurfs sichtbar machen. Das Entworfene ist das Sein des Daseins. Das Sein des Daseins ist die Sorge. Die Frage nach dem Sinn des Seins eines Seienden macht das Woraufhin des allem Sein von Seiendem zugrundeliegenden Seinsverstehens (des Daseins) zum Thema. Damit wird die Frage nach dem Sinn von Sein zur Frage nach dem Sinn der Sorge. Der Seinssinn des Daseins liegt somit auch nicht ‚außer ihm‘ als etwas freischwebendes. Heidegger benutzt das Wort ‚Sinn‘ entsprechend seiner beiden Bedeutungen zugleich, nämlich Sinn als Verweisung, Bedeutung und als Richtung wie in ‚Uhrzeigersinn‘. Da Sinn der Grund des Verstandenen ist, hat also auch das Verstehen schon eine gewisse Richtung bzw. Orientierung.
Vorbereitend hatte Heidegger das Sein zum Tode mit der eigentlichen Erschlossenheit verknüpft in der vorlaufenden Entschlossenheit (s. o.). Er führt diese nun mit der Zeit zusammen, indem er zeigt, daß die Möglichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit in der Zeitlichkeit gründet: „das Sein zum eigensten ausgezeichneten Seinkönnen […] ist nur so möglich daß das Dasein überhaupt in seiner eigensten Möglichkeit auf sich zukommen kann.“[175] Die Sorge beinhaltete als Strukturmoment also das Sich-auf-sich-zukommenlassen: hierin liegt das Phänomen der Zukunft. Zukunft ist jedoch nicht etwas, das noch nicht wirklich geworden ist oder das einmal erst sein wird, sondern „die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt“.[176] Hier zeigen sich zwei Aspekte Heideggers Zukunftsbegriffs: Einerseits kommt mit der Zukunft auf das Dasein etwas zu, andererseits ist es das Dasein selbst, daß auf sich zukommt. Damit ist Zukunft weder bloß eine Projektion des Daseins und seiner Seinsmöglichkeiten als noch nicht verwirklichter noch ist es etwas vom Dasein getrenntes und ihm fremdes, es ist ja seine Zukunft.
- Einheit der Zeitlichkeit
Neben der Zukunft gibt es noch zwei andere, wie Heidegger sagt, zeitliche Ekstasen. Entsprechend bestimmt Heidegger die Gewesenheit als das, wie das Dasein je schon war. Gegenwart ist das Gegenwärtigen als Begegnenlassen von Anwesenden.[177] Gewesenheit, Zukunft und Gegenwart sind jedoch verschränkt, so nämlich, dass die Gewesenheit der Zukunft entspringt, indem die Zukunft die Gegenwart aus sich entlässt. Damit ergibt sich als die volle Bestimmung der Zeitlichkeit: „Dies dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen nennen wir die Zeitlichkeit“.[178]
- Zeitlichkeit als Sinn der eigentlichen Sorge
Heidegger hat soweit ‚exemplarisch‘ (genauer: existenziell) gezeigt, daß die vorlaufende Entschlossenheit der Zeitlichkeit bedarf. Auch erst mit der bewussten Übernahme seiner Geworfenheit kann das Dasein eigentlich gewesen sein. Die konkrete Situation zu begreifen und sich auf innerweltlich Seiendes ausrichten zu können gründet für Heidegger in der Gegenwart. Die eigentliche Entschlossenheit, als eigentliche Erschlossenheit angesichts des Todes, nannte Heidegger die vorlaufende Entschlossenheit. Vorlaufen ist jedoch nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich. Vorlaufende Entschlossenheit, also das sich ausrichten einer Person auf und in ihrem Entscheidungsspielraum dessen Ende der Tod markiert, ist also nur durch die Zeitlichkeit möglich. Zeitlichkeit enthüllt sich somit als der Sinn der eigentlichen Sorge.
- Zeitlichkeit als Sinn der Sorge
Diese soweit nur existenzielle Untersuchung der vorlaufenden Entschlossenheit und Zeitlichkeit muß nun auf die existenzial-ontologische Ebene gehoben werden. Heidegger hatte zuerst die vorlaufende Entschlossenheit mit der Zukunft verknüpft, anschließend wurde die Rolle der anderen zwei zeitlichen Ekstasen für die vorlaufende Entschlossenheit ausgewiesen. Zeitlichkeit war in sich selbst wegen der Verschränkung der Ekstasen einheitlich. Die vorlaufende Entschlossenheit ist erst durch die Zeitlichkeit als einheitliches Phänomen zu verstehen. Vorlaufende Entschlossenheit war ein Modus der Sorge, deshalb ist hinreichend gezeigt, daß erst die Zeitlichkeit die Einheit der Sorge ermöglicht. Damit ist als Sinn der Sorge die Zeitlichkeit in ihren drei Ekstasen ausgewiesen:[179]
Zeitlichkeit | Sorge | In-sein | ontologischer Charakter |
Zukunft | Sich-vorweg-sein | Verstehen | Existenzialität |
Gewesenheit | Schon-sein-in-der-Welt | Befindlichkeit | Faktizität |
Gegenwart | Sein-bei | Besorgen | Verfallen |
Die Sorge läuft wie gezeigt nicht in einer linearen Zeit ab, vielmehr ist die Zeitlichkeit verschränkt, sie zeitigt sich.[180] Da die Zeitlichkeit das Außer-sich des Daseins ermöglicht, nennt Heidegger Gewesenheit, Gegenwart und Zukunft auch Ekstasen der Zeitlichkeit. (Ekstase von εξíστασθαι, exhistasthai = aus sich heraus treten, außer sich sein). Die vulgäre Zeitauffassung einer linear ablaufenden Zeit nivelliert nach Heidegger gerade den ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit. Heidegger räumt innerhalb der drei Ekstasen der Zukunft einen Vorrang ein, denn sie ist das „primäre Phänomen der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit (… )“.[181] Dieser Vorrang ergibt sich aus dem Sein zum Tode, Dasein existiert endlich: Erst durch die Zukunft und den Tod wird dem Dasein seine Nichtigkeit bewusst und erst dann kann es auch eigentlich sein.
In dem folgenden Kapitel soll nun die existenziale Analyse des Daseins im Hinblick auf die Zeitlichkeit der Sorgestruktur (d. h. Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede) wiederholt werden. Weiterhin möchte Heidegger durch die Analyse seines Zeitigungscharakters das Dasein als geschichtlich enthüllen. Ebenso wird die Ausbildung der Zeitrechnung untersucht werden und wie sich hieraus ein Zeitverständnis von in der Zeit seiend entwickelt. Dieser Auffassung Heideggers folgend, wird sich zeigen, dass nur Innerweltliches in der Zeit sein kann, was mit dem Titel Innerzeitigkeit gefasst wird.
Viertes Kapitel §§ 67–71
Vorbereitende Analyse |
Erneute Analyse |
§ 31 | § 68a |
§ 29 | § 68b |
§ 38 | § 68c |
§ 34 | § 68d |
§ 28 | § 69 |
§§ 12, 15 | § 69a |
§ 44 | § 69b |
§ 18 | 69c |
§§ 22–24 | § 70 |
§ 9 | § 71 |
Dieses Kapitel ist der Wiederholung der Daseinsanalyse unter dem Gesichtspunkt der Zeitlichkeit gewidmet. Damit entspricht Heidegger seinem methodischem Konzept des hermeneutischen Zirkels.
- Zeitlichkeit und Alltäglichkeit
Heidegger hat im vorigen Kapitel die Zeitlichkeit als ontologischen Ursprung des Seins des Daseins, also der Sorge ausgemacht. Den Ontologischer Ursprung freilegen bedeutet bei Heidegger nicht, dass etwa ein einzelnes erstes Aufbauelement gesucht wird, von dem aus sich dann die ‚höheren‘ Eigenschaften entwickeln lassen. Vielmehr ist „der Ursprung des Seins des Daseins [der Sorge] nicht geringer als das, was ihm entspringt, sondern er überragt es vorgängig an Mächtigkeit“.[182] Das heißt der ontologische Ursprung läßt mehr Phänomene verstehen, als die ihm entspringenden.
Es sollen nun für Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede deren jeweilige Modi der Zeitigung untersucht werden. Hiermit ist dann der Boden für die Analyse der Zeitigung des gesamten In-der-Welt-Seins gegeben.[183]
Heidegger ordnet Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen jeweils eine der drei zeitlichen Ekstasen Gewesenheit, Gegenwart, Zukunft eine primäre zu, welche das jeweilige Phänomen grundlegend bestimmt. Das heißt nicht, daß die Existenzialien nur durch die zugeordnete zeitliche Ekstase bestimmt werden, oder daß alle anderen dann schlicht unbedeutend sind. Steht ein bestimmter Aspekte des In-der-Welt-seins unter einer zeitlichen Ekstase, dann beherrscht diese das Existenzial lediglich mehr als die anderen. Es bleibt also jede Ekstase mit den anderen zwei zeitlichen Ekstasen verwoben. Da die Zeitlichkeit etwas ist, daß sich vollzieht (Zeit ist weder vorhanden noch zuhanden) und den Ekstasen daher eine Dynamik innewohnt, sagt Heidegger auch, die Zeitlichkeit zeitigt sich. Wegen der untrennbaren Verbindung der drei Ekstasen zeitigt sich die Zeitlichkeit in jeder Ekstase ganz. Zeitigung ist dabei kein Nacheinander der Ekstasen, sondern „Zeitlichkeit zeitigt sich als gewesend-gegenwärtigende Zukunft“.[184] In dieser ekstatischen Einheit der vollen Zeitigung gründet für Heidegger auch die Einheit der Sorgestruktur.
Strukturmoment der Sorge | primäre zeitliche Ekstase |
Verstehen | Zukunft |
Befindlichkeit | Gewesenheit |
Verfallen | Gegenwart |
Rede ist in sich selbst zeitlich, ihr entspricht keine primäre Ekstase, denn sie vereint alle drei auf sich zugleich. |
- a. Zeitlichkeit des Verstehens
Heideggers Begriff des Verstehens ist ein überwiegend praktisch orientierter, den er kritisch gegen die Begriffe des Erkennens und Wissens abgrenzt. Verstehen ist daher auf den praktischen Umgang mit der Welt gerichtet, in dem sich das Dasein auf eine Zukunft hin entwirft. Erst die Zukünftigkeit ermöglicht das Verstehen, denn erst von der Zukunft her kommt das Dasein auf seine gegenwärtige Lebenssituation zurück und versteht, was „zu tun ist.“ Heidegger unterscheidet nun eigentliches und uneigentliches Verstehen und deren Bezug zur Zeitlichkeit.
Zeitekstase | uneigentliches Verstehen | eigentliches Verstehen |
Zukunft | Gewärtigen | Vorlaufen |
Gegenwart | Gegenwärtigen | Augenblick |
Gewesenheit | Vergessen/Erinnern/Behalten | Wiederholung |
Da das Dasein meist unentschlossen ist, zeitigt sich die Zeitlichkeit nicht aus der eigentlichen Zukunft. Das heißt, unentschlossen ist das Dasein auf die uneigentliche Zukunft bezogen, es ist nur in der Gegenwart beim zu Besorgenden. Es kommt also nicht auf sich zu (als Sein zum Tode) indem es sich die Zukunft bewusst als eigene aneignet, sondern es ist gegenwärtigend, es bestimmt sich aus dem Man und tut das was man betreibt.[185] Die Person verliert sich im gegenwärtigen Besorgen, statt das ganze ihres Lebensvollzugs zu erkennen.
Die eigentliche Gegenwart ist für Heidegger der Augenblick, in welcher der Entschluss die Situation erschließt, nämlich daß das Dasein als Person mit einem endlichen Entscheidungsspielraum vor sich existiert. Damit zeitigt sich das uneigentliche Verstehen/Entwerfen aus dem Gegenwärtigen, der Orientierung an durch das Man vorgegebenen Sinn- und Handlungsstrukturen. Der Augenblick als ein Gegenwartsmoment des eigentlichen Verstehens zeitigt sich aus der eigentlichen Zukunft, d. h. die Person eignet sich bewusst ihren Entscheidungsspielraum an als einen – wegen des Todes – endlichen.[186]
Erst durch die Zukunft und das Sein zum Tode kommt das Dasein auf sich selbst als Vereinzeltes zurück. Erst dann, wenn es so vor sich selbst (vor sein Da als Person) gebracht wurde, kann es sich die Gewesenheit (seine „Biographie“) zueignen als Wiederholung. Es „hohlt“ seine vergangenen Erlebnisse „wieder“ zu sich als zu seiner Person gehörig. Heidegger benutzt dabei den Begriff „Gewesenheit“ um ihn von der „Vergangenheit“ abzugrenzen, letztere verstanden als etwas nicht mehr Seiendes, das nicht mehr zum Dasein gehört. Der Begriff Gewesenheit zeigt hingegen an: das Dasein ist seine Gewesenheit. Das uneigentliche Entwerfen des Daseins wird erst durch ein Vergessen möglich. Vergessen ist für Heidegger nicht ein Fehlen von Erinnerung, sondern vergessend ist das Dasein, weil es für seine Geworfenheit blind bleibt. Die Person hat kein Verständnis von ihrer Geworfenheit, d. h. davon, daß sie in ein kulturelles Überlieferungsgeschehen eingebunden ist, in dem Vorstellungen, Wissen, Fähigkeiten im geschichtlichen Prozess übermittelt werden – Vorstellungen, Fähigkeiten und Wissen die es selbst als Person bestimmen. Dies nicht zu sehen meint für Heidegger vergessen. Da die von der Person übernommene kulturelle Sinnwelt nicht etwas von ihr getrenntes ist, könnte man daher sagen, die Person vergisst sich, wenn sie sich ihre kulturellen Fähigkeiten nicht bewusst aneignet. Das uneigentlichen Verstehen zeitigt sich in Heideggers Worten als vergessend-gegenwärtigendes Gewärtigen.
Für das Verstehen allgemein bleibt trotzdem festzuhalten: „Primär vollzieht sich die Zeitigung des Verstehens in der Zukunft.“[187]
- b. Zeitlichkeit der Befindlichkeit
Die Grundbefindlichkeit der Angst dem Dasein sein In-der-Welt-sein, dass es also ist und zu sein hat. Dies ist, so Heidegger, nur möglich, weil das Dasein gewesen ist. Damit zeitigt ist die zur Befindlichkeit gehörende Zeitlichkeit primär die der Gewesenheit. Die primäre Ekstase der Zeitlichkeit modifiziert zugleich die Ekstasen von Zukunft und Gegenwart.[188] Diese Behauptung, dass Befindlichkeit nur auf Grund von Zeitlichkeit möglich ist, muß allerdings noch gezeigt werden. Dies zu zeigen bedient sich Heidegger abermals der zwei bekannten Phänomene von Furcht und Angst[189]
Zunächst wäre zu erwarten, dass Furcht sich auf ein zukünftiges Ereignis bezieht. Jedoch zeigt sich nach Heidegger bei der Analyse des Phänomens, dass nicht so sehr das zukünftige Wovor der Furcht eine Rolle spielt, sondern der sich Fürchtende. Die Furcht bringt so nämlich das Dasein auf sich zurück, sie wirkt gegenwärtigend. Das Zurückbringen des Daseins auf sich selbst erklärt auch den mit der Furcht einhergehenden Affektcharakter: das Dasein wird in dieser Gedrücktheit verwirrt, so dass es sich an das Besorgen verliert, indem es fürchtend von einer zur nächsten Möglichkeit springt. In der Furcht ist das Dasein daher selbstvergessen.[190]
Die Analyse der Angst hatte ergeben: das Wovor wie auch das Worum der Angst ist das In-der-Welt-Sein selber. Damit aber kommt das Wovor nicht aus der Zukunft, es ist ja dieses nackte Da des Daseins, das zum Dasein immer „dazugehörige“ In-der-Welt-Sein. In dieser Nacktheit bringt die Angst das Dasein also auf seine Geworfenheit zurück, weshalb die Befindlichkeit der Angst durch die Gewesenheit konstituiert wird.[191] Da die Angst vor die mögliche Übernahme im Entschluss bringt, geht mit ihr keine Verwirrung wie bei der Furcht einher, denn der Entschluss stürtzt sich ja nicht auf die nächstliegenden Möglichkeiten. Der Entschlossene kennt keine Furcht und lässt sich nicht durch nichtige Möglichkeiten einnehmen, sondern er ist frei für das Eigentliche, d. h. er erkennt sich als Person und versteht abzuwägen, welche Möglichkeiten im Sinne seiner Selbst zu realisieren sinnvoll sind.[192]
Auch wenn nicht alle Stimmungen im einzelnen analysiert werden können, so werden sie für Heidegger doch ebenso wie die Angst durch die Gewesenheit fundiert. Beispielsweise bezieht sich die Hoffnung für Heidegger nur vordergründig auf ein zukünftiges Ereignis, doch der Hoffende ist ja stets ein einzelnes konkretes Dasein. Dieses erhofft also für sich. Damit zeigt sich das Hoffen als entlastendes – wovon jedoch erleichtert wird, ist die Last des Gewesenen. Ebenso zeigt sich für Heidegger die Gleichgültigkeit als durch die Gewesenheit bestimmt: wenn man alles sein lässt, überlässt man sich damit auch der eigenen Geworfenheit.[193]
- c. Zeitlichkeit des Verfallens
Als die primären Ekstasen von Verstehen und Befindlichkeit hatten sich Zukunft bzw. Gewesenheit gezeigt. Dem Verfallen kommt als primäre zeitliche Ekstase die Gegenwart zu. Allerdings handelt es sich um eine spezifische Weise des Gegenwärtigen, die Heidegger beispielhaft an der Neugier verdeutlicht. Neugier sucht nicht das verweilende Verstehen, sondern sie betrachtet die Dinge lediglich um zu sehen und gesehen zu haben. In diesem ständigen Unverweilen entspringt die Neugier aus dem Gegenwärtigen, jedoch so, dass es immer wieder im Gegenwärtigen um der Gegenwart Willen landet. Heidegger versucht mit dem „Entspringen“ die Paradoxie der Neugier zu fassen, daß diese einerseits nur im Moment sich für bestimmte Dinge interessiert, andererseits aber stets schon wieder auf dem Sprung zum nächsten Interessanten ist. Die Neugier sucht ständig das Neue, jedoch nicht weil sie Interesse an der Sache hat, sondern um vor sich selbst zu fliehen. Das heißt aber auch, dass nicht das Neue (als potentieller Gegenstand für unser Interesse) die Neugier bewirkt, sondern die Art der Zeitigung der Neugier führt selbst, gleichsam zwanghaft, auf das Neue zu. Die paradoxe Art der Neugier von Moment zu Moment zu springen ist also ein unruhiger Umgang mit der Gegenwart, aus dem her erst die Dinge als angeblich interessant empfunden werden. In Heideggers Worten: das entspringende Gegenwärtigen ist existenzial-zeitliche Bedingung der Möglichkeit der Zerstreuung. Die Aufenthaltslosigkeit stellt somit auch den schärfsten Kontrast zum Augenblick (als eigentliche Gegenwart, s.o.) dar: beide sind Modi der Gegenwart, jedoch sucht der erstere das Belanglose, letzterer bringt vor das Da des Daseins und schafft somit die Möglichkeit eigentlich zu sein.[194]
Für Heidegger steht also das Verhalten des Daseins auch wenn es nicht auf seine Zukunft oder Gewesenheit ausgerichtet ist, unter der Bedingung seiner Endlichkeit. Zwar ist die Gegenwart die primäre zeitliche Ekstase des Verfallens, jedoch dies nur, weil die Zeitlichkeit endlich ist. Der Ursprung des Entspringens ist die endliche Zeitlichkeit selbst, die das geworfene Sein zum Tode erst möglich macht: Erst weil das Dasein zum Tode ist, flieht es diese seine Geworfenheit. Erst die ‚verdrängte‘ Angst vor dem Tod zwingt das Dasein in Zerstreuung.[195]
- d. Zeitlichkeit der Rede
Der Rede kommt keine primäre zeitliche Ekstase zu, wie dies bei Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen der Fall ist, gleichwohl hat sie als Bevorzugte das Gegenwärtige. Die Rede ist an sich selbst zeitlich weil sie in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit gründet: Indem in der Rede über etwas gesprochen wird, vereinigt sie stets alle drei Ekstasen mit einem Bezug zur Gegenwart.
- Die Zeitlichkeit des In-der-Welt-Seins
Da nun die zeitlichen Ekstasen der Erschlossenheit, also von Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede besprochen wurden, bleibt noch zu klären, welcher Zusammenhang zwischen Zeitlichkeit und In-der-Welt-Sein besteht. So ist vor allem das Phänomen von Welt nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich[196] Heidegger möchte im Folgenden klar machen, dass die Zeitlichkeit das primäre ontologische Phänomen ist und nicht aber die vulgäre Zeitauffassung, welche das Dasein und die Welt als in der Zeit seiend vorstellt. Hierzu zeigt er einerseits, wie sich aus dem Besorgen erst das Rechnen mit Zeit ergibt (a), (b), andererseits, dass Welt erst durch die ekstatische Erschlossenheit ist (c).
- a. Die Zeitlichkeit des Besorgens
Die Analyse des Zeug hatte gezeigt, dass dieses jeweils in eine Zeugganzheit eingebunden ist. Ein einzelnes Zeug ist somit niemals möglich. Zeug hat den Seinscharakter der Bewandtnis, den Umgang mit Zeug nannte Heidegger Bewendenlassen. Dieses Bewendenlassen muss nun als Element der Sorge zeitlich fundiert sein: Ihm entspricht die zeitliche Struktur des Gegenwärtigens. Vergegenwärtigt wird sich das Wozu des Zeug.[197] Dieses Wozu ist etwas, das sich weder im Werk noch im Werkzeug findet: Das Gegenwärtigen stiftet erst die Einheit dieser zwei Bezüge.
Damit macht das Gegenwärtigen auch das spezifische Vergessen verständlich, welches als das völligem aufgehen in der Sache bereits erwähnt wurde. Daß das Besorgen gegenwärtigend ist, läßt sich auch an den Modi des Begegnenlassens beobachten, nämlich Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit. Erst das Unzuhandene, das defekte Zeug läßt ja die Bewandtnisganzheit aufdringlich werden. Dies ist aber nur möglich, wenn das Dasein sich das Wozu des Zeug vergegenwärtigt, nur dann kann etwas wie Unzuhandenheit festgestellt werden.[198] Das Verständnis der Unzuhandenheit bleibt jedoch zunächst vorontologisch.
- b. Theoretisches Entdecken
Die Frage dieses Abschnitts geht auf die Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaft. Wissenschaft ist für Heidegger nur für ein Dasein in seinem In-der-Welt-Seins möglich. Mit ihr einher geht eine spezifische Sicht auf das Seiende bei welcher das Zuhandene als Vorhandenes aufgefasst wird. Dieser Umschlagpunkt wird meist einfach als Wechsel von der Umsicht zur Hinsicht, von der Praxis zur Theorie beschrieben. Dies reicht jedoch laut Heidegger nicht aus, zumal Praxis und Theorie sich vielfach durchdringen: Auch die Theorie hat ihre empirische Praxis, und die Praxis hat wiederum ihre spezifische Sicht (Theorie).[199]
Um den Zusammenhang aufzuklären, beginnt Heidegger seine Untersuchung bei der alltäglichen Umsicht. Diese hat die Bewandtnisganzheit immer schon verstanden und wird von einem Worumwillen „geleitet.“ Sie nähert die Dinge in der Weise der Überlegung, in welcher sich das Wenn-So erschließt: wenn dies geschehen soll, so muss jenes gemacht werden. Hier zeigt sich wieder die zeitliche Struktur der Gegenwärtigung. Das Wenn-So kann nur in einem Bewandtniszusammenhang (der Als-Struktur) verstanden werden. Die Als-Struktur basierte auf dem Verstehen, welches wiederum nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich war: Das Dasein versteht, daß etwas als etwas gebraucht wird, wenn etwas so gemacht werden soll, damit es umwillen des Daseins selbst so ist. Somit zeigt sich die Als-Struktur als in der Zeitlichkeit fundiert: Nur weil es Zukunft gibt, kann das im Gegenwärtigen erfasste Wozu der Dinge verstanden werden.[200]
Heidegger fragt nun: Was passiert, wenn wir zum Beispiel einen Hammer nicht mehr einfach nur benutzen, sondern ihn auf eine Waage legen und sein Gewicht erfassen? Offensichtlich sieht man dabei nicht nur von seiner Eingebundenheit in die Zeugganzheit und seinem Sinn ab, sondern es ist eine völliges Umschlagen des Seinsverständnisses. So „übersieht“ zum Beispiel die Physik nicht nur den Zeugcharakter des Hammers, sondern auch noch den Platz, welchen das Zeug in der Gegend hat. Der Platz wird zu Raum-Zeit-Stelle, Umwelt überhaupt wird entschränkt, wie Heidegger sagt.[201] Was speziell die mathematische Physik damit zeigt, ist dass sie Seiendes nur durch Vorgabe seiner Seinsverfassung (nämlich der mathematischen Beschreibbarkeit) erschließt, sie gibt einen mathematischen Entwurf der Natur. Die Ausarbeitung dieses damit einhergehenden Seinsverständnisses nun macht dann den vollen Begriff dieser Wissenschaft aus. Die Ausarbeitung nennt Heidegger Thematisierung – sie erst objektiviert das Seiende.
Damit aber die Thematisierung vollzogen werden kann, muss das thematisierte Seiende transzendiert werden – die Möglichkeit hierzu ist Thema des nächsten Abschnitts.
- c. Die Transzendenz der Welt
Um das zeitliche Problem der Transzendenz der Welt zu klären, muss nach dem Sein der Welt gefragt werden.[202] Die Analyse der Weltlichkeit der Welt hatte die Struktur der Welt freigelegt: Innerhalb der Bewandtnisganzheit zeigten sich deren Elemente als Um-zu, Wozu, Dazu, Um-willen, deren Verbindung untereinander Heidegger Bedeutsamkeit nannten. Dies ist dem Dasein in seinem Da erschlossen. Die Erschlossenheit des Da wird durch die Sorge konstituiert. Sorge basierte auf Zeitlichkeit. Damit zeigt sich die Zeitlichkeit als Bedingung der Möglichkeit von Welt: Die Welt ist ein Verweisungszusammenhang von Dingen, sie ergeben jedoch nur Sinn und haben einen Nutzen auf der Grundlage von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Dasein Sinn und Nutzen erst wie einen Schleier über die Dinge wirft, sondern sie sind nur so. Bereits vorher stellte die Untersuchung fest: Ohne Dasein gibt es keine Welt. Nun zeigt sich: Auch ohne den Horizont der Zeitlichkeit kann Welt nicht sein.
Heidegger nennt die Zeitlichkeit als den Horizont des Sinns von Sein (in Anlehnung an Kants Abschnitt zum Schematismus in der Kritik der reinen Vernunft) das horizontale Schema:
Zeitekstase | Schemata (Wohin der Entrückung) |
Zukunft | Um-willen |
Gegenwart | Wovor und Warum |
Gewesenheit | Um-zu |
Hier zeigt sich nochmals: da die Welt wesentlich aus den sinnhaften Bezügen besteht (diese machen die Weltlichkeit der Welt aus) und diese Bezüge zeitlich sind, d. h. als Vollzug, als Prozeß, ist die Welt nicht in der Zeit sondern Welt zeitigt sich.[203]
Mit Transzendenz der Welt meint Heidegger nun, dass Welt ekstatisch (durch die zeitlichen Ekstasen) erschlossen sein muss, damit überhaupt Innerweltliches begegnen kann. Ohne Zeitlichkeit könnte das Dasein keinen Umgang mit den Dingen haben. Das zeitliche Herausragen des Daseins in die Welt bedeutet aber auch, dass die Welt immer weiter draußen ist, als jedes ihm unmittelbar gegebene Objekt. Dieses Weiter Draußen macht die Transzendenz der Welt aus: Welt ist nichts Greifbares und doch ‚braucht‘ das Dasein sie, damit ihm in ihr (innerweltlich) Dinge begegnen können.[204] Somit ist die Transzendenz der Welt auch Bedingung der Möglichkeit der wissenschaftlichen Erforschung von innerweltlich Seienden.
- Die Zeitlichkeit der daseinsmäßigen Räumlichkeit
Da die Weise des Daseins zu Sein zeitlich ist, so muss sich nach Heidegger auch die daseinsmäßige Räumlichkeit als durch die Zeitlichkeit konstituiert erweisen.[205] Die daseinsmäßige Räumlichkeit wurde bestimmt als ein Hang des Daseins zur Nähe durch das Ent-Fernen. Die Dinge haben ihren Platz in einer Gegend. Dasein ist damit nicht im Raum vorhanden, sondern es räumt sich ein. Beim Einräumen entdeckt Dasein Gegend, also das Wohin des Zeug. Hierfür muss es jedoch die Bewandtnisbezüge kennen. Da der vorige Abschnitt gezeigt hatte, dass Bewandtnis nur im Horizont einer ekstatisch erschlossenen Welt möglich ist, zeigt sich somit auch die Räumlichkeit des Daseins als durch die Zeitlichkeit fundiert: Das Nähern und Ent-Fernen der Dinge, das Entdecken von Gegend geschieht durch ein Gegenwärtigen. Im Gegenwärtigen ist erst ein sich Ausrichten auf das Dorthin und Hierher der Dinge möglich. Damit ist aber die Welt nicht im Raum vorhanden, sondern dieser lässt sich nur innerhalb einer Welt entdecken.[206]
- Der zeitliche Sinn der Alltäglichkeit
Es wurde nun die Zeitlichkeit der Alltäglichkeit besprochen, ihr zeitlicher Sinn blieb, so Heidegger, jedoch noch im Dunkeln. Alltäglichkeit meinte eine bestimmte Seinsart, also wie es ist, so zu existieren. In diesem Zusammenhang wurden auch die Ausdrücke „zunächst und zumeist“ gebraucht, dabei meinte „zunächst“ die Weise des Daseins, in welcher es uns geläufig und bekannt ist, während „zumeist“ sich darauf bezog, wie sich uns das Dasein in der Regel zeigt. Alltäglichkeit ist für Heidegger nicht ein bloßer Aspekt, sondern eine grundlegende Weise zu sein.[207] Heidegger vermerkt lediglich kurz: Um nun den zeitlichen Sinn der Alltäglichkeit aufzuklären, muss zuvor eine Idee des Sinns von Sein überhaupt gewonnen werden, erst auf dieser Grundlage lässt sich das Problem angemessen in den Blick bringen.
Fünftes Kapitel §§ 72–77
- Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit
Um die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, muss das Phänomen umgrenzt werden, in dem selbst so etwas wie Sein zugänglich wird, also das Seinsverständnis. Um es ganz in den Blick zu bringen, muss zuvor die Seinsverfassung des Daseins gänzlich geklärt werden (Seite 372). Zwar wurde es in Hinblick auf seine Ganzheit als Sein zum Tode bestimmt, jedoch ist diese Bestimmung gewissermaßen einseitig, da sie das Daseins nicht in die andere Richtung – hin zu seiner Geburt – verfolgt. Das Dasein ist gewissermaßen das Zwischen Geburt und Tod, jedoch bleibt die Frage wie es sich dazwischen erstreckt: Wie also ist der Zusammenhang des Lebens möglich? Eine bloße Abfolge von Erlebnissen kann es nicht sein, denn dann wäre immer nur ein Augenblick wirklich, ohne dass diese miteinander in Verbindung stünden. Ein solches Verständnis impliziert nur wieder eine Auffassung des Daseins als Vorhandenes (Seite 373). Vielmehr aber erstreckt sich Daseins selbst zwischen Geburt und Tod: Beide sind solange Dasein ist und da das Sein des Daseins als Sorge bestimmt wurde, diese aber in der Zeitlichkeit gründet, sind auch Geburt und Tod nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich. Dieses Sich-Erstrecken des Daseins nennt Heidegger das Geschehen. Es wird sich als wesentlich für die Geschichtlichkeit des Daseins erweisen (Seite 375). Geschichtlichkeit ist jedoch nicht die Historie als Wissenschaft von der Geschichte. Ihre Aufhellung soll sich im Folgenden dadurch vollziehen, dass zunächst der vulgäre Begriff von Geschichte geklärt wird, anschließend soll ihre Verwurzelung in der Zeitlichkeit aufgewiesen werden. Abschließend wird die Herkunft der Wissenschaft von der Geschichte aus der Geschichtlichkeit gezeigt (Seite 376).
- Das vulgäre Geschichtsverständnis
Zunächst wollen wir Geschichte nur als das auffassen, was geschehen ist und den Bezug des Worts auf die Wissenschaft der Geschichte außer Acht lassen. Der Begriff tritt dann in verschiedenen Verwendungen auf. Geschichte ist dann:
- Bezug auf Seiendes, das vergangen ist
- als Herkunft im Sinne von Geschichte haben
- als das was den Menschen betrifft und sich in der Zeit wandelt (als Gegensatz zu Naturabläufen in der Zeit)
- als das, was überliefert wird
Es bleibt dann aber die Frage, ob das Dasein geschichtlich ist oder erst durch Eintreten in besondere Umstände geschichtlich wird (Seite 379). Ebenso bleibt das offensichtliche Primat der Vergangenheit zu untersuchen. Da das Dasein zeitlich ist, soll an diesem letzten Punkt angesetzt werden, mit der Frage: was heißt vergangen?
Als erläuterndes Beispiel wählt Heidegger die museale Präsentation von alten Gebrauchsgegenständen (Zeug). Diese sind sicherlich von geschichtlicher Bedeutung, jedoch sind sie nicht vergangen. Offensichtlich haben sie sich in irgendeiner Form verändert. Was sich jedoch genau verändert hat, das ist die Welt, in welche sie eingebunden waren, genauer: die Welt in welcher sie zum Zeugzusammenhang gehörten ist vergangen. Welt aber ist nur, solange Dasein ist. Dasein kann also nicht vergehen, wir sagen es ist da-gewesen. Damit ergibt sich für den Geschichtscharakter der alten Gebrauchsgegenstände: „Die noch vorhandenen Altertümer haben einen Vergangenheits- und Geschichtscharakter auf Grund ihrer zeughaften Zugehörigkeit zu und Herkunft aus einer gewesenen Welt eines da-gewesenen Daseins. Dies ist das primär Geschichtliche“ (Seite 380 unten). Sekundär geschichtlich ist also das innerweltlich Begegnende. Heidegger nennt es das Welt-Geschichtliche in bewusster Anspielung auf Weltgeschichte (Seite 381), deren Herkunft er in § 75 aus der Orientierung am Innerweltlichen zeigt.
- Die Grundverfassung der Geschichtlichkeit
Es gilt zu zeigen, dass Geschichte nur auf dem Grund von Geschichtlichkeit möglich ist. Da das Dasein zeitlich ist, wird das Problem im Zusammenhang mit der Zeitlichkeit betrachtet werden müssen. Heidegger nimmt hierbei seinen Ausgang von der eigentlichen Zeitlichkeit und entwirft eine Vorstellung von eigentlicher und uneigentlicher Geschichtlichkeit. Im darauffolgenden Paragraphen 76 wird er diese auf die Wissenschaft von der Geschichte beziehen und kommt so zu einer Auffassung von eigentlicher und uneigentlicher Historie.
Wenn das Dasein seine Eigentlichkeit in der vorlaufenden Entschlossenheit gewinnt, und sich im Entwurf auf sein eigenstes Seinkönnen hin entwirft, dann bleibt die Frage, woher es überhaupt die Möglichkeiten schöpfen kann, auf die es sich entwirft. Heidegger antwortet: „Die Entschlossenheit, in der das Dasein auf sein Selbst zurückkommt, erschließt die jeweiligen faktischen Möglichkeiten eigentlichen Existierens aus dem Erbe, das sie als geworfene übernimmt“ (Seite 383) Damit konstituiert sich in der Entschlossenheit das Überliefern des Erbes. Nur so aber kann das Dasein den nichtigen Dingen entgehen und kommt in die Einfachheit seines Schicksals. Da Dasein immer mit Mitsein einhergeht, gibt es ein Mitgeschehen mit anderen. Dies ist das Geschehen einer Gemeinschaft, eines Volkes, welches Heidegger als das Geschick bezeichnet (Seite 384).
Schicksal ist für Heidegger das eigentliche Geschehen, indem sich das Dasein an eine ererbte Möglichkeit überliefert. Nur aber wenn das Dasein zukünftig ist, zum Tode ist, dann ist es in der eigentlichen Zeitlichkeit. Und nur so ist auch eigentliche Geschichtlichkeit möglich (Seite 385). Dasein entwirft sich dann in der Wiederholung auf eine Daseinsmöglichkeit einer da-gewesenen Existenz: Das Dasein wählt sich seine Helden. Dabei soll es nicht bloß nachmachen, was bereits jemand getan, sondern es erwidert die dagewesene Existenz. Damit überlässt sich die Wiederholung weder dem Vergangenen, noch zielt sie auf einen Fortschritt (Seite 386). Mit dieser Nachfolge geht eine Treue zum Wiederholbaren einher und doch liegt ihre Bestimmung in der Zukunft, auf die hin sich das Dasein entwirft. Insgesamt ist damit klar geworden, dass nur auf dem Grund der Zeitlichkeit des Daseins Geschichtlichkeit möglich ist, der Ekstase der Zukunft kommt dabei die Bedeutung zu, dass sie das Dasein im Sein zum Tode erst eigentlich geschichtlich werden lässt.
- Weltgeschichte
Wenn immer noch die Frage offen ist, wie das Dasein zwischen Geburt und Tod zusammenhängt und wie es überhaupt mit der Geschichte zusammenhängt, dann muss man der Vermutung nachgehen, ob diese Frage nicht in einem falschen Verständnis von Geschichtlichkeit, in der uneigentlichen Geschichtlichkeit gründet (Seite 387).
Der Lebenszusammenhang ließe sich zwar durch das alltägliche Besorgen im Handel und Wandel beschreiben, aber damit wären wieder eine Subjekt-Objekt-Beziehung gedacht, deren Verkettung zwischen Subjekt und Objekt unbestimmt bliebe. Für Heidegger ist das Geschehen der Geschichte das Geschehen des In-der-Welt-Seins. Somit geschieht auch immer schon Geschichte, solange nur Dasein ist. Auch das Innerweltliche ist stets schon mitgemeint, da dem Dasein immer schon Innerweltliches begegnet. Wir haben dieses Innerweltliche das Welt-Geschichtliche genannt. Hiermit ist zweierlei gemeint: das Geschehen von Welt, sowie das innerweltliche Geschehen von Vor- und Zuhandenem. (Wird zum Beispiel ein Ehering weitergegeben, dann geschieht dabei sehr viel mehr, als bloß eine Ortsverschiebung des vorhandenen Dings) (Seite 389).
Weltgeschichtliches ist somit je schon da, wird aber durch das verfallene Dasein fälschlich als Ankommendes, Anwesendes und Verschwindendes aufgefasst. Aus diesem errechnet es dann seine Geschichte und nur so erst ergibt sich die falsche Frage nach dem Zusammenhang von Dasein und Geschichte.
Im Gegensatz zur Zerstreuung in der Uneigentlichkeit, wird die eigentliche Geschichtlichkeit durch Selbstständigkeit, Schicksalhaftigkeit, Entschlossenheit und Wiederholung bestimmt. Die Treue der Existenz gilt dem eigensten Selbst, ihre einzige Autorität ist die wiederholbare Möglichkeit. Damit geht eine Ehrfurcht vor der wiederholbaren Möglichkeit einher. Das Man hingegen weicht der Wahl aus, versteht die Vergangenheit immer nur aus der Gegenwart, indem es ihr seine Interpretation aufzwingt. Die uneigentliche Existenz sucht das Moderne, hingegen die eigentliche Geschichtlichkeit die Geschichte als Wiederkehr der Möglichkeiten versteht (Seite 391).
- Der Ursprung der Historie
Da das Dasein immer geschichtlich ist, bleibt auch das Betreiben von Wissenschaft allgemein in der Geschichte verwurzelt. Vorzüglich gilt dies aber für die Wissenschaft der Geschichte, die Historie. Die Erschließung von Geschichte ist also geschichtlich verwurzelt. Damit stammt auch die Idee der Historie (also das, was diese Wissenschaft sein soll) aus der Geschichtlichkeit des Daseins. Die Idee ist die Erschließung des Seienden, sie wird in der Thematisierung (siehe oben unter b.) konkretisiert und auf eine Region begrenzt, hier: das Vergangene. Damit dies überhaupt zugänglich werden kann, muss es in irgendeiner Form immer schon erschlossen sein, was nichts anderes heißt, als dass das Dasein geschichtlich sein muss, um seine Vergangenheit zu erschließen (Seite 393).
Was heißt dann aber eigentliche Historie? Eigentliche Historie hat das Mögliche zum Thema. Weder also das Einmalige (bloß Empirische) noch das Allgemeine (Abstrahierte) ist ihr Thema. Sie schöpft aus der Kraft der Möglichkeit, als etwas, das sich in der Wiederholung wiedererwecken lässt. Somit ist auch die Auswahl der Wiederholung durch das Zukünftige bestimmt. Sie ist sozusagen gelebte Historie. Nur so aber ist sie einzig objektiv, wenn sie für uns von Bedeutung ist. Und nur deshalb erst können ihr einzelne Tatsachen wichtig werden und nur daher hat es Sinn, dass sie sich in verschiedene Unterdisziplinen aufspaltet (Seite 395). Forschung kann dann sehr unterschiedlich aussehen und nicht jeder der viel weiß, ist schon eigentlich geschichtlich. Umgedreht kann jemand, der nur Quellen editiert, eigentlich geschichtlich sein. Auch der Historismus kann ebenso ein Zeichen dafür sein, dass die Historie das Dasein von seiner eigentlichen Geschichtlichkeit zu entfremden trachtet. Heidegger knüpft hier an Nietzsche an, welcher die Historie in der zweiten Unzeitgemäßen (Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben) dreifach unterteilt hatte in monumentalische, antiquarische und kritische Historie. Die eigentliche Historie findet ihre Entsprechung in der Einheit dieser drei, so dass sie in der entschlossenen Wiederholung monumentalisch ist, sie durch das Monumentalische das Dagewesene verehrt, also antiquarisch ist und letztlich diese beiden sie zur Kritik an der Gegenwart bemächtigen (Seite 397).
- Geschichte bei Dilthey und dem Grafen von Yorck
In § 77 geht Heidegger auf die Geschichtsvorstellung Diltheys und des Grafen von Yorck ein, von welchen er grundlegende Anregungen für seine fundamental-ontologische Analyse der Geschichtlichkeit erhalten hat. Diltheys Forschungsarbeit teilt Heidegger in drei Bereiche: 1) Eine Theorie der Geisteswissenschaften in Abgrenzung zu den Naturwissenschaften 2) Forschungen über Gesellschaft und Staat 3) Entwicklung einer Psychologie, welche die ganze Tatsache Mensch berücksichtigt (Seite 398). Ziel war es sonach für Dilthey, den Menschen und sein Leben zu verstehen, wie sie sind, Mittel hierzu waren die Hermeneutik, die Selbstbesinnung und die Analyse. In enger Freundschaft mit dem Grafen von Yorck fand ein Teil dieser Auseinandersetzung im Briefwechsel der beiden statt. Yorck korrigiert hier Dilthey, indem er die „generische Differenz zwischen Ontischem und Historischem“ betont. Damit meint er, dass die bisherige Geschichtswissenschaft sich zu sehr an die Gestalt klammert, die Dinge nur der Form nach behandelt, aber nicht in sie eindringt. Sie kennt keine Charaktere (Seite 400). Sie klebt an der Form, weil sie sich zu sehr an die Methoden der Naturwissenschaften anlehnt. Allein, so Yorck, diese Sicht der Dinge ist auch wieder ein historisches Produkt, sie führt zu Entfremdung des Menschen von sich selbst. Daher fordert er mehr Kritik in der Historie, da Kritik allein Lebendigkeit sicherstelle. Yorck: „Geschichte ist nicht [ontisch], sondern sie lebt [historisch]“ (Seite 401). Erst die Selbstbesinnung lässt einen sich historisch bestimmt finden und so kann auch die Philosophie nicht von der Geschichte abstrahieren.
Praktische Abzweckung dieses Begriffs von Historie ist die Pädagogik, aber nicht in krampfhafter Form einer Ethik als Wissenschaft, sondern es soll ein neues, wahres Verstehen geschaffen werden, welches sich aus einem Erleben erhebt. Erlebtes kann aber nicht ohne weiteres versprachlicht werden, daher hat die Philosophie mit Recht ihre eigene Sprache, mit der sie versucht, das Erlebte exoterisch darzustellen. Ein solch neues Verständnis von Geschichte ist das Ziel der Lebensphilosophie (Seite 403).
Sechstes Kapitel §§ 78–83
- Ursprung des vulgären Zeitbegriffs
Was noch aussteht ist eine Analyse der Zeit (nicht Zeitlichkeit), dies vor allem deshalb, weil wir täglich mit ihr rechnen, weil sie Grundlage für die Wissenschaften von Geschichte und Natur ist (Seite 404). Die Zeit wird sich hierbei als ein besonderer Umgang des Daseins mit der Zeitlichkeit erweisen. Zu zeigen ist der Ursprung der Zeit aus der Zeitlichkeit des Daseins. Da hierbei gewisse Parallelen zu Hegel deutlich werden, wird auf dessen Zeitbegriff gesondert eingegangen – auch um den Heideggerischen besser hiervon abzugrenzen (Seite 405).
- Das Besorgen von Zeit
Der besorgende Umgang mit der Welt gründet in der Zeitlichkeit des Daseins. Dies spricht sich aus, so z. B. im dann – soll das geschehen, zuvor – jenes, jetzt dieses und so weiter. Die Bezugsstruktur dahinter nennt Heidegger Datierbarkeit. Es muss der Frage nachgegangen werden, worin Datierbarkeit gründet und auf was sie sich bezieht (Zeitpunkte?). Offensichtlich, so Heidegger, ist Datierbarkeit nur möglich, weil das Dasein sich in der Aussprache des jetzt, dann und zuvor immer schon selbst mit ausspricht. Das heißt, in der Aussprache der Datierbarkeit findet eine Selbstauslegung des Daseins statt. Diese ist möglich, weil die Welt dem Dasein immer schon erschlossen ist und weil die Zeitlichkeit des Daseins das Da lichtet. Damit ist die Datierbarkeit der Widerschein der Zeitlichkeit des Daseins, denn die Struktur der Datierbarkeit bildet die ekstatische Zeitlichkeit des Daseins ab (Seite 408). Im Datieren fassen wir die Zeit außerdem als gespannte auf, als Zeitspanne. Die erlebte Zeit ist kein bloßer Fluss von Jetzt-Punkten, sondern bestimmt sich aus dem Besorgten. Dabei verliert der Unentschlossene seine Zeit an das Besorgte, hingegen kann der Entschlossene keine Zeit verliehren, weil er sich im Augenblick hält. Im alltäglichen Besorgen hat die Zeit den Charakter der Öffentlichkeit (Seite 411).
- Öffentliche Zeit
Wenn man sich nach der öffentlichen (ausgesprochenen) Zeit richtet, so muss diese offensichtlich in irgendeiner Form vorfindlich sein. Die Veröffentlichung der Zeit geschieht vor allem in der Zeitrechnung. Dabei muss Zeitrechnung noch nicht eine Quantifizierung von Zeit beinhalten. Die Geworfenheit des Daseins ist der Grund dafür, dass es als Verfallenes öffentliche Zeit ausbildet. So versteht sich das Daseins als Verfallenes zunächst aus der Welt. Im täglichen Besorgen ist der Wechsel von Tag und Nacht die erste zeitliche Orientierung für das Dasein (Seite 412). Es ergibt sich das erste Zeitmaß, der Tag. Dieser kann weiter unterteilt werden, je nach Sonnenstand. Es ergeben sich dann Zeitangaben, welche für jedermann zugänglich sind, ein Zeitmaß. Im Maß liegt schon die Idee der Messung und somit eines Zeitmessers, der Uhr. Die Entdeckbarkeit des Zeitmaßes und seine Notwendigkeit für das Besorgen gründen in der Zeitlichkeit des Daseins (Seite 413).
Bei genauerer Analyse der öffentlichen Zeit zeigt sich: diese beinhaltet stets eine gewisse Ausgelegtheit. Sie implizierte eine Wenn-Dann-Struktur, das heißt, wenn es soviel Uhr ist, dann ist es günstig oder ungünstig dieses oder jenes zu tun. Damit spiegelt die Wenn-Dann-Beziehung die Bedeutsamkeit der Welt wider und somit die Weltlichkeit der Welt. Deshalb gibt Heidegger der öffentlichen Zeit, der besorgten Zeit den Titel Weltzeit. Die Weltzeit geht somit nicht aus einem verdinglichten Zeitverständnis hervor, sondern da sie mit der Weltlichkeit der Welt verwoben ist gehört sie zur Welt (Seite 414).
Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, die Zeit abzulesen? Offensichtlich gibt es verschiedene Stufen, in welchen die Zeitmessung verfeinert werden kann. Vom Tag über die Tageszeit gibt es verschiedene Methoden der Erfassung: Heidegger nennt die Bauern- und die Sonnenuhr. Allerdings findet sich nirgends auf der Sonnenuhr die Zeit: weder im Schatten noch zwischen den eingeteilten Bahnen. Das Zeitablesen, die Datierung, lässt sich somit nur als Gegenwärtigen eines Vorhandenen bestimmen; es ist wesenhaft ein Jetzt-Sagen, wobei dieses Jetzt schon durch die Zeitlichkeit des Daseins verstanden und ausgelegt ist (Seite 416). Zeit gibt es immer nur im Bezug zu uns, die wir wesenhaft zeitlich sind, wir entdecken sie nicht erst in der Welt als von uns unabhängig, wohl aber messen wir sie mit in der Welt Vorhandenem, dies so, dass wir im Messen erfassen, wie oft ein Maßstab in eine vorgegebene Strecke passt (wie oft er anwesend ist). Da, wie weiter oben gezeigt, der Raum erst durch die Zeitlichkeit konstitiuiert wird, findet sich auch die besorgte Zeit nicht in ihm, wohl aber muss sie als öffentliche in ihm bei Gegenwärtigen eines Vorhandenem (z. B. einer Uhr) vorfindlich werden. Somit ist außerdem gezeigt, dass die Zeitmessung nicht auf Raumstrecken basiert (wie Bergson glaubt), sondern diese nur benutzt als Ausprägung der Zeitlichkeit des Daseins (Seite 418).
Zur Frage ob die Zeit nun subjektiv oder objektiv sei, ist zu sagen: sie ist nicht objektiv in dem Sinne, dass sie an sich vorhanden wäre. Auch ist sie nicht subjektiv im Sinne eines Kantischen Subjekts. Sie ist jedoch objektiv als Bedingung der Möglichkeit von Welt überhaupt, ebenso ist sie subjektiv in dem Sinne, dass sie das Sein als Sorge und damit das Selbst erst möglich macht (Seite 419).
- Genesis des vulgären Zeitbegriffs
Wie gezeigt wurde, richtet sich das alltägliche Besorgen nach der Zeit. Dies tut es, indem es mit der Zeit rechnet: die Uhr ist der Zeitrechner und im Gegenwärtigen des Zeigers zählt das Dasein die Zeit. Dabei besteht dieses Zählen im Jetzt-Sagen, welches sich zugleich für den Horizont des Früheren und Späteren (des kommenden und gehenden Jetzt) offen hält. Zeit wird somit zum Gezählten. Diese Definition entspricht der des Aristoteles: „Das nämlich ist die Zeit, das Gezählte an der im Horizont des Früher und Später begegnenden Bewegung“ (Seite 421). Allerdings wurde für Aristoteles der Ursprung der Zeit (also die Zeitlichkeit) nicht zum Problem.
Was sich im Zählen zeigt, ist ein Verständnis der Zeit als bloßes Jetzt, weshalb Heidegger die gezählte Zeit die Jetzt-Zeit nennt. In ihr zeigt sich eine Zeitauffassung, welche die Zeit als Fluss von vorhandenen Jetzt-Punkten auffasst. Damit aber fehlt der Weltzeit die ihr wesentliche Struktur von Datierbarkeit und Bedeutsamkeit: Ihre ekstatisch-horizontale Struktur wird nivelliert (Seite 422). Wenn dem Verstehen ein solch nivillierter und nackter Zeitbegriff zu Grunde liegt, dann werden hierdurch auch andere Phänomene wie Welt, Bedeutsamkeit und Datierbarkeit verdeckt werden. Zusätzlich bekommt die Zeit die Eigenschaften des Vorhandenen: Die Jetzt-Punkte lassen sich in immer kleinere Abschnitte teilen – dies unendlich oft – und es stellt sich die Frage nach der Kontinuität der Zeit, wenn erst einmal ihre Gespanntheit verdeckt wurde. Zeit wird zur Jetzt-Folge ohne Anfang und Ende (es lässt sich immer noch ein Jetzt mehr hinzu denken). Durch diesen Charakter eines an sich vohandenen Jetzt-Ablaufs entsteht der Gedanke einer unendlichen Zeit. Grund für diese Nivellierung sieht Heidegger in der Flucht vor dem Sein zum Tode, wodurch von der Ekstase der Zukunft abgesehen wird, und so auch von der eigentlichen Zeitlichkeit insgesamt (Seite 424). Dies schlägt sich im Gerede nieder: Man hat bis zum Ende noch Zeit, welche man sich nehmen kann und wenn man tot ist, so wird die Zeit auch ohne einen weiter gehen.
Heidegger räumt der vulgären Zeit allerdings ein gewisses Recht ein, da sie uns im alltäglichen Umgang geläufig ist. Allein, sie darf nicht beanspruchen der wahre Zeitbegriff zu sein. Die vulgäre Zeit ist erst aus der Zeitlichkeit entsprungen, daher die Zeitlichkeit ursprünglicher ist (Seite 426). Das bedeutet aber auch, dass sich die Begriffe der vulgären Zeit und der Zeitlichkeit nicht decken: Das Jetzt und der Augenblick, die vulgäre und die ekstatische Zukunft, die Vergangenheit und die Gewesenheit sind grundsätzlich verschiedene Formen des Zeitverständnisses.
- Abgrenzung zu Hegel
Zum besseren Verständnis des Zeitphänomens gibt Heidegger noch eine Abgrenzung zum Zeitverständnis Hegels. Für Hegel ist der Geist in der Zeit, jedoch stellt sich die Frage, was ihm ermöglicht in die Zeit zu fallen.
- Hegels Begriff der Zeit
Seinen Zeitbegriff entwickelt Hegel in der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften unter dem Abschnitt Philosophie der Natur (Seite 429). Hegel stellt zunächst Raum und Zeit nebeneinander, um anschließend zu zeigen, dass der Raum sich, richtig gedacht, als Zeit enthüllt. Raum ist für Hegel die Vielheit der Punkte. Die bloße Anschauung eines Punktes erfasst jedoch noch nicht das Sein des Raumes, dies erst wenn er durch das Denken, also durch These, Antithese hindurch gegangen und in der Synthese aufgehoben ist. Erst aber in der Negation der Negation setzt sich der Punkt dann für sich, in Abgrenzung (Außersichsein) zu anderen Punkten. Dies ist dann die Zeit: „Weil sonach das reine Denken der Punktualität, das heißt des Raumes, je das Jetzt und das Außersichsein der Jetzt denkt, ist der Raum die Zeit“ (Seite 430). Zeit ist dann das angeschaute Werden, welches sich aus der Jetzt-Folge darbietet. Damit wird Zeit wieder aus dem Jetzt verstanden, es handelt sich also auch hier um eine nivellierte Zeit ohne einen ekstatischen Horizont. Hegel sagt: „Das Jetzt hat ein ungeheures Recht, – es ‚ist‘ nichts als das einzelne Jetzt (…)“ (Seite 431). Es wird sich zeigen, dass Hegel diesen vulgären Zeitbegriff benötigt, um den Zusammenhang von Geist und Zeit herzustellen.
- Der Zusammenhang von Geist und Zeit bei Hegel
Das Wesen des Geistes ist der Begriff, das heißt, das sich Begreifen als Erfassen des Nicht-Ich (die Negation der Negation) (Seite 433). Die dem Geist innewohnende Unruhe bewirkt ein Prinzip der Ausschließung, aber auch der Überwindung. Dieser Fortschritt hat das Ziel, seinen eigenen Begriff zu erreichen. Die Unruhe fällt allerdings in die Zeit: Das Ausschließen meint ein Nicht-Sein als das was jetzt nicht mehr ist, zumindest so lange, bis der Geist sich erfasst, also die Zeit tilgt. Damit sind zwar Zeit und Geist einerseits ähnlich (als Negation der Negation), weil aber die Zeit nivellierte Weltzeit ist, steht der Geist ihr auch gegenüber – damit sie zusammenkommen, muss er in sie fallen (Seite 435).
- Schlusswort (§ 83)
Heidegger sieht seine Untersuchung nicht als die letzte Antwort auf alle gestellten Fragen, sondern als eine erste Annäherung. Für ihn bleibt vor allem das weitere Fragen wichtig. Sein und Zeit stellt einen Teil des Weges dar. Ziel bleibt die Ausarbeitung der Seinsfrage überhaupt.
Wirkung und Rezeption
- Siehe Hauptartikel Heidegger-Rezeption
Das Buch war in philosophischen Kreisen eine Sensation und machte Heidegger schlagartig berühmt, weil es eine neue Sicht auf den Menschen zu eröffnen schien. Gadamer: „Mit einem Schlag war der Weltruhm da.“[208] Die Verwendung von Heideggers eigenwilliger Sprache wurde kurzzeitig Mode. Eine mögliche politische Interpretation einiger Tendenzen des Buches ließ Heidegger als einen Vertreter der Konservativen Revolution erscheinen.
Der Existenzialismus, insbesondere Jean-Paul Sartre, sah sich in direkter Nachfolge von „Sein und Zeit“. Sartre schließt schon im Titel seines Werks „Das Sein und das Nichts“ an Heidegger an. Heidegger hat diese „existenzialistische Interpretation“ zwar abgelehnt, dass der Existenzialismus aber grundlegende Thesen aus diesem Buch übernommen hat, kann kaum bezweifelt werden.
Wirkungsgeschichtlich bedeutsam war auch Heideggers im Buch angeschnittener Versuch, die Geschichtswissenschaft neu zu begründen, sowie sein hermeneutischer Ansatz: Dasein hat immer schon ein gewisses Vorverständnis von sich, dem Sein und dem Seienden, die Welt ist ihm als sinnhafte Totalität gegeben hinter deren Sinnzusammenhänge nicht zurückgegangen werden kann. Heideggers Schüler, Hans-Georg Gadamer, baute darauf seine Hermeneutik auf. Weitere von „Sein und Zeit“ angeregte Philosophen sind Hans Jonas, Karl Löwith, Herbert Marcuse und Hannah Arendt.
„Sein und Zeit“ hatte großen Einfluß auf die moderne Japanische Philosophie in ihrer international am bedeutendsten Ausprägung der Kyōto-Schule. Das Buch wurde bis heute sechs mal ins Japanische übersetzt, was nicht einmal für Kants Kritik der reinen Vernunft gilt.
Kritik
Allgemeine und methodologische Kritik
- Die folgende Kritik richtet sich gegen den methodischen Zugang oder ein allgemein als verfehlt angesehenes Vorgehen Heideggers.
- Sprache und Verständlichkeit
Verschiedene Kritiker machen Heidegger die schlechte Verständlichkeit des Werks zum Vorwurf. Einige meinen, das Werk sage im ganzen recht wenig, jedenfalls wenig Neues, und verschleiere dies mit vielen Worten. Der erste Kritiker der Sprache Heideggers war Walter Benjamin, der schon 1914 den Gebrauch von Neologismen in der Philosophie abgelehnt hatte. Adorno kritisierte viel später, aber daran anschließend, den „Jargon der Eigentlichkeit“, wie er Heideggers Stil nannte. Begriffe der Umgangssprache würden hier suggestiv umgedeutet, um eine bestimmte Art des Denkens zu popularisieren, so zum Beispiel die Verwendung des Begriffs der Sorge.
- Fehlen einer expliziten Ethik und Benutzung implizit wertender Begriffe
Gegenstand dauernder Auseinandersetzung ist die Frage, ob sich in der frühen Philosophie Heideggers, deren Hauptstück „Sein und Zeit“ ist, Tendenzen zeigen, die in Zusammenhang mit seinem späteren Engagement für den Nationalsozialismus stehen. (Siehe Heidegger und der Nationalsozialismus.) Auffällig ist hier zunächst das Fehlen jeglicher Ethik in dem Buch. Auf den zweiten Blick ist jedoch bemerkbar, dass eine Reihe von Passagen sich auch gut im Rahmen des Gedankenkreises, der in den 20er-Jahren als Konservative Revolution Einfluss erlangte, lesen lassen. In seinem Zurückgehen auf „Ursprüngliches“, bei dem er oft Metaphern aus dem bäuerlichen Leben benutzt, sei Heideggers Konservativismus erkennbar. Zwar betont Heidegger immer wieder, dass seine Sätze und Begriffe nicht wertend gemeint seien; aber es fällt leicht, Teile des Werks – Passagen gegen die Verfallenheit an das Man, gegen das Gerede des Alltäglichen und die Aufrufe zur Eigentlichkeit im Gegensatz zum „uneigentlichen“ Alltag – auch politisch und im Kontext der Kritik an der Moderne, der Anonymität in der Massengesellschaft und an der liberalen Demokratie zu lesen.[209]
- Verwendung traditionell negativ besetzter Begriffe
Weitere Kritik richtete sich gegen Heideggers Vorliebe für im klassischen Sinn negativ besetzte Begriffe wie Tod, Sorge und Angst. Im ganzen Buch kommen Bereiche wie Liebe, Lust oder Freude so gut wie nicht vor. Kritiker nannten Heidegger polemisch einen „Todesphilosophen“, Heideggers Schülerin Hannah Arendt entwarf eine Philosophie der „Gebürtlichkeit“ im Gegensatz zu Heideggers „Todesphilosophie“.
- Kritik Husserls
Auch Husserl begegnete dem Werk von Anfang an mit einer gewissen Skepsis. Er sah darin eine „anthropologische Regionalontologie“ und vermisste die Linientreue zu seiner Methode, „zu den Sachen selbst“ zurückzukommen. Später kritisierte auch er die zentrale Rolle, die der Tod bei Heidegger spiele. Husserl hielt Heideggers Denkansatz für inkompatibel mit der phänomenologischen Methode; insbesondere seine Phänomenologie der Lebenswelt unterscheidet sich erheblich von Heideggers Konzept des In-der-Welt-Seins, es ist konkreter und leiblicher, auch sozusagen soziologischer im Bemühen, die „Klippe des Solipsismus“ (Sartre) zu umschiffen – während Heidegger aufs vereinzelt Geistige, „Wesentliche“ abhebt. Maurice Merleau-Ponty folgte in dieser Hinsicht dem Husserlschen Modell. Sartre pendelt zwischen beiden.
- Heideggers eigene Abkehr von Sein und Zeit
- Siehe Kehre
Heidegger selbst wandte sich Mitte der 30er-Jahre mit der Kehre von seiner bisherigen Philosophie ab. Zwar war die Seinsfrage weiterhin sein größtes und einziges Interesse, er hielt aber den Zugang über das Dasein, den er in „Sein und Zeit“ gewählt hatte, für verfehlt. Einschlägig wird diese Abkehr im „Brief über den »Humanismus«“, den Heidegger an Jean Beaufret schreibt und in dem er die Interpretation der Sorge umdeutet: Dasein zeichnet sich nun durch ein „Sorge für das Sein“ aus. Man kann sagen, daß Heidegger sein eigenes Programm für zu anthropozentrisch hielt, hatte er doch versucht das gesamte Seinsverständnis des Daseins durch die Sorge zu erklären. Heideggers „Denk-Weg“ läßt sich daher als Selbstkritik auffassen. Andererseits konnte man ihn noch im hohen Alter vor seiner Hütte in Todtnauberg antreffen, „Sein und Zeit“ lesend – weil dies doch etwas „Vernünftiges“ sei.
- Kritik am Wahrheitsbegriff
Ernst Tugendhat hat sich ausführlich dem Unterschied zwischen Husserls und Heideggers Wahrheitsbegriff gewidmet und kritisiert an Heidegger, daß dieser das Wahrheitsgeschehen schon auf der Ebene der Erschlossenheit ansetzt, statt einen Abgleich der Sache mit sich selbst zu fordern.
Kritik einzelner Aspekte
- Im folgenden werden hermeneutische Methode und ontologischer Anspruch als richtiger Zugang angesehen, die Kritik richtet sich gegen einzelne Aspekte der Heideggerschen Analyse.
- Widerspruch von Jemeinigkeit und Man
Heideggers Versuch in „Sein und Zeit“ die Bedingungen und Möglichkeiten für ein authentisches, also eigentliches Leben herauszuarbeiten führen zu einem starken Gegensatz von Jemeinigkeit (Individuum) und Man (Gemeinschaft). Die Unüberbrückbarkeit dieser beiden führt dazu, dass sich das Dasein als entschlossenes gegen die Verfallenheit an das Man wehren muss. Hier lassen sich durchaus antisoziale Tendenzen ausmachen, da durch den schroffen Gegensatz eine Fundierung des Daseins im Mitsein gar nicht mehr möglich ist.[210] Es gibt hingegen auch Lesarten, die Heideggers Überlegungen im Sinne eines Vorschlags zur Differenzierung von positiv-entlastender und negativ-entfremdender Funktion des Man zu Verstehen.[211]
- Nivellierung der Gegenwart
Die hohe Bedeutung, die Heidegger den Zeitachsen der Zukunft und Gewesenheit für das eigentliche Selbst-sein-können zuspricht, führt zu einer Nivellierung der Gegenwart. Die reichen Ausdifferenzierungen der Zukunft durch Existenz, Entwurf, Vorlaufen zum Tod, Entschlossenheit und die der Gewesenheit durch Faktizität, Geworfenheit, Schuld, Wiederholung stehen der Gegenwart, die in ihrer Bestimmung leer bleibt, entgegen. Die Gegenwart wird somit gleichsam „verschlungen“ von der „gewesenen Zukunft“.[212]
- Fehlende Theorie über die soziale Verfassung des Menschen
In dem der Weltlichkeit der Welt gewidmeten Kapitel zeigt sich die Welt vor allem als eine Welt der nützlichen Dinge für das einzelne Dasein. Die anderen Menschen begegnen dem einzelnen Dasein nur vermittels dieser Dinge (z. B. durch das Boot des Anderen am Ufer). So wird kritisiert, daß die Welt in „Sein und Zeit“ keine öffentliche Welt des gemeinsamen Seins der Menschen ist und es an einer Theorie fehle, die den Zugang zum Anderen plausibel erkläre. Dem steht entgegen, daß sich in Heideggers Bestimmung des Wer des Daseins als Man durchaus eine kultursoziologische These findet, die anzeigt, daß der Mensch wesentlich durch einen kulturellen Traditionsbestand und gesellschaftlich-soziale Vorgaben bis in seine intimsten Regungen hinein – sein Wer – bestimmt ist.
- Überbewertung des praktischen Weltbezuges
In seinem Bestreben den Vorrang des praktischen Weltbezugs vor dem theoretischen zu betonen überzeichnet Heidegger in „Sein und Zeit“ seine Auffassung sogar dahingehend, daß auch die Natur (Wälder, Flüsse, Berge) nur unter Nützlichkeitserwägungen erscheint (Forst, Wasserkraft, Steinbruch). Heidegger wird diese Sichtweise in seiner späteren Technikkritik selbst zurückweisen.[213]
- Widerspruch zwischen transzendentaler und faktischer Welt
Zwischen der durch das Dasein konstituierten in seinem Um-willen mündenden Bewandtnisganzheit und der in der Stimmung der Unheimlichkeit entdeckten Bedeutungslosigkeit der Bewandtnisganzheit läßt sich ein Widerspruch ausmachen. Die Unheimlichkeit gründet in der für das Dasein nicht verfügbaren Faktizität der Welt, während Heidegger andererseits behauptet die Weltlichkeit der Welt sei als transzendentale im Dasein fundiert.[214]
- Todesanalyse und eigentliches Selbstsein
Heideggers Verbindung von Tod und Eigentlichkeit läßt sich auch andersherum lesen. Ist bei Heidegger davon die Rede, daß erst angesichts des Todes das Dasein sich selbst ergreift, was die Entschlossenheit nach sich zieht, so wäre hingegen eine Erfahrung des Todes denkbar, die nicht einen gesteigerten Selbstbezug, sondern Gelassenheit nach sich zöge.[215]
- Nichtbeachtung der Leiblichkeit des Daseins
Heidegger klammert in seiner Untersuchung die Leiblichkeit des Daseins völlig aus. Daß dies zu Einseitigkeiten führt, zeigt sich zum Beispiel an seiner Analyse der Gestimmtheit, für die er die Gewesenheit als Grund bestimmt: „Es gilt […], den Nachweis zu führen, daß die Stimmungen in dem, was sie sind und wie sie existenziell ‚bedeuten‘, nicht möglich sind, es sei denn auf dem Grunde der Zeitlichkeit.“[216] Hier könnte man kritisch einhaken und fragen ob nicht auch die leibliche Verfassung des Daseins und mit ihr etwas nicht-zeitliches einen Einfluß auf die Stimmung hat.[217] Auch Heideggers Rückbindung des Raums an die Zeitlichkeit in § 70 – die er später in „Zeit und Sein“ selber als unhaltbar bezeichnen wird – ist nur deshalb möglich, weil er die Leiblichkeit des Daseins übergeht. Heideggers Raum ist ein Entwurfs- und Handlungsraum der sicherlich die Zeitlichkeit braucht, jedoch übersieht Heidegger, daß die leiblich-sinnliche Orientierung im Raum der handelnden vorausgeht.
Historisches
Die ersten Auflagen von Sein und Zeit enthielten eine Widmung Heideggers an seinen Lehrer Edmund Husserl, der jüdischer Abstammung war. In der fünften Auflage von 1941 fehlte diese Widmung; Heidegger zufolge geschah dies auf Druck des Verlegers Max Niemeyer. In allen Auflagen nach der Zeit des Nationalsozialismus ist die Widmung wieder enthalten.
Hinweise zur Lektüre

Heideggers Sprache ist gewöhnungsbedürftig. Er benutzt altertümliche Satzkonstruktionen, viele Neologismen und Bindestrich-Wörter, (Beispiele: In-der-Welt-sein, Zeugganzes). Dies entspringt Heideggers Vorhaben, sich von der bisherigen Philosophie zu lösen und Wörter neu zu gebrauchen, um ausgetretene Denkpfade zu verlassen. Hinzu kommt, dass Heidegger viele Wörter benutzt, die aus der Alltagssprache bekannt sind, aber damit etwas ganz anderes zu bedeuten gibt (Beispiele: Sorge, Angst). Ferner ist zu bedenken, dass in den 1920er-Jahren der Expressionismus blühte und sich eine Rhetorik entwickelte, die inzwischen oftmals komisch bis idiosynkratisch und über die Maßen pathetisch wirken kann. Dies hat auch auf die philosophische Prosa ausgestrahlt. Philosophie strapaziert die gewöhnliche Sprache, man muss sich einlesen. Es kann fruchtbar sein, zugleich verschiedene Dichtungen von George, Rilke, Trakl zu lesen. Die Sprache Heideggers ist jedoch keinesfalls so unverständlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag (ohne Frage ist sie aber von starker suggestiver Wirkung) – man wird ihr am ehesten gerecht, wenn man sie im unmittelbaren Wortsinne versteht (und gegenüber dem Klang des „Geraunes“ die Ohren verschließt). Es wird dann deutlich, dass Heidegger sehr kleinschrittig und genau vorgeht, sicherlich ein angemessenes Verfahren angesichts des hohen Eigenanspruchs an die Bedeutung seines Werkes, andererseits aber ein Vorgehen, das bisweilen den Eindruck der Aufgeblasenheit vermittelt.
Mit der Phänomenologie sollte man sich ebenfalls vertraut machen (siehe Literatur: Waldenfels). Heidegger entwickelte seinen Ansatz im Durchgang durch die Phänomenologie seines Lehrers Edmund Husserl. Allerdings sind die Unterschiede gravierend (siehe oben: Kritik). Heidegger selbst sah in Karl Jaspers einen Geistesverwandten und verweist in Sein und Zeit auch auf diesen.
Ergänzend zur Einleitung kann Heideggers frühe Schrift von 1922 „Anzeige der hermeneutischen Situation“[218] gelesen werden, in der die Richtung der Untersuchung vorweggenommen und einige spätere Gedanken, teilweise noch mit anderem Vokabular, dargelegt werden.
Zitate
Der folgende Satz wurde vom Existenzialismus als Kernthese übernommen. Heidegger verwahrte sich gegen diese Interpretation im Brief über den Humanismus. In seinem Handexemplar zu Sein und Zeit vermerkt er ebenfalls neben dem Satz: „Die Frage nach dieser [der Existenz] zielt auf die Auseinanderlegung dessen, was Existenz konstituiert.“[219] handschriftlich „Also keine Existenzphilosophie.“
„Das ‚Wesen‘ des Daseins liegt in seiner Existenz.“
„Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. [...] Das Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit. Nicht nur das; mit dieser Seinsentlastung kommt das Man dem Dasein entgegen, sofern in diesem die Tendenz zum Leichtnehmen und Leichtmachen liegt. Und weil das Man mit der Seinsentlastung dem jeweiligen Dasein ständig entgegenkommt, behält es und verfestigt es seine hartnäckige Herrschaft.“
„Wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst. [...] Die Angst benimmt so dem Dasein die Möglichkeit, verfallend sich aus der Welt und der öffentlichen Ausgelegtheit zu verstehen. [...] Die Angst vereinzelt das Dasein auf sein eigenstes In-der-Welt-sein““
„Als Seinkönnen vermag das Dasein die Möglichkeit des Todes nicht zu überholen. Der Tod ist die Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit. So enthüllt sich der Tod als die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit.“
„Damit aber das Dasein mit einem Zeugzusammenhang soll umgehen können, muss es so etwas wie Bewandtnis, wenngleich unthematisch, verstehen: es muss ihm eine Welt erschlossen sein.“
Literatur
- Für allgemeine Literatur zu Heidegger siehe Hauptartikel Martin Heidegger.
Primärliteratur
- Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen, Niemeyer, 19. Auflage 2006, ISBN 3-484-70153-6, (frühere Auflage auch unter ISBN 3-484-70122-6)
- Martin Heidegger: Sein und Zeit. Band 2 der Heidegger Gesamtausgabe
Sekundärliteratur
- Günter Figal: Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit, 3. Auflage, Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 2000
- Günter Figal: Martin Heidegger zur Einführung. 5. Auflage, Junius Verlag, Hamburg 2007
- Andreas Luckner: Martin Heidegger: Sein und Zeit. Ein einführender Kommentar. Stuttgart: UTB 2001.
- Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin: Akademie Verlag 2001. (Klassiker Auslegen)
- Thomas Rentsch: Sein und Zeit: Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart / Weimar: Metzler 2003, 51–80.
- Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. Berlin: de Gruyter 1967
- Hilfreich zur intensiven Textarbeit
- Hildegard Feick/Susanne Ziegler: Index zu Heideggers „Sein und Zeit“. Tübingen: Niemeyer, 1991 (ISBN 3-484-70014-9)
- Kommentar und Interpretation des Heidegger Schülers Friedrich-Wilhelm von Herrmann in enger Anlehung
- Einleitung: die Exposition der Frage nach dem Sinn von Sein. – 1987. – XXXVI, 408 S. – ISBN 3-465-01738-2, 3-465-01739-0
- Subjekt und Dasein: Grundbegriffe von „Sein und Zeit“ – Frankfurt am Main: Klostermann, dritte, erweiterte Auflage 2004
- Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl- Frankfurt a.M.: Klostermann, 1981
- Für den zeitgeschichtlichen Hintergrund
- Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Frankfurt a.M.: Fischer 2001.
- (weitgehend biographisch, nicht systematisch)
- Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003.
- (zur Kontextualisierung in der Konservativen Revolution)
- Im Rahmen der Phänomenologie
- Bernhard Waldenfels: Einführung in die Phänomenologie. München: Fink 1992.
Kritische Auseinandersetzung
- Hans Albert: Kritik der reinen Hermeneutik. Tübingen: Mohr 1994
- Theodor Adorno: Werk Bd. 6 Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- „SZ“ steht entsprechend des gängigen Siglenverzeichnisses für „Sein und Zeit“, die Ausgabe im Niemeyer-Verlag ist seitengleich mit Band 2 der Heidegger Gesamtausgabe aus dem Verlag Vittorio-Klostermann.
- ↑ Vgl. Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, Seite VII
- ↑ Vgl. Franco Volpi: Der Status der existenzialen Analytik. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 37f
- ↑ Vgl. Franco Volpi: Der Status der existenzialen Analytik. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 30f
- ↑ Zitiert nach Christoph Demmerling: Hermeneutik der Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 90
- ↑ Vgl. SZ, Seite 4
- ↑ Vgl. SZ, Seite 4
- ↑ Vgl. SZ, Seite 5
- ↑ Vgl. SZ, Seite 6
- ↑ Vgl. SZ, Seiten 9–10
- ↑ Vgl. SZ, Seite 11
- ↑ Vgl. SZ, Seite 12
- ↑ Vgl. SZ, Seite 12
- ↑ Vgl. SZ, Seite 13
- ↑ SZ, Seite 15
- ↑ SZ, Seite 16
- ↑ SZ, Seite 17
- ↑ Vgl. Jean Grondin: Die Wiedererweckung der Seinsfrage auf dem Weg einer phänomenologisch-hermeneutischen Destruktion. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 17
- ↑ SZ, Seite 20
- ↑ SZ, Seite 22
- ↑ SZ, Seite 21
- ↑ SZ, Seite 24
- ↑ SZ, Seite 26
- ↑ SZ, Seite 35
- ↑ Vgl. Jean Grondin: Die Wiedererweckung der Seinsfrage auf dem Weg einer phänomenologisch-hermeneutischen Destruktion. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 24
- ↑ SZ, Seite 43
- ↑ SZ, Seite 42
- ↑ SZ, Seite 45
- ↑ SZ, Seite 44
- ↑ SZ, Seite 46
- ↑ SZ, Seite 46
- ↑ SZ, Seite 48
- ↑ SZ, Seite 49
- ↑ SZ, Seite 51
- ↑ SZ, Seite 53
- ↑ SZ, Seite 55
- ↑ SZ, Seite 59
- ↑ SZ, Seite 57
- ↑ SZ, S. 59–62
- ↑ Vgl. SZ, Seite 63
- ↑ Vgl. SZ, Seite 65
- ↑ Vgl. SZ, Seite 64
- ↑ Vgl. SZ, Seite 67
- ↑ Vgl. SZ, Seite 68
- ↑ SZ, Seite 71
- ↑ Vgl. SZ, Seite 73
- ↑ Vgl. SZ, Seite 75
- ↑ Vgl. SZ, Seite 78
- ↑ Vgl. SZ, Seite 84
- ↑ Vgl. SZ, Seite 87
- ↑ Vgl. SZ, Seite 91
- ↑ Vgl. SZ, Seite 93
- ↑ Vgl. SZ, Seite 95
- ↑ Vgl. SZ, Seite 96
- ↑ Vgl. SZ, Seite 99
- ↑ Vgl. SZ, Seite 103
- ↑ Vgl. SZ, Seite 105
- ↑ SZ, Seite 106
- ↑ Vgl. SZ, Seite 109
- ↑ Vgl. SZ, Seite 112
- ↑ Vgl. SZ, Seite 113
- ↑ Vgl. SZ, Seite 111
- ↑ Vgl. SZ, Seite 115
- ↑ SZ, Seite 117
- ↑ Vgl. SZ, Seite 116
- ↑ Vgl. SZ, Seite 118
- ↑ Vgl. SZ, S. 121
- ↑ Vgl. SZ, S. 123
- ↑ Vgl. SZ, Seite 129
- ↑ Vgl. SZ, Seite 126
- ↑ SZ, Seite 127
- ↑ Vgl. SZ, Seite 130
- ↑ Den Zusammenhang hat Volpi ausgearbeitet. Vgl. Franco Volpi: Der Status der existenzialen Analytik. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 29 ff
- ↑ Vgl. SZ, Seite 161
- ↑ Vgl. SZ, Seite 139
- ↑ Vgl. SZ, Seite 139
- ↑ Vgl. SZ, Seite 136
- ↑ Vgl. SZ, Seite 137
- ↑ Vgl. SZ, Seite 141
- ↑ Vgl. SZ, Seite 145
- ↑ Vgl. SZ, Seite 146
- ↑ Vgl. SZ, Seite 148
- ↑ Vgl. SZ, Seite 150
- ↑ Vgl. SZ, Seite 151
- ↑ Vgl. SZ, Seite 152
- ↑ Vgl. SZ, Seite 162
- ↑ Vgl. SZ, Seite 161
- ↑ Vgl. SZ, Seite 166
- ↑ Vgl. SZ, Seite 154
- ↑ Vgl. SZ, Seite 158
- ↑ Vgl. SZ, Seite 160
- ↑ Vgl. SZ, Seite 169
- ↑ Vgl. SZ, Seite 172
- ↑ Vgl. SZ, Seite 173
- ↑ Vgl. SZ, Seite 174
- ↑ Vgl. SZ, Seite 176
- ↑ Vgl. SZ, Seite 177
- ↑ SZ, Seite 181
- ↑ Vgl. SZ, Seite 183
- ↑ SZ, Seite 186
- ↑ Vgl. SZ, Seite 187
- ↑ SZ, Seite 202
- ↑ SZ, Seite 205
- ↑ SZ, Seite 206
- ↑ SZ, Seite 206
- ↑ SZ, Seite 208
- ↑ SZ, S. 209
- ↑ SZ, Seite 214
- ↑ SZ, Seite 217
- ↑ SZ, Seite 218
- ↑ SZ, Seite 220
- ↑ SZ, Seite 222
- ↑ SZ, Seite 224
- ↑ SZ, Seite 226
- ↑ SZ, Seite 230
- ↑ SZ, Seite 228
- ↑ SZ, Seite 229
- ↑ Vgl. SZ, Seite 236.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 238.
- ↑ SZ, Seite 240.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 242.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 244.
- ↑ SZ, Seite 245.
- ↑ SZ, Seite 247
- ↑ Vgl. Anton Hügli, Byung-Chul Han: Heideggers Todesanalyse. in: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 139
- ↑ SZ, Seite 250.
- ↑ Vgl. Anton Hügli, Byung-Chul Han: Heideggers Todesanalyse. in: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 138
- ↑ Vgl. SZ, Seite 251.
- ↑ SZ, Seite 251. Vgl. auch Anton Hügli, Byung-Chul Han: Heideggers Todesanalyse. in: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 139
- ↑ Vgl. SZ, Seite 244.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 254.
- ↑ SZ, Seite 256.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 257.
- ↑ SZ, Seite 258.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 265.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 261.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 262.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 264.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 266.
- ↑ Vgl. Andreas Lückner: Wie es ist, selbst zu sein. in: Thomas Rentsch: Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 151.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 268.
- ↑ Zitiert nach Andreas Lückner: Wie es ist, selbst zu sein. in: Thomas Rentsch: Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 156.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 298.
- ↑ SZ, S. 299.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 270.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 271.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 273.
- ↑ Vgl. Andreas Lückner: Wie es ist, selbst zu sein. in: Thomas Rentsch: Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 161f.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 276.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 274.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 281.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 283.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 287.
- ↑ SZ, Seite 288.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 290.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 292.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 291.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 294.
- ↑ SZ, Seite 296.
- ↑ SZ, Seite 297.
- ↑ Vgl. Marion Heinz: Das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins und die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge. in: Thomas Rentsch: Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 180.
- ↑ SZ, Seite 302.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 304.
- ↑ SZ, S. 305.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 308.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 310.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 311.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 313.
- ↑ SZ, Seite 314f.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 316.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 317.
- ↑ SZ, Seite 318.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 319.
- ↑ SZ, Seite 322.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 323.
- ↑ SZ, S. 325.
- ↑ SZ, Seite 325.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 326.
- ↑ SZ, Seite 326.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 327.
- ↑ SZ, Seite 328.
- ↑ SZ, Seite 329.
- ↑ SZ, Seite 334.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 335.
- ↑ SZ, Seite 350.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 337.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 338.
- ↑ SZ, Seite 339.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 340.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 341.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 342.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 343.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 344.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 345.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 347.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 348.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 351.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 353.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 355.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 358.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 360.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 361.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 364.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 365.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 366.
- ↑ Vgl. SZ, S. 367.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 369.
- ↑ Vgl. SZ, Seite 371.
- ↑ Zitiert nach Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. VII
- ↑ Vgl. Luc Ferry / Alain Renaut: Heidegger et les Modernes, Paris, 1988
- ↑ Vgl. Hans Ebeling: Martin Heidegger. Philosophie und Ideologie. Rowohlt TB-V., Reinbek 1991, S. 42ff
- ↑ Vgl. Hubert Dreyfus: Being-in-the-World. A commentary on Heidegger’s Being and Time. Cambridge 1991, S. 154 ff.
- ↑ Vgl. Otto Pöggeler: Der Denkweg Martin Heideggers. Stuttgart 1994, S. 210
- ↑ Vgl. Romano Pocai: Die Weltlichkeit der Welt und ihre abgedrängte Faktizität. in: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 55f
- ↑ Vgl. Romano Pocai: Die Weltlichkeit der Welt und ihre abgedrängte Faktizität. in: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 64
- ↑ Vgl. Byung-Chul Han: Todesarten. Philosophische Untersuchungen zum Tod. Fink, München 1998, S. 70–73.
- ↑ SZ, Seite 341.
- ↑ Vgl. Thomas Rentsch: Zeitlichkeit und Alltäglichkeit. in: Thomas Rentsch (Hrsg.): Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 203.
- ↑ etwa in: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, Reclam 2002, ISBN 3-15-018250-6
- ↑ SZ, Seite 12