Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn (* 7. März 1948 in Brake, Westfalen) ist ein deutscher Ökonom.
Leben
Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster von 1967 bis 1972 und Promotion an der Universität Mannheim 1978 wurde Sinn 1983 ebenfalls von der Universität Mannheim habilitiert.
Seit 1984 hat Sinn den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München inne. Beurlaubt von seinen jeweiligen Heimatuniversitäten lehrte er in den akademischen Jahren 1978/79 und 1984/85 insgesamt vier Semester als Gastprofessor an der Universität von Western Ontario in Kanada. Außerdem wirkte er für längere Zeit als Gastforscher an der London School of Economics sowie an den Universitäten Bergen, Stanford, Princeton und Jerusalem. Seit 1988 ist Sinn Honorarprofessor an der Universität Wien, wo er seitdem viele Gastvorlesungen gehalten hat. Im Sommersemester 1984 nahm Sinn einen Lehrauftrag an der Justus-Liebig-Universität Gießen wahr. Seit dem 1. Februar 1999 ist er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Seit 2006 ist er zugleich Präsident des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler (IIPF), also jener Ökonomen, die sich mit der Rolle des Staates in der Marktwirtschaft beschäftigen. Von 1997 bis 2000 war Sinn Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, des 1873 von den sogenannten Kathedersozialisten gegründeten Fachverbandes der deutschsprachigen Volkswirte.
Sinn gilt als einer der einflussreichsten und international anerkanntesten Wirtschaftswissenschaftler Deutschlands. Er ist einer der wenigen deutschsprachigen Fellows des National Bureau of Economic Research in Cambridge, USA, und hielt als bisher einziger deutschsprachiger Ökonom die Yrjö Jahnsson Lectures[1] in Helsinki und die Tinbergen Lectures in Amsterdam, was zu den hohen Auszeichnungen des Faches gehört. Sein wissenschaftliches Oeuvre umfasst 7 große Monographien mit 32 Ausgaben in 6 Sprachen (ohne Herausgeberschaften), 11 kleinere Monographien und 130 wissenschaftliche Aufsätze, wovon 80 in referierten internationalen Fachzeitschriften erschienen sind.
Seitdem Sinn in der Spätphase seiner beruflichen Laufbahn das ifo Institut übernahm, ist er in der Öffentlichkeit so präsent wie kaum ein zweiter Ökonom. Er hat 50 längere Politikbeiträge in Sammelbänden und Fachzeitschriften veröffentlicht, 190 Zeitungsartikel verfasst und über 200 Zeitungsinterviews gegeben. Hinzu kommen über 20 längere Beiträge in Rundfunk und Fernsehen sowie über 100 Interviews oder Talkshows in diesen Medien. Zu seiner Personen existieren zwanzig ausführliche biographische Artikel in deutschen und ausländischen Zeitungen.[2]
Sinn ist Autor des Bestsellers Ist Deutschland noch zu retten?, der entscheidende Anstöße für die deutsche Politikdiskussion in den letzten Jahren lieferte. Seine Thesen provozieren, weil sie an den Grundfesten des deutschen Sozialmodells rütteln. Lothar Späth nennt Sinn den Fachmann, der "Klartext" redet[3], Klaus von Dohnanyi argumentiert, „wir kämen wieder auf guten Kurs“, „würde die Mehrheit der Deutschen den ´Sinn´ begreifen“, und Roland Berger bezeichnet seine Analyse als „scharfsinnig und brillant“[4]. Um auf Kritik seitens der Medien auf dieses Buch zu reagieren, schrieb Sinn 2005 außerdem das Buch Die Basarökonomie. Sinn hat einen Sitz im Aufsichtsrat der HypoVereinsbank. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Sinn gehört keiner Partei an.
Im "Handelsblatt Ökonomen-Ranking VWL", welches die Publikationen in international renommierten Fachzeitschriften (jedoch keine Monographien) zählt, rangierte Sinn 2006 an vierter Stelle der forschungsstärksten deutschen Volkswirte[5]. Nach einer umfangreichen Untersuchung von Ursprung und Zimmer [6] rangierte Sinn unter allen deutschen Ökonomen, gemessen an der Zahl der Zitierungen pro Autor in den führenden wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften der Welt (im SSCI gelistete wirtschaftswissenschaftliche Zeitschriften), auf Platz 2 hinter Nobelpreisträger Reinhard Selten. In der Datenbank Repec war er im Jahr 2006 der wissenschaftlich am häufigsten zitierte Ökonom Deutschlands[7]. Nach einer Umfrage der Financial Times Deutschland bei über 550 deutschen Wirtschaftsexperten gelang es Sinn als einer von nur zwei Professoren in Deutschland (neben Herbert Giersch), eine größere Gefolgschaft akademischer Schüler heranzuziehen, und er rangiert bezüglich der Einschätzung des ausgeübten politischen Einflusses neben Bert Rürup an der Spitze der deutschen Professoren[8].
Wirtschaftspolitische Standpunkte
Sinn kritisiert eine in der Vergangenheit seiner Ansicht nach ausufernde Lohnentwicklung, die für die Massenarbeitslosigkeit insbesondere der gering Qualifizierten verantwortlich sei. Er nennt viele Ansatzpunkte, die seiner Ansicht nach notwendig sind, um Deutschlands Rolle in der Globalisierung zu stärken. Sie reichen von einer Beschränkung der Gewerkschaftsmacht bis zu einer Verbesserung der Anreizstrukturen des Sozialstaates.
Grundsätzlich hält Sinn einen Sozialstaat im Sinne einer Umverteilung zugunsten sozial Schwacher für notwendig, da die Einkommensverteilung der Marktwirtschaft sehr ungleichmäßig und ungerecht sei. Der ehemalige Präsident des Kieler Instituts für Wirtschaftsforschung, Horst Siebert, hielt ihn deshalb für zu staatsgläubig[9]. Der Sozialstaat sei das Wesen der sozialen Marktwirtschaft, welches auf jeden Fall beibehalten werden solle. Jedoch hält Sinn den deutschen Sozialstaat für falsch strukturiert. Er plädiert daher für einen Umbau. So mindere das Arbeitslosengeld die Bereitschaft, eine reguläre Arbeit für einen im Vergleich niedrigeren oder gleichen Lohn aufzunehmen. Er sagt, dass es verständlich sei, dass niemand arbeiten gehe, wenn er vom Staat ohne zu arbeiten mehr bekomme. Das Arbeitslosengeld wirke wie ein Mindestlohn, der die Jobs jener Menschen vernichte, deren Produktivität kleiner als dieser Mindestlohn sei. Der Staat solle seiner Meinung nach weniger fürs Wegbleiben und mehr fürs Mitmachen bezahlen. Sinn folgert aus der Konstruktion des Sozialstaates, dass die Lohnskala von unten nach oben zusammengestaucht worden sei („Ziehharmonika-Effekt“). Dies begründe, dass Deutschland eine im internationalen Vergleich sehr niedrige Lohnspreizung aufweise und Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit der gering Qualifizierten sei.
Sinn spricht sich für eine Sicherung von Mindesteinkommen statt von Mindestlöhnen aus. Der Staat solle individuell bemessene Lohnzuschüsse zahlen (aktivierende Sozialhilfe). Das ermögliche eine Spreizung der Lohnskala nach unten, schaffe neue Jobs und sichere zugleich ein Mindestniveau des Lebensstandards, das den sozialen Zielen der Gesellschaft entspreche. Die weniger leistungsfähigen Mitglieder der Gesellschaft hätten dann zwei Einkommen: ein niedriges Lohneinkommen, das ihrer Produktivität entspreche, und einen staatlichen Lohnzuschuss. Mit dem Kombilohnmodell des Ifo-Instituts sollen demzufolge 3 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, vor allem für gering Qualifizierte. Zur weiteren Absicherung schlägt Sinn kommunale Leiharbeits-Jobs vor, auf denen jederzeit ein Lohneinkommen in Höhe des heutigen Arbeitslosengeldes II verdient werden kann. Auf diese Weise werde eine lückenlose Mindesteinkommenssicherung auf heutigem Niveau erreicht.
Sinn hält außerdem eine Lockerung des Kündigungsschutzes für notwendig. So möchte er, dass sich ein Arbeitnehmer entscheiden kann, ob er zu höherem Lohn eine Stelle ohne oder zu niedrigerem Lohn eine Stelle mit Kündigungsschutz in Anspruch nehmen will. Sinn ist ein engagierter Verfechter der Mitbeteiligung von Arbeitnehmern an den Unternehmen in Form von Aktien und Genussrechten. Er wirft den Gewerkschaften vor, dass sie in den sechziger Jahren auf die Mitbestimmung statt auf die Mitbeteiligung der Arbeitnehmer gesetzt haben, weil das mehr Stellen für Gewerkschaftsfunktionäre gebracht habe.
Er kritisiert die ökonomische Wiedervereinigungspolitik Helmut Kohls. So hätte man die Treuhand bei den Tarifverhandlungen beteiligen müssen, um zu verhindern, dass die westdeutschen Konkurrenten in Ostdeutschland die Löhne über das Produktivitätsniveau hinausdrücken. Vor allem habe die Treuhandanstalt den Auftrag des Einigungsvertrages vernachlässigt, nach dem sie Möglichkeiten hätte schaffen müssen, den Bürgern der Ex-DDR verbriefte Anteilsrechte am ehemals volkseigenen Vermögen zuzusprechen.
Um Deutschlands Arbeitnehmer "wettbewerbsfähiger" zu machen, ist Sinn für eine zehnprozentige Ausweitung der Arbeitszeit von 38 auf 42 Stunden ohne Lohnausgleich[10]. Neben dem direkten Absenken der Lohnkosten, so Sinn, würde auf diesem Weg jeder Arbeitnehmer produktiver gemacht und Angebot und Nachfrage stiegen. Nach Berechnungen ergebe es einen Wachstumsschub von sechs bis zehn Prozent. Eine Verlängerung der Arbeitszeit sei außerdem exakt das Gleiche wie technischer Fortschritt. Man könne seiner Meinung nach nicht für technischen Fortschritt und gleichzeitig gegen eine Arbeitszeitverlängerung sein, da dies ökonomisch ein und das Selbe sei.
Sinn hat in verschiedenen öffentlichen Kommentaren in unterschiedlichem Maße ablehnende Positionen zu den wirtschaftspolitischen Empfehlungen eingenommen, die manche seiner Kritiker glaubten, aus dem Keynesianismus herleiten zu können. In einem Artikel in der FAZ vom 23. Dezember 1998 bezeichnete er die Theorie im Sinne eines allumfassenden Erklärungsansatzes als „ausgestorben“. Im Sinne des neoklassischen Konsenses sieht er ihre Rolle auf die Konjunkturerklärung beschränkt. („Ich bin auch ein Keynesianer, wenn Sie so wollen.“[11]). In der Tat erstellt er seine Konjunkturprognosen im ifo Institut nach der keynesianischen Methode. Er warnt jedoch weiterhin davor zu glauben, dass durch eine Nachfragepolitik des Staates die überwiegend strukturellen Probleme Deutschlands auf dem Arbeitsmarkt zu beheben seien. Für die lange Frist, jenseits des Konjunkturzyklus sei die keynesianische Theorie nutzlos. Was längerfristig geschehe, sei besser angebotstheoretisch zu erklären.
Sinn spricht sich dafür aus, die Rechte von Managern zu beschränken, um Unternehmensübernahmen durch Abfindungszahlungen an Manager zu verhindern.
In einem Interview der Süddeutsche Zeitung im Oktober 2007 vertritt Sinn den Standpunkt, dass die Marktwirtschaft zwar nicht "gerecht", aber "effizient" sei: "Etwas mehr Ungleichheit in der Einkommensverteilung bewirkt auch für die weniger gut dabei Wegkommenden letztlich einen höheren Lebensstandard, als wenn man ein egalitäres System schafft, wo alle das Gleiche kriegen und alle gleichermaßen arm sind." In Anlehnung an das von Adam Smith formulierte Prinzip der unsichtbaren Hand formuliert Sinn seine Auffassung: "Jeder Mensch in der Marktwirtschaft denkt doch zunächst einmal an sein eigenes Wohlergehen, trotzdem funktioniert die Marktwirtschaft. Sie braucht nicht den guten Menschen, sondern funktioniert mit Menschen, die ihren eigenen Vorteil maximieren wollen." [12]
Forschung
Abgesehen von seiner auch in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Diplomarbeit zum Marxschen Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate hat sich Sinn in seinen ersten Jahren vor allem mit der ökonomischen Risikotheorie beschäftigt. Einen Namen hat er sich mit seiner auch international publizierten Dissertation mit dem Titel „Ökonomische Entscheidungen bei Ungewissheit“ (1980) sowie zahlreichen daraus abgeleiteten wissenschaftlichen Artikeln gemacht. Schwerpunkte dieser Arbeiten lagen bei der axiomatischen Fundierung der Mittelwert-Varianz-Analyse, bei der Fundierung des Prinzips des unzureichenden Grundes und bei der psychologischen Fundierung von Risikopräferenzfunktionen.
Es folgte eine größere Zahl von Arbeiten zu konjunkturtheoretischen, umweltökonomischen und außenhandelsbezogenen Themen, die ein sehr breites ökonomisches Spektrum abdecken. Hervorzuheben sind die Arbeiten zum so genannten Asset Approach sowie zur Mikrofundierung des allgemeinen Modells des temporären Gleichgewichts.
Einen besonderen Schwerpunkt bildeten Probleme des längerfristigen wirtschaftlichen Wachstums. So gelang es Sinn als erstem Ökonomen (vor entsprechenden Arbeiten von Chamley 1981 sowie Abel und Blanchard 1983), mit einer Arbeit, die im Jahr 1980 auf deutsch und zwei Jahre später auf Englisch veröffentlicht wurde, das ökonomische Zentralplanungsmodell des wirtschaftlichen Wachstums in der Tradition von Robert Solow als intertemporales allgemeines Gleichgewichtsmodell mit dezentral optimierenden Akteuren und Markträumungsbedingungen zu formulieren[13].
Seine Habilitationsschrift und parallel entstandene Aufsätze zum Thema Kapitaleinkommensbesteuerung konnten auf der Basis dieses Modells theoretisches Neuland gewinnen. Für seine Analyse der Anreizwirkungen beschleunigter Abschreibungen und der verschiedenen Komponenten der Kapitaleinkommensbesteuerung auf die intertemporale, internationale und intersektorale Allokation hat er international erhebliches Ansehen gewonnen. Sein Buch Capital Income Taxation and Ressource Allocation (1987) gehört noch heute zu den Standardwerken auf dem Gebiet[14].
Im Gefolge der Diskussion um die Thesen des Club of Rome hat sich Sinn sehr intensiv in einem guten Dutzend wissenschaftlicher Arbeiten mit der Theorie erschöpfbarer natürlicher Ressourcen beschäftigt. Seine Arbeiten zur Bestandsabhängigkeit der Extraktionskosten, zum Allmendeproblem bei unklar definierten Eigentumsrechten beim Öl sowie zu den Besteuerungswirkungen auf den Extraktionspfad sind besonders hervorzuheben.
Nach seiner Aufnahme in den wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft verlagerte sich der Schwerpunkt der Arbeiten Sinns von der Theorie auf die Wirtschaftspolitik. Nachdem er sich an den Privatisierungsvorschlägen des Beirats zur deutschen Vereinigung gerieben hatte und ihnen in einem Minderheitsvotum widersprach, veröffentlichte er bereits ein Jahr nach der Vereinigung zusammen mit seiner Frau Gerlinde Sinn das Buch „Kaltstart“ (1991), welches die erste Monographie zu den ökonomischen Problemen der deutschen Vereinigung war und als Standardwerk zu diesem Thema gilt. Er charakterisierte die deutsche Politik als Konkursverwaltung mit Sozialplan und prognostizierte den baldigen Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie, was seine Zeitgenossen damals als übertrieben pessimistisch ansahen.
Ende der 90er Jahre schrieb Sinn ein kritisches Buch zur Rolle der deutschen Landesbanken, und im Buch „The New Systems Competition“ (2003), das aus seinen Yrjö Jahnsson Lectures in Helsinki im Jahr 1999 entstand, beschrieb er die Gefährdung des europäischen Sozialstaats durch die Kräfte des Systemwettbewerbs. In verschiedenen Aufsätzen hat er schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts vor den Erosionskräften des internationalen Steuerwettbewerbs gewarnt und die negativen Folgen der Globalisierung für die Einkommensverteilung in Deutschland problematisiert. Die seit mehreren Jahrzehnten steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland und deren mögliche Ursachen waren schließlich die Motivation für das Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“ (2003), das mittlerweile in elf deutschen, einer koreanischen und einer englischen Auflage erschienen ist. In dem Buch widmet er sich vorrangig den Strukturproblemen des deutschen Arbeitsmarktes und Sozialsystems, problematisiert aber auch die extrem niedrigen Geburtenzahlen Deutschlands, die Immigration und die Fehlentwicklungen im europäischen Sozialrecht, die aus einer Missachtung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten resultieren.
Im Buch „Basarökonomie“ analysiert Sinn den Einfluss der internationalen Niedriglohnkonkurrenz auf die horizontale und vertikale Sektorstruktur. Wegen der ausländischen Niedriglohnkonkurrenz gehen viele arbeitsintensive Binnensektoren (Textilien, Dienstleistungen etc.) kaputt und geben ihr Kapital, ihre Talente und einfache Arbeit frei, die dann in den kapital- und wissensintensiven Exportsektoren der Wirtschaft neue Beschäftigungschancen suchen und finden. Der Prozess kann im Prinzip als Verbesserung der internationalen Arbeitsteilung verstanden werden, schießt aber wegen hoher und starrer Löhne über sein Optimum hinaus. Es wird zu Lasten der Binnensektoren zuviel Wertschöpfung im Export erzeugt. Zugleich konzentriert sich ein zu großer Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes auf die Endstufen der Produktion (Basar-Effekt): Die Fertigungstiefe der Industrieproduktion sinkt zu rasch, weil die deutschen Lohnkosten der Industriearbeiter nach wie vor bei weitem die höchsten aller großen Industrieländer sind. Deutschland entwickelt sich zur Basar-Ökonomie, die ihr Geld vornehmlich im Export verdient. Die hohe Wertschöpfung im Export wird jedoch mit einem übermäßigen Schrumpfen der arbeitsintensiven Binnensektoren und einer hohen Arbeitslosigkeit erkauft.
Kritik
Kritik an Sinns Positionen üben u.a. Vertreter des Keynesianismus wie z. B. Peter Bofinger, einer der Wirtschaftsweisen[15]. Die makroökonomischen Effekte, die Sinn als Folge einer Arbeitszeitverlängerung erwartet, werden von Bofinger bestritten [16].
Insbesondere wird eine Einseitigkeit der Argumentation bzgl. der Löhne gesehen, weil Löhne zwar Kosten, aber auch Nachfrage darstellen, und die seit Mitte der 1990er Jahre anhaltende Stagnation der Löhne zur anhaltenden Binnenmarktschwäche Deutschlands geführt habe und damit weiterhin das Wirtschaftswachstum behindere.
Eingewandt wird insbesondere, dass angesichts der im europäischen Vergleich niedrigen Stundenlöhne und niedrigen Tarifabdeckung in Ostdeutschland für die gerade dort hohe Arbeitslosigkeit nicht die Lohnpolitik der Gewerkschaften verantwortlich gemacht werden könne.
Dazu wird freilich eingewandt, dass die Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld) sich in Deutschland mittlerweile kaum noch vom Niveau anderer westeuropäischer Staaten (England, Frankreich, Spanien) unterscheiden und insofern keine logische Begründung für die in Deutschland viel höhere Arbeitslosigkeit abgeben könnten.
Ferner habe die moderate Lohnpolitik der letzten 10 Jahren die Wettbewerbsfähigkeit schon erheblich gesteigert.
Zudem wird eingewandt, dass die Löhne in Deutschland außerhalb des verarbeitenden Gewerbes, das etwa 20 % der Erwerbstätigen beschäftigt (2005), im EU-Mittelfeld lägen, zum Teil unterhalb derer von Ländern mit wesentlich niedrigerer Arbeitslosigkeit, sodass hohe Löhne und Gewerkschaftsmacht keine plausible Erklärung abgäben.
Familie
Sinn lebt mit seiner Frau bei München. Gemeinsam haben sie drei erwachsene Kinder.
Mitgliedschaft
- Präsident des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler 2006–2009 (International Institute of Public Finance)
- European Economic Advisory Group at CESifo (seit 2001)
- Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften (seit 2001)
- Bayerische Akademie der Wissenschaften, Historisch-Philosophische Klasse (seit 1996)
- National Bureau of Economic Research (NBER), Cambridge, Mass., Research Associate (seit 1989)
- Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium (seit 1989)
Ehrungen
- The World Economy Annual Lecture, University of Nottingham (2005)
- Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2005)
- Internationaler Buchpreis CORINE (2004)
- Tinbergen Lecture, Royal Netherlands Economic Association (2004)
- Wirtschaftsbuchpreis von Financial Times Deutschland und getAbstract AG (2003)
- Ehrenpreis des Wirtschaftsbeirates der Union e.V. (2003)
- Stevenson Lectures on Citizenship, Universität Glasgow (2000)
- Distinguished Scholar, Atlantic Economic Society (2000)
- Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1999)
- Yrjö Jahnsson Lectures, Universität Helsinki (1999)
- Ehrendoktorwürde (Dr. rer. pol. h. c.), Universität Magdeburg (1999)
- Sonderpreis der Herbert-Quandt-Stiftung (1997)
- Honorarprofessor der Universität Wien (1988)
- Erster Preis der Universität Mannheim für Habilitationsschrift (1984, Schitag-Stiftung)
- Erster Preis der Universität Mannheim für Dissertation (1979, Stiftung Rheinische Hypothekenbank)
Ausgewählte Literatur
- "Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit", J. C. B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1980.
- "A Rehabilitation of the Principle of Insufficient Reason", Quarterly Journal of Economics 95, 1980, S. 493-506.
- "Stock-dependent Extraction Costs and the Technological Efficiency of Resource Depletion", Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 101, 1981, S. 507-517.
- "Economic Decisions under Uncertainty", North Holland: Amsterdam, New York und Oxford 1983, (Überarbeitete Übersetzung von Ökonomische Entscheidungen bei Ungewißheit; zweite englische Auflage, Physica: Heidelberg 1989.
- "Common Property Resources, Storage Facilities and Ownership Structures: A Cournot Model of the Oil Market", Economica 51, 1984, S. 235-252.
- "Kapitaleinkommensbesteuerung. Eine Analyse der intertemporalen, internationalen und intersektoralen Allokationswirkungen", J. C. B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1985.
- "Capital Income Taxation and Resource Allocation", North Holland: Amsterdam, New York, Oxford und Tokio 1987, (grundlegend überarbeitete englische Fassung von Kapitaleinkommensbesteuerung)
- "Gradual Reforms of Capital Income Taxation" (zusammen mit P. Howitt), American Economic Review 79, 1989, S. 106-124.
- "Kaltstart – Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung". Beck/dtv, München, 3. Auflage 1993
- "A Theory of the Welfare State", Scandinavian Journal of Economics 97, 1995, S. 495-526.
- "The Selection Principle and Market Failure in Systems Competition", Journal of Public Economics 66, 1997, S. 247-274.
- "The New Systems Competition", Yrjö Jahnsson Lectures, Basil Blackwell: Oxford 2003
- "Ist Deutschland noch zu retten?" 8., aktualisierte Aufl. Berlin 2004.
- "The Pay-as-you-go Pension System as a Fertility Insurance and Enforcement Device", Journal of Public Economics 88, 2004, S. 1335-1357.
- "Mut zu Reformen." Fünfzig Denkanstöße für die Wirtschaftspolitik, München 2004.
- "Die Basar-Ökonomie", Econ Verlag, Oktober 2005
Quellen
- ↑ Yrjö Jahnsson Lectures
- ↑ CV mit Publikationsliste
- ↑ Die Zeit, Nr. 14, 31. März 2005, Kolja Rudzio: „Was bewegt… Hans-Werner Sinn?“
- ↑ [http://www.cesifo-group.de/link/_publsinndtld2003 Vgl. „Stimmen zum Buch“
- ↑ http://www.handelsblatt.com 1. Oktober 2006
- ↑ "Who is the 'Platz-Hirsch' of the German Economics Profession? A Citation Analysis" von Heinrich W. Ursprung und Markus Zimmer, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2007, Bd. 227/2
- ↑ The RePEC Ranking of German Economist Working in Germany The list was compiled with the information available on the RePEc website on October 1st, 2006.
- ↑ Financial Times Deutschland, Nr. 90, 10. Mai 2006 „Was Ökonomen wirklich wollen“
- ↑ Wirtschaftswoche 8.Oktober 1998 (PDF)
- ↑ FAZ 2004 Nr. 262 vom 9. November 2006, S. 13
- ↑ DIE ZEIT, 13. Mai 2004: „Sparen!“ – „Nein, bloß nicht!“ (Streitgespräch mit Sinn und Bofinger) siehe letzte Antwort
- ↑ "Ungerecht lebt es sich besser" - 24.10.2007
- ↑ Andrew B. Abel, Olivier J. Blanchard, “An Intertemporal Model of Saving and Investment”, Econometrica 51, No. 3, 1983, S. 675-692; Christophe Chamley, “The Welfare Cost of Capital Income Taxation in a Growing Economy”, The Journal of Political Economy 89, No. 3, 1981, S. 468-496; Hans-Werner Sinn, “Besteuerung, Wachstum und Ressourcenabbau. Ein allgemeiner Gleichgewichtsansatz“, in: H. Siebert, Hrsg., Erschöpfbare Ressourcen, Papers & Proceedings of German Economic Association, Duncker und Humblot: Berlin 1980, S. 499-528; Hans-Werner Sinn, "Taxation, Growth, and Resource Extraction: A General Equilibrium Approach", European Economic Review 19, 1982, S. 357-386.
- ↑ Capital Income Taxation and Resource Allocation, North Holland: Amsterdam, New York, Oxford und Tokio 1987.
- ↑ http://images.zeit.de/text/2004/49/Rez__Bofinger
- ↑ http://www.daserste.de/plusminus/beitrag_archiv.asp?aid=284
Weblinks
- Vorlage:PND
- Curriculum Vitae von Hans-Werner Sinn
- CESifo Homepage
- ifo Stimmen in Fernsehen und Hörfunk (kostenloses Ansehen von Fernsehauftritten möglich)
- Thomas Betz zu Hans-Werner Sinn: Ist Deutschland noch zu retten? in "Zeitschrift für Sozialökonomie", Ausgabe Juni 2004; Franz Schellhorn, Die Presse, 14. April 2004, S. 17; Reinhard C. Meier-Walser, Politische Studien 55, H. 395, Ausgabe März/April 2004; Nikolaus Piper, Süddeutsche Zeitung, 31.10.2003, S. 26. Rezensionen
- Gespräch in der Zeitschrift Chrismon mit Pfarrer Christian Führer
Personendaten | |
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NAME | Sinn, Hans-Werner |
KURZBESCHREIBUNG | Deutscher Wirtschaftswissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 7. März 1948 |
GEBURTSORT | Brake, Westfalen |