Massaker von Nanking
Die Massaker von Nanking (chin. 南京大屠杀/南京大屠殺 Nánjīng dàtúshā; jap. 南京大虐殺 Nankin daigyakusatsu) waren Kriegsverbrechen der damaligen japanischen Besatzer in Nanking (Ostchina), bei denen über 300.000 Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet und 20.000 (manche Quellen: 80.000) Kinder und Frauen vergewaltigt wurden. Diese Massaker vor Beginn des Zweiten Weltkrieges waren der erste Fall einer systematischen Massenvergewaltigung als Mittel moderner Kriegsführung.
Die Massaker begannen nach der Besetzung der Stadt am 13. Dezember 1937 durch japanische Truppen im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg und dauerten ungefähr sechs bis sieben Wochen.
Hintergrund
Japan intensivierte in den 1930er Jahren seine kolonialen Bestrebungen. So provozierte die Guandong-Armee 1931 den Mukden-Zwischenfall, der als Vorwand genutzt wurde, um die Mandschurei zu besetzen. Dies gelang ohne größere Gegenwehr der Chinesen, da sich das Land in einem Bürgerkrieg befand. Japan errichtete daraufhin Mandschukuo als Marionettenstaat, um die besetzten Gebiete zu verwalten.
China wehrte sich mit einem Handelsboykott gegen Japan und weigerte sich, japanische Schiffe zu löschen. Dies hatte zur Folge, dass die japanischen Exporte auf ein Sechstel zurückgingen. Dies heizte die Stimmung in Japan an. Vor allem ein Zwischenfall, bei dem 1932 in Shanghai fünf japanische Mönche verprügelt wurden (ein Mönch erlag später seinen Verletzungen), wurde von den japanischen Medien aufgegriffen und schürte den Zorn in der japanischen Bevölkerung. Am 29. Januar bombardierte Japan daraufhin Shanghai. Dabei handelt es sich um das erste Flächenbombardement, das sich gegen die Zivilbevölkerung richtete. Japan eroberte die Stadt in der Ersten Schlacht um Shanghai. Schätzungen sprechen von etwa 18.000 getöteten Chinesen und 240.000 Obdachlosen. China sah sich gezwungen, den Handelsboykott aufzuheben, und um Shanghai wurde eine demilitarisierte Zone errichtet. Im Mai 1933 wurde ein Waffenstillstand geschlossen.
Am 7. Juli 1937 kam es zum Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke, bei dem sich japanische und chinesische Soldaten Feuergefechte lieferten. Mit diesem Vorfall begann der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg. Die Japaner rechneten mit einem schnellen Sieg, da sich China immer noch in einem Bürgerkrieg befand, doch die zweite Schlacht um Shanghai dauerte unerwartet lange und forderte hohe Verluste. Es kämpften etwa 200.000 japanische und eine weit höhere Zahl chinesischer Soldaten in einem erbitterten Häuserkampf. Die Verluste waren auf beiden Seiten sehr hoch. Japan konnte die Schlacht erst Mitte November für sich entscheiden, als die Japanische 10. Armee in der Hangzhou-Bucht landete und die chinesischen Truppen so von einer Einkesselung bedroht waren.
Die japanischen Truppen erreichten Nanking um den 8. Dezember und schlossen die Stadt ein. Sie ließen Flugblätter abwerfen, die die Verteidiger zur Übergabe der Stadt aufforderten. Als keine Reaktion erfolge, kam es zur Schlacht um Nanking. Die Japaner bombardierten Nanking bei Tag und bei Nacht. Dies schwächte die Moral der chinesischen Truppen. Um 17 Uhr am 12. Dezember befahl der chinesische Stadtkommandant den Rückzug der Truppen. Der Rückzug verlief ungeordnet. Die Soldaten entledigten sich ihrer Waffen und Uniformen. Zum Teil überfielen sie Zivilisten, um an zivile Kleidung zu gelangen. Die Panik ergriff auch die Bevölkerung, und so versuchten Soldaten und Zivilisten zum Jangtsekiang zu fliehen. Am Jangtsekiang standen aber kaum Transportmittel zur Verfügung, so dass ein Abtransport der Truppen kaum möglich war. Bei den panischen Versuchen, die Boote zu besteigen, ertranken viele in dem kalten Fluss.
Einige in der Stadt verbliebene Ausländer hatten ein Internationales Komitee für die Sicherheit von Nanking gegründet. Als Vorsitzender wurde der deutsche Geschäftsmann John Rabe gewählt. Seine Wahl wurde wohl deswegen begünstigt, weil man sich ausrechnete, dass ein Deutscher und ein NSDAP-Mitglied mehr Einfluss auf die Japaner nehmen konnte, da Japan und Deutschland 1936 den Antikomintern-Pakt unterzeichnet hatten. Das Komitee bestand zum größten Teil aus Geschäftsleuten und Missionaren. Viele Journalisten und Ausländer verließen das eingeschlossene Nanking.
Am 13. Dezember besetzten die japanischen Truppen Nanking.
Vorgänge
Viele Reporter und westliche Staatsbürger hatten Nanking verlassen, als die Stadt von den japanischen Truppen eingeschlossen wurde. Deswegen drangen wenig Nachrichten aus der Stadt. Die in der Stadt gebliebenen Reporter unterlagen einer strengen Zensur durch die japanischen Streitkräfte. So verschwiegen besonders die zahlreichen japanischen Reporter die Gräueltaten, auch wenn nach dem Krieg viele ihr Schweigen brachen.
Die genauen Vorgänge und Opferzahlen sind bis heute umstritten (siehe Die heutige Bewertung).
Es wird berichtet, dass die japanischen Soldaten viele Zivilisten und Kriegsgefangene töteten. Die Soldaten suchten besonders nach jungen Männern, da diese verdächtigt wurden, für die chinesische Armee gekämpft zu haben. Zeugen berichteten, dass viele Menschen am Ufer des Jangtsekiang erschossen oder mit Bajonetten erstochen wurden. Tausende junger Chinesen, sowohl Soldaten wie Zivilisten, wurden zusammengepfercht, an den Rand der Stadt getrieben und dort mit Maschinengewehren niedergemäht, mit Bajonetten getötet oder geköpft oder mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leibe verbrannt. Häufig wurden die Frauen getötet, nachdem sie von mehreren Dutzend Männern geschändet worden waren. Anderen wurde der Bauch aufgeschlitzt und die Brüste abgeschnitten. Auch Kinder, Schwangere oder Greise wurden nicht verschont.
Nach Zeugenberichten kam es zu Massenvergewaltigungen an Frauen und Kindern. Ungefähr jede zweite Chinesin wurde Opfer von sexuellen Übergriffen. Oft geschahen die Vergewaltigungen in Gruppen, z.T. wurden Frauen auch entführt und zur Prostitution gezwungen. Besonders der Vorfall vom Ginling College wurde dokumentiert. Dorthin waren etwa 20.000 Frauen und Kinder geflüchtet. Japaner entführten über hundert Frauen, brachten sie aber nach tagelangen Vergewaltigungen zurück. Teilweise starben sie bald danach.
Es kam auch zu massiven Plünderungen und Brandschatzung.
Reaktion
Nachrichten drangen auf Grund der Zensur und des Mangels an unabhängigen Reportern kaum aus Nanking. Doch besonders das Internationale Komitee für die Sicherheit von Nanking versuchte die westliche Welt von den Vorgängen in Kenntnis zu setzen. Nachdem der deutsche Kaufmann John Rabe im Februar 1938 von Siemens aus Nanking abgezogen wurde und wieder in Deutschland war, hielt er einige Vorträge über das Massaker und kontaktierte sogar Adolf Hitler. Er wurde daraufhin kurzzeitig von der Gestapo verhaftet.
Neben dem Panay-Vorfall sorgten die Berichte über die japanischen Grausamkeiten für ein Umschwenken in den Beziehungen Japans zu den USA. Dies führte dazu, dass die USA ein Handelsembargo gegen Japan verhängten und später mit den Flying Tigers, einer freiwilligen Truppe, in den Krieg eingriffen. Besonders das Handelsembargo wird heute als Grund für den japanischen Angriff auf Pearl Harbor angesehen.
Die heutige Bewertung
Der Umfang des Massakers ist bis heute noch umstritten. In den japanischen Kriegsverbrecher-Prozessen wurde von „mehr als 200.000 Opfern“ und von „mehr als 100.000 Opfern“ gesprochen. In nationalistischen Kreisen in Japan wird hingegen von einer deutlich niedrigeren Anzahl an Opfern ausgegangen. Die verschiedenen Angaben über Opferzahlen leiten sich her von Beobachtungen japanischer Soldaten, Berichten von Reportern und chinesischen und westlichen Bewohnern Nankings während des Massakers (die alle nur grobe Schätzungen liefern konnten), Aufzeichnungen über Beerdigungen (bei denen nicht zwischen Soldaten und Zivilisten unterschieden wurde) und unterschiedlichen Ansichten darüber, welches Gebiet und welcher Zeitraum dem Ereignis zugerechnet werden sollen.

In China war nach der Normalisierung der chinesisch-japanischen Beziehungen 1972 aus politischen Gründen eine öffentliche Debatte über das Massaker unerwünscht. Erst nach der Machtübernahme von Jiang Zemin änderte sich dies. Beide Chinas - die kommunistische Volksrepublik und die chinesische Republik auf Taiwan - bemühten sich, Japan während des Kalten Krieges für sich zu gewinnen. Weil sie Tokio nicht brüskieren wollten, ließen sie das Thema Nanking lange fallen. Auch die Vereinigten Staaten drängten Japan nicht, das grauenhafte Geschehen in Nanking aufzuarbeiten. Washington brauchte Tokio als Verbündeten gegen die Sowjetunion und gegen Rot-China. Heute liegt die Hauptverantwortung für die fehlende umfassende Aufklärung des Massakers von Nanking in Japan, dessen Archive über die Ereignisse noch immer geschlossen sind.
In Japan wurde die Debatte seit den 1970er Jahren heftig geführt. Anfangs bestritten Revisionisten aus dem nationalistischen Lager das Auftreten eines Massakers überhaupt und bezeichneten die Berichte darüber als chinesische Propaganda. Sie verloren jedoch ihre Glaubwürdigkeit, nachdem sich herausstellte, dass einer ihrer führenden Vertreter, der Historiker Tanaka Shōmei, massiv Aufzeichnungen gefälscht und verändert hatte. Auch Aufzeichnungen der japanischen Armee und Augenzeugenberichte japanischer Soldaten bewiesen zweifelsfrei, dass sich in Nanking ungeheuerliche Grausamkeiten ereignet hatten. Seit Beginn der 1990er Jahre dreht sich die Diskussion im Wesentlichen (abgesehen von einigen Revisionisten aus dem rechten Spektrum) nur noch um die letztendlich unentscheidbare Frage nach der Zahl der Opfer und darum, wie viel Platz das Ereignis in Geschichtsbüchern einnehmen soll.
Immer wieder gibt die Bewertung des Massakers in japanischen Schulbüchern Anlass zu Protesten in China. Zuletzt kam es am 9. April 2005 sogar zu Ausschreitungen gegen japanische Einrichtungen, weil die japanische Regierung Schulbücher zugelassen hatte, die das Massaker als „Zwischenfall“ verharmlosten. Dabei gibt es aber Vorwürfe, dass die Proteste von der chinesischen Regierung gelenkt wurden. [1]
Eine im August 2005 herausgegebene Studie, durchgeführt unter Mitarbeit der Tokioter Universität, fand heraus, dass die meisten Chinesen mit Japan zuvorderst das Nanking-Massaker in Zusammenhang bringen. [2]
Nationalistische Kreise in Japan beschuldigen China, das Massaker als Druckmittel in politischen Verhandlungen zu benutzen.
Weiterführende Informationen
Literatur
In Japan wurden seit den 1970er Jahren zahlreiche Bücher zu dem Thema veröffentlicht, mit stark unterschiedlicher Tendenz. Als gegensätzliche (und in englischer Übersetzung erhältliche) Beispiele seien genannt:
- Katsuichi Honda, The Nanjing Massacre: A Japanese Journalist Confronts Japan's National Shame, ISBN 0765603357
- Tadao Takemoto, Yasuo Ohara, The Alleged "Nanking Massacre": Japan's rebuttal to China's forged claims, ISBN 4944219059
Die westliche Welt zeigte lange Zeit kaum Interesse. Dies änderte sich erst 1997 mit der Veröffentlichung des Buchs The Rape of Nanking: The Forgotten Holocaust of World War II (deutsch: Die Vergewaltigung von Nanking (Buch), ISBN 3-8584-2345-9) durch die chinesischstämmige US-Amerikanerin Iris Chang, das jedoch unter japanischen Historikern aus beiden Lagern als schlecht recherchiert gilt. Im Buch wird auch die Geschichte von John Rabe erzählt, der von Iris Chang mit Oskar Schindler verglichen wird.
- Erwin Wickert (Hrsg.): John Rabe. Der gute Deutsche von Nanking. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1997 (Tagebücher Rabes). 443 Seiten. ISBN 3421050988
- Mo Hayder: Tokyo (deutsch: Tokio) (deutsch: ISBN 3-442-31018-0, englisch: ISBN 0593049705). Der Roman befasst sich ebenfalls mit dem Thema.
- Ishida Yuji: Das Massaker von Nanking und die japanische Öffentlichkeit. In: Cornelißen, Christoph, Lutz Klinkhammer und Wolfgang Schwentker (Hg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt am Main: Fischer, 2003, S.233-242.
- Krebs, Gerhard: Nanking 1937/38. Oder: Vom Umgang mit Massakern. In: Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens/Hamburg, Bd. 167-170 (2000-2001), S. 299-346.
Makino, Uwe: Nanking-Massaker 1937/38. Japanische Kriegsverbrechen zwischen Leugnung und Überzeichnung. Mit einer Einführung von Gebhard Hielscher, Norderstedt 2007.
- Yang, Daqing: The Challenges of the Nanjing Massacre: Reflections on Historical Inquiry. In: Fogel, Joshua A. (Hg.): The Nanjing Massacre in History and Historiography. Berkeley: University of California Press, 2000, S. 133-179.
Filme
- 1995: Vorlage:IMDb Titel – Regie: Tun Fei Mou
- 2007: Nanking unter Regie von Bill Guttentag und Dan Sturman
Weblinks
- http://www.cnd.org/njmassacre/njm-tran/ - Japanese Imperialism and the Massacre in Nanjing - by Gao Xingzu, Wu Shimin, Hu Yungong, & Cha Ruizhen (englisch)
- princeton.edu – Bilder und Dokumente (englisch)
- Etude sur le négationnisme japonais et les massacres de Nankin (französisch)
- The Nanking Atrocities – umfassende Berichte über Massaker in Nanking (englisch)
- Revisionistische Japanische Darstellungen der Ereignisse in Nanking (englisch)