Haarerlass
Die als Haarerlass (amtl. Bezeichnung: „Die Haar- und Barttracht der Soldaten“) bezeichnete Dienstvorschrift ist eine erläuternde Verordnung, die als Anlage 1 einen Bestandteil der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 10/5: „Leben in der militärischen Gemeinschaft“ der Bundeswehr darstellt.
Bei Polizeivollzugsbeamten sind Haarerlassregelungen verfassungswidrig und daher nicht mehr existent.
Geschichte
Bundeswehr
Der inzwischen, nicht zuletzt durch die Zulassung von weiblichen Soldaten mehrfach überarbeitete Haarerlass kam erstmals in den 1960er Jahren zum Tragen, als immer mehr junge Männer mit damals in Mode gekommenen und zu diesem Zeitpunkt als „Beatlesmähne“ oder „Pilzköpfe“ bezeichneten Frisuren ihren Dienst in der Bundeswehr verrichten wollten oder dies als Wehrpflichtige mussten. Das Bundesministerium der Verteidigung reagierte darauf im Februar 1971 mit einem „Haarnetzerlass“, der für Soldaten mit längerem Haar das Tragen eines olivfarbenen Haarnetzes zur Folge hatte. Allerdings hatte der Erlass, der unter anderem die Anschaffung von 740.000 Haarnetzen mit sich brachte, nur ein Jahr Bestand. Der Grund hierzu lag offensichlich weniger in einer fehlenden allgemeinen Akzeptanz, als in der Furcht vor einem Anssehensverlust der Bundeswehr, der sich durch politische Äußerungen und polemische Kritik aus dem Ausland merkbar machte (so war z.B. die Bezeichnung „German Hair Force“ anstelle von „German Air Force“ als Verballhornung für die Deutsche Luftwaffe gefallen). Im Mai 1972 erließ das Bundesministerium der Verteidigung schließlich die bis heute im Wesentlichen fortbestehende Verordnung, wonach das (männliche) Kopfhaar weder die Uniform noch den Hemdkragen berühren darf.[1]
Polizei
Bei den Polizeien von Bund und Ländern waren Bart- und Haartracht teilweise durch Erlass geregelt. In Nordrhein-Westfalen wurde 1972 ein Erlass eingebracht, der aber 1980 wieder abgeschafft wurde.[2] Eine Wiedereinführung bei der Bundespolizei wurde im Januar 2006 durch den Bundesminister des Inneren Wolfgang Schäuble angeregt. Abgesehen davon, dass der Vorschlag zum Teil heftiger kritisiert wurde (insbesondere von Seiten der Polizeigewerkschaften und der Partei Bündnis 90/Die Grünen), scheiterte eine dauerhafte und rechtmäßige Wiedereinführung an dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum polizeilichen Haarerlass (näheres siehe unten).[3]
Rechtliche Betrachtung von Haarerlassen
Haarerlasse sind sog. Verwaltungsvorschriften und wirken nur behördenintern.
Haarerlass bei Soldaten der Bundeswehr
Entwicklung und derzeitige Situation
Nach zwei Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts aus 1994 und 1999 wird ein männlicher Soldat nicht in seinen Rechten verletzt, wenn für ihn in Bezug auf die Haartracht andere Regelungen als bei weiblichen Soldaten gelten.[4] Zu bedenken ist hierbei, dass zur Zeit der Entscheidung die Zulassung von weiblichen Soldaten noch auf den Sanitäts- und Musikdienst sowie auf die Sportfördergruppe beschränkt war.
Die Begründung, wonach (männliche) Soldaten langes Haar bei der Dienstausübung beeinträchtige (z.B. Funktionsverlust von ABC-Schutzmasken[5], Infektionsvorbeugung), dürfte jedoch in Ansehung der Zulassung von weiblichen Soldaten seit dem 1. Januar 2001 in allen Laufbahnen nicht länger tragfähig sein. Das Truppendienstgericht Süd in München hat demnach mit Beschluss vom 4. Januar 2005 den Haarerlass als willkürlich und verfassungswidrig bezeichnet.[6]
Das Bundesministerium der Verteidigung spricht indes von einer „Einzelfallentscheidung“ und hält weiter am Haarerlass fest[7][8]. Dies ist zulässig, da es der Gerichtsentscheidung an der allgemeinen Bindungswirkung („inter partes“) fehlt. Insoweit ist auch eine Pressemitteilung[9], die von einem künftigen Erlaubtsein von langen Haaren bei männlichen Soldaten spricht, irreführend, da sie juristisch nicht korrekt ist.
Künftige Überarbeitung des Haarerlasses?
Das Bundesministerium der Verteidigung teilte in seiner Stellungnahme zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2005 mit, eine Überarbeitung des Haar- und Barterlasses von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abhängig zu machen, das zu dieser Zeit mit einer Klage gegen den Haarerlass der Bundespolizei befasst war. Das Urteil erging im März 2006 (näheres siehe unten). Daraufhin gab das Bundesministerium der Verteidigung an, seine Entscheidung von einem weiteren, im November 2006 beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren abhängig zu machen. Da der Streit allerdings nicht zur Entscheidung angenommen wurde, war aus Sicht des Bundesministerium der Verteidigung auch von einer Überarbeitung abzusehen.[10]
Die unklare Rechtslage wird durch den Wehrbeauftragten in der Weise beanstandet, als dass die wiederholt aufgeschobene Ankündigung zur Überarbeitung des Erlasses auch „den Empfehlungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts widerspreche“, da ein nötiger Beitrag für die Attraktivität des Berufs gerade im Hinblick auf junge Berufsinteressenten nicht geleistet werde.[11]
Dass die streitige Rechtssituation auch jüngst in Presse und Medien aufgegriffen wurde (vgl. z.B. Einzelbelege unten), dürfte zumindest ansatzweise als Kritik am Verhalten des zuständigen Bundesministeriums zu verstehen sein.
Haarerlass bei Polizeivollzugsbeamten
Für männliche Polizeivollzugsbeamte entschied das Bundesverwaltungsgericht am 2. März 2006, dass ein Erlass, Haare höchstens nur in Hemdkragenlänge zu tragen, gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und den Gleichheitsgrundsatz verstößt und deshalb rechtswidrig ist.[12] Auch die Untersagung, im Dienst keinen „Lagerfeld-Zopf“ tragen zu dürfen, wurde wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bereits 1996 durch den Verwaltungsgerichtshof Kassel als rechtswidrig befunden.[13]
Politische und gesellschaftliche Betrachtung
Ob und inwieweit sich die Haarlänge bei Hoheitsträgern in Uniform zum Nachteil der betreffenden Behörde auswirken kann, dürfte sowohl aus politischer als auch gesellschaftlicher Sicht umstritten sein.
- So könne nach Worten des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt zwar „auch ein Soldat mit langen Haaren ein guter Soldat sein“. Zu bedenken sei aber, dass „es zum klassischen Erbe des europäischen Soldatentums gehöre, dass das äußere Bild wichtiger genommen werde als der innere Kern.“[14]
- Ein deutlich liberaler Standpunkt wird von FDP-Politiker Ingo Wolf, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten. In einer jüngeren Pressemitteilung gibt Wolf dahingehend zu wissen, dass ein „Haarerlass für NRW-Polizisten überflüssig sei“ und „entscheidend ein korrektes und freundliches Auftreten wäre“. Es sei für ihn „kein Problem, wenn es unter seinen Polizisten Individualisten gebe.“[15]
- Andere Tendenzen sind hingegen bei den Konservativen zu verzeichnen. Hier war von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Anfang 2006 ein Haarerlass für die Bundespolizei erwogen worden, um anlässlich der Gastgeberschaft zur bevorstehenden Fußballweltmeisterschaft die innere Sicherheit und äußerliche Korrektheit der Bundespolizeibeamten zu gewährleisten.[16]
- Nach Auffassung der Grünen-Bundestagsabgeordneten Silke Stokar handele es sich bei Schäubles Vorgehen um den „Kampf konservativer Innenminister“ mit dem Ziel der „Rückkehr zur alten Spießigkeit“.[17]
- Des Weiteren gibt der anhaltende modische Wandel, wonach innerhalb der letzten Jahre wieder ein Trend zu längerem Männerhaar zu verzeichnen ist[18][19], Anlass zu der Überlegung, ob die Furcht vor einem Ansehensverlust staatlicher Institutionen tatsächlich begründet ist. Dagegen spricht vor allem eine Wende in der bislang eher konservativ geprägten Rechtsprechung. War es 1994 für das Bundesverwaltungsgericht noch rechtlich unbedenklich, männliche Soldaten in deren Haartracht strengeren Regelungen zu unterwerfen als weiblichen Sanitätssoldaten[20], ist eine Beibehaltung dieses Standpunkts gerade in Ansehung seiner Rechtsprechung zum polizeilichen Haarerlass[21] bei einer künftigen Entscheidung höchst zweifelhaft. Diese Zweifel dürften erst recht gelten, wenn man auch die obengenannte Entscheidung des Truppendienstgerichts Süd ins Auge fasst.
Haarerlasse im Ausland
Österreich
Auch in Österreich gibt es für das Bundesheer einen ähnlichen Erlass, der die Haarlänge regelt.
Vereinigte Staaten von Amerika
Sehr exakte und äußerst stringente Anforderungen stellt die „Army Regulation (AR) 670-1“ der United States Army.[22] Die Vorschrift regelt die Haartracht sowohl für männliche als auch weibliche Soldaten. Ähnlich zur derzeitigen Auffassung des Bundesministeriums für Verteidigung (siehe oben) wird weiblichen Soldaten ein weit größerer Spielraum in Bezug auf Haarlänge und -trageart sowie auch auf andere äußerliche Details (z.B. Kosmetik) zugebilligt. Der Unterschied wird vor allem durch die beispielhaft zitierten Passagen deutlich:
- „Males are not authorized to wear braids, cornrows, or dreadlocks [...] while in uniform or in civilian clothes on duty.“[23]
- Sinngemäß übersetzt: „Männer sind nicht befugt, Zöpfe, Flechtfrisuren oder Dreadlocks zu tragen, wenn sie uniformiert oder in ziviler Kleidung Dienst versehen.“
- „Females may wear braids and cornrows as long as the braided style is conservative [...].“ [24]
- Sinngemäß übersetzt: „Frauen dürfen Zöpfe oder Flechtfrisuren tragen, soweit der Stil des Zopfes konservativ ist.“
Verweise
Einzelnachweise
- ↑ Deutschlandfunk.de: „Längere Haare gewagt“ v. 8. Februar 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Presseprotal.de: „POL-GT: Pressebericht vom 29.05.2006“. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Homepage von Silke Stokar, MdB: „Haariger Erlass verstößt gegen Persönlichkeitsrechte“ v. 16. Januar 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Bundesverwaltungsgericht, Az. 1 WB 64/93 - Beschluss v. 13. April 1994; Bundesverwaltungsgericht, Az. 1 WB 24/99 - Beschluss v. 26. Oktober 1999.
- ↑ Wind/Schimana/Wichmann, Öffentliches Dienstrecht, 4. Auflage 1998, S. 201.
- ↑ Truppendienstgericht Süd, Az. S4 BLc 18/04 - Beschluss v. 4.1.05. (zuletzt aufgerufen am 29. Oktober 2007)
- ↑ Spiegel-Online: „Verteidigungsministerium hält trotz Urteil an Haar- und Barterlass fest“ v. 19. Juni 2005 (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Deutschlandfunk.de: „Längere Haare gewagt“ v. 8. Februar 2006 (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ NZZ-Online: „Lange Haare für Bundeswehr-Soldaten künftig erlaubt“ v. 19. Juni 2005. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ BT-Drucksache 14/4700, Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten, Jahresbericht 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ BT-Drucksache 14/4700, Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten, Jahresbericht 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Auszug aus Bundesverwaltungsgericht, Az. 2 C 3.05 - Urteil v. 2. März 2006, zur Rechtswidrigkeit eines Haarerlasses für Polizeivollzugsbeamte. (zuletzt aufgerufen am 29. Oktober 2007)
- ↑ VGH Kassel, NJW 1996, 1164.
- ↑ Deutschlandfunk.de: „Längere Haare gewagt“ v. 8. Februar 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Presseservice der Landesregierung NRW: „Haar-Erlass für NRW-Polizisten überflüssig - Entscheidend ist korrektes und freundliches Auftreten!“ v. 26. Mai 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ [http://gruene-berlin.de/site/2940.html Grüne-Berlin.de: „Haariger Erlass verstößt gegen Persönlichkeitsrechte“ v. 16. Januar 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Homepage von Silke Stokar, MdB: „Haariger Erlass verstößt gegen Persönlichkeitsrechte“ v. 16. Januar 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Vgl. z.B. Cosmoty.de: 282 Frisurvorschläge für Männer; Deutscher Hörfunk Dienst: Die neuesten Frisuren-Trends 2006. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Bundesverwaltungsgericht, Az. 2 C 3.05 - Beschluss vom 2. 3. 2006.
- ↑ Bundesverwaltungsgericht, Az. 1 WB 64/93 - Beschluss vom 13. April 1994.
- ↑ Bundesverwaltungsgericht, Az. 2 C 3.05 - Beschluss vom 2. 3. 2006.
- ↑ Army Regulation (AR) 670-1 auf der Homepage des Army Publishing Directorate. (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2007)
- ↑ Army Regulation (AR) 670-1, Chapter 1-8, (2)(a).
- ↑ Army Regulation (AR) 670-1, Chapter 1-8, (3)(a).