Hinterkaifeck
Hinterkaifeck ist der Tatort eines der rätselhaftesten Verbrechen in der deutschen Kriminalgeschichte. Auf dem Einödhof 500 Meter von Gröbern entfernt, der im Gemeindegebiet von Wangen (heute: Gemeindegebiet Waidhofen) in Oberbayern lag und etwa sechs Kilometer von Schrobenhausen entfernt war, wurden in der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922 sechs Menschen ermordet, indem die Täter ihnen mit einer sogenannten Reuthaue den Schädel einschlugen. Bei den Getöteten handelt es sich um das Austragsbauernehepaar Andreas (* 09.11.1858) und Cäzilia (* 27.11.1849) Gruber, deren verwitwete Tochter Viktoria Gabriel (* 06.02.1887), deren Kinder Cäzilia (* 09.01.1915) und Josef (* 07.09.1919) sowie die Magd Maria Baumgartner (* 01.10.1877). Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt.

Tatgeschehen
Geschehnisse vor der Tat
Einige Tage vor der Tatnacht entdeckte der Austragsbauer Andreas Gruber im Schnee Spuren, die zum Hof Hinterkaifeck hinführten, aber nicht wieder heraus. Ebenso vermissten die Bewohner der Einöde einen Haustürschlüssel. An der Motorhütte des Hofes hatte außerdem jemand das Vorhängeschloss aufgebrochen. Darüber hinaus bemerkten die Hinterkaifecker, dass das Anwesen vom Wald aus von einem Mann mit Schnauzbart beobachtet wurde. In der Nacht hörten sie auf dem Dachboden über ihren Schlafräumen Schritte, doch Andreas Gruber fand, als er das Gebäude durchsuchte, niemanden, und weigerte sich, Hilfe von Außenstehenden (Nachbarn/Polizei) anzunehmen.
Tatnacht vom 31. März auf den 1. April 1922
Am Abend des 31. März 1922, einem Freitag, kam die neue Magd, Maria Baumgartner, auf dem Hof an. Das genaue Tatgeschehen kann nicht rekonstruiert werden, doch man nimmt an, dass die Austragseheleute Andreas und Cäzilia Gruber, sowie deren Tochter Viktoria Gabriel und Enkelin Cäzilia Gabriel nacheinander in den Stadel gelockt und dort erschlagen wurden. Durch eine Obduktion wurde nachgewiesen, dass die siebenjährige Cäzilia, nachdem ihr der Schädel eingeschlagen worden war, noch mindestens zwei Stunden lebte. Vom Stadel aus drang(en) der oder die Täter ins Haus ein, wo er/sie den zweijährigen Josef in seinem Stubenwagen im Schlafzimmer seiner Mutter und die Dienstmagd Maria Baumgartner in der Magdkammer erschlug(en).
Entdeckung der Tat
Vom Tatzeitpunkt bis zur Entdeckung derselben vier Tage später müssen sich der oder die Täter noch im Haus aufgehalten haben, da das Vieh versorgt wurde und Rauch aus dem Kamin des Bauernhauses aufstieg. Außerdem entdeckte die Polizei, dass der gesamte Brotvorrat aufgebraucht und Fleisch aus der Vorratskammer frisch angeschnitten worden war.
Am 1. sowie am 3. April fehlt Cäzilia Gabriel unentschuldigt in der Schule. Außerdem besuchten die Einwohner der Einöde am 2. April nicht wie gewohnt den Sonntagsgottesdienst. Am Montag, den 3. April bemerkt der Postschaffner Josef Mayer, als er nach Hinterkaifeck kommt, dass die Post vom Samstag sich noch immer dort befindet, wo er sie deponiert hat, und dass anscheinend niemand auf dem Hof ist. Der Monteur Albert Hofner, der am 4. April in vermeintlicher Abwesenheit der Hinterkaifecker auf dem Hof den Motor der Futterschneidemaschine reparierte, erzählte Einwohnern von Gröbern und Wangen, dass er sich fünf Stunden lang in Hinterkaifeck aufgehalten habe, aber dort niemandem begegnet sei. Deshalb dringt der Ortsführer von Gröbern noch am selben Tag mit zwei anderen Männern, Michael Pöll und Jakob Sigl, in den Gebäudekomplex ein, wo sie die verstümmelten Leichen entdecken.
Ermittlungen
Polizeiliches Vorgehen
Die ersten Polizisten am Tatort waren Beamte der Gendarmeriestation Hohenwart, die am 4. April gegen 18 Uhr eintrafen. Deren Hauptaufgabe war es, die zahlreichen Schaulustigen, die sich schon bald, nachdem sich die Nachricht vom Mord verbreitet hatte, in Hinterkaifeck einfanden, am Betreten der Mordstätte zu hindern. Bei der Polizeidirektion München ging die Meldung um ca. 18.15 Uhr ein, und um 1.30 Uhr des Folgetages kamen die sechs Beamten aus München, darunter zwei Polizeihundeführer, unter der Leitung von Kriminaloberinspektor Georg Reingruber, in Wangen bei Bürgermeister Greger an.
Noch in der Nacht besichtigten sie zum ersten Mal den Tatort. Am 5. April durchsuchten die Polizisten aus München zusammen mit der Gerichtskommission aus Schrobenhausen ab sechs Uhr die Hinterkaifecker Gebäude. Auf dem Dachboden, der ohne trennende Brandmauern durchgängig über Wohnhaus, Stall und Stadel verläuft, entdecken die Polizisten, dass der Boden mit Heu bedeckt ist, um die Schritte der Täter zu dämpfen, einige Dachziegel verschoben sind, um das gesamte Hofgelände überblicken zu können, und in einem Heuhaufen zwei Mulden sind, die davon zeugen, dass sich Menschen ohne Wissen der Hinterkaifecker für längere Zeit auf dem Hof befunden haben. Die ersten Vernehmungen fanden im Bauernhaus in der Küche statt.
Als Motiv für den Mord wurde Raubmord angesehen, aber dies ist zweifelhaft, da man nicht genau ermitteln konnte, wie viel Geld entwendet wurde. Außerdem wurde viel Geld liegen gelassen, obwohl die Täter genug Zeit gehabt hätten, das Haus genau zu durchsuchen. Bei der Obduktion durch den Neuburger Landgerichtsarzt Dr. Johann Baptist Aumüller auf einem provisorischen Seziertisch im Hof des Bauernhofes wurden den Leichen die Köpfe abgetrennt.
Die Beamten der Mordkommission ermittelten in verschiedenste Richtungen und gingen selbst unwahrscheinlichen Spuren nach. Als Erstes gerieten Vorbestrafte, Hamsterer und Hausierer, die aus der Gegend von Hinterkaifeck stammten oder sich dort herumtrieben, in den Fokus der Polizei. Bereits am 8. April wurden 100.000 Mark Belohnung auf Hinweise zum Täter ausgesetzt. Viele Personen wurden daraufhin verdächtigt (siehe: Täterverdächtigte), und auch viele nicht stichhaltige Hinweise gingen bei der Mordkommission ein, doch der Mord konnte niemandem nachgewiesen werden. Mit den Schädeln der Opfer wurden auch spiritistische Sitzungen mit Weissagerinnen durchgeführt, die aber ebenfalls kein Ergebnis brachten.
Am 28. Februar 1930 ging Oberinspektor Reingruber in Pension, und im September des selben Jahres übernahm Martin Riedmayer den Fall.
Tatverdächtigte
Im folgenden sind Personen aufgeführt, die von Polizei und in der Bevölkerung als potenzielle Täter angesehen wurden, aber weder als Mörder überführt noch von der Täterschaft zweifelsfrei ausgeschlossen werden konnten.
Karl Gabriel
Der Tod des im Dezember 1914 gefallenen Ehemanns der Jungbäuerin, Karl Gabriel, wurde in Zweifel gezogen. Dieser soll erfahren haben, dass Viktoria Gabriel ein uneheliches Kind hatte (Josef) und zwar mit ihrem eigenen Vater, und daraufhin die gesamte Familie erschlagen haben, um Rache zu üben.
Lorenz Schlittenbauer
Lorenz Schlittenbauer wurde - auch von der Bevölkerung - als Täter verdächtigt, weil er sich durch Andeutungen bzgl. des Mordes verraten haben soll. Beispielsweise wurde beim Auffinden der Leichen ein Tor aufgebrochen, weil sämtliche Türen und Tore am Hof verschlossen waren. Bei Entdeckung der Leichen gingen zwei der Finder geschockt nach draußen, während Schlittenbauer alleine in das Haus weiter ging. Er hat dann von innen - für die anderen Zeugen deutlich hörbar - mit dem Schlüssel aufgeschlossen. Dieser einzige Schlüssel wurde von den Opfern kurz vor der Tat vermisst. Darüber, ob zum Auffindezeitpunkt ein Seil im Stadel hing, das ein Täter zur Flucht hätte benutzen können, gab es widersprüchliche Aussagen.
Schlittenbauer führte mehrere Zivilklagen gegen Personen, die ihn verleumdeten, indem sie ihn als "Mörder von Hinterkaifeck" bezeichneten.
Joseph Bärtl
Der 1897 geborene, aus Geisenfeld stammende, geisteskranke Bäcker Josef Bärtl wurde schon bald nach der Tat als Mörder verdächtigt, da er 1921 aus der "Heil- und Pflegeanstalt Günzburg" geflohen war. Ihm wurde ob seines Geisteszustands die Tat zugetraut, und ein Medium hatte ihn bei einer der spiritistischen Sitzungen anhand einer Fotografie als Täter identifiziert. Zwar gaben immer wieder Zeugen an, Bärtl begegnet zu sein, doch er konnte von der Polizei nie aufgegriffen werden.
Ergebnis der Ermittlungen
Trotz wiederholter Festnahmen ist bis heute kein Täter gefunden, die Akten wurden 1955 geschlossen. Trotzdem fanden noch 1986 letzte Vernehmungen statt und Kriminalkommissar Konrad Müller ermittelt heute noch - im Ruhestand.
Opfer
Finanzielle Situation
Die Familie Gabriel-Gruber war sehr vermögend. Ihr Vermögen, das auf 100.000 Mark geschätzt wurde, war zum Beispiel in Pfandbriefen und Kriegsanleihen oder in Schmuck und Gold- bzw. Silbermünzen angelegt. Außerdem besaßen sie ein beträchtliches Barvermögen. Darüber hinaus besaßen sie 50 Tagwerk (ca. 17 Hektar) Land und einige Stück Vieh. Als der Mord geschah waren Planungen zum Neubau des Stalles im Gange.
Soziale Situation
Die Bewohner der Einöde lebten zurückgezogen. Um Geld zu sparen beschäftigten sie (auch illegal) - oft nur für einige Wochen - u.a. auch kriminelle und umherziehende Hilfsarbeiter.
Inzest
Zwischen dem Vater, Andreas Gruber, und seiner Tochter Viktoria existierte eine inzestuöse Beziehung ab dem 19. Lebensjahr der Tochter. Deshalb wurden beide 1915 verurteilt - der Vater zu einem Jahr Zuchthaus und die Tochter zu einem Monat Gefängnis. Einmal wurden die zwei von einer Magd im Heu erwischt. Cäzilia Gruber litt psychisch unter diesem Verhältnis von Vater und Tochter, doch sie unternahm nichts dagegen.
Außerdem existieren Gerüchte, dass der 1919 unehelich geborene Josef - Viktoria Gabriels Ehemann Karl war bereits 1914 an der Front gefallen - nicht von Lorenz Schlittenbauer sondern von Andreas Gruber gezeugt worden war. Andreas Gruber versuchte auch, eine Ehe zwischen den beiden Verwitweten Viktoria Gabriel und Lorenz Schlittenbauer zu verhindern. Daraufhin leugnete Schlittenbauer die Vaterschaft, und der alte Gruber wurde, da er bereits vorbestraft war, wieder verhaftet. Doch kurz darauf erkannte er die Vaterschaft wieder an, um sie einige Zeit darauf wieder zu verleugnen.
Erbe
Im Erbschein vom 7. Juni 1922 wurde des ganze Vermögen zur einen Hälfte der Familie des Andreas Gruber und zur anderen der aus erster Ehe stammenden Tochter von Cäzilia Gruber, Cäzilia Starringer, zugesprochen. Sämtliches Gold- und Silbergeld sollte wegen Steuerhinterziehung an den Fiskus abgetreten werden (dies wurde später jedoch revidiert und die Erben konnten das Geld erhalten). Karl Gabriel (senior), Vater von Viktoria Gabriels Ehemann und Großvater der Cäzilia Gabriel, klagte daraufhin mit der Begründung, die siebenjährige Cäzilia als Universalerbin sei nachweislich nach ihrer Mutter ums Leben gekommen. Doch diese und alle weiteren Klagen Karl Gabriels wurden vom Gericht abgelehnt. Doch außergerichtlich einigten sich beide Parteien (Gruber und Gabriel) darauf, dass Karl Gabriel den Gebäudekomplex zum Vorzugspreis erwerben könne, was dieser auch tat.
1923 begann Karl Gabriel, mit einigen Helfern den Mordhof abzureißen. Beim Abriss wurde das Tatwerkzeug, eine Reuthaue, die auf dem Dachboden unter den Dielenbrettern versteckt worden war, gefunden.
Reaktionen der Öffentlichkeit
Bereits kurz nach der Entdeckung des Mordes fanden sich viele Schaulustige in Hinterkaifeck ein, und einige blieben sogar in der Nacht, um für "die armen Seelen" zu beten. Zur Beerdigung am 8. April 1922 fanden sich einige tausend Menschen auf dem Friedhof von Waidhofen ein. Es stellte sich nach der Tat eine regelrechte Hinterkaifeck-Hysterie ein, und die Bevölkerung der Umgebung spekulierte über mögliche Täter.
Bestattung

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Die Toten sind ohne Schädel auf dem Friedhof Waidhofen bestattet, ein Gedenkstein wurde am Grab errichtet. Der Hof wurde bereits 1923 abgebrochen, heute steht in dessen Nähe nur noch ein Marterl.
Ungereimtheiten beim Fall und Ermittlungsversäumnisse
- Im Augenscheinprotokoll der Gerichtskommission Schrobenhausen wurde vermerkt, die Opfer seien durch Unruhe im Stall (brüllendes, losgebundenes Vieh) in den Stall gelockt worden. Ein Versuch ergab aber, dass menschliche Schreie aus dem Stall nicht in der Einöde zu hören waren. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Hinterkaifecker wirklich wie oben beschrieben in den Stall gelockt wurden, oder auf eine andere, unbekannte Weise.
- Der Monteur Albert Hofner, der nach dem Verbrechen als erster für mehrere Stunden auf dem Hof war, wurde erst 1925 vernommen, da die Polizei ein Verhör unmittelbar nach der Tat versäumt hatte.
- Das persönliche Umfeld der Opfer wurde nie richtig untersucht.
- In den ersten Jahren wurde auch das Umfeld der neuen Magd Maria Baumgartner nicht untersucht. Dabei ist es zumindest merkwürdig, dass der Mord erst wenige Stunden, nachdem sie auf Hof war, geschah, und die Möglichkeit besteht, dass das Mordmotiv mit ihrer Person in Verbindung steht.
- Als Motiv wurde immer Raubmord angesehen, obwohl ein für damalige Verhältnisse hoher Geldbetrag (ca. 1800 Goldmark) in einem Schrank gefunden wurde, der von dem oder den Tätern durchsucht wurde.
- Am 9. April 1922 löste Reingruber die Fahndung nach Adolf Gump und drei Freikorps-Soldaten aus. Diese Ermittlungen fanden aber, anders als alle anderen noch so abwegigen Fahndungen, nie Eingang in die Akten. Die Frage ist, ob jemand Interesse hatte, die Ermittlungen in Richtung Freikorps und Nationalsozialisten zu boykottieren. In dieser Richtung erscheint auch die Möglichkeit, dass die Tat von Hinterkaifeck einen politischen Hintergrund im Zusammenhang mit verbotenen Waffenlagern rechter Kreise hatte.
Medien
Verfilmungen
1981 drehte Hans Fegert vom Ingolstädter Schmalfilm Club (ISC) in Zusammenarbeit mit dem Theaterspielkreis Pfaffenhofen den Super 8-Spielfilm "Hinterkaifeck - Symbol des Unheimlichen". Diesen Film sahen in der Region Ingolstadt/Schrobenhausen/Neuburg und Pfaffenhofen rund 20.000 Zuschauer.
Der Mordfall Hinterkaifeck wurde 1991 von Kurt K. Hieber in einer Fernsehdokumentation dargestellt.
Literatur
1978 hat der Journalist Peter Leuschner nach jahrelangen Recherchen in Münchner und Augsburger Archiven eine umfassende - allerdings dramatisierte - Dokumentation des Mordfalls und der Ermittlungen vorgelegt. 1997 wurde diese Dokumentation neu aufgelegt. Im Juli 2007 erschien die dritte überarbeitete Auflage im Apus-Verlag, Hofstetten.
- Sachbuch
- Rainer Haiplik: Hinterkaifeck. In: Ders.: Brandstifter, Mörder und Banditen. Aufsehenerregende Verbrechen in unserer Heimat. Landratsamt, Pfaffenhofen/Ilm 1995
- Belletristik
- Tobias O. Meißner: Hiobs Spiel. Eichborn Verlag, Frankfurt/M.
- Buch 1: Frauenmörder. 2002, ISBN 3-8218-0691-5
- Andrea Maria Schenkel: Tannöd. Kriminalroman. Weltbild Verlag, Augsburg 2007, ISBN 978-3-8289-9055-5
- Tobias O. Meißner: Hiobs Spiel. Eichborn Verlag, Frankfurt/M.
- Bavarica
- Peter Leuschner: Der Mordfall Hinterkaifeck. Deutschlands geheimnisvollster Mordfall. Verlag Ludwig, Pfaffenhofen/Ilm 1987, ISBN 3-7787-2028-7.
- Peter Leuschner: Der Mordfall Hinterkaifeck. Spuren eines mysteriösen Verbrechens. 3. überarbeitete Auflage, Apus-Verlag, Hofstetten 2007, ISBN 978-3-9805591-0-2
- Theaterstück
- Reinfried Keilich: Hinterkaifeck. Ein Mordfall. Verlag der Autoren, Frankfurt/M. 1989 (Theaterstück).