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Altritualisten

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Als Altritualisten bezeichnet man Christen, welche die aus einer Liturgiereform hervorgegangene gottesdienstliche Ordnung ihrer Mutterkirche ablehnen. Sie berufen sich dafür in erster Linie auf die kirchliche Tradition, die sie gewöhnlich mit dem geschichtlich gewordenen Zustand zur eigenen Lebenszeit oder einer verklärten jüngeren Vergangenheit gleichsetzen. An Zusatzargumenten begegnen die Verteidigung des kulturellen Erbes, der Schönheit, des Kultisch-Mysteriösen und andere Gefühlswerte. Demgegenüber beruft sich die reformbereite Mutterkirche auf den „Geist gesunder Überlieferung“ (sana traditio), die „Norm der Väter“ und „Verhältnisse und Notwendigkeiten der Gegenwart“.

Beispiele

Bekannteste historische Beispiele des Altritualismus sind für die Russische Orthodoxe Kirche die sog. Altorthodoxen, für die Katholische Kirche die traditionalistischen Anhänger des Erzbischofs Marcel Lefebvre, die sich um die Priesterbruderschaft St. Pius X. mit eigenem Episkopat organisiert haben, sowie für die Anglikanische Gemeinschaft die Traditional Anglican Communion. In letzteren Fällen zeigt sich, dass der Altritualismus als Aushängeschild und Transportmittel der Ablehnung weiterer kirchlicher Reformvorgänge genutzt werden kann. Amtlich spricht man in Rom von Altritualisten als fidelibus catholicis, qui se vinctos sentiunt quibusdam antecedentibus formis liturgicis et disciplinaribus traditionis Latinae („katholische Gläubige, die sich an gewisse frühere Formen der Liturgie und Kirchenordnung lateinischer Tradition gebunden fühlen“).

Die altritualistische Abwendung von der Mutterkirche kann über den Nichtmitvollzug liturgischer Erneuerung (mit Unterstützervereinigungen, z.B. Una Voce) hinausgehen und die Gestalt einer kirchlichen Abspaltung („Schisma“) annehmen, mit der Tendenz zu stets weiterer Unterteilung. Zur Rechtfertigung dieses gewöhnlich als „Notmaßnahme“ dargestellten Schrittes klagt man die Großkirche des Verrats der Tradition an, verdächtigt oder beschuldigt sie der Häresie, bezweifelt oder bestreitet die Gültigkeit der nach erneuerter Ordnung gefeierten Sakramente, insbesondere der Weihe ihrer Priester und Bischöfe einschließlich des römischen Papstes (Sedisvakantisten; die „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ reordiniert auf Wunsch sub conditione).

Unionsversuche

Die kirchenhistorische Erfahrung lehrt, dass die Kirchenführungen sich früher oder später als pastoralen Gründen bereit zeigen, einigungswilligen Altritualisten die Pflege der älteren Gottesdienstgestalt und den Gebrauch zugehöriger liturgischer Bücher zu gestatten. Beide Seiten begründen diesen Vorgang pflichtgemäß mit dem Auftrag, die „Einheit der Kirche Christi“ zu wahren bzw. wiederherzustellen. Wesentliche Voraussetzung ist stets, dass die durch ein entsprechendes kirchenrechtliches Instrument, z. B. ein Indult, bedienten oder versöhnten Altritualisten die Rechtgläubigkeit und Legitimität der mutterkirchlichen Hierarchie, in Sonderheit ihrer Spitze, nicht oder nicht mehr in Frage stellen. Dies ist in der Russischen Orthodoxen Kirche seit 1800 durch die Eingliederung eines Teils der Altorthodoxen, der Edinovercy („Eingläubigen“), geschehen, denen das Moskauer Konzil von 1917/18 vier Vikarbischöfe zugestand. Gleiches geschieht seit der Veröffentlichung von „Ecclesia Dei Adflicta“ auch in der Katholischen Kirche in vielfältiger Form, so mit der Priesterbruderschaft St. Petrus und ähnlichen Vereinigungen bis hin zur Errichtung einer Apostolischen (= Päpstlichen) Personaladministration auf dem Gebiet eines bestehenden und ordnungsgemäß verfassten Bistums der römisch-katholischen Kirche. Überdies zeigt sich die Katholische Kirche inzwischen bereit, altritualistischen Gruppen der Anglikaner unter Beibehaltung ihrer liturgischen Traditionen volle kirchliche Gemeinschaft zu gewähren (Pastoral Provision).

Auf Seiten der Altritualisten führt die eingegangene Union gewisser Gruppen mit der Mutterkirche bzw. dem Papst von Rom in fast jedem Fall zur einer weiteren Spaltung, folglich zur Steigerung gesamtkirchlicher Uneinigkeit und Verhärtung bzw. Radikalisierung in Kreisen der Dissidenten. Auch für die Mutterkirche sind solche Re-Unionen - falls übereilt und unvorbereitet wirkend - nicht ohne Gefahren: Autoritätsverlust von Ortsbischöfen, Verlust an Glaubwürdigkeit kirchlichen Erneuerungswillens, Anschein der Ungleichbehandlung von Rebellen und Getreuen, Beeinträchtigung des rechten Verständnisses christlicher Tradition u. a. m.

Die im Gefolge von „Ecclesia Dei Adflicta“ innerhalb der Katholischen Kirche entstandenen altritualistischen Einrichtungen, von Kleininstituten über diverse Klöster bis zu einer Quasi-Diözese, wirken derzeit noch wie ein bunter Flickenteppich, versuchen sich aber in zunehmender Zusammenarbeit, wie z.B. bei der altritualistischen Abteilung des Kölner Weltjugendtages, Juventutem.

Zitat

„Die Wurzel dieses schismatischen Aktes [scil. des Altritualisten-Bischofs Marcel Lefebvre] ist in einem unvollständigen und widersprüchlichen Begriff der Tradition zu suchen: unvollständig, da er den lebendigen Charakter der Tradition nicht genug berücksichtigt, die, wie das Zweite Vatikanische Konzil sehr klar lehrt, »von den Aposteln überliefert, ... unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt: es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen, durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, wie auch durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben«.“

Aus: Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Ecclesia Dei Adflicta“, Motu proprio (mit Verurteilung von M. Lefebvre).

Literatur

Liste katholisch-altritualistischer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften

Zum Vergleich: Die katholische Kirche insgesamt zählt 1,08 Milliarden Mitglieder mit 4.695 Bischöfen, 405.450 Priestern, 31.524 ständigen Diakonen sowie 54.828 Ordensmänner und 776.269 Ordensfrauen (Stand: 2003).

Autonom

    • Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X. (Priesterbruderschaft St. Pius X.) (Abkürzung: FSSPX), gegründet 1970, mit weltweit vier Bischöfen und ca. 450 Priestern (davon etwa ein Drittel Franzosen).
    • Society of St. Pius V (Priesterbruderschaft St. Pius V.), gegründet 1983 (Ex-FSSPX), inzwischen in Untergruppen zerfallen, fünf Priorate und ein Schwesternkonvent („Sedisvakantisten“).
    • Istituto Mater Boni Consilii (alias Sodalitium Pianum), gegründet 1985 in Italien (Ex-FSSPX), Bischof: Geert Jan Stuyver (*14. März 1964), konsekriert 16. Januar 2002 durch Robert McKenna (seinerseits 1986 konsekriert durch Michel Louis-Bertrand Guérard des Lauriers), amtierend in Dendermonde (Belgien), etwa 24 Mitglieder, davon 10 Priester („Sedisvakantisten“).
    • Für weitere solcher Gruppen siehe Sedisvakantismus.
    • Église Sainte Marie, „Pfarrei ohne Grenzen“ mit Sitz in Mont Saint Aignan (Frankreich), gegründet 1964, lässt verheiratete Männer zur Priesterweihe und Geschiedene zur Kommunion zu; 13 Kleriker, darunter zwei Bischöfe: Mario Cornejo (Ex-Diözese Lima) und Maurice Cantor (Ex-Diözese Rouen).
    • Fraternité Sacerdotale Saint Jean l'Évangeliste (Priesterbruderschaft St. Johannes Evangelist) mit Sitz in Stoke (Kanada), gegründet 1987. Bischof: Charles-Rafaël Payeur (*1962), 1990 geweiht durch die Katholisch-Apostolische Kirche Brasiliens.
    • Priesterbruderschaft St. Josaphat (byzantinischer Ritus), unierte Ostkirche der FSSPX, verlangt die Beibehaltung des Kirchenslavischen als alleinige Liturgiesprache und von Frömmigkeitsübungen lateinischen Typs; gegründet 2000 in der Ukraine von sieben Priestern; kein Bischof (Priesterweihe im Römischen Ritus durch Bischöfe der FSSPX in Warschau: 2006 zwei, 2007 sieben Neupriester). Gründer und Leiter: Basil Kovpak, dessen Exkommunikation durch die griechisch-katholische Heimatkirche bestätigte am 21. November 2007 die vatikanische Glaubenskongregation.
    • Eglise Catholique Gallicane de Paris, hervorgegangen aus der „Église gallicane“, feiert „la Messe catholique traditionnelle de Saint Pie V“, Erzbischof-Primas: Dominique-Hubert Philippe
    • ...

in Gemeinschaft mit dem Papst

    • Fraternitas Sacerdotalis Sancti Petri (Priesterbruderschaft St. Petrus), Gesellschaft des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts, gegründet 1988 (Ex-FSSPX), weltweit (nach eigenen Angaben) etwa 200 Priester.
    • Institutum Christi Regis Summi Sacerdotis (Institut Christus König und Hoherpriester), Gesellschaft des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts, gegründet 1990, derzeit etwa 50 Mitglieder (Stand: 2006). Weiblicher Zweig: Anbetungsschwestern des königlichen Herzens Jesu Christi, 1 Niederlassung.
    • Fraternité Saint-Vincent-Ferrier, Chéméré-le-Roi (Mayenne, Diözese Laval, Frankreich), gegründet 1979 durch Louis-Marie de Blignières (Ex-FSSPX), als Institut des gottgeweihten Lebens päpstlichen Rechts errichtet 1988, mit früherer Dominikaner-Liturgie (1962er Fassung; „Alt-Dominikaner“), etwa 15 Mitglieder.
    • Institut St. Philip Neri, Gesellschaft des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts, Berlin (Ex-FSSPX), Vorsteher: Dr. Gerald Goesche (Ex-Diözese Aachen, dann Priester im Dienst der FSSPX), derzeit 5 Mitglieder.
    • Apostolische Personaladminstration St. Johannes Maria Vianney in der Diözese Campos (Brasilien) (ex-autonom in Ordinationsgemeinschaft mit FSSPX); Stand 2003: 1 Bischof, 26 Priester und 27.730 Gläubige (gegenüber 854.000 der eigentlichen Diözese Campos). Apostolischer Administrator ist seit 2002 Bischof Fernando Areas Rifan (ex-autonom).
    • Abbaye Sainte-Madeleine, Le Barroux (Diözese Avignon, Frankreich) (Ex-FSSPX), Benediktiner-Abtei mit weiblichem Zweig: Notre-Dame de l'Annonciation. Gründungsabt: Gérard Calvet (* 1926; Rücktritt: 2003); Abt: Louis-Marie de Geyer d’Orth (ab 2003).
    • Chanoines Réguliers de la Mère de Dieu (Regularkanoniker von der Gottesmutter), gegründet 1968 in Gap (Frankreich) als Opus Mariae, 1997 zur Abtei päpstlichen Rechts erhoben, Hauptsitz seit 2004 Abbaye Sainte-Marie de Lagrasse (Diözese Carcassonne, Frankreich), etwa 30 Mitglieder, Abt: Emmanuel-Marie de Saint-Jean (seit 2006). Weiblicher Zweig: Chanoinesses de la Mère de Dieu, Abbaye du Saint-Coeur Notre Dame, Gap.
    • Canons Regular of the New Jerusalem (Regularkanoniker vom Himmlischen Jerusalem), gegründet 2002 in der Diözese La Crosse, heute angesiedelt in Chesterfield (Erzdiözese Saint Louis).
    • Institut du Bon Pasteur (Ex-FSSPX), Gesellschaft des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts mit „außerordentlicher Form des Römischen Ritus“ als Eigenritus, errichtet am 8. September 2006 in Bordeaux (Frankreich), Mitglieder: etwa 20, davon 10 Priester, Vorsteher: Philippe Laguérie (Ex-FSSPX).
    • Abbaye Notre-Dame de Fontgombault (Frankreich), Benediktiner-Abtei (FSSPX bis 1984), offiziell biritualistisch, und Tochterabteien Notre-Dame-de Randol, Notre-Dame-de-Triors u. a., offiziell biritualistisch.
    • Servi Jesu et Mariae (Diener Jesu und Mariens ), Kongregation päpstlichen Rechts, anerkannt 2l. Juli 1994, Leiter: Andreas Hönisch (Ex-SJ, Ex-Diözese Augsburg), biritualistisch, nutzt aus pastoralen Gründen auch die erneuerte Liturgie „sozusagen restriktiv in weitgehender Ähnlichkeit zum alten Ritus“ (A. Hönisch), 26 Priester und 22 Novizen bzw. Scholastiker.
    • Canons Regular of St. John Cantius (Regularkanoniker vom hl. Johannes Cantius), Verein von Gläubigen diözesanen Rechts in der Erzdiözese Chicago (USA), biritualistisch, hervorgegangen aus der biritualistischen Pfarrgemeinde St. John Cantius, Chicago, Illinois.
    • Slaves of the Immaculate Heart of Mary (Mancipia Immaculati Cordis Mariae), gegründet von Leonard Feeney, anerkannt in der Diözese Worcester (USA). Mitglieder: etwa 10 Schwestern und 5 Brüder, Vorsteher: Thomas Augustine (gleichnamige Gruppierungen in anderen Diözesen wirken autonom).
    • „Milizia del Tempio“ (Ordo Militiae Christi Templique Hierosolymitani).
    • Institut de la Sainte-Croix de Riaumont, Gesellschaft des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts, Benediktiner-Oblaten, „Pfadfinder-Orden“, kanonisch errichtet 1991; Prior seit 2000: Alain Hocquemiller (*1964).
    • ...

Siehe auch: Altkalendarier.