Dschihad
Dschihad [arabisch جهاد dschihād ‚Anstrengung, Kampf‘); auch Djihad oder gelegentlich in der englischen Schreibweise Jihad) ist eine Verkürzung von al-dschihādu fī sabīl illāh / الجهاد في سبيل الله, wörtlich: „die Anstrengung / der Kampf auf dem Wege Gottes“.
] (Der Dschihad stellt ein wichtiges Glaubensprinzip des Islam dar. Manche sunnitische Gelehrte bezeichnen den Dschihad als die sechste „Säule des Islam“, auch wenn dies keine offizielle Geltung hat.[1] Bei den Imamiten zählt der Dschihad zu den zehn wichtigsten Glaubensprinzipien.
Ein weiterer Aspekt des Dschihad ist das Gebot für Muslime, sich auf dem Wege Gottes anzustrengen und dadurch sowohl sich selbst, als auch die Gesellschaft zu verbessern. [1][2]
ُSchi'itische Gelehrte betrachten den Dschihad auch als eine Art spirituelle Anstrengung des Einzelnen und bezeichnen ihn als den größeren Dschihad (al-dschihad al-akbar). [3] Im schi'itischen Dschihadverständis gibt es bis zum Erscheinen des „verborgenen Imams“ keinen Dschihad, da erst dieser berechtigt ist, den Dschihad zu führen.[4] Auch im sunnitischen Islam ist diese Auslegung des Begriffes bekannt und kommt in vielen dem Propheten Mohammed beigelegten Aussagen in den kanonischen Traditionssammlungen . Als Dschihad werden z.B. das Fasten, die Pilgerfahrt und allgemeine Wohltätigkeit angesehen.
Der Dschihad im Koran und der Sunna
Im Koran kommt Dschihad und dessen unterschiedliche Verbformen fünfunddreißig Mal vor, und zwar neunundzwanzig Mal in der Bedeutung "Dschihad auf dem Wege Gottes" - gemeint ist mit der Waffe in der Hand.[5]
Die Grundbedeutung des Begriffes, als Verbalnomen abgeleitet aus dem Verb dschahada / جاهد / ǧāhada / ‚sich bemühen, kämpfen, Krieg führen‘ ist der Kampf (qitāl) mit dem Feind. [6] Der Kampf ist vor der Auswanderung Mohammeds nach Medina noch keine im Koran verankerte Pflicht. Nach islamischer Auffassung hatte die Verbreitung der neuen Religion durch den „warnenden“ Propheten zunächst Vorrang.[7]
- „Ruf (die Menschen) mit Weisheit und einer guten Ermahnung auf den Weg deines Herrn und streite mit ihnen auf eine möglichst gute Art.“ Sure 16:125
Erst im zweiten Jahr nach der Auswanderung wird die Legitimität des offenen Kampfes durch die Offenbarung bestätigt:
- „...Und kämpft allesamt (?) gegen die Heiden, so wie sie (ihrereseits) allesamt (?) gegen euch kämpfen!“ Sure 9:36 und:
- „...tötet die Heiden, wo (immer) ihr sie findet..“ Sure 9:5
Außerhalb des Korans, in den großen kanonischen Hadithsammlungen, wird diese Haltung durch den Prophetenspruch bestätigt:„mir ist befohlen worden, die Leute zu bekämpfen bis sie bezeugen: daß es keinen Gott außer dem (einzigen) Gott gibt, Daß Mohammed der Gesandte Gottes ist, das Gebet verrichten und Zakat spenden. Wenn sie das tun, schützen sie ihr Leben und Vermögen vor mir...“ [8]
Ziel des Dschihad ist demnach die nicht-muslimische Außenwelt zum Islam aufzurufen, oder sie gegen Zahlung der Dschizya unter den Schutz des Islams gemäß islamischer Gesetze zustellen:
- „Und kämpft gegen sie, bis niemand (mehr) versucht, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, und bis nur noch Gott verehrt wird! Wenn sie jedoch (mit ihrem gottlosen Treiben) aufhören (und sich bekehren), darf es keine Übertretung geben (d.h. dann sind alle weiteren Übergriffe untersagt), es sei denn gegen die Frevler.“ Sur 2:193 und:
- „Er ist es, der seinen Gesandten mit der Rechtleitung und der wahren Religion geschickt hat, um ihr zum Sieg zu verhelfen über alles, was es (sonst) an Religion gibt - auch wenn es den Heiden (d.h. denen, die (dem einen Gott andere Götter) beigesellen)zuwider ist“ (s. Schirk) Sure 9:33
Es ist sowohl die Sunna des Propheten als auch seiner unmittelbaren Nachfolger die Ungläubigen zu bekämpfen und sie vor die Wahl stellen: a) Annahme des Islam b)Verbleib in der eigenen Religion bei Zahlung der Dschizya gemäß eines Dhimma-Vertrages c) bei Ablehnung werden sie bekämpft [9]
Der Theologe al-Asch'ari (†935)[10] fasst in seinem Glaubensbekenntnis, im sog.al-maqalat al-islamiyyin المقالات الإسلاميين / al-maqālāt al-islāmiyyīn / ‚Abhandlungen der islamischen Gemeinschaften‘ den Glaubensgrundsetz des Dschihad wie folgt zusammen:
„Sie anerkennen die Verpflichtung zum Dschihad gegen die Ungläubigen, seit Gott seinen Propheten sandte bis zur letzten Schar, die gegen den Daddschal kämpft, und (noch) weiter“ [11]
Zweifelsfrei ist Dschihad eine religiöse Pflicht [12] und eine verdienstvolle Tat, die sowohl im Koran als auch der Hadithliteratur mehrfach Erwähnung findet:
- „Gott hat den Gläubigen ihre Person und ihr Vermögen dafür abgekauft, daß sie das Paradies haben sollen. Nun müssen sie um Gottes willen kämpfen und dabei töten oder (w. und) (selber) den Tod erleiden. (Dies ist) ein Versprechen, das (einzulösen) ihm obliegt...“ Sure 9:111
Hier verbindet sich die Lehre vom Dschihad, dem bewaffneten Kampf, mit dem Gedanken des Märtyrertums. Das islamische Schrifttum ist in und außerhalb der kanonischen Hadithsammlungen des 9. Jahrhunderts reich an Werken über den Dschihad und über die Vorzüge desselben als religiöse Pflicht.
Mit den juristischen Fragen des Krieges gegen die nicht-muslimische Außenwelt beschäftigt sich ein eigenständiger Zweig der islamischen Jurisprudenz: die sog. siyar-Literatur, das islamische Völkerrecht.
Der Kampf des Mystikers um Gotteserkenntnis kann ebenso als Dschihad verstanden werden wie die Missionstätigkeit eines Predigers (Dawa). Der Dschihad kann aber auch weltlich verstanden werden. So wurde in Tunesien von Präsident Habib Bourguiba der Kampf gegen das Analphabetentum als Dschihad deklariert.
Manchmal spricht man von vier Arten des Dschihad[13]:
- Dem des Herzens (dschihad bi l-qalb) als innerer, spiritueller Kampf gegen Untugend, Verführung zu moralisch verwerflichen Taten und Ignoranz
- Verbaler Dschihad (dschihad bi l-lisan) durch das ständige Sprechen der Wahrheit und die Verbreitung des Islams auf friedlichem Wege
- Dschihad durch Taten, d.i. durch richtiges moralisches Verhalten (dschihad bi l-yad): das gute zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten.
- Der bewaffnete Kampf (dschihad bi s-saif): Dschihad mit dem Schwert.
Die klassische Dschihad-Lehre, die die Welt in zwei Sphären – das Haus des Islam (Dar al-Islam) und das Haus des Krieges (Dar al-Harb) – teilt, entstand im 8.Jahrhundert n.Chr.[14] Das Haus des Krieges konnte jedoch auch zu einem Vertragsgebiet (Dar al-Ahd) werden[14], womit nicht-muslimische Gebiete, die einen Friedensvertrag mit muslimischen Herrschern geschlossen hatten bezeichnet wurden. Diese Begriffe kommen jedoch weder im Koran, noch in der Hadithtradition vor, sondern stammen von muslimischen Juristen.
Am Ende der Kreuzzüge wurde diese Lehre von einer neuen Generation muslimischer Denker in Frage gestellt, am entschiedensten von Ibn Taimiyya.
Ihm zufolge widerspricht die Ermordung von „Ungläubigen“ – ein Grundgedanke der klassischen Dschihad-Lehre – sowohl Muhammad, als auch dem Koran.
Bestimmungen, dass etwa ein gerechter muslimischer Herrscher (imam 'adil) einmal im Jahr den dar al-harb angreifen muss oder dass es keinen Frieden zwischen dem Gebiet der Muslime und dem Gebiet der Nichtmuslime geben könne, galten unangefochten bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als muslimische Länder Opfer des Kolonialismus der europäischen Mächte wurden.
Zahlreiche muslimische politische und religiöse Denker des 18. und 19. Jahrhunderts wurden von Ibn Taimiyyas Ablehnung der klassischen Dschihad-Lehre inspiriert, wie bspw. Sayyid Ahmad Khan (1817-1898), Chiragh Ali (1844-1895) und Mahmud Shaltut (1897-1963). Doch im Laufe des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Zuge des europäischen Kolonialismus entstand ein neuer muslimischer Radikalismus, dessen Folge Kriege und die Entstehung zahlreicher islamistischer Terrororganisationen war.
Seit den 1970er Jahren verbreitete sich unter muslimischen Fundamentalisten zunehmend die Dschihad-Lehre von Sayyid Qutb, der vier Phasen des Dschihad unterscheidet, die vom friedlichen Kampf bis zum offensiven Krieg gegen alle Nichtmuslime reicht. Die Muslime müssen, nach Qutb, je nach Situation verschiedene Arten von Dschihad führen, wenn sie jedoch stark genug seien, müssten sie einen offensiven militärischen Dschihad führen.
Legitimation des Terrors mit dem Dschihad-Konzept
Bei vielen Terroranschlägen der jüngsten Vergangenheit rechtfertigten die Attentäter ihr Handeln mit „dem Dschihad“. Mehrere islamistische Organisationen führen das Wort Dschihad in ihrem Namen, wie zum Beispiel Islamischer Dschihad, der ägyptische Islamische Dschihad sowie der palästinensische Islamische Dschihad. Diese Gruppierungen mobilisieren viele Anhänger durch breit angelegte Sozialarbeit. Sie rechtfertigen ihre militärische Auslegung des Begriffs Dschihad auch aus dem islamischen Glauben heraus.
Selbstmordattentäter werden dabei als SchahīdMärtyrer bezeichnet, denen ein Platz im Paradies sicher ist (siehe dazu: Islamistischer Terrorismus). An sich gilt Suizid im Islam als „Selbstmord“ und damit als Sünde, die im Jenseits mit der endlosen Wiederholung des Moments des Todes bestraft wird.
Terrorismus dieser Art wird von der großen Mehrheit der Muslime in der Welt entschieden verurteilt.[15]
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ a b John Esposito, Islam: The Straight Path, S.93
- ↑ Stephen Humphreys, Between Memory and Desire, S.174-176
- ↑ The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden, Bd.2, S. 538; Rueven Firestone, Jihad: The Origin of Holy War in Islam, S.17
- ↑ A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941, S. 112
- ↑ Ursula Spuler-Stegemann: Die 101 wichtigste Fragen zum Islam. München 2007, S. 125
- ↑ The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden, Bd. 2, S. 538; al-mausu'a al-fiqhiyya. Kuwait 2002. Bd. 16, S. 124
- ↑ The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden, Bd. 2, S. 538
- ↑ Joseph Schacht: Der Islam mit Ausschluss des Qor'ans.In: Alfred Bertholet (Hrsg.):Religionsgeschichtliches Lesebuch. Bd. 16. Tübingen 1931, S.15; al-mausu'a al-fiqhiyya. Kuwait 2002. Bd. 16, S. 126
- ↑ al-mausu'a al-fiqhiyya. Kuwait 2002. Bd. 16, S. 132
- ↑ The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden, Bd. 1, S. 694
- ↑ Joseph Schacht:Der Islam mit Ausschluss des Qor'ans.In: Alfred Bertholet (Hrsg.):Religionsgeschichtliches Lesebuch. Bd. 16. Tübingen 1931, S.60
- ↑ al-mausu'a al-fiqhiyya. Kuwait 2002. Bd. 16, S. 127; The Encyclopadia of Islam. New Edition. Bd. 2, 538
- ↑ http://encarta.msn.com/encyclopedia_761582255/Jihad.html
- ↑ a b Monika und Udo Tworuschka, Islam Lexikon, S.94
- ↑ siehe u.a. http://muslime-gegen-terror.de/erklaerungen.php
Literatur
- David Cook: Understanding Jihad University of California Press, Berkeley 2005, ISBN 0-520-24448-6
- Robert Spencer: The Politically Incorrect Guide to Islam (And the Crusades). Regnery Publishing, August 2005, ISBN 0-89526-013-1
- Andrew G. Bostom: The Legacy of Jihad: Islamic Holy War and the Fate of Non-Muslims Prometheus Books, Oktober 2005, ISBN 1-59102-307-6
- Jürgen Elsässer: Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan. 1. Auflage. Np Buchverlag, März 2005, ISBN 3-85326-376-3
- Gilles Kepel: Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus. 1. Auflage. Piper, München 2004, ISBN 3-49224-248-0
- Egün Capan: Terror und Selbstmordattentate aus islamischer Perspektive. INID, Mai 2005, ISBN 3-93552-110-3
- Albrecht Noth: Glaubenskriege des Islam im Mittelalter. In: Herrmann (Hrsg.): Glaubenskriege in Vergangenheit und Gegenwart. Göttingen, 1996
- Angel Rabasa et al.: Beyond al-Qaeda, Part 1, The Global Jihadist Movement, Rand Corporation, Santa Monica 2006, ISBN 978-0-8330-3930-9; als PDF-Dokument (2.5 MB, 228 Seiten, englisch)
- Fawaz A. Gerges: Journey of the Djihadist. Inside Muslim Militancy Harcourt, NY ISBN 0156031701 ISBN 015101213X (engl.)