Der Begriff Differentialform (oft auch alternierende Differentialform genannt) präzisiert und verallgemeinert das aus der Analysis bekannte Leibnizsche Differential und den aus der Vektoranalysis bekannten Gradienten. Differentialformen sind ein grundlegendes Konzept der Differentialgeometrie.
Kontext
Es sei
- eine offene Teilmenge des

- oder allgemeiner ein offener Teil einer differenzierbaren Untermannigfaltigkeit des

- oder allgemein ein offener Teil einer (abstrakten) differenzierbaren Mannigfaltigkeit.
In jedem dieser Fälle gibt es
- den Begriff der differenzierbaren Funktion auf
; der Raum der differenzierbaren Funktionen auf
werde mit
bezeichnet;
- den Begriff des Tangentialraums
an
in einem Punkt
;
- den Begriff der Richtungsableitung
für einen Tangentialvektor
und eine differenzierbare Funktion
;
- den Begriff des differenzierbaren Vektorfeldes auf
; der Raum der Vektorfelder auf
sei mit
bezeichnet.
Der Dualraum des Tangentialraums
wird als Kotangentialraum
bezeichnet.
Definition
Eine k-Form oder Differentialform vom Grad k ist eine alternierende
-multilineare Abbildung
.
Das bedeutet:
ordnet
Vektorfeldern
eine Funktion
zu, so dass

für 
und
,
d. h. vertauscht man zwei der Argumente von
, so erhält man das Negative des ursprünglichen Wertes.
Alternativ dazu ordnet
jedem Punkt
eine alternierende
-multilineare Abbildung

zu, so dass für
Vektorfelder
die Funktion

differenzierbar ist.
0-Formen sind differenzierbare Funktionen, und 1-Formen sind pfaffsche Formen.
Die Menge der
-Formen auf
wird mit
bezeichnet. Ist
, so ist
.
Man kann
als Element der äußeren Potenz
auffassen; infolgedessen definiert das äußere Produkt (d. h. das Produkt
in der äußeren Algebra) Abbildungen

wobei
punktweise definiert ist:

Dieses Produkt ist graduiert-kommutativ, d. h.

dabei bezeichnet
den Grad von
, d. h. ist
eine
-Form, so ist
.
Äußere Ableitung
Die äußere Ableitung oder Cartan-Ableitung
einer
-Form
wird induktiv mithilfe der Lie-Ableitung und der Cartan-Formel

definiert; dabei ist
ein Vektorfeld,
die Lie-Ableitung und
die Einsetzung von
.
Ist beispielsweise
eine 1-Form, so ist
![{\displaystyle ({\mathcal {L}}_{X}\omega )(Y)={\mathcal {L}}_{X}(\omega (Y))-\omega ({\mathcal {L}}_{X}(Y))=X\omega (Y)-\omega ([X,Y])}](/media/api/rest_v1/media/math/render/svg/70e5d19a3a4697c1fbd0fd56cc72b21fee4d5bc4)
und

also
![{\displaystyle \mathrm {d} \omega (X,Y)=X\omega (Y)-Y\omega (X)-\omega ([X,Y])}](/media/api/rest_v1/media/math/render/svg/23489c86ec22a50b42c393036dcd838753c47fdc)
für Vektorfelder
; dabei bezeichnet
die Lie-Klammer.
Die allgemeine Formel lautet
![{\displaystyle {}+\sum _{i<j}(-1)^{i+j}\omega ([X_{i},X_{j}],X_{0},...,{\hat {X}}_{i},...,{\hat {X}}_{j},...,X_{k});}](/media/api/rest_v1/media/math/render/svg/3558fb4a64a1cc2418fed39887d2df7e27c50b54)
dabei bedeutet
, dass das entsprechende Argument wegzulassen ist.
Die äußere Ableitung hat folgende Eigenschaften:
ist
-linear.
dabei bezeichnet
den Grad von
, d. h. ist
eine
-Form, so ist
.

- Für eine Funktion
, aufgefasst als 0-Form, stimmt die äußere Ableitung mit dem totalen Differential überein.
Koordinatendarstellung
Ist
ein Koordinatensystem auf
, so folgt aus den Eigenschaften der äußeren Algebra, dass eine lokale Basis der
-Formen durch

gegeben ist, d. h. jede
-Form
hat eine eindeutige Darstellung der Form

mit geeigneten differenzierbaren Funktionen
. An dieser Darstellung ist auch abzulesen, dass für
die Nullform
die einzige
-Form ist.
Die äußere Ableitung ist in dieser Darstellung durch die Formel

gegeben.
Um die dabei entstehenden Ausdrücke wieder durch die Standardbasis auszudrücken, sind die Relationen

und

wichtig; beispielsweise ist für




Für n=3 bilden die Koeffizienten der Differentialform bei analogem Vorgehen den rot (Rotations-) Vektor der Vektoranalysis.
Eine
-Form
heißt geschlossen, wenn
gilt; sie heißt exakt, wenn es eine
-Form
gibt, so dass
gilt. Aufgrund der Formel
ist jede exakte Form geschlossen. Man beachte, dass Geschlossenheit im Gegensatz zu Exaktheit eine lokale Eigenschaft ist: Ist
eine offene Überdeckung von
, so ist eine
-Form
genau dann geschlossen, wenn die Einschränkung von
auf
für jedes
geschlossen ist.
Der Faktorraum
- {geschlossene
-Formen auf
}/{exakte
-Formen auf
}
heißt
-te de-Rham-Kohomologiegruppe
(nach Georges de Rham). Sie enthält Informationen über die globale topologische Struktur von
.
Das Poincaré-Lemma (nach Henri Poincaré) besagt, dass
für 
gilt, d.h., dass in
jede geschlossene Form auch exakt ist. Diese Aussage gilt u.a. auch im Minkowski-Raum
:
Ein Beispiel aus der Elektrodynamik
In der Elektrodynamik impliziert diese Aussage, dass zu jedem Paar elektromagnetischer Felder
, die ja zu einer zweistufigen alternierenden Differentialform
in einem vierdimensionalen sog. Minkowskiraum zusammengefasst werden können, eine einstufige Vektorpotentialform
mit
existiert, ein sog. „Viererpotential“ (siehe auch: Vierervektor).
Auch Strom- und Ladungsdichten können zu einem Vierervektor bzw. zu einer entsprechenden 3-Form,
, zusammengefasst werden.
Die Feldstärkeform
erfüllt
. Das entspricht den ersten beiden Maxwellschen Gleichungen. Die dritte und vierte der Maxwell-Gleichungen ergeben
, wobei
die zu
duale Form ist (s.u.).
Man benutzt dies beim Beweis der relativistischen Invarianz der Maxwellschen Theorie. Dabei ist beim Übergang zum Dualen zu beachten, dass man es nicht mit dem
, sondern mit
zu tun hat (z. B. gilt für die Pseudolänge
eines Minkowski-Vierervektors die ungewöhnliche Beziehung
). Auch beim Übergang zum Dualen ist das hier auftretende Minuszeichen zu berücksichtigen. Ebenso unterscheidet man bekanntlich obere (=kontravariante) und untere (=kovariante) Koordinatenindizes, indem man etwa
definiert und für die Pseudo-Länge ds
schreibt.
Fortsetzung: das Lemma von Poincaré
Allgemeiner gilt die Aussage des besagten Lemmas für zusammenziehbare offene Teilmengen des
. Der Beweis ist konstruktiv, d.h. es werden explizite Beispiele konstruiert, was für Anwendungen, s.o., sehr wichtig ist. (Man beachte, dass
aus den lokal konstanten Funktionen besteht, da es per definitionem keine exakten 0-Formen gibt. Es ist also
für jedes
.)
Ist
geschlossen und
exakt, so
folgt

Entsprechendes gilt, falls
exakt und
geschlossen ist. Damit gibt es induzierte Abbildungen

Siehe auch de-Rham-Kohomologie, Kokettenkomplex
Orientierung
Ist
, so heißt eine
-Form auf
, die in keinem Punkt verschwindet, eine Orientierung auf
.
zusammen mit einer derartigen Form heißt orientiert. Eine Orientierung
definiert Orientierungen der Tangential- und Kotangentialräume: eine Basis
des Kotangentialraums in einem Punkt
sei positiv orientiert, wenn

mit einer positiven Zahl
gilt; eine Basis
des Tangentialraums in einem Punkt
sei positiv orientiert, wenn

gilt.
Zwei Orientierungen heißen äquivalent, wenn sie sich um einen überall positiven Faktor unterscheiden; diese Bedingung ist äquivalent dazu, dass sie auf jedem Tangential- oder Kotangentialraum dieselbe Orientierung definieren.
Ist
zusammenhängend, so gibt es entweder bis auf Äquivalenz genau zwei oder gar keine Orientierungen.
heißt orientierbar, wenn eine Orientierung von
existiert.
Siehe auch Orientierung (Mathematik)
Es sei wieder
, und wir nehmen an, auf
sei eine Orientierung gewählt. Dann gibt es ein kanonisches Integral

für
-Formen
. Ist
eine offene Teilmenge,
eine positiv orientierte Basis und

so ist

das Integral auf der rechten Seite ist das gewöhnliche Lebesgue-Integral.
Aus dem Transformationssatz folgt, dass diese Definition unabhängig von Koordinatenwechseln ist.
Satz von Stokes
Ist
eine kompakte orientierte
-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand
, und versieht man
mit der induzierten Orientierung, so gilt für jede
-Form

Dieser Satz ist eine weitreichende Verallgemeinerung des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung.
Ist
geschlossen, d. h. gilt
, so folgt

für jede exakte
-Form
, d.h. falls
. Zur Verdeutlichung der genannten Eigenschaft von
benutzt man oft die Formulierung mit einem Kreis-Integral:
.
Wie auch immer, das Integral definiert eine Abbildung

Ist
zusammenhängend, so ist diese Abbildung ein Isomorphismus. Man kommt damit zur De-Rham-Kohomologie zurück (s.o.). Insbesondere gilt die folgende Korrespondenz:
für alle M
für alle
.
Siehe auch Satz von Stokes
Ist
eine differenzierbare Abbildung zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten, so ist für
die mittels
zurückgeholte Form
wie folgt definiert:

Dabei ist
die durch f induzierte Abbildung der Ableitungen. Mit den anderen Operationen ist das Zurückziehen verträglich, es gilt
- 1.)

(pedantisch geschrieben: auf der linken Seite
, auf der rechten Seite dagegen
),
und
- 2.)

für alle
.
Insbesondere induziert
eine Abbildung

wobei die Umkehr der Pfeilrichtung gegenüber
zu beachten ist ( "pull-back", „Kohomologie“ statt „Homologie“).
Davon abgesehen, können die "pull-back"-Operationen von Differentialformen aber i.W. als „trivial“ bezeichnet werden.
Betrachtet werden äußere Formen in einem n-dimensionalen Raum, in dem ein inneres Produkt (Metrik) definiert ist, so dass eine orthonormale Basis
des Raumes gebildet werden kann. Die zu einer äußeren Form von Grad k in diesem n-dimensionalen Raum duale Form ist eine (n-k)-Form

Dabei seien beide Seiten in orientierter Form geschrieben. Formal wird die duale Form durch Anwendung des (Hodge) *-Operators bezeichnet. Speziell für Differentialformen im dreidimensionalen euklidischen Raum ergibt sich:



mit den 1-Formen dx, dy dz. Dabei wurde berücksichtigt, dass die orientierte Reihenfolge hier (y,z), (x,y) und (z, x) ist (zyklische Verschiebungen in (x,y,z)).
Das *-Symbol soll die Tatsache unterstreichen, dass damit ein inneres Produkt im Raum der Formen auf einem zugrundeliegenden Raum M gegeben ist, denn
lässt sich für zwei k-Formen
und
als Volumenform schreiben und das Integral

liefert eine reelle Zahl. Der Zusatz dual zeigt an, dass die zweifache Anwendung auf eine k-Form wieder die k-Form ergibt, bis auf das Vorzeichen, das gesondert betrachtet werden muss. Genauer gilt für eine k-Form in einem n-dimensionalen Raum, dessen Metrik die Signatur s hat (s=+ 1 im euklidischen Raum, s= - 1 im Minkowski-Raum):

Oben wurde gezeigt, wie sich im 3-dimensionalen euklidischen Raum bei äußerer Ableitung einer 1-Form
die 2-Form
ergibt mit den Komponenten des Rotations-Vektors der Vektoranalysis als Koeffizienten. Diesen rot-Vektor kann man mit Hilfe des *-Operators nun auch formal direkt als 1-Form schreiben:
. Analog wird der *-Operator zur „Übersetzung“ des oben formulierten Satzes von Stokes in die Vektoranalysis-Form benutzt.
Die relativistischen Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik auf einer vierdimensionalen Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit M (mit Metrik
und Determinante der Metrik g, wobei hier natürlich die Signatur eines Minkowski-Raumes gilt, etwa
, entsprechend der früher gegebenen Definition der Pseudo-Länge
) lauten beispielsweise unter Verwendung dieser Symbolik:

(die so genannte Bianchi-Identität) und

mit dem elektromagnetischen Feldtensor ausgedrückt als 2-Form

und dem Strom (geschrieben als 3-Form)

Hierbei ist
das Antisymmetrisierungs-Symbol (Levi-Civita-Symbol) und das Semikolon steht für die kovariante Ableitung. Wie üblich wird über doppelt vorkommende Indices summiert (Einstein-Summenkonvention) und es werden natürliche Einheiten verwendet (Lichtgeschwindigkeit c ersetzt durch 1). Durch Anwendung des *-Operators kann man den zweiten Satz der vier Maxwellgleichungen auch alternativ mit einer 1-Form für den Strom schreiben. Aus den Maxwellgleichungen sieht man, dass
und
in der Elektrodynamik ganz unterschiedlichen Gleichungen gehorchen, die Dualität also keine Symmetrie dieser Theorie ist. Das liegt daran, dass die Dualität elektrische und magnetische Felder vertauscht, in der Elektrodynamik aber keine magnetischen Monopole bekannt sind. Die freien Maxwellgleichungen, d.h. für
, haben dagegen duale Symmetrie.
Die Besonderheiten, die sich beim Übergang zum Dualen dadurch ergeben, dass der Elektrodynamik nicht der euklidische Raum
, sondern der Minkowski-Raum
zugrunde liegt, wurden in einem früheren Paragraphen bereits angedeutet und hier benutzt.
Eichinvarianz
Wegen
ist für exaktes
die Potentialform
nur bis auf einen additiven Zusatz
eindeutig:
und
ergeben dasselbe
, mit willkürlicher Eichform
. Man kann diese zusätzliche sog. Eichfreiheit dazu benutzen, um punktweise eine zusätzliche Nebenbedingung für
zu erfüllen. In der Elektrodynamik fordert man beispielweise, dass für
überall die zusätzliche sog. Lorentz-Bedingung (Lorentz-Eichung)
gilt (in den vier Komponenten lautet diese Bedingung einfach
). Dann ergibt sich schließlich als Lösung aller vier Maxwell-Gleichungen das sog. „retardierte Potential“: Man kann zeigen, dass sowohl Fehler beim Parsen (SVG (MathML kann über ein Browser-Plugin aktiviert werden): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „http://localhost:6011/de.wikipedia.org/v1/“:): {\displaystyle \mathbf F=\mathrm d\mathbf A}
als auch Fehler beim Parsen (SVG (MathML kann über ein Browser-Plugin aktiviert werden): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „http://localhost:6011/de.wikipedia.org/v1/“:): {\displaystyle d(*\mathbf F )=\mathbf J}
als auch besagte Nebenbedingung genau dann gelten, wenn man für
komponentenweise folgendes Coulomb-artige Integral mit Retardierung benutzt
Siehe auch
Literatur
- Shigeyuki Morita Geometry of differential forms, American Mathematical Society 2001, ISBN 0821810456 (viel Anschauung in diesem Buch)
- Harley Flanders Differential forms with applications to the physical sciences, Academic Press 1963