Eugen Dühring
Karl Eugen Dühring (Rufname: Eugen, * 12. Januar 1833 in Berlin; † 21. September 1921 in Babelsberg) war Philosoph, Nationalökonom und einflussreicher Mitbegründer eines pseudowissenschaftlichen Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich.
Ausbildung und akademische Tätigkeit
Dühring studierte Jura in Berlin und arbeitete bis 1859 zunächst als Anwalt. Da er früh unter einer Sehschwäche litt, die sich bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr zu völliger Blindheit entwickelte, musste er aus dem Justizdienst ausscheiden. Trotz dieser Behinderung setze er seine Studien in unterschiedlichen Fachgebieten wie Nationalökonomie, Philosophie, Mechanik, Logik, Ethik, Literatur fort.
1863 habilitierte sich Dühring in Philosophie, 1864 auch in Nationalökonomie. Im selben Jahr erhielt er eine Dozentenstelle an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Dort geriet er jedoch in Konflikte mit Professorenkollegen. Nachdem er zudem die Universität als wissenschaftliche Einrichtung wiederholt angegriffen hatte, verlor er 1877 seine Lehrbefugnis. Von da an arbeitete er bis zu seinem Tod 1921 als Privatgelehrter. Zu seinen wichtigsten Werken gehören: "Der Werth des Lebens" (1865), "Kritische Geschichte der Philosophie" (1869), "Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus" (1871) oder "Die Größen der modernen Literatur" (1893).
Denken
Positivismus, Atheismus und Materialismus
Neben Ernst Mach und Richard Avenarius war Dühring wichtiger Vertreter des deutschen Positivismus. Als konsequenter Atheist erkannte er nur sinnliche Wahrnehmungen und daraus abgeleitete Verstandesschlüsse als Wirklichkeit an und behauptete gegen Immanuel Kant die Übereinstimmung von objektiver Realität mit ihrer naturwissenschaftlichen Beschreibung.[1] Mit diesem Anspruch bekämpfte er allen Subjektivismus und Idealismus, alle Religion und Metaphysik. Er lehrte in Anlehnung an Auguste Comte und Ludwig Feuerbach, aber gegen Hegel und Karl Marx eine „Wirklichkeitsphilosophie“, die ihm zufolge „Prinzip allseitiger Gestaltung des Lebens“ werden sollte. Dabei beschrieb er die Rassen als Ergebnis der natürlichen Entwicklung der Menschheit.[2]
Nationalökonomie und antimarxistischer Sozialismus
Seine nationalökonomischen Anschauungen gewann Dühring überwiegend in Auseinandersetzung mit Friedrich List. Er positionierte seinen rassischen „Sozialismus des arischen Volkes“ [3] seit 1865 scharf gegen Marx, aber auch gegen Ferdinand Lassalle. Nach dem Verlust seiner Lehrbefugnis gewann er zunehmend Sympathien in der SPD. Eduard Bernstein setzte sich für ihn bei der Parteiführung ein, auch Anarchisten oder andere Antimarxisten beriefen sich auf ihn. Auf dem Gothaer Parteitag 1877 verlangten Dührings Anhänger in der SPD, dass Aufsätze von Friedrich Engels nicht mehr im Vorwärts erscheinen sollten. Dies veranlasste Engels 1878 zu seiner Gegenschrift Anti-Dühring.
Seit den Sozialistengesetzen ging Dührings Einfluss auf die Arbeiterbewegung rapide zurück.[4]
Rassistischer Antisemitismus
1881 erschien Dührings Kampfschrift Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage mit einer weltgeschichtlichen Antwort. Der Autor stellte die darin vertretene rassentheoretische Argumentation als Begründung des eigentlichen Antisemitismus dar. Er beschrieb die „Judenfrage“ – ähnlich wie vor ihm Wilhelm Marr, aber anders als dieser mit wissenschaftlichem Anspruch – als Ausdruck eines Rasse-Gegensatzes zwischen Judentum und Deutschtum. Die traditionellen Angriffe kirchlicher Theologen wie August Rohling auf den Talmud hielt er für nebensächlich und berief sich auf einen „natürlichen Instinct“ der christianisierten Bevölkerung: Das „niedere Volk und der gewöhnliche Bürgerstand“ hätten die Eigenart des Judentums trotz religiöser Irreführung durch „Priesterleitung und unzulängliche Religionsaufklärung“ immer gespürt. Dies sei aus der Geschichte nachweisbar: So habe das Volk getaufte Juden dennoch immer als Juden, nicht als Christen betrachtet. Entfalle die religiöse Maskerade, dann werde „der Jude in seiner natürlichen und unveräußerlichen Beschaffenheit offenbar“.[5] In Sociale Rettung durch wirkliches Recht statt Raubpolitik und Knechtsjuristerei aus dem Jahre 1907 warnte Dühring, dass ein „Rassenkampf“ als „Vergeltung der Erregung von Classenhaß“ durch einen „jüdischen Socialismus“ aufkommen werde.
Rezeption
Dührings Schrift über die Judenfrage beeinflusste spätere Antisemiten wie Theodor Fritsch, der sich in seinem „Antisemiten-Katechismus“ von 1887 darauf berief[6], Houston Stewart Chamberlain und Georg von Schönerer.[7] Dührings antisemitische Ansichten fanden über diese Rezeption später in Rassenlehren des Nationalsozialismus Eingang. So erschien Fritschs Antisemitenkatechismus in späteren Auflagen als „Handbuch der Judenfrage“ und ab der 41. Auflage 1940 mit einem Vorwort Adolf Hitlers.[8] Dührings Schriften wurden seit 1924 vom dazu gegründeten „Dühringbund“ neu aufgelegt, nochmals seit 1930. Auch heute wird Dühring als Prophet des Nationalsozialismus betrachtet.[9]
Für Theodor Herzl war Dühring einer der Begründer des rassistischen Antisemitismus, der ihn in den 1890er Jahren zur Überzeugung gebracht habe, dass nur der Zionismus die Zukunft des Judentums garantieren könne.[10]
Friedrich Nietzsche verachtete Dühring. In seinem Traktat „Zur Genealogie der Moral“ von 1887 schrieb er im Zusammenhang mit seiner Bewertung der asketischen Ideale:[11]
- Ich erinnere Leser, die Ohren haben, nochmals an jenen Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: Dühring, das erste Moral-Großmaul, das es jetzt gibt, selbst noch unter seinesgleichen, den Antisemiten.
Einzelbelege
- ↑ Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie III. Die Philosophie der Neuzeit: Eugen Dühring (1903)
- ↑ Philosophiewebsite zu Dühring
- ↑ Karlheinz Weissmann, The Epoch of National Socialism, Journal of Libertarian Studies 12/2, 1996, S. 261 (pdf)
- ↑ Karl Müller: Zur Entstehung und Wirkung von Engels "Anti-Dühring"
- ↑ zitiert nach Olaf Blaschke, Katholischer Antisemitismus im 19. Jahrhundert, orell füssli Verlag, Zürich 2000, ISBN 3-280-02806-X, S. 210f
- ↑ Andrea Geier, Topik des Antisemitismus, S. 5 (PDF Version); Faksimile des Handbuchs der Judenfrage, 49. Auflage, 1944 (pdf)
- ↑ Peter Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3525369549, S. 229
- ↑ Judith Gissing, Rassenhygiene und Schule im Dritten Reich, 2003, S. 17, FN 39 (pdf)
- ↑ Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Vom Konkurrenten des Karl Marx zum Vorläufer Hitlers: Eugen Dühring, in: Karl Schwedhelm (Hrsg.), Propheten des Nationalsozialismus, 1969, S. 36-55
- ↑ Shlomo Avineri: Herzls Weg zum Zionismus (englisch)
- ↑ Friedrich Nietzsche: Werke in zwei Bänden. München 1967, S. 260
Siehe auch
Werke
- Kapital und Arbeit, 1865
- Der Wert des Lebens, 1865
- Naturliche Dialektik, 1865
- Kritische Grundlegung der Volkswirtschaftlehre. Berlin, Eichhoff 1866
- Kritische Geschichte der Philosophie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin, Heimann 1869
- Kritische Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik, 1872
- Kursus der National- und Sozialökonomie, 1873
- Kursus der Philosophie, 1875, ab der 4. Auflage betitelt als Wirklichkeitsphilosophie
- Logik und Wissenschaftstheorie, 1878
- Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus. 3., theilweise umgearbeitete Auflage, Fues, Leipzig 1879
- Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage mit einer weltgeschichtlichen Antwort, 1881 (Digitalisat der 5. Auflage 1901, PDF)
- Die Ueberschätzung Lessings und dessen Anwaltschaft für die Juden. Reuther, Karlsruhe und Leipzig 1881
- Sache, Leben und Feinde. Als Hauptwerk und Schlüssel zu seinen sämmtlichen Schriften. Mit seinem Bildniss. Reuther, Karlsruhe und Leipzig 1882 (Autobiografie)
- Der Ersatz der Religion durch Vollkommeneres und die Ausscheidung alles Judenthums durch den modernen Völkergeist. Reuther, Karlsruhe und Leipzig 1883
- Die Ueberschätzung Lessings Und Seiner Befassung Mit Literatur. Thomas, Leipzig 1906
- Kritische Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik. Von der philosophischen Fakultät der Universität Göttingen mit dem ersten Preise der Beneke-Stiftung gekrönte Schrift. Fues, 3. Auflage, Leipzig 1887
- Die Größen der modernen Literatur populär und kritisch nach neuen Gesichtspunkten dargestellt. 2 Abtheilungen in 1 Band, Erstausgabe. Naumann, Leipzig 1893
- Sociale Rettung durch wirkliches Recht statt Raubpolitik und Knechtsjuristerei. 1907
- Der Werth des Lebens. Eine Denkerbetrachtung im Sinne heroischer Lebensauffassung. Siebente, wiederum durchgearbeitete Auflage, Reisland, Leipzig 1916
Literatur
Historische Darstellungen
- Hans Vaihinger: Hartmann,Dühring und Lange. Ein kritischer Essay. Iserlohn: Baedeker 1876
- Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. Leipzig: Genossenschafts-Buchdr. 1878
- Emil Döll: Eugen Dühring. Leipzig: Naumann 1893
- Robert Mayer: Dühring, Eugen, der Galilei des 19. Jahrhunderts. 2 Teile in 1 Bd. Chemnitz/Leipzig, Schmeitzner/Naumann 1880-95
- Karl Holleck-Weithmann: Eugen Dühring und die nordische Weltanschauung. Dühringbund: Hanau/Main 1934
- Dühringbund (Hrsg.): Eugen Dühring: seine Geisteshaltung im Leben und seine Bedeutung für die Nachwelt. „Sendbogen“-Ausgaben 9/1921 - 33/1927
- Arnold Voelske: Die Entwicklung des „rassischen Antisemitismus“ zum Mittelpunkt der Weltanschauung Eugen Dührings. Hamburg 1936 (Diss., 59 S.)
Heutige Darstellungen
- Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Vom Konkurrenten des Karl Marx zum Vorläufer Hitlers: Eugen Dühring. In: Karl Schwedhelm (Hrsg.): Propheten des Nationalismus. München 1969
- Jenette Jakubowski: Eugen Dühring. Antisemit, Antifeminist und Rassist. In: Barbara Danckwortt (Hrsg.): Historische Rassismusforschung. Ideologien, Täter, Opfer. Hamburg 1995
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Dühring, Karl Eugen |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Philosoph, Nationalökonom und antisemitischer Autor |
GEBURTSDATUM | 12. Januar 1833 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 21. September 1921 |
STERBEORT | Babelsberg |