Zum Inhalt springen

Skeptizismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Dezember 2007 um 14:35 Uhr durch Extrabright (Diskussion | Beiträge) (-). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Skeptizismus (altgriechisch sképthesthai = schauen, spähen) ist eine philosophische Richtung, die den Zweifel zum Prinzip des Denkens erhebt und die darüber hinaus jede Möglichkeit einer Erkenntnis von Wirklichkeit und Wahrheit in Frage stellt. Mit dem Wort Skepsis bezeichnet man jeden kritischen Zweifel, ein Bedenken, auch ein Misstrauen oder Zurückhaltung. Man unterscheidet absoluten und partiellen Skeptizismus. Der Zweifel als Methode, zum Beispiel das „De omnibus dubitandum (lat.: An allem ist zu zweifeln.)“ des Descartes, stellt nur die Rechtmäßigkeit von Erkenntnis in Frage, nicht aber die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt, und unterscheidet sich deshalb vom Skeptizismus. Die großen Strömungen der griechischen Philosophie, die Stoa, der Epikureismus, die Skepsis suchen gemeinsam nach einem Zustand des Seelenfriedens (Ataraxia; Apathie); auch der Skeptiker Sextus Empiricus benutzt dafür das Bild von der Ungestörtheit und „Meeresstille der Seele“. Deshalb steht der Skeptizismus auch für eine „Lebensrichtung“ (Diogenes Laertius), eine ethische Grundhaltung, nicht nur für einen Standpunkt in der Erkenntnistheorie. Diogenes Laertius beschrieb den Zusammenhang so: „Als Endziel nehmen die Skeptiker die Zurückhaltung des Urteils an, der wie ein Schatten die unerschütterliche Gemütsruhe folgt (...).“ Der Skeptizismus setzt seine Argumente gegen jeden Dogmatismus und Fundamentalismus, in der Hoffnung auf Meeresstille des Gemüts.

Der Skeptizismus vertritt insbesondere den Standpunkt, dass zum Beweis einer Hypothese stets grundlegendere Erkenntnisse herangezogen werden müssen. Dadurch komme man zu einer unendlichen Reihe von Beweisen, deren Boden nicht zu ergründen sei. Insbesondere führt die skeptische Auffassung, dass die Gründe für jede Behauptung und für ihr Gegenteil gleich stark sind (Isosthenie), zur Nicht-Begründbarkeit allen Wissens. Im Gegensatz zu den Empirikern, Rationalisten und Realisten nehmen die Skeptiker also nicht an, dass es grundlegende Wahrheiten (d. h. Evidenzen) gäbe, die keines Beweises bedürfen.

Geschichte

Antike

Das skeptische Denken in Griechenland hatte eine Vorgeschichte; Anfänge skeptischen Denkens hat man sowohl bei den Vorsokratikern gesucht als auch bei Sokrates und bei den Sophisten. Aber die Vorsokratiker sind wohl kritisch gegenüber der Volksfrömmigkeit, kaum aber skeptisch im engeren Sinne; das sprichwörtliche „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ des Sokrates zielt nicht auf grundsätzlichen Skeptizismus; und Gorgias und Protagoras waren eher Vorläufer des Skeptizismus. Mit der ironischerweise dogmatischen Behauptung des Parmenides von Elea, die allgemeine Wahrnehmung der Realität sei grundsätzlich falsch, und dem daraus abgeleiteten Versuch durch Zenon von Elea, die offensichtliche Fehlerhaftigkeit aller Aussagen über Sein und Zeit argumentativ nachzuweisen, beginnt das skeptische Denken in Europa. Von den meisten Skeptikern der Antike sind nur Bruchstücke in Form von Zitaten bei anderen Autoren erhalten geblieben; es gibt aber eine große und zusammenhängende Darstellung der Schule („Grundriss der pyrrhonischen Skepsis“) durch ihren letzten bedeutenden Vertreter, Sextus Empiricus, dessen Werke etwa 180-200 n.Chr. entstanden sind. Die Geschichte des griechischen Skeptizismus reicht demnach von der Lebenszeit des Pyrrhon von Elis (etwa 360-275 v.Chr.) bis zur Zeit der Abfassung des „Grundrisses der pyrrhonischen Skepsis“. Die Geschichte der akademischen Skepsis, der anderen skeptischen Strömung im griechischen Denken, beginnt mit Arkesilaos (etwa 316-241 v.Chr.). Unter Philon von Larissa, der um 110 v.Chr. Schulhaupt der Akademie wurde, kehrte diese zum Dogmatismus zurück.

Pyrrhon von Elis

Der Begründer des antiken Skeptizismus, Pyrrhon von Elis, lehrte, dass die Dinge völlig unerkennbar seien und man auf jedes Wissen, jedes Urteilen über sie verzichten müsse; deshalb wird der Erkenntnisskeptizismus manchmal auch als „Pyrrhonismus“ bezeichnet.

Die Zehn Tropen

Die griechischen Skeptiker nannten Tropen nach einem Begriff der Rhetorik jene Gründe, die sich für die Unmöglichkeit der Erkenntnis der Wirklichkeit und der Wahrheit anführen ließen. Man kannte zwei solcher Listen; die Zehn Tropen wurden dem Philosophen Aenesidem von Knossos zugeschrieben; die Fünf Tropen dem Philosophen Agrippa. Von beiden weiß man kaum mehr als den von Diogenes Laertios überlieferten Namen. Über die Reihenfolge der Tropen herrschte schon in der Antike keine Einigkeit. Der neunte Tropus lässt sich als die wesentliche Zusammenfassung aller vorausgegangenen Tropen begreifen. Der zehnte Tropus scheint relativ selbständig gewesen zu sein. Der erste Tropus geht aus vom Unterschied der Sinneswahrnehmung des gleichen Gegenstands bei verschiedenen Lebewesen... (wird fortgesetzt)


Sextus Empiricus

Als das Römische Reich den Höhepunkt seiner Entwicklung überschritten hatte, erlebten Skeptizismus und Agnostizismus eine erneute Blüte, z.B. in den Werken des Sextus Empiricus. Er behauptete, dass der Mensch für seine Urteile keinerlei Anspruch auf Wahrheit erheben könne und deshalb feste, auf Wissen begründete Überzeugungen unmöglich, ja sogar schädlich seien.

Mittelalter

Die Scholastik erzwang mit ihrer zunehmend aussichtslosen Bemühung, theologische Offenbarung und antike philosophische Überlieferung zur Deckung zu bringen, skeptische Denkansätze, die aber meist, gebrandmarkt als Häresie, unmittelbar folgenlos bleiben mussten. Erst mit Humanismus und Renaissance, deren Entstehung selbst als skeptischer Prozess verstanden werden können, fanden Fundamentalskeptiker wie Francisco Sanchez (Quod nihil scitur, 1581) begrenzte Öffentlichkeit.

Renaissance

Im Mittelalter wurden unter dem Einfluss der Scholastik die Schriften der antiken Skeptiker übergangen oder vergessen. Als jedoch neue Übersetzungen der Schriften des Sextus Empiricus vorgelegt wurden, erwachte neues Interesse an der antiken Skepsis. Henri Estienne übersetzte 1562 die „Grundzüge“ des Sextus ins Lateinische; 1569 folgte eine lateinische Übersetzung der „Opera omnia“ durch Gentian Hervet.

David Hume

In der neueren Philosophie wurde der Skeptizismus vor allem von David Hume systematisch begründet. Die Vertreter des Skeptizismus gewannen größeren Einfluss, als das englische Bürgertum nach der Revolution mit der Aristokratie einen historischen Kompromiss einging. In seinem erkenntnistheoretischen Hauptwerk An Enquiry Concerning Human Understanding (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand) (1748) legte Hume - anknüpfend an den Sensualismus John Lockes - dar, dass alle Bewusstseinsinhalte des Menschen auf sinnlichen Wahrnehmungen beruhen und alles Erkennen nur in Verknüpfungen von Bewusstseinsinhalten bestehe, von denen der Mensch nicht wissen könnte, ob ihnen in der Wirklichkeit etwas entspreche.

Er bestritt den objektiv-realen Charakter der Kausalzusammenhänge und betrachtete sie nur als ein subjektiv-psychologisches Ordnungsprinzip (siehe Kausalität). Nur für die mathematischen Beziehungen, die nach seiner Meinung „durch die reine Tätigkeit des Denken zu entdecken“ sind, erkannte er Notwendigkeit und Gewissheit an, während „alle Ableitungen aus Erfahrungen....Wirkung der Gewohnheit“ seien. So war für Hume schließlich „die Betrachtung der menschlichen Blindheit und Schwäche das Ergebnis aller Philosophie“. Hume gründet seine Erkenntnistheorie auf die Behauptung, dass dem Verstand nie etwas anderes gegenwärtig sei als Sinneseindrücke (impressions). Aus diesem Grunde sei die Existenz materieller Dinge außerhalb des Bewusstseins, die objektive Realität überhaupt, nichts weiter als die Annahme, die sich aus Gewohnheit herleite. Hieraus ergebe sich - theoretisch - die Zweifelhaftigkeit der Existenz materieller Dinge und damit zugleich ihre Nichterkennbarkeit.

Immanuel Kant

Eine abgewandelte Form des Agnostizismus schuf Immanuel Kant durch seine Lehre vom unerkennbaren „Ding an sich“ (siehe auch Beziehung von Ding an sich und Erscheinung). Im Unterschied zu Hume anerkannte Kant zwar die objektive Existenz der „Dinge an sich“ außerhalb des menschlichen Bewusstseins, aber für ihn lag eine unüberschreitbare Kluft zwischen objektiver Realität und der Welt der Erscheinungen. Ähnlich wie Hume sprach Kant nur dem mathematischen Wissen wahrhaft wissenschaftlichen Charakter zu, weil allein dort absolute Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit herrsche, während alles empirische, auf Erfahrung basierende Wissen nur relativ, nicht unbedingt zuverlässig sei und sich nur auf die durch die Fähigkeiten der Sinnesorgane des Menschen mitbestimmten Erscheinungen beschränke.

Gegenwart

Skeptische bzw. agnostische Ansichten gegenwärtiger Erkenntnistheorie, die an die Gedanken Humes und Kants anknüpfen sind z.B. im Neukantianismus zu finden. Als Erkenntnis dürfe nur ein solches Wissen bezeichnet werden, das absolut wahr, unwiderlegbar und unbezweifelbar sei. Da aber alle unsere Kenntnisse historisch relativ, von den konkreten geschichtlichen Bedingungen des Erkenntnisprozesses abhängig sind, seien echte Erkenntnisse nicht möglich.

In die gleiche Richtung zielt auch die These von Leonard Nelson, (Über das sogenannte Erkenntnisproblem, Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie), dass jede Anerkennung einer Erkenntnis bereits ein Kriterium für deren Wahrheit voraussetze, das entweder selbst bereits eine Erkenntnis oder als richtig und anwendbar erkannt sein müsse. Dies führe zu einem inneren Widerspruch, zu einem unendlichen Regress (regressus ad infinitum). Besonders von neopositivistisch orientierten Erkenntnistheoretikern wird das „Nelsonsche Paradoxon“ häufig als Stütze für ihre agnostizistischen Auffassungen und als Beweis dafür verwendet, dass man den Erkenntnisbegriff willkürlich festlegen könne.

Literatur

Primärtexte

Klassikerexegese

  • Annas, Julia / Barnes, Jonathan: The Modes of Scepticism. Ancient Texts and Modern Interpretations, Cambridge 1985.
  • Barnes, Jonathan: The Toils of Scepticism, Cambridge 1990.
  • Burnyeat, M. und Frede, M.: The Original Sceptics: A Controversy, Indianapolis/Cambridge: Hackett Publishing Co 1997.
  • Hankinson, R. J.: The Sceptics. The Arguments of the Philosophers, London / New York 1995.
  • Hossenfelder, M.: „Skepsis“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hrsg. von H. Krings / H.M. Baumgartner / C. Wild, München 1974, Bd. 3, S.1359-67.
  • Popkin, Richard H.: The History of Scepticism from Savonarola to Bayle, Revised and expanded edition, Oxford u.a. 2003.
  • Ricken, Friedo: Antike Skeptiker, München 1994.
  • Sharples, R.W.: Stoics, Epicureans and Sceptics, London / New York 1996.
  • Williams, M. (Hrsg.): Scepticism, Aldershot 1993.

Systematische Diskussion

  • DeRose, K. und Warfield, T. (Hgg.): Skepticism. A Contemporary Reader, New York and Oxford: Oxford University Press 1999.
  • Fogelin, R. J.: Pyrrhonian Reflections on Knowledge and Justification, New York / Oxford 1994.
  • Fumerton, R.: Metaepistemology and Skepticism, Lanham 1995.
  • Grundmann, T. & Stüber, K. (Hgg.): Philosophie der Skepsis, Paderborn u.a.: Schöningh 1996 (UTB 1921), ISBN 3-506-99482-4
  • Klein, P.: Skepticism, in P. Moser (Hg.): The Oxford Handbook of Epistemology, Oxford: Oxford University Press 2002, 336-361.
  • Williams, M.: Scepticism without Theory, in: The Review of Metaphysics 41 (1988), S.547-588.
  • Williams, M.: Unnatural Doubts, Princeton 1992
  • Stroud, Barry: The Significance of Philosophical Scepticism, Oxford 1984
  • Unger, Peter: Ignorance: A Case for Scepticism, Oxford: Oxford University Press 1975.