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Differentialform

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Der Begriff Differentialform (oft auch alternierende Differentialform genannt) präzisiert und verallgemeinert das aus der Analysis bekannte Leibnizsche Differential und den aus der Vektoranalysis bekannten Gradienten. Differentialformen sind ein grundlegendes Konzept der Differentialgeometrie.

Kontext

Es sei

  • eine offene Teilmenge des
  • oder allgemeiner ein offener Teil einer differenzierbaren Untermannigfaltigkeit des
  • oder allgemein ein offener Teil einer (abstrakten) differenzierbaren Mannigfaltigkeit.

In jedem dieser Fälle gibt es

  • den Begriff der differenzierbaren Funktion auf ; der Raum der differenzierbaren Funktionen auf werde mit bezeichnet;
  • den Begriff des Tangentialraums an in einem Punkt ;
  • den Begriff der Richtungsableitung für einen Tangentialvektor und eine differenzierbare Funktion ;
  • den Begriff des differenzierbaren Vektorfeldes auf ; der Raum der Vektorfelder auf sei mit bezeichnet.

Der Dualraum des Tangentialraums wird als Kotangentialraum bezeichnet.

Definition

Eine k-Form oder Differentialform vom Grad k ist eine alternierende -multilineare Abbildung .

Das bedeutet: ordnet Vektorfeldern eine Funktion zu, so dass

  • für

und

  • ,

d. h. vertauscht man zwei der Argumente von , so erhält man das Negative des ursprünglichen Wertes.

Alternativ dazu ordnet jedem Punkt eine alternierende -multilineare Abbildung

zu, so dass für Vektorfelder die Funktion

differenzierbar ist.

0-Formen sind differenzierbare Funktionen, und 1-Formen sind pfaffsche Formen.

Die Menge der -Formen auf wird mit bezeichnet. Ist , so ist .

Man kann als Element der äußeren Potenz auffassen; infolgedessen definiert das äußere Produkt (d. h. das Produkt in der äußeren Algebra) Abbildungen

wobei punktweise definiert ist:

Dieses Produkt ist graduiert-kommutativ, d. h.

dabei bezeichnet den Grad von , d. h. ist eine -Form, so ist .

Äußere Ableitung

Die äußere Ableitung oder Cartan-Ableitung einer -Form wird induktiv mithilfe der Lie-Ableitung und der Cartan-Formel

definiert; dabei ist ein Vektorfeld, die Lie-Ableitung und die Einsetzung von .

Ist beispielsweise eine 1-Form, so ist

und

also

für Vektorfelder ; dabei bezeichnet die Lie-Klammer.

Die allgemeine Formel lautet

dabei bedeutet , dass das entsprechende Argument wegzulassen ist.

Die äußere Ableitung hat folgende Eigenschaften:

  • ist -linear.
  • dabei bezeichnet den Grad von , d. h. ist eine -Form, so ist .
  • Für eine Funktion , aufgefasst als 0-Form, stimmt die äußere Ableitung mit dem totalen Differential überein.

Koordinatendarstellung

Ist ein Koordinatensystem auf , so folgt aus den Eigenschaften der äußeren Algebra, dass eine lokale Basis der -Formen durch

gegeben ist, d. h. jede -Form hat eine eindeutige Darstellung der Form

mit geeigneten differenzierbaren Funktionen . An dieser Darstellung ist auch abzulesen, dass für die Nullform die einzige -Form ist.

Die äußere Ableitung ist in dieser Darstellung durch die Formel

gegeben.

Um die dabei entstehenden Ausdrücke wieder durch die Standardbasis auszudrücken, sind die Relationen

und

wichtig; beispielsweise ist für

Für n=3 bilden die Koeffizienten der Differentialform bei analogem Vorgehen den rot (Rotations-) Vektor der Vektoranalysis.

Exakte und geschlossene Formen; de-Rham-Kohomologie

Eine -Form heißt geschlossen, wenn gilt; sie heißt exakt, wenn es eine -Form gibt, so dass gilt. Aufgrund der Formel ist jede exakte Form geschlossen. Man beachte, dass Geschlossenheit im Gegensatz zu Exaktheit eine lokale Eigenschaft ist: Ist eine offene Überdeckung von , so ist eine -Form genau dann geschlossen, wenn die Einschränkung von auf für jedes geschlossen ist.

Der Faktorraum

{geschlossene -Formen auf }/{exakte -Formen auf }

heißt -te de-Rham-Kohomologiegruppe (nach Georges de Rham). Sie enthält Informationen über die globale topologische Struktur von .

Das Poincaré-Lemma (nach Henri Poincaré) besagt, dass

für

gilt, d.h., dass in jede geschlossene Form auch exakt ist. Diese Aussage gilt u.a. auch im Minkowski-Raum :

Ein Beispiel aus der Elektrodynamik

In der Elektrodynamik impliziert diese Aussage, dass zu jedem Paar elektromagnetischer Felder , die ja zu einer zweistufigen alternierenden Differentialform in einem vierdimensionalen sog. Minkowskiraum zusammengefasst werden können, eine einstufige Vektorpotentialform mit existiert, ein sog. „Viererpotential“ (siehe auch: Vierervektor).

Auch Strom- und Ladungsdichten können zu einem Vierervektor bzw. zu einer entsprechenden 3-Form, , zusammengefasst werden.

Die Feldstärkeform erfüllt . Das entspricht den ersten beiden Maxwellschen Gleichungen. Die dritte und vierte der Maxwell-Gleichungen ergeben , wobei die zu duale Form ist (s.u.).

Man benutzt dies beim Beweis der relativistischen Invarianz der Maxwellschen Theorie. Dabei ist beim Übergang zum Dualen zu beachten, dass man es nicht mit dem , sondern mit zu tun hat (z. B. gilt für die Pseudolänge eines Minkowski-Vierervektors die ungewöhnliche Beziehung ). Auch beim Übergang zum Dualen ist das hier auftretende Minuszeichen zu berücksichtigen. Ebenso unterscheidet man bekanntlich obere (=kontravariante) und untere (=kovariante) Koordinatenindizes, indem man etwa definiert und für die Pseudo-Länge ds schreibt.

Fortsetzung: das Lemma von Poincaré

Allgemeiner gilt die Aussage des besagten Lemmas für zusammenziehbare offene Teilmengen des . Der Beweis ist konstruktiv, d.h. es werden explizite Beispiele konstruiert, was für Anwendungen, s.o., sehr wichtig ist. (Man beachte, dass aus den lokal konstanten Funktionen besteht, da es per definitionem keine exakten 0-Formen gibt. Es ist also für jedes .)

Ist geschlossen und exakt, so folgt

Entsprechendes gilt, falls exakt und geschlossen ist. Damit gibt es induzierte Abbildungen

Siehe auch de-Rham-Kohomologie, Kokettenkomplex

Orientierung

Ist , so heißt eine -Form auf , die in keinem Punkt verschwindet, eine Orientierung auf . zusammen mit einer derartigen Form heißt orientiert. Eine Orientierung definiert Orientierungen der Tangential- und Kotangentialräume: eine Basis des Kotangentialraums in einem Punkt sei positiv orientiert, wenn

mit einer positiven Zahl gilt; eine Basis des Tangentialraums in einem Punkt sei positiv orientiert, wenn

gilt.

Zwei Orientierungen heißen äquivalent, wenn sie sich um einen überall positiven Faktor unterscheiden; diese Bedingung ist äquivalent dazu, dass sie auf jedem Tangential- oder Kotangentialraum dieselbe Orientierung definieren.

Ist zusammenhängend, so gibt es entweder bis auf Äquivalenz genau zwei oder gar keine Orientierungen.

heißt orientierbar, wenn eine Orientierung von existiert.

Siehe auch Orientierung (Mathematik)

Integral von Differentialformen

Es sei wieder , und wir nehmen an, auf sei eine Orientierung gewählt. Dann gibt es ein kanonisches Integral

für -Formen . Ist eine offene Teilmenge, eine positiv orientierte Basis und

so ist

das Integral auf der rechten Seite ist das gewöhnliche Lebesgue-Integral.

Aus dem Transformationssatz folgt, dass diese Definition unabhängig von Koordinatenwechseln ist.

Satz von Stokes

Ist eine kompakte orientierte -dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand , und versieht man mit der induzierten Orientierung, so gilt für jede -Form

Dieser Satz ist eine weitreichende Verallgemeinerung des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung.

Ist geschlossen, d. h. gilt , so folgt

für jede exakte -Form , d.h. falls . Zur Verdeutlichung der genannten Eigenschaft von benutzt man oft die Formulierung mit einem Kreis-Integral:

.

Wie auch immer, das Integral definiert eine Abbildung

Ist zusammenhängend, so ist diese Abbildung ein Isomorphismus. Man kommt damit zur De-Rham-Kohomologie zurück (s.o.). Insbesondere gilt die folgende Korrespondenz:   für alle M für alle .

Siehe auch Satz von Stokes

Zurückziehen ("pull-back") von Differentialformen

Ist eine differenzierbare Abbildung zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten, so ist für die mittels   zurückgeholte Form wie folgt definiert:

Dabei ist die durch f induzierte Abbildung der Ableitungen. Mit den anderen Operationen ist das Zurückziehen verträglich, es gilt

1.)

(pedantisch geschrieben: auf der linken Seite , auf der rechten Seite dagegen ), und

2.)

für alle .

Insbesondere induziert eine Abbildung

wobei die Umkehr der Pfeilrichtung gegenüber zu beachten ist ( "pull-back", „Kohomologie“ statt „Homologie“).

Davon abgesehen, können die "pull-back"-Operationen von Differentialformen aber i.W. als „trivial“ bezeichnet werden.

Duale Form und Stern-Operator

Betrachtet werden äußere Formen in einem n-dimensionalen Raum, in dem ein inneres Produkt (Metrik) definiert ist, so dass eine orthonormale Basis des Raumes gebildet werden kann. Die zu einer äußeren Form von Grad k in diesem n-dimensionalen Raum duale Form ist eine (n-k)-Form

Dabei seien beide Seiten in orientierter Form geschrieben. Formal wird die duale Form durch Anwendung des (Hodge) *-Operators bezeichnet. Speziell für Differentialformen im dreidimensionalen euklidischen Raum ergibt sich:

mit den 1-Formen dx, dy dz. Dabei wurde berücksichtigt, dass die orientierte Reihenfolge hier (y,z), (x,y) und (z, x) ist (zyklische Verschiebungen in (x,y,z)).

Das *-Symbol soll die Tatsache unterstreichen, dass damit ein inneres Produkt im Raum der Formen auf einem zugrundeliegenden Raum M gegeben ist, denn lässt sich für zwei k-Formen und als Volumenform schreiben und das Integral

liefert eine reelle Zahl. Der Zusatz dual zeigt an, dass die zweifache Anwendung auf eine k-Form wieder die k-Form ergibt, bis auf das Vorzeichen, das gesondert betrachtet werden muss. Genauer gilt für eine k-Form in einem n-dimensionalen Raum, dessen Metrik die Signatur s hat (s=+ 1 im euklidischen Raum, s= - 1 im Minkowski-Raum):

Oben wurde gezeigt, wie sich im 3-dimensionalen euklidischen Raum bei äußerer Ableitung einer 1-Form die 2-Form ergibt mit den Komponenten des Rotations-Vektors der Vektoranalysis als Koeffizienten. Diesen rot-Vektor kann man mit Hilfe des *-Operators nun auch formal direkt als 1-Form schreiben: . Analog wird der *-Operator zur „Übersetzung“ des oben formulierten Satzes von Stokes in die Vektoranalysis-Form benutzt.

Die relativistischen Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik auf einer vierdimensionalen Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit M (mit Metrik und Determinante der Metrik g, wobei hier natürlich die Signatur eines Minkowski-Raumes gilt, etwa , entsprechend der früher gegebenen Definition der Pseudo-Länge ) lauten beispielsweise unter Verwendung dieser Symbolik:

(die so genannte Bianchi-Identität) und

mit dem elektromagnetischen Feldtensor ausgedrückt als 2-Form

und dem Strom (geschrieben als 3-Form)

Hierbei ist das Antisymmetrisierungs-Symbol (Levi-Civita-Symbol) und das Semikolon steht für die kovariante Ableitung. Wie üblich wird über doppelt vorkommende Indices summiert (Einstein-Summenkonvention) und es werden natürliche Einheiten verwendet (Lichtgeschwindigkeit c ersetzt durch 1). Durch Anwendung des *-Operators kann man den zweiten Satz der vier Maxwellgleichungen auch alternativ mit einer 1-Form für den Strom schreiben. Aus den Maxwellgleichungen sieht man, dass und in der Elektrodynamik ganz unterschiedlichen Gleichungen gehorchen, die Dualität also keine Symmetrie dieser Theorie ist. Das liegt daran, dass die Dualität elektrische und magnetische Felder vertauscht, in der Elektrodynamik aber keine magnetischen Monopole bekannt sind. Die freien Maxwellgleichungen, d.h. für , haben dagegen duale Symmetrie.

Die Besonderheiten, die sich beim Übergang zum Dualen dadurch ergeben, dass der Elektrodynamik nicht der euklidische Raum , sondern der Minkowski-Raum zugrunde liegt, wurden in einem früheren Paragraphen bereits angedeutet und hier benutzt.

Eichinvarianz

Wegen ist für exaktes die Potentialform nur bis auf einen additiven Zusatz eindeutig: und ergeben dasselbe , mit willkürlicher Eichform . Man kann diese zusätzliche sog. Eichfreiheit dazu benutzen, um punktweise eine zusätzliche Nebenbedingung für zu erfüllen. In der Elektrodynamik fordert man beispielweise, dass für überall die zusätzliche sog. Lorentz-Bedingung (Lorentz-Eichung) gilt (in den vier Komponenten lautet diese Bedingung einfach ). Dann ergibt sich schließlich als Lösung aller vier Maxwell-Gleichungen das sog. „retardierte Potential“: Man kann zeigen, dass sowohl Fehler beim Parsen (SVG (MathML kann über ein Browser-Plugin aktiviert werden): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „http://localhost:6011/de.wikipedia.org/v1/“:): {\displaystyle \mathbf F=\mathrm d\mathbf A} als auch Fehler beim Parsen (SVG (MathML kann über ein Browser-Plugin aktiviert werden): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „http://localhost:6011/de.wikipedia.org/v1/“:): {\displaystyle d(*\mathbf F )=\mathbf J} als auch besagte Nebenbedingung genau dann gelten, wenn man für komponentenweise folgendes Coulomb-artige Integral mit Retardierung benutzt

Siehe auch

Literatur

  • Shigeyuki Morita Geometry of differential forms, American Mathematical Society 2001, ISBN 0821810456 (viel Anschauung in diesem Buch)
  • Harley Flanders Differential forms with applications to the physical sciences, Academic Press 1963