Gertrude von Hanau

Gertrude Falkenstein, spätere Gräfin von Schaumburg, Fürstin Hanau von und zu Hořowitz (* 18. Mai 1803 in Bonn;[1] † 9. Juli 1882 in Prag) war die morganatische Ehefrau von Friedrich Wilhelm I. von Hessen, dem letzten Kurfürsten von Hessen-Kassel.
Leben
Sie war die Tochter der katholischen Eheleute Gottfried Falkenstein und Marie Magdalene Schulz in Bonn.
In erster Ehe heiratete sie am 29. Mai 1822 in Buschdorf (Bonn) den preußischen Leutnant Karl Michael Lehmann (* 16. Juni 1787 in Bischofswerder, Landkreis Rosenberg, Westpreußen; † 1882 in Wandsbek bei Hamburg). Friedrich Wilhelm I. lernte Gertrude während seines Studiums in Bonn kennen, überredete den Leutnant, sich von Gertrude scheiden zu lassen, und erhob dessen Söhne später zu Baronen Scholley.
Nachdem die inzwischen 28-Jährige zum Protestantismus konvertiert war, nahm er sie am 26. Juni 1831 in Rellinghausen bei Essen zu seiner Ehefrau. Sie bewohnte ab sofort in Kassel das „Palais Reichenbach“, ab 1843 „Kleines Palais“ oder auch „Palais Hanau“ genannt.
Der am 30. September 1831 zum Mitregenten ernannte Kurprinz Friedrich Wilhelm erhob am 10. Oktober 1831 mit Wappenbrief vom 1. Mai 1832 seine Ehefrau zur Gräfin von Schaumburg und verlieh ihr und allen Nachkommen am 2. Juni 1853 in Kassel den Titel „Fürst/in bzw. Prinz/essin von Hanau“. Die österreichische Anerkennung als Fürstin Hanau von und zu Hořowitz erfolgte am 6. März 1855. Die kurfürstlich hessische Bestätigung dieses Titels und Namens für die Kinder des Kurfürsten und die Nachkommen seiner Söhne aus standesgemäßer Ehe (mindestens gräfliche Abstammung) folgte schließlich am 10. Juni 1862 auf Schloss Wilhelmshöhe mit österreichischer Anerkennung am 20. Januar 1877 in Wien.
Friedrich Wilhelm starb am 6. Januar 1875. Gertrude lebte seit dem Tod ihres Gemahls im Stadtpalais in Prag. Sie erbte mit ihren sechs Söhnen und drei Töchtern, die alle den Titel ihrer Mutter („Fürst/in von Hanau“) führten (siehe Herren und Grafen von Hanau), das beträchtliche Privatvermögen des letzten Kurfürsten.
Die Fürstin wurde am 12. Juli 1882 auf dem „Neuen Totenhof“ in Kassel beigesetzt.
Standesproblem
Die Familienverhältnisse wiesen nach den Maßstäben des 19. Jahrhunderts für einen Thronfolger gravierende Mängel auf: Gertrude war als Bürgerliche nicht standesgemäß und als Geschiedene eine gesellschaftliche Unmöglichkeit. So bestand keine Aussicht, die Ebenbürtigkeit von Gertrude und ihren neun gemeinsamen Kindern zu erreichen. Ausländische Fürsten verweigerten – mit seltenen Ausnahmen –, die Fürstin als ebenbürtig zu behandeln und ihr die entsprechenden protokollarischen Ehren zu erweisen. So schloss sich der Kurfürst gegen andere Höfe völlig ab, insbesondere auch gegen das preußische Königshaus, dem seine Mutter, Auguste von Preußen (1780-1841), entstammte. Insofern war die Ehe ein außenpolitisches Desaster. Auch der Adel des Landes entfremdete sich dem Hof, weil seine Töchter nicht Hofdamen bei der Fürstin werden sollten.
Von ihrer Rolle als Gemahlin des Kurfürsten war Gertrude unter diesen massiv erschwerenden Umständen überfordert und versuchte, ihre Unsicherheit und die Verunsicherungen, die sie durch andere erfuhr, durch Arroganz und besonders herrschaftliches Gehabe zu kompensieren, was auf ihr Bild in der höfischen Welt und der breiten Öffentlichkeit umso verheerender wirkte.
Die Ehe verlief dagegen wohl einigermaßen glücklich, auch wenn der Kurfürst aus politischen Gründen immer wieder eine Scheidung erwog, um doch noch standesgemäß heiraten und einen Thronfolger zeugen zu können. Die Kinder aus dieser Ehe waren nach dem hessischen Hausgesetz hinsichtlich des Fideikommissvermögens und der Thronfolge nicht erbberechtigt, hinsichtlich des Privatvermögens aber schon. Das Streben von Friedrich Wilhelm I. und seiner Frau richtete sich deshalb darauf, dieses Privatvermögen – koste es was es wolle – zu vermehren, auch auf Kosten öffentlicher Gelder oder der ihm obliegenden Aufgaben als Landesherr. Das brachte Gertrude und ihrem Mann bei den Untertanen einen üblen Ruf ein, der mit dazu beitrug, den Kurstaat 1866 ohne nennenswerten Widerstand unter- und in Preußen aufgehen zu lassen.
Die extreme Unbeliebtheit des Paares bei den Untertanen führte dazu, dass die Annexion des Kurfürstentums durch Preußen nach dem Deutsch-Österreichischen Krieg in Hessen allgemein begrüßt und die beiden ins böhmisch-österreichische Exil gehen mussten. Sie lebten dort auf ihren Gütern, Schloss Hořowitz und einem Stadtpalais in Prag.
Nachkommen
Aus der Ehe mit Kurfürst Friedrich Wilhelm gingen hervor:
- Augusta (* 21. September 1829; † 18. September 1887 in Halle) ∞ am 17. Juli 1849 Graf/Fürst Ferdinand-Maximillian III./I. zu Ysenburg-Büdingen-Wächtersbach (* 24. Oktober 1823; † 5. Mai 1903
- Alexandra (* 22.Dezember 1830 in Fulda; † 20. Dezember 1871 in Lindau) ∞ am 12. Juni 1851 Fürst Felix von Hohenlohe-Öhringen (* 1. März 1818; † 8. September 1900)
- Friedrich Wilhelm (* 18. November 1832, Schloss Wilhelmshöhe; † 14. Mai 1889 in Riesbach)
- ∞ am 23. September 1856 Augusta Birnbaum, spätere Gräfin Schaumburg (* 9. Oktober 1837; † 29. Juni 1862 in Cannstatt)
- ∞ am 8. April 1875 Ludovica Gloede, spätere Gräfin Schaumburg (* 6. Mai 1840 in Hamburg; † 20. April 1912 in München) – Nachkommen dieser Ehe ist die Familie der heute noch lebenden Fürsten von Hanau
- Moritz, 1. Fürst von Hanau (* 4. Mai 1834, Schloss Wilhelmshöhe; † 24. März 1889 in Schloss Hořovice ∞ 15. April 1875 Anna Loßberg (* 14. August 1829 in Kassel; † 27. Oktober 1876 in Schloss Hořovice)
- Wilhelm, 2. Fürst von Hanau (* 19. Februar 1836 in Kassel; † 3. Juni 1902 in Schloss Hořovice)
- ∞ (nicht verheiratet) Friederike Louise Julie von Waldheim (* 16. Oktober 1847 in Marburg, Hessen-Nassau; † 4. September 1914 in Kassel, Hessen-Nassau), Tochter des Ferdinand Julius von Waldheim und der Elise Buch[2]
- ∞ am 29. Januar 1866 in Frankfurt am Main Prinzessin Elisabeth von Schaumburg-Lippe (* 5. März 1841 in Bückeburg; † 30. November 1926 in Wiesbaden), am 22. April 1868 geschieden
- ∞ am 12. Mai 1890 in Döberkitz bei Bautzen Gräfin Elisabeth von Lippe-Weißenfeld (* 1. Juli 1868 in Dresden; † 24. Oktober 1952 in Schweinfurt)
- Maria (* 22. August 1839, Schloss Wilhelmshöhe; † 26. März 1917 in Bonn) ∞ 27. Dezember 1857 Prinz Wilhelm von Philippsthal-Barchfeld (* 3. Oktober 1831 in Burgsteinfurt; † 17. Januar 1890 in Rotenburg an der Fulda), geschieden am 18. März 1872
- Karl, 3. Fürst von Hanau (* 29. November 1840 in Kassel; † 27. Januar 1905 in Kassel, ) ∞ 11. November 1882 Gräfin Hermine Grote (* 8. Oktober 1859 in Hannover; † 31. März 1839 in Münchhagen)
- Heinrich, 4. Fürst von Hanau (* 29. Dezember 1842 in Kassel; † 15. Juli 1917 in Prag) ∞ 4. Juni 1917 Martha Riegel (* 26. Oktober 1876 in Bischofsburg; † 10. März 1943 in Prag)
- Philipp (* 29. Dezember 1844 in Kassel; † 28. August 1914 Schloss Oberurf) ∞ Albertine Hubatschek-Stauber, Gräfin in Schaumburg (* 8. Dezember 1845 in Semlin; † 11. April 1912 in Meran)
Einzelnachweise
- ↑ Die Internet-Datei des US-Mormonenarchivs nennt als Geburts- und Taufjahr das Jahr 1803. Andere Quellen geben das Jahr 1805 oder 1806 an.
- ↑ Angaben lt. Internet-Datei des Mormonen-Archivs in Utah (USA)
Literatur
- Rüdiger Ham: Bundesintervention und Verfassungsrevision. Der Deutsche Bund und die kurhessische Verfassungsfrage 1850/52. Darmstadt und Marburg: Selbstverlag der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission für Hessen, 2004 (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 138). ISBN 3-88443-092-0. Im Anhang I.2 dort eine Kurzbiografie zu Kurfürst Friedrich Wilhelm auch mit Angaben zu Fürstin Gertrude.
- Philipp Losch: Der letzte deutsche Kurfürst. Friedrich Wilhelm I. von Hessen. Marburg 1937.
- Familienartikel: 602. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band Unbekannter Autor, Duncker & Humblot, Berlin Vorlage:NDB – bitte Band und Seitenzahlen korrekt angeben, S. Gertrude Gräfin von SchaumburgFehler im Ausdruck: Unerkanntes Wort „gertrude“ (noch nicht online verfügbar).
- Genealogisches Handbuch des Adels, Adelslexikon Band IV, Seite 416, Band 67 der Gesamtreihe, C. A. Starke Verlag, Limburg (Lahn) 1978
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Hanau , Gertrude von |
ALTERNATIVNAMEN | Falkenstein, Gertrude; Lehmann, Gertrude; Hanau, Gertrude, Fürstin von; Schaumburg, Gertrude Gräfin von; Rellinghausen, Gertrude Gräfin von |
KURZBESCHREIBUNG | morganatische Ehefrau des Friedrich Wilhelm I. von Hessen-Kassel |
GEBURTSDATUM | 18. Mai 1803 |
GEBURTSORT | Bonn |
STERBEDATUM | 9. Juli 1882 |
STERBEORT | Prag |