Schwangerschaftsabbruch
Bei einem Schwangerschaftsabbruch, auch Abtreibung (med.: Abortion) genannt, wird der Embryo bzw. das ungeborene Kind aus dem Mutterleib entfernt. Dabei muss dafür gesorgt werden, dass das Kind zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsabruchs nicht selbständig lebensfähig ist.
Rechtslage
Der Schwangerschaftsabbruch wird in Deutschland im §218 des Strafgesetzbuches geregelt. Er ist rechtswidrig, nach heutigem Recht aber bis zum dritten Schwangerschaftsmonat straffrei, wenn vor dem Eingriff eine Beratung stattgefunden hat. Rechtskonform ist die Abtreibung bis zur Geburt, wenn Gefahr für das Leben oder eine schwerwiegende körperliche Beeinträchtigung besteht und dies nur durch eine Abtreibung verhindert werden kann. Das Gesetz regelt an dieser Stelle nicht, wer für die Beurteilung in einem solchen Fall zuständig ist. In der Praxis nimmt dies der behandelnde Arzt vor. Auch ist eine Abtreibung bis zur 12. Woche rechtskonform, wenn eine so genannte kriminologische Indikation vorliegt (Vergewaltigung, Nicht-Zustimmungsfähigkeit der Partnerin). Im Falle einer Abtreibung nach Beratung zwischen der 12. und 22. Woche bleibt die Mutter selbst straffrei, der Arzt handelt jedoch strafbar
Sollte das Kind die Abtreibung überleben, muss Erste Hilfe geleistet werden. In diesem Fall besteht die Gefahr schwerster körperlicher und geistiger Behinderung.
Die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche sowie viele evangelikale Christen lehnen die Abtreibung generell als schweres Vergehen und Tötung des ungeborenen Kindes ab.
Geschichtliche und Philosophische Standpunkte zur Abtreibungsfrage
Naturreligionen
In animistischen und Naturreligionen gilt die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch noch heute generell als Privatangelegenheit der Frau. Diese Philosophien glauben allgemein an Seelenwanderung. Somit wird ein Schwangerschaftsabbruch nicht als Töten eines Kindes angesehen, sondern als die von der Mutter angebotene Möglichkeit, zu einem besser geeigneten Zeitpunkt wiederzukehren. Dies erklärt auch die erhöhte Zahl der Kindstötungen in diesen Kulturkreisen.
Hinduismus
In den Ländern des fernen Ostens war die Abtreibung bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Bewegungen des Kindes spürbar wurden (ungefähr ab dem 5. Monat), legal. In der Philosophie der Brahmanen hatte das Kind bis zu diesem Zeitpunkt keine Seele und konnte deshalb straflos zerstört werden. Sobald es sich jedoch selbständig bewegte, hatte es eine Seele, und eine Frau, die ihren Fötus dann noch abtrieb, musste sich wegen Kindsmord rechtfertigen.
Antike
Sowohl im alten Griechenland wie auch im römischen Recht war Abtreibung ebenso wie Kindsaussetzung erlaubt - auch ein lebendgeborenes Kind bekam im römischen Recht erst durch die Anerkennung des Vaters ein Existenzrecht. Blieb diese aus, wurde das Kind ausgesetzt.
Judentum
Das antike Judentum war gegen Kindstötung und prinzipiell aus gegen Abtreibung, es sein denn, dass das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft gefährdet war. z.B. Philo von Alexandria (1. Jahrhundert) verurteilte die Nichtjuden wegen der weit verbreiteten Praktiken von Abtreibung und Kindstötung.
Christentum
Das Christentum war von Anfang an gegen die Abtreibung. Bereits die Didache, einer der frühesten nicht-biblischen Texte sagt in Kapitel 2 "Du sollst nicht töten, ...du sollst kein Kind abtreiben, du sollst kein Neugeborenes töten." Auch der etwa gleichzeitige Clemens von Rom und spätere Kirchenväter (Basilius von Caesarea, Augustinus von Hippo, Johannes Chrysostomus sprachen sich einhellig gegen die Abtreibung aus.
Im Katholizismus des Mittelalters wurde die Abtreibung eines belebten Fötus als Mord bezeichnet (Todesstrafe und Exkommunikation), die Abtreibung eines nicht-belebten Fötus (bevor Kindsbewegungen spürbar waren) war ebenfalls Sünde, aber kein Mord (3 bis 14 Jahre Busse, je nach Fall).
In der Aufklärung kam von ärztlicher Seite die Sicht, dass der Fötus von Anfang an belebt ist. Das führte Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa und in Amerika dazu, dass der Schwangerschaftsabbruch zur Straftat erklärt wurde. 1869 erließ Pius IX. ein generelles Abtreibungsverbot, und erklärte, das Kind würde seine Seele bereits zum Zeitpunkt der Befruchtung empfangen. Dieses Abtreibungsverbot gilt in der katholischen Kirche bis heute.
Die orthodoxe Kirche beruft sich auf die Kirchenväter und hat Abtreibung immer als Sünde gesehen. Aber auch namhafte evangelische Theologen (im 20. Jahrhundert z.B. Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth) haben sich entschieden gegen die Abtreibung ausgesprochen.
Frauenbewegung
Die Frauenbewegung setzte sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts für die Straffreiheit der Abtreibung, teilweise auch für das Recht dazu, ein. Gräfin Bülow von Dennewitz aus Dresden war Vorkämpferin des Rechtes auf Geburtenregelung. Linke Politiker und Ärzte wie Friedrich Wolf ("Zyankali") unterstützten diese Forderung aus sozialen Gründen. In der DDR bestand ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche. In der BRD wurde heftig darum gekämpft, besonders die Anzeigenkampagne, bei der sich hunderte von Frauen "outeten" trieb die Diskussion voran.
Die Entwicklung des deutschen Rechts zur Abtreibung
- 1532: Der Begriff Abtreibung" taucht zum ersten Mal in der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl des V. auf. Strafe für die Abtreibung: Folter durch den „glühenden Zangenriss“ und Tod durch das Schwert.
- 1768: Unterzeichnung der „Constitutio criminalis" von Kaiserin Maria Theresia. Strafe für die Abtreibung: Hinrichtung durch das Schwert. In der Folgezeit war auch das Auspeitschen lediger Schwangerer an der Tagesordnung.
- 1794: Das „Allgemeine Preußische Landrecht“ setzt vorübergehend geringere Strafen fest wie z.B.
- 1813: im Strafgesetz für Bayern, das für Selbstabtreibung die Strafe von 4 bis 8 Jahren Arbeitshaus vorsieht, bei Fremdabtreibungen eine 16 bis 20jährige Zuchthausstrafe.
- 1870: Das Preußische Strafgesetzbuch wird verabschiedet, das Abtreibungen per Gesetz verbietet
- 15.05.1871: die Urfassung des § 218 des Strafgesetzbuches tritt in Kraft, in der eine Schwangere, die ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft wird. Bei „mildernden Umständen“ konnte die Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe umgewandelt werden.
- 1909: Mehrere Entwürfe aus dem Reichstag sehen eine Änderung des § 218 vor mit dem Ziel der Strafmilderung.
- 1920: Antrag der SPD im Reichstag, den Schwangerschaftsabbruch in den ersten 3 Monaten straflos zu lassen, scheitert an den Mehrheitsverhältnissen im Reichstag.
- 1926: Abtreibung wird vom Verbrechen zum Vergehen gemildert und nur noch mit Gefängnis bestraft.
- 1943: Verschärfung der Strafe bei Abtreibung für den Fall, dass die Lebenskraft des deutschen Volkes fortgesetzt beeinträchtigt wird. Die Todesstrafe für Abtreiber wird vorgesehen. Andererseits bleibt eine Abtreibung straflos, wenn sie die Fortpflanzung minderer Volksgruppen verhindert.
- 1945 - 1948: Durch Gesetze der Besatzungsmächte wird die NS-Strafrechtsnovelle aufgehoben. Die Abtreibung bleibt aber strafbar.
- 04.08.1953: Abschaffung der Todesstrafe für Fremdabtreibung.
- Mitte der 60er Jahre: Die aufkommende „Frauenbewegung" und die Emanzipationswelle fordern in vielen Demonstrationen („Mein Bauch gehört mir") die Abschaffung des Jahre § 218 StGB. Es kommen mehrere Entwürfe zur Reform des Strafrechts in den Bundestag, die aber erst nach der Regierungsbildung unter Willi Brandt ab 1972 nach und nach beraten werden können und am
- 18.06.1974: zur so genannten Fristenlösung führt, die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft straffrei lässt. Der Jubel darüber bekommt sofort vom BVerfG, das von der CDU/CSU angerufen wird, einen Dämpfer:
- 21.06.1974: einstweilige Anordnung, dass diese Fristenregelung in wesentlichen Teilen verfassungswidrig sei. Die Reform tritt somit nicht in Kraft.
- 25.02.1975: Urteil des BVerfG, dass die Fristenlösung wesentliche Teile des Grundgesetzes verletzen würde. Es wird eine so genannte Indikationslösung vorgeschlagen.
- 18.05.1976: Neufassung des § 218 StGB tritt in Kraft und sieht grundsätzlich eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder eine Geldstrafe für denjenigen vor, der eine Schwangerschaft abbricht. In besonders schweren Fällen ist eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren möglich. Begeht die Schwangere die Tat, so wird sie mit einer Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr bestraft. Eine Geldstrafe ist aber auch möglich. Lediglich in 4 Fallen (Indikationen) bleibt ein Schwangerschaftsabbruch straffrei.
- 03.10.1990: alte Bundesländer: Indikationsregelung, neue Bundesländer: Fristenregelung (DDR Abtreibungsgesetz).
- 26.06.1992: Bundestag verabschiedet Schwangeren und Familienhilfegesetz: Fristenregelung mit Beratungspflicht.
- 04.08.1992: Einstweilige Anordnung des BVerfG (s.o.).
- 05.08.1992: Schwangeren und Familienhilfegesetz tritt teilweise in Kraft. Es treten nicht in Kraft: Art. 13 Nr. 1 = Änderung des Strafgesetzbuches und Art. 16 = Aufhebung der auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fortgeltenden Vorschriften.
- 28.05.1993: Urteil des BVerfG: Übergangsregelung für das gesamte Bundesgebiet ab 16.06.1993.
- 25.08.1995: Veröffentlichung des Schwangeren und Fmilienhilfeänderungsgesetzes. Es tritt in wesentlichen Teilen am 01.10.1995 in Kraft.
Literatur
- Jütte, Robert (Herausgeber): Geschichte der Abtreibung. Von der Antike bis zur Gegenwart.. C.H.Beck, Beck'sche Reihe, 1993