Staatsbürgerkunde
Staatsbürgerkunde, auch Stabü genannt, war ein Schulfach in der DDR, das in der 9. und 10. Klasse, ab 1969 von der 7. bis zur 10. Klasse an den Polytechnischen Oberschulen und bis zur 12. Klasse an den Erweiterten Oberschulen unterrichtet wurde.
Das Schulfach war Teil des sozialistischen Schulsystems in der DDR und stellte den „Klassenstandpunkt“ der Kinder schon im Alter von 13 Jahren in den Mittelpunkt. Der Unterricht war eng verknüpft mit den ebenfalls in die Schulen integrierten politischen Jugendorganisationen Pioniere und FDJ. Die Erziehung in diesem Schulfach stellte das „Kollektiv“ in den Mittelpunkt. Individualismus war nicht erwünscht. „Der Schritt erfolgt vom Ich zum Wir“ war eine Losung in der DDR.[1] Von Beginn an war das Schulfach auch militaristisch geprägt und bereitete auf den Wehrunterricht (seit 1978) vor, der von der 9. Klasse an obligatorisch war. Die Lehrmaterialien verherrlichten den Wehrdienst und die „Waffenbrüderschaft“ mit der Sowjetunion. Kritische Themen wie der Aufstand am 17. Juni 1953 oder der Mauerbau wurden zwar thematisiert, aber falsch dargestellt. Es wurde beispielsweise im Lehrplan behauptet, der Aufstand vom 17. Juni 1953 sei von West-Berlin aus gesteuert worden und die Mauer zur Abwehr von „Faschisten“ aus dem Westen errichtet worden. Außerdem wurde ein verzerrtes Bild von der Bundesrepublik Deutschland entworfen, das mit der Realität nichts zu tun hatte. Diskussionen über kritische Themen wie Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit waren in der Schule tabuisiert. Es wurde behauptet, alle diese Freiheiten wären in der DDR verwirklicht.
Der Staatsbürgerkundeunterricht sollte den Schülern ein „gefestigtes Klassenbewusstsein“ und das „Bekenntnis zum Arbeiter-und-Bauern-Staat“ vermitteln und sie zu „bewussten Staatsbürgern“ der DDR erziehen. Dazu wurde den Schülern Wissen über den Staatsaufbau, die seit 1968 in der Verfassung festgeschriebene „führende Rolle der SED“, die Rechte und Pflichten des DDR-Bürgers sowie die Ideologie des Marxismus-Leninismus vermittelt. Dabei war es von großer Bedeutung, dass das sozialistische System dem kapitalistischen System als überlegen gegenübergestellt wurde. Der Sieg des Sozialismus/Kommunismus über den Kapitalismus wurde als gesetzmäßig dargestellt. Als besonders wichtig galt in diesem Unterricht die Vermittlung der „unverbrüchlichen Freundschaft“ der DDR mit der Sowjetunion und die Darstellung der USA und der BRD als Klassenfeinde.
Das Schulfach stand in engem Zusammenhang zu der obligatorischen Mitgliedschaft in der FDJ, der Teilnahme am Wehrunterricht, der Jugendweihe und anderer Einbindungen der Schulkinder in staatliche Organisationen und Betriebe. So blieb ein DDR-Bürger vom sechsten Lebensjahr bis zu seinem Lebensende eingebunden in diverse gleichgeschaltete sozialistische Organisationen. Eine Verweigerung einzelner Schüler oder deren Eltern auch nur in einem dieser Bereiche führte fast immer zu staatlichen Repressallien auch für die Eltern. Die Schüler durften kein Abitur machen, nicht studieren, wurden bei der Wahl ihres Ausbildungsplatzes behindert und zumeist von der Saatssicherheit überwacht.
Literatur und Medien
- Tilman Grammes, Henning Schluß, Hans-Joachim Vogler: Staatsbürgerkunde in der DDR – Ein Dokumentenband. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8100-1893-7.
- Henning Schluß: Der Mauerbau im DDR-Unterricht. Videodokumentation einer Unterrichtsstunde mit Hintergrundinformationen, FWU, München, DVD 46 02332.
Siehe auch
- Gemeinschaftskunde (BRD)
Einzelnachweise
- ↑ Sebastian Schubert, La vie en rose - Erinnerungen an die DDR, Dokumentation für arte, 2004.