Wahrscheinlichkeit
Die Wahrscheinlichkeit ist eine Einstufung von Aussagen und Urteilen nach dem Grad der Gewissheit (Sicherheit).
Stochastik
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Stochastik als ein Teilgebiet der Mathematik ist die Lehre der Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit. Sie ist ein verhältnismäßig junger Teilbereich der Mathematik, zu dem im weiteren Sinne auch die Kombinatorik, die Wahrscheinlichkeitstheorie und die mathematische Statistik gehören.
Häufig wird der mathematische Begriff von Wahrscheinlichkeit benutzt: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Wahrscheinlichkeitstheorie (Teilgebiet der Stochastik) kümmert sich um die mathematische Systematisierung von Wahrscheinlichkeiten. Hier werden Wahrscheinlichkeitsverteilung, Wahrscheinlichkeitsfunktion, bedingte Wahrscheinlichkeit und viele andere Begriffe unterschieden.
Wahrscheinlichkeiten sind Zahlen zwischen 0 und 1, wobei Null und Eins zulässige Werte sind. Einem unmöglichen Ereignis wird die Wahrscheinlichkeit 0 zugewiesen, einem sicheren Ereignis die Wahrscheinlichkeit 1. Die Umkehrung davon gilt jedoch nur, wenn die Anzahl aller Ereignisse höchstens abzählbar unendlich ist. In "überabzählbar unendlichen" Wahrscheinlichkeitsräumen kann ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 0 eintreten, es heißt dann fast unmöglich, ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 1 muss nicht eintreten, es heißt dann fast sicher.
Die Wahrscheinlichkeit kann dabei mathematisch geschrieben bzw. definiert werden. Einige bekannte Definitionen sind:
- Wahrscheinlichkeit ist das Verhältnis der günstigen Ereignisse zur Gesamtmenge der Ereignisse (sogenannte ‚klassische‘ Definition, seit Christiaan Huygens und Jakob I. Bernoulli üblich, von Laplace formuliert, bis heute gerne zur Einführung benutzt). So ist z.B. die Wahrscheinlichkeit mit einem Sechserwürfel eine ungerade Zahl zu werfen 0,5 (dies entspricht einer relativen Häufigkeit von 50 Prozent), denn es gibt 6 mögliche Ergebnisse, von denen 3 die genannte Eigenschaft besitzen.
- Wahrscheinlichkeit ist der Grenzwert der relativen Häufigkeit (sogenannte ‚Limes-Definition‘ nach von Mises; heute nicht mehr gebräuchlich, aber historisch richtig).
- Axiomatische Definition der Wahrscheinlichkeit nach Kolmogorow – die heute für die Mathematik maßgebende Definition, siehe Wahrscheinlichkeitstheorie.
- Geometrischer Wahrscheinlichkeitsbegriff.
Diese Definitionen bzw. mathematischen Beschreibungen der Wahrscheinlichkeit dürfen nicht mit den inhaltlichen Deutungen der Wahrscheinlichkeit verwechselt werden, die in der Philosophie oder Physik verwendet werden.
Siehe auch: Wahrscheinlichkeitsauffassung, Wahrscheinlichkeitsmaß, Irrtumswahrscheinlichkeit, Eintrittswahrscheinlichkeit
Psychologie – Einschätzen von Wahrscheinlichkeiten
Es wird oft behauptet, der Mensch besitze ein schlechtes Gefühl für die Wahrscheinlichkeit, man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Wahrscheinlichkeitsidioten“ (siehe auch Zahlenanalphabetismus). Dazu folgende Beispiele:
- Das Geburtstagsparadoxon: Auf einem Fußballspielfeld befinden sich 23 Personen (2*11 Spieler und ein Schiedsrichter). Die Wahrscheinlichkeit, dass hierunter mindestens zwei Personen am gleichen Tag Geburtstag haben, ist größer als 50 %. [1]
- Sie haben an einer Vorsorgeuntersuchung teilgenommen und einen positiven Befund erhalten. Sie wissen zusätzlich, dass Sie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung keine besonderen Risikofaktoren für die diagnostizierte Krankheit aufweisen: mit den Rechenmethoden der Bedingten Wahrscheinlichkeit kann man das tatsächliche Risiko abschätzen, dass die durch den Test erstellte Diagnose tatsächlich zutrifft. Dabei sind zwei Angaben von besonderer Bedeutung, um das Risiko eines falsch positiven Befundes zu ermitteln: die Zuverlässigkeit (Selektivität und Spezifität) des Tests und die beobachtete Grundhäufigkeit der betreffenden Krankheit in der Gesamtbevölkerung. Dieses tatsächliche Risiko zu kennen kann dabei helfen, den Sinn weitergehender (unter Umständen folgenreicher) Behandlungen abzuwägen. In solchen Fällen ergibt die Darstellung der absoluten Häufigkeit am vollständigen Entscheidungsbaum und ein darauf aufbauendes Beratungsgespräch mit dem Arzt einen besser fasslichen Eindruck als die bloße Interpretation von Prozentzahlen aufgrund des isoliert betrachteten Testergebnisses.
Siehe auch: Ziegenproblem, Gefangenenparadoxon
Philosophie – Verständnisse von Wahrscheinlichkeit
Während über den mathematischen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten weitgehend Einigkeit herrscht (siehe Wahrscheinlichkeitstheorie), besteht Uneinigkeit darüber, worauf die Rechenregeln der mathematischen Theorie angewendet werden dürfen. Dies führt zur Frage nach der Interpretation des Begriffs „Wahrscheinlichkeit“.
Häufig wird „Wahrscheinlichkeit“ in zwei verschiedenen Zusammenhängen gebraucht:
- Aleatorische Wahrscheinlichkeit (auch: ontische/objektive/statistische Wahrscheinlichkeit) beschreibt die relative Häufigkeit zukünftiger Ereignisse, die von einem zufälligen physikalischen Prozess bestimmt werden. Genauer unterscheidet man von deterministischen physikalischen Prozessen, die mit ausreichend genauer Information im Prinzip vorhersagbar wären (Würfelwurf, Wettervorhersage), und nichtdeterministischen Prozessen, die prinzipiell nicht vorhersagbar sind (radioaktiver Zerfall).
- Epistemische Wahrscheinlichkeit (auch: subjektive/personelle Wahrscheinlichkeit) beschreibt die Unsicherheit über Aussagen, bei denen kausale Zusammenhänge und Hintergründe nur unvollständig bekannt sind. Diese Aussagen können sich auf vergangene oder zukünftige Ereignisse beziehen. Naturgesetzen werden zum Beispiel gelegentlich epistemische Wahrscheinlichkeiten zugeordnet, ebenso Aussagen in Politik („Die Steuersenkung kommt mit 60 % Wahrscheinlichkeit.“), Wirtschaft oder Rechtsprechung.
Aleatorische und epistemische Wahrscheinlichkeit sind lose mit dem frequentistischen und dem bayesschen Wahrscheinlichkeitsbegriff assoziiert.
Es ist eine offene Frage, ob sich aleatorische Wahrscheinlichkeit auf epistemische Wahrscheinlichkeit reduzieren lässt (oder umgekehrt): Erscheint uns die Welt zufällig, weil wir nicht genug über sie wissen, oder gibt es fundamental zufällige Prozesse, wie etwa die objektive Deutung der Quantenmechanik annimmt? Obwohl für beide Standpunkte dieselben mathematischen Regeln zum Umgang mit Wahrscheinlichkeiten gelten, hat die jeweilige Sichtweise wichtige Konsequenzen dafür, welche mathematischen Modelle als gültig angesehen werden.
Siehe auch
- Wahrscheinlichkeit und Statistik · Kombinatorik · Risikofaktor in der Medizin, A-priori-Wahrscheinlichkeit · Wahrscheinlichkeitsverteilung · Wahrscheinlichkeitsdichte · Regenwahrscheinlichkeit · Kombinationsmöglichkeiten beim Poker, Wahrscheinlichkeitsbegriff
Literatur
- Jacob Rosenthal: Wahrscheinlichkeiten als Tendenzen. Eine Untersuchung objektiver Wahrscheinlichkeitsbegriffe. Mentis, Paderborn 2004. ISBN 3-89785-373-6
Guter Überblick über die philosophischen Deutungen der Wahrscheinlichkeit, v.a. über die aleatorischen bzw. ontischen Deutungen.
Weblinks
- Alan Hájek: Interpretations of Probability. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Wahrscheinlichkeiten beim Lotto
- dh-Materialien: Wahrscheinlichkeit
- Probability Web (engl.)