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Beneš-Dekrete

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Allgemeines

Die Beneš-Dekrete sind 143 Dekrete, die Edvard Beneš während seiner Regierungszeit erließ und die später nachträglich vom tschechoslowakischen Parlament gebilligt wurden.

15 von ihnen waren neben dem Potsdamer Abkommen (Artikel XIII) unter anderem die Voraussetzung für die Enteignung der meisten Sudetendeutschen wie auch vieler Ungarn ab 1945. Die Dekrete galten für alle Einwohner, die sich bei der letzten Volkszählung in der ČSR als Deutsche oder Ungarn deklariert hatten, sowie für Ausländer mit fremder Staatsbürgerschaft. Auch deutschsprachige Mitläufer des Nazi-Regimes aus den dem Reich angrenzenden Ländern wurden enteignet und ausgewiesen, wobei es sich allerdings in der Regel - wie etwa bei durchaus nicht wenigen Südtirolern - um so genannte Volksdeutsche handelte, die während der Okkupation Tschechiens (Reichsprotektorat Böhmen und Mähren) das Versprechen von "Lebensraum im Osten" geglaubt hatten und während des Krieges in Böhmen meist auf geraubten tschechischen Bauernhöfen und Anwesen angesiedelt worden waren. Dies war Teil einer Übereinkunft zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini gemäß dem nationalsozialistisch-faschistischen Ideologem, dass Staatsgrenzen mit Volkstumsgrenzen übereinzustimmen hätten. - Gelegentlich wurde jedoch selbst die Enteignung freiwillig ausgereister Juden und anderer schon von den Nazis Verfolgter mit den Dekreten (nachträglich) gerechtfertigt, aus deren Wortlaut sich kaum auf eine geplante massenweise und systematische Abschiebung (tschech. odsun) schließen lässt - diese erfuhr ihre praktische Abwicklung im tatsächlichen Umfang erst durch den Bezug auf das Potsdamer Abkommen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und deren Duldung sowie durch den anhebenden Kalten Krieg, während dessen Anfangsphase zunächst einmal die Interessens- und Einflusssphären der Blöcke im Nachkriegseuropa festgelegt wurden.

Die Entstehungsgeschichte der Dekrete

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Die Dekrete im Selbstverständnis der Zweiten Tschechoslowakischen Republik

(noch zu bearbeiten)

Stand der Dinge

Die nach wie vor rechtskräftigen Dekrete sind seit Jahrzehnten der Hauptzankapfel zwischen Vertriebenenverbänden in Deutschland bzw. Österreich und der Tschechoslowakei bzw. jetzigen Tschechischen Republik. Forderungen nach ihrer Aufhebung wurden in jüngster Vergangenheit vom CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber, vom österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, vom damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Péter Medgyessy u.a. erhoben. Die Gegner argumentieren, dass die Dekrete sich gegen eine bestimmte ethnische Gruppe in der Regel ohne Ansehen von persönlicher Schuld und auch ohne Ansehen von Verdiensten im Widerstand gegen das Nazi-Regime richteten und damit rechtsstaatlichen Prinzipien widersprächen. Im speziellen Einzelfall wurden Ausnahmen von der Regel gemacht; allerdings fiel ihr Eigentum bei selbstgewählter Ausreise an den sich neu formierenden tschechoslowakischen Staat. An beweglichen Sachen konnten freiwillig Ausreisende soviel mitnehmen, wie sie wollten (oder technisch konnten), während "Verrätern" an der Ersten Tschechoslowakischen Republik lediglich 40 Kilogramm pro Person zugestanden wurden. Als Verräter galten jene, die die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zugunsten einer anderen (als z.B. der des Deutschen Reiches) aufgegeben hatten, was in den zum wesentlichen Teil von Beneš im Londoner Exil verfassten Dekreten allerdings der Ansatz zu einer Beweislast-Umkehr war: Nicht alle antinazistischen und republiktreuen "Sudetendeutschen" haben es angesichts der Methoden Hitlers nach dem Einmarsch der Wehrmacht gewagt, selbst wenn sie es wollten, die aufgenötigte Reichszugehörigkeit auszuschlagen - der Preis dafür waren in der Regel Freiheit (im Extremfall: Konzentrationslager) oder Leben. Alternativ das Exil: Nicht wenige deutschböhmische Liberale, Christen, Sozialdemokraten und Kommunisten flohen 1938 vor den eigenen Landsleuten, ihren - in Nazi-Diktion - "Volksgenossen". Um jedoch die Verhältnisse klarzustellen, und darauf verweisen auch heute noch viele der die tschechische Sicht der Dinge Verteidigende in einer beliebten, wenn auch (ethisch und rechtlich) einigermaßen naiven Milchmädchenrechnung: 90 Prozent hätten zuletzt für den Nazi-Lakaien Konrad Henlein und seine Sudetendeutsche Partei gestimmt, und 90 Prozent der Sudetendeutschen seien "abgeschoben" worden...

Das Argument hinsichtlich der Verdienste im Widerstand gegen die Nazis wurde inzwischen auch deshalb hinfällig, weil für (aus freien Stücken ausgesiedelte) Antifaschisten die Beneš-Dekrete per (tschechischem) Verfassungsgerichtsurteil seit März 2002 vollständig aufgehoben sind - d.h. sie haben in Tschechien u.a. ausdrücklich Anspruch auf Wiedereinbürgerung und Entschädigung z.B. für unrechtmäßig erlittene Enteignungen.

Von tschechischer Seite wird im Übrigen argumentiert, dass die Benesch-Dekrete die Folge der deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus und der Okkupation Tschechiens waren und heutzutage "aufgebraucht" sind, also nicht mehr angewendet werden. In der Vergangenheit hatte man die Aufhebung der Dekrete stets von einer Nichtigerklärung des so genannten Münchner Abkommens von 1938 ex tunc (also von Anfang an) abhängig gemacht, was jedoch von der Bundesrepublik Deutschland (nicht jedoch der ehemaligen DDR) abgelehnt wurde und wird. Grund dafür sind zuvörderst die dann womöglich beiderseits zu erhebenden erheblichen Entschädigungsforderungen. So kommt es, dass sich beide Seiten - insbesondere nach dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik - im Status Quo eingerichtet haben, mag dieser staats- wie völkerrechtlich auch durchaus ungebrochen problematisch sein.

Zusammenfassung der Beneš-Dekrete

(Editorischer Hinweis: Diese Materialien wurden aus einer früheren, umstrittenen Version dieses Artikels übernommen und inhaltlich noch nicht geprüft. Es ist nicht sicher, ob sie wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Literatur und Weblinks wurden am 15. November 2004 ergänzt. - Hinweis von Astronom, 2. Januar 2005: Die Texte stimmen.)

Erstes Enteigungsdekret (Juni 1945)

Dekret Nr.12: Konfiskation des Agrarvermögens der Deutschen und Ungarn

Dekret des Präsidenten der Republik vom 21. Juni 1945 über die Konfiskation und beschleunigte Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und des slowakischen Volkes. Slg. Nr. 12

Um dem Rufe der tschechischen und slowakischen Bauern und Landlosen nach einer konsequenten Verwirklichung einer neuen Bodenreform entgegenzukommen und geleitet vor allem von dem Streben, ein für alle mal den tschechischen und slowakischen Boden aus den Händen der fremden deutschen und madjarischen Gutsbesitzer wie auch aus den Händen der Verräter der Republik zu nehmen und ihn in die Hände des tschechischen und slowakischen Bauerntums und der Landlosen zu geben, bestimme ich auf Vorschlag der Regierung:

§ 1.1 Mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht:

a) aller Personen deutscher und madjarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit.

§ 1.2 Personen deutscher und madjarischer Nationalität, die sich aktiv am Kampf für die Wahrung der Integrität und die Befreiung der tschechoslowakischen Republik beteiligt haben, wird das landwirtschaftliche Vermögen nach Absatz 1 nicht konfisziert.

§ 2.1 Als Personen deutscher oder madjarischer Nationalität gelten Personen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit 1929 zur deutschen oder madjarischen Nationalität bekannten oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischen Parteien wurden, die sich aus Personen deutscher oder madjarischer Nationen zusammensetzten.


Arbeitspflicht (Zwangsarbeit)

Dekret Nr. 71: Arbeitspflicht (Zwangsarbeit) aller Deutschen und Ungarn

2.) Dekret des Präsidenten der Republik vom 19. September 1945 über die Arbeitspflicht der Personen, welche die tschecho-slowakische Staatsbürgerschaft verloren haben. Slg. Nr. 71

Auf Vorschlag der Regierung bestimme ich:

§ 1.1 Zur Beseitigung und Wiedergutmachung der durch den Krieg und die Luftangriffe verursachten Schäden, wie auch zur Wiederherstellung des durch den Krieg zerrütteten Wirtschaftslebens wird eine Arbeitspflicht der Personen eingeführt, die nach dem Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik vom 2. August 1945, Slg. Nr. 33, über die Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Personen deutscher und madjarischer Nationalität, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren haben. Die Arbeitspflicht erstreckt sich auch auf Personen tschechischer, slowakischer oder einer anderen slawischen Nationalität, die sich in der Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik um die Erteilung der deutschen oder der madjarischer Staatsangehörigkeit beworben haben, ohne dazu durch Zwang oder besondere Umstände gezwungen zu sein.

§ 2.1 Der Arbeitspflicht unterliegen Männer vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr und Frauen vom vollendeten 15. bis zum vollendeten 50. Lebensjahr.

§ 2.2 Von der Arbeitspflicht sind befreit:

a) körperlich oder geistig untaugliche Personen, solange dieser Zustand dauert;

b) schwangere Frauen, vom Beginn des vierten Monates der Schwangerschaft

c) Wöchnerinnen, für die Zeit von sechs Wochen nach der Niederkunft und

d) Frauen, die für Kinder unter sechs Jahren zu sorgen haben.


Haupt-Enteigungsdekret (Oktober 1945)

Dekret Nr. 108: Enteignung der Deutschen und Ungarn sowie tschechischer und slowakischer Kollaborateure

Dekret des Präsidenten der Republik vom 25. Oktober 1945 über die Konfiskation des feindlichen Vermögens und die Fonds der nationalen Erneuerung. Slg.Nr. 108

Auf Vorschlag der Regierung und im Einvernehmen mit dem Slowakischen Nationalrat bestimme ich:

Teil I Konfiskation des feindlichen Vermögens.

§ 1 Umfang des konfiszierten Vermögens.

§ 1.1 Konfisziert wird ohne Entschädigung - soweit dies noch nicht geschehen ist - für die Tschechoslowakische Republik das unbewegliche und bewegliche Vermögen, namentlich auch die Vermögensrechte (wie Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte), das bis zum Tage der tatsächlichen Beendigung der deutschen und madjarischen Okkupation im Eigentum stand oder noch steht:

1. des Deutschen Reiches, des Königreiches Ungarn, von Körperschaften des öffentlichen Rechtes nach deutschem oder ungarischem Recht, der deutschen nazistischen Partei, der madjarischen politischen Parteien und Personenvereinigungen, Fonds und Zweckvermögen dieser oder der mit derer Formationen, Organisationen, Unternehmungen, Einrichtungen, Personenvereinigungen, Fonds und Zweckvermögen dieser oder der mit ihnen zusammenhängenden Regime, wie auch anderer deutscher oder ungarischer juristischer Personen, oder

2. natürlicher Personen deutscher oder madjarischer Volkszugehörigkeit mit Ausnahme von Personen, die nachweisen, dass sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen haben und sich entweder aktiv am Kampfe für deren Befreiung beteiligt oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben.


So genanntes "Amnestiegesetz" (Legalisierung der Vertreibungsverbrechen)

Gesetz Nr. 115/1946: Legalisierung der Vertreibungsverbrechen bis zum 28. Oktober 1945

Gesetz vom 8. Mai 1946 über die Rechtmäßigkeit von Handlungen, die mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen. Slg. Nr. 115.

Die vorläufige Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik hat folgendes Gesetz beschlossen:

§ 1 Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.

§ 2.1 Ist jemand für eine solche Straftat bereits verurteilt worden, so ist nach den Vorschriften über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens vorzugehen.

§ 2.2 Zuständig ist das Gericht, vor dem das Verfahren erster Instanz stattgefunden hat oder, falls ein solches Verfahren nicht stattgefunden hat, das Gericht, das jetzt in erster Instanz zuständig sein würde, wenn die Rechtswidrigkeit der Tat nicht nach § 1 ausgeschlossen wäre.

§ 2.3 Trifft mit einer in § 1 genannten Tat eine Straftat zusammen, für die der Angeklagte durch dasselbe Urteil verurteilt wurde, so fällt das Gericht für diese andere Tat durch Urteil eine neue Strafe unter Berücksichtigung des bereits erfolgten Schuldspruches.

§ 3 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft; es wird vom Justizminister und vom Minister für nationale Verteidigung durchgeführt.


Weitere wichtige Dekrete

- Dekret über die Nichtigkeit aller vermögenswirksamen Rechtsgeschäfte von Oktober 1938 bis Anfang Mai 1945 (Hinweis: Dieses Dekret war im Kern völkerrechtekonform, wurde aber hinsichtlich der Enteignung der Juden in der NS-Zeit von der Tschechoslowakei nur selten angewendet.)

- Dekret über die rückwirkende Legalisierung der Internierung von Deutschen und Magyaren (Ungarn) zum Zwecke ihres späteren Abschubs.

- Verfassungsdekret Nr. 33 vom 2. August 1945 über die Ausbürgerung der Deutschen und Magyaren.

- Dekret über die Auflösung der deutschen Universitäten in Prag und Brünn, rückwirkende Aberkennung der von ihnen verliehenen akademischen Grade.

- Gesetz über die Liquidierung der Rechtsverhältnisse der deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien (kein Benesch-Dekret im enegern Sinne).

- Dekret über die Schaffung eines zentralen Besiedelungsamtes mit Außenstellen in Prag und Preßburg (Bratislava). In seine Zuständigkeit fiel auch die Organisation der geregelten Vertreibung des Jahres 1946.


Hinweis: Ein eigentliches Vertreibungsdekret oder -gesetz existiert nicht. Einige Dekrete hatten befristete Wirkung, das Ausbürgerungs- und die beiden Enteignungsdekrete gelten unbefristet.

Literatur

  • Coudenhove-Kalergi, Barbara/Rathkolb, Oliver: Die Beneš-Dekrete. Wien: Czernin Verlag, 2002. - ISBN 3-707-60146-3
  • Weblink Collegium Carolinum: Arbeitsbibliographie zur Geschichte von Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus den böhmischen Ländern bzw. der Tschechoslowakei (in Auswahl) - Zusammengestellt von Robert Luft

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(Das polnische Pendant zu den Beneš-Dekreten. Ein bislang höchst fragwürdiger Artikel, der der Überarbeitung harrt...)