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Health Maintenance Organization

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Health Maintenance Organization (HMO) bezeichnet ein bestimmtes Krankenversicherungs- und Versorgungsmodell. Grundidee dieses Modells ist einerseits, dass Leistungserbringer im Gesundheitswesen (ÄrztInnen, Physio-/Psycho-/Ergotherapien, Logopädien,Ernährungsberatung usw.) nicht für die Krankheit, sondern für die Gesundheit ihrer Klientel bezahlt werden, und andererseits, dass ein Leistungserbringer keine finanzielle Belohnung für ausufernde Diagnose- und Therapiemassnahmen erhält.

Dies wird im ersten Ansatz so realisiert, dass eine Gemeinschaft aus Klienten und Leistungserbringern ein bestimmtes fixes Gesamtbudget hat, aus dem alle medizinischen Massnahmen bezahlt werden. Der Leistungserbringer hat dadurch einen Sparanreiz, dass er den nicht verbrauchten Rest des Budgets als Einkommen hat, während sein Einkommen dann sinkt, wenn er höhere Kosten verursacht.

(Im Gegensatz dazu steigt im traditionellen Krankenkassensystem das Einkommen des Leistungserbringers um so mehr, je mehr Leistungen er erbringt, also je mehr Kosten er verursacht).

Entwicklung und aktuelle Situation in den USA

HMOs wurden ursprünglich in den USA entwickelt. Dort gibt es keine allgemeine Krankenversicherung (abgesehen von Medicaid für die Armen und Medicare für die Alten), sondern oft Versicherungslösungen zwischen Betrieben, deren Angestellten und einer Gruppe von Leistungserbringern. Die Idee, den Leistungserbringern ein festes Budget für die Behandlung aller Angestellten eines Betriebs zur Verfügung zu stellen ist so relativ einfach durchsetzbar. Dem Personal kann vor allem bei grossen Firmen auch die Wahl zwischen verschiedenen HMOs angeboten werden. Die Angestellten haben ausserdem immer noch die Möglichkeit, bei Unzufriedenheit mit dem System zu einem anderen Arzt zu gehen, sie müssen dann aber selbst bezahlen.

Im Jahr 2003 waren in den USA 71,8 Millionen Amerikaner Mitglied einer HMO. Die grösste HMO ist die Kaiser Permanente, welche in neun amerikanischen Bundesstaaten und im District of Columbia 8,3 Millionen HMO-Mitglieder, 134'000 Angestellte, 11'000 Ärzte, 30 medizinische Zentren und 431 Regional- und Lokalstellen umfasst. Der Jahresumsatz beträgt 22,5 Milliarden $.

Es konnten in den USA keine objektiv messbaren Unterschiede der Versorgungsqualität zwischen HMO's und traditionellen Arztpraxen gezeigt werden. Andererseits gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass speziell ältere Menschen sich in HMOs subjektiv ärztlich schlechter betreut fühlen als solche mit einer individuellen herkömmlichen Krankenversicherung. Die Kosteneinsparung durch HMO's steht dagegen ausser Frage.


Existierende Modelle (Schweiz)

In der Schweiz existieren seit 1990 HMO-Praxen. Da die Schweiz zwar ebenfalls ein privatwirtschaftlich organisiertes Gesundheitssystem hat, aber andererseits eine allgemeine Krankenversicherungspflicht mit strenger Reglementierung kennt, sind HMOs hier komplexere Gebilde als in den USA. Nur wenige Krankenkassen bieten überhaupt HMO-Modelle an, keine davon flächendeckend. Im Zentrum steht jeweils ein HMO-Zentrum, das Ärzte verschiedener Fachrichtungen und Therapeuten unter einem Dach versammelt. HMO-Versicherte sind verpflichtet, sich primär im HMO-Zentrum behanden zu lassen. Ausnahmen sind Notfälle und Erkrankungen ausserhalb des geografischen oder fachlichen Tätigkeitsbereichs der HMO.

Im Gegenzug erhalten diejenigen, die sich für eine solche HMO-Variante entscheiden, eine Krankenkassen-Prämienreduktion. Wenn ein Versicherter sich nicht an die Spielregeln hält und beispielsweise zu einem externen Arzt geht, kann die Versicherung die Übernahme der Kosten dieser Behandlung ganz oder teilweise verweigern.

Organisation der HMO-Zentren

Die HMO-Zentren sind entweder Eigentum der Versicherung oder mit entsprechenden Verträgen an diese gebunden. Ärzte und Therapeuten sind Angestellte oder Anteilseigner der HMO-Zentren mit Fixlohn und/oder Gewinn- und Verlustbeteiligung. Das Budget, das das HMO-Zentrum erhält, muss jedes Jahr neu ausgehandelt werden, und hängt von der Zahl und der Altersstruktur der diesem Zentrum zugeteilten Versicherten ab. Vom Budget müssen alle Kosten für die Versicherten bestritten werden, also beispielsweise auch Rechnungen externer Ärzte, Therapeuten oder von Krankenhäusern. Ziel eines HMO-Zentrums muss es daher sein, eine möglichst umfassende Betreuung mit allen wichtigen Fachrichtungen anzubieten, um die Zahl notwendiger externer Leistungen möglichst klein zu halten. Dies kommt wiederum dem Bedürfnis der Patienten entgegen, die eine ganzheitliche Behandlung "unter einem Dach" erhalten.

Allerdings kann aus diesen Gründen ein HMO-Zentrum nur ab einer bestimmten Mindestzahl von angeschlossenen Versicherten funktionieren. HMOs sind deswegen auf Ballungsräume beschränkt.

Aspekte des HMO-Konzepts

  • Einschränkung der freien Arztwahl: Der HMO-Versicherte ist verpflichtet, sich im Normalfall nur durch Ärzte seiner HMO behandeln zu lassen oder durch externe (Fach-)ärzte, an die er aber von der HMO weiterverwiesen wurde. Der HMO-Arzt ist so ein "Gatekeeper" bezüglich weiterer Ärzte, Krankenhausaufenthalte usw. Dadurch kennt er seine Patienten gut und kann die ganze Behandlungskette übersehen, steuern und kontrollieren.
  • Gruppenpraxis: Neben gewissen Nachteilen (z.B. unpersönlichere Behandlung und schwerfälligere Organisation) hat eine Gruppenpraxis (auch ausserhalb einer HMO) erhebliche Vorteile: Öffnungszeiten, Ferienvertretung, interne Fortbildung, interne Qualitätskontrolle durch Kollegen, bessere Auslastung von teuren Geräten, Anstellung von Fachpersonal (wie Physiotherapeutin, Psychologe, Gesundheitsschwester, Ernährungs-, Diabetesberaterin, Praxismanager, Informatikspezialist), Präventionskurse, stärkere Verhandlungsposition usw.
  • Versichertenstruktur: Das HMO-Versicherungsmodell wird vorwiegend von jüngeren und gesunden Menschen gewählt. Dies ist aus Sicht der HMO-Zentren erfreulich (da diese Klientel ja wenig Kosten verursacht), aus Sicht der Krankenkasse aber ungünstig. Ihr entgehen Prämien, weil diese ja im HMO-System niedriger sind, sie spart aber keine Kosten (da diese Versicherten ja sowieso selten ärztliche Leistungen beziehen und darum kaum Einsparungspotential bieten). Die älteren und krankeren Menschen, die mehr Leistungen benötigen, bleiben dagegen eher im traditionellen Versicherungsmodell. Diesem fehlen die Prämienbeiträge der Gesunden, wodurch es seinerseits teurer wird. HMO ist damit ein Modell, dass die Solidarisierungsidee des Krankenkassensystems unterläuft und zu einer schleichenden Desolidarisierung führt.
  • Versorgungsqualität: Da die HMO-Zentren umso mehr Gewinn machen, je weniger Leistungen sie erbringen, besteht eine inhärente Versuchung, eigentlich notwendige Leistungen "einzusparen". Es sind mehr oder weniger aufwändige Kontroll- und Qualitätssicherungsmassnahmen notwendig, die das System bürokratisieren und verteuern. Da die Qualität einer einzelnen medizinischen Massnahme nur schwer objektiv zu messen ist, ist es darüberhinaus auch gar nicht immer möglich zu beweisen, dass die teuren Qualitätssicherungsmassnahmen überhaupt etwas bringen. Es gibt inwzischen Ansätze zu unabhängiger Qualitätszertifizierung (z.B. Equam), deren Wert und Wirksamkeit bisher wegen der zu kurzen Dauer ihrer Existenz noch nicht abzuschätzen ist.
  • Zeithorizont: Das HMO-System basiert unter anderem auch auf der Idee, dass die HMO-Zentren präventive Massnahmen fördern und so die Gesundheit ihrer Klientel verbessern (da sie ja davon profitieren, wenn ihre Versicherten gesund bleiben). Leider zeigt sich der Erfolg von Gesundheitsvorsorgemassnahmen oft erst nach Jahren und Jahrzehnten (Raucherentwöhnung, gesunde Ernährung, Bewegungsförderung, Blutdruckeinstellung usw.), während das Budget des HMO-Zentrums kurzfristig und von Jahr zu Jahr im Lot sein muss. Einzelne Präventionsmassnahmen lohnen sich kurzfristig somit eben doch nicht und werden darum tendenziell nur dann gefördert, wenn sie die Bilanz nicht verschlechtern, also nichts kosten oder wenn sie zum guten Image der HMO und damit zu mehr HMO-Versicherten beitragen (oder wenn die betreibende Krankenkase einen ausreichend langen Atem hat, um Defizite der HMO-Zentren einige Jahrzehnte lang zu tolerieren).
  • Hochrisiken: Angenommen, ein HMO-Versicherter erkrankt an Leukämie. Er kann und muss mit hohem personellem und apparativem Einsatz behandelt werden und hat heute eine reelle Chance, seine Krankheit zu überleben. Aber was bedeutet ein solcher Patient für das HMO-Zentrum, dem er angeschlossen ist? Ein HMO-Zentrum mit einem Umsatz von vielleicht 5 Mio Franken kann Kosten von 500'000 Franken für die Behandlung dieses Patienten nicht verkraften. Ähnliches gilt in etwas geringerem Mass auch für andere Krankheiten, deren Behandlung sehr teuer ist (Beispielsweise HIV-Infekt/AIDS, Nierenkrankheiten usw.). Deshalb müssen HMOs für solche Fälle eine Hochrisikoversicherung ab. Die Kalkulation einer solchen Versicherung ist wiederum ein recht komplexes Problem (ab welcher Kostenstufe? Bis zu welcher Höhe? Wer zahlt wieviel Prämien? Was ist, wenn eine HMO viele Patienten knapp unterhalb der Hochrisikoschwelle hat? usw.).

Bilanz

Auch nach 14 Jahren HMO in der Schweiz kann man keine klare Bilanz ziehen. Eine der grössten Betreiberkassen von HMO-Zentren (Swica) hat in den letzten Jahren mehrere Zentren wieder geschlossen, weil sie nicht rentabel zu betreiben waren. Die oben umrissenen inhärenten Schwächen des Konzepts und die relativ geringe Akzeptanz in der Bevölkerung lassen einen grösseren Erfolg in den nächsten Jahren eher unwahrscheinlich erscheinen. Andererseits steigen die Krankenkassenprämien weiter, so dass der Beitritt zu einer billigeren HMO attraktiver wird. Dazu tragen auch Bemühungen verschiedener politischer Kräfte bei, welche Versicherungasmodelle mit Budgetveranwortung der Leistungserbringer (und damit auch HMO's) mit Gesetzesänderungen fördern möchten. Am 1.1.2004 waren knapp 100'000 Menschen in der Schweiz in HMOs krankenversichert.

Verwandte Konzepte

  • Gatekeeping: Patienten werden verpflichtet, bei Erkrankungen immer zuerst eine bestimmte Stelle aufzusuchen, die dann bei Bedarf weiterverweist. Diese Idee fand verschiedene Umsetzungen (Hausarztmodelle, Ambulanzmodelle, Triagestationen, telefonische Hotline usw) und scheint auf mehr Akzeptanz zu stossen als die reinen HMO-Modelle.
  • Budgetverantwortung der Ärzte: Hausarztvereine schliessen spezielle Verträge mit den Krankenkassen, die eine Beteiligung an Gewinn und Verlust des darin eingeschlossenen Patientenkollektivs beinhalten. Dies übernimmt einen Teil der HMO-Idee, ohne die Ärzte völlig von den Kassen abhängig zu machen.
  • Staatliche Gesundheitssysteme. Dies ist quasi das HMO-Konzept bis zur letzten Konsequenz weitergeführt: Alle Leistungserbringer sind Angestellte des Staates. Für die Patienten entfällt sowohl die freie Wahl des Versicherungsmodells als auch die völlig freie Wahl des Arztes. Auf diese Weise lassen sich viele der Schwierigkeiten der privatwirtschaftlichen HMO-Zentren umgehen. Allerdings haben staatliche Gesundheitssysteme wieder eigene Probleme (vgl. zum Beispiel Gesundheitssystem Großbritannien).

Literatur

  • Daniel Finsterwald: Managed Care - Pionierland Schweiz / Managed Care - La Suisse pionnière. Verlag Schweiz. Gesellschaft für Gesundheitspolitik SGGP, Zürich, 2004, 267 S.,ISBN 3-85707-75-3
  • Jürg Baumberger, So funktioniert Managed Care, Thieme, Stuttgart-New York, 2001, 274S., ISBN 3-13-128391-2
  • Jürg Baumberger, Managed Care, in: Gerhard Kocher, Willy Oggier (Hrsg.), Gesundheitswesen Schweiz 2004 - 2006, Eine aktuelle Übersicht, Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle, 2004, ISBN 3-456-84080-2, S. 173-182 (Version en français: Système de la Santé Suisse, ISBN 3-456-84081-0)

siehe auch

Managed Care