Kirchmöser


Kirchmöser ist ein Ortsteil im Westen der Stadt Brandenburg. Sein Industriegebiet spiegelt die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre wieder.
Geographie
Der Kern des Ortsteils liegt auf einer Halbinsel in den Havelseen im Westen der Stadt Brandenburg und ist gegliedert in die Bereiche Kirchmöser West, Kirchmöser Ost und Kirchmöser Dorf, dem historischen Ortskern. Außerdem gehören die Siedlungen Bergenhof und Gränert zum Ortsteil. Ein Kranz von Seen umgibt den Ort: Wusterwitzer See, Wendsee, Plauer See und Möser See. Auf der Halinsel selbst nimmt der Heiliger See eine beachtliche Fläche ein.
Der Ortsteil Kirchmöser hat 2006 insgesamt rund 4.300 Einwohnern. Ein großer Teil des Ortes ist Industrie- und Gewerbefläche. Nach dem Niedergang nach 1990 wird dieser Wirtschaftsstandort schrittweise wieder aktiviert.
Einwohnerzahlen
Jahr | Einwohner |
---|---|
1842 | 232 |
1900 | 286 |
1916 | 600 |
1946 | 6.826 |
1952 | 5.402 |
2006 | 4.300 |
Geschichte
Bis 1914 war Kirchmöser, dass bis jetzt noch Möser hieß, ein kleines und ziemlich abgelegenes Bauerndorf im Jerichower Land. Dann entwickelte es sich, der Krieg war hier der Vater der Entwicklung, sehr schnell zu einem Industrierevier mit wechselvoller Geschichte.

Das Bauerndorf Möser
Erzbischof Albrecht III. von Magdeburg verkaufte das Rittergut Gränert und das Dorf Möser, das an der heutigen Gränertstraße lag, an das Brandenburger Domkapitel. Diese Urkunde vom 25.9.1387 ist die erste Erwähnung von Möser. 1446 verkauft ein Herr von Werder Möser und Gränert an das Kloster Lehnin. 1542, nach Auflösung des Klosters, wurde der Kurfürst Besitzer von Dorf und Gut Gränert. Der verkaufte es 1560 an Matthias von Saldern. 1577 wurden die Herrn auf Plaue, die der Familie von Arnim angehörten, Besitzer des Dorfes.
Das Dorf gehörte weiter zum Besitz von Plaue, der 1620 Eigentum der Familie von Goerne war. Im 30-jährigen Krieg wurde das Dorf schwer zerstört.
1680 erhielt Adam von Görne das Dorf von seinem Vater Christopf von Görne. Östlich der Kirche von Möser baute sich Adam von Görne seinen Herrensitz.
1819 verkaufte die Familie von Görne das Dorf für 42.000 Reichstaler an 18 ansässige Bauern, die eine Gemeinde bildeten und einen Gemeindevorsteher bestellten.
Am 15. September 1832 vernichtete ein Großfeuer einen großen Teil des Dorfes.
Seit dem 12. Juli 1847 fährt die Eisenbahn durch Möser. Aber erst am 1. Mai 1905 wurde in der Nähe des Dorfes der Haltepunkt Gränert eingerichtet.
Die Pulverfabrik
Am 2. November 1914 fällt der Beschluss, zwischen dem Dorf Möser und der Stadt Plaue auf der abgelegenen Halbinsel eine Pulverfabrik zu errichten. Das Gelände wurde abgesteckt und am 9. November 1914 wurde der Grundstücksübergang, insgesamt 550 ha, im Katasteramt Genthin besiegelt.

Die Königlich-Preußische Pulverfabrik bei Plaue Havel entstand in einem besonderen Bautempo. 400 Fabrikbauten und 172 Wohnungen wurden in etwa einem Jahr aus dem Boden gestampft. 1916 wird der Wasserturm, 65 m hoch und bis heute Wahrzeichen Kirchmösers, fertig. 4000 Arbeiter und Beamte und zusätzlich 2000 Kriegsgefangene arbeiten in der Fabrik.

1916 wurde auch der noch heute bestehende Bahnhof eingeweiht. Dies war mit einer Namensänderung für das Dorf verbunden. Denn bei Magdeburg gab es schon einen Bahnhof Möser. Daher erhielt das Haveldorf bei Plaue nun den Namen Kirchmöser.
1918 war es vorbei mit der Pulverproduktion. Auf der Halbinsel Wusterau wurden die Sprengstoffvorräte der preußischen Pulverfabriken in die Luft gejagt.

Die Reichsbahnzeit ab 1919
Die Pulverfabrik Plaue wird 1919 der Reichseisenbahnverwaltung übertragen und firmierte nun unter Eisenbahnwerk Brandenburg-West. Es wurde ein Werk für die Instandhaltung von Lokomotiven eingerichtet, dass 1924 den Betrieb aufnahm. Weiter entstand ein Instandhaltungswerk, eine Weichenwerkstatt, eine Chemische Versuchsanstalt und weitere Werkstätten auf dem weitläufigem Gelände.

Am 1. November 1924 wird das neue Rathaus in der Nähe des Bahnhofs eingeweiht.
Seit 1926 heißt die Anlage Reichsbahnausbesserungswerk Brandenburg-West. 2.500 Mitarbeiter werden hier beschäftigt. Lokomotiven und Wagons werden hier nach modernsten Methoden, teilweise am Fließband, gewartet und instandgesetzt. Kirchmöser wird selbstständiger Amtsbezirk.

In den 20'er-Jahren lässt die Reichsbahn viele Wohnungen in einem zeittypischen Eisenbahnstil als Gartenstadt in Kirchmöser-West und -Ost errichten.
Kirchmöser im III. Reich
Der Ort wird, trotzt der gewaltigen Eisenbahnanlagen, zu einem Naherholungsort. 1942 kommt es zu wesentlichen Änderungen. Das Lokwerk wird komplett demontiert und auf 276 Waggons Richtung Ukraine in Marsch gesetzt. Dort wird es allerdings nie wieder aufgebaut. Die Brandenburger Eisenwerke GmbH übernehmen die verbliebenen Anlagen. Kriegsgefangene und Fremdarbeiter werden hier zur Produktion von Panzerteilen und Panzern eingesetzt.
Nachkriegszeit und DDR
Die Fertigungsanlagen des Panzerwerkes werden sofort nach Kriegsende demontiert und in die UdSSR verbracht. Die Rote Armee richtet auf dem Gelände nun ein Panzerreparaturwerk ein.
Parallel nimmt die Reichsbahn in den Resten des ehemaligen Werkes die Arbeit wieder auf. Seit 1946 wird im RAW Brandenburg-West wieder halbwegs normal gearbeitet.
In der Halle des Panzerwerkes der Roten Armee wird das Walzwerk Willi Becker eingerichtet, das 1954 Teil des Stahl- und Walzwerks Brandenburg wird.
1949 wird Kirchmöser, bisher zum Landkreis Jerichow II gehörig, dem Landkreis Westhavelland und damit dem Land Brandenburg zugeordnet. Seit dem 6. Juni 1950 ist Kirchmöser ein Ortsteil der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel.
1952 beginnt das Weichenwerk Kirchmöser mit der Herstellung von Weichen für Bahnen in aller Welt.
1957 wird das ehemalige Verwaltungsgebäude der Pulverfabrik zu einer Klinik umgebaut. Die Augenklinik und die Orthopädie der Städtischen Klinik Brandenburg waren bis 2003 hier ansässig.
Seit 1965 heißt das RAW nun Werk für Gleisbaumechanik Brandenburg-Kirchmöser. Sämtliche Gleisbaumaschinen und Krane der Reichsbahn wurden hier gewartet.
Neustart 1990
Recht schnell nach der Wende löst die Rote Armee das Panzerreparaturwerk auf. Die Deutsche Bahn organisiert viele Dinge neu und privatisiert in den Folgejahren das Werk für Gleisbaumechanik (geht an Spezialtechnik Dresden) und das Weichenwerk (geht an Butzbach). 1992 wird das Walzwerk abgewickelt.
In der riesigen Halle des Lok- bzw. Panzerwerks ist nun eine Feuerverzinkerei und eine Leitplankenproduktion angesiedelt.
Im Jahr 2002 übernimmt die Stadt Brandenburg einen Großteil des Geländes, insgesamt rund 400 ha, mit dem Ziel der Revitalisierung des Industriestandortes. Seitdem wird aufgeräumt, nicht mehr brauchbare Bauten werden abgerissen und neue Verkehrswege entstehen. Eine Mammutaufgabe ist die Beseitigung von Altlasten. Rund 285.000 t belastetes Erdreich sind zu beseitigen. Noch brauchbare Bauten, das sind eine ganze Menge, werden renoviert und neuen Nutzungen zugeführt. Allerdings warten auch 2007 noch viele Hallen und Bauten auf neue Nutzungen. Andererseits entstehen auch schon Neubauten auf dem Areal.
Die hervorragende Anbindung an die Eisenbahn Magdeburg-Brandenburg macht den Standort besonders attraktiv für Produzenten von Eisenbahnmaterial. Einrichtungen der Deutschen Bahn, das Weichenwerk und die Gleisbaumechanik sind Kristalisationskerne für diesen Wirtschaftszweig.

2006 wird die neue Seegartenbrücke, die wichtige Verbindung Kirchmösers mit der Welt, eingeweiht.
Ansonsten legen liebevoll restaurierte historischen Fabrikgebäude aus rotem Backstein sowie denkmalgeschützte Reihenhäuschen, erbaut im Stil einer Gartenstadt, von Kirchmösers bewegter Geschichte der letzen 90 Jahre Zeugnis ab.
Wirtschaft und Infrastruktur
Verkehr
Wasser
Kirchmöser liegt am Havelknick westlich Brandenburgs direkt am Schifffahrtsweg Elbe-Havel-Kanal. Ein kleiner Hafen ermöglicht den Güterumschlag auf Binnenschiffe.
Ansonsten sind an der langen Uferlinie Kirchmösers mehrere Häfen für Sportboote und Badestellen zu finden.
Eisenbahn
In Kirchmöser-Dorf ist der Bahnhof Kirchmöser. Stündlich fahren Regionalexpresszüge Richtung Berlin und Magdeburg.
Das Industriegelände ist immer noch mit einem dichten Netzt von Anschlußgleisen versehen.
Straße
Der Schwachpunkt der Abgeschiedenheit ist die Straßenanbindung. Im Norden führt eine Straße über die Seegartenbrücke zur Bundesstraße 1. Weniger gut ausgebaut ist die Verbindung nach Süden zur Bundesautobahn 2. Bis zu den Anschlußstellen Wollin oder Ziesar sind es etwa 20 km.
ÖPNV
Eine Buslinie verbindet den Bahnhof Kirchmöser mit dem Stadtgebiet von Brandenburg. Die Straßenbahnlinie von Brandenburg-Hbf nach Kirchmöser-West wurde im Zuge des Neubaus der Seegartenbrücke aufgegeben.
Infrastruktur
Im Industriegelände wird die Infrastruktur auf die Anforderungen der Zukunft hin massiv ausgebaut und Neuansiedlungen von Unternehmen werden seit 2006 häufiger gemeldet.
Wirtschaft
Traditionsbetriebe, wie
- Gleisbaumechanik
- Weichenwerk
- Betonschwellenwerk
haben sich mit viele Schwierigkeiten in die Marktwirtschaft retten können und sind inzwischen wieder anerkannte Unternehmungen auf ihren Gebieten.
Neu entstanden sind:
- Feuerverzinkerei
- Leitplankenfabrik
- Bahnstromkraftwerk von e-on
- und weitere
Inzwischen stehen attraktive Flächen für neue Nutzungen bereit.
Als ehemaliger Standort einer Pulverfabrik und historischer Bahn-Standort finden sich hervorragende städtebauliche Grundstrukturen aus der Entstehungszeit in den zwanziger Jahren.
Fremdenverkehr
Die räumliche Abgeschiedenheit der Halbinsellage beschert Kirchmöser einen besonderen Charakter. Der Ort liegt inmitten von 190 Hektar Naturschutzgebiet. 18 Kilometer geschützte Uferlinien mit Sportbootanlagen und Badestellen ziehen wieder Erholungssuchende an. Industrie und Natur sind hier in friedlicher Koexistenz.
Ein Industrielehrpfad führt zu den bedeutendsten Bauten im Industriegebiet. Der Wasserturm kann bestiegen werden und erlaubt einen weiten Blick über die Landschaft im Westen Brandenburgs. Ein Modell und eine Ausstellung im Torhaus des Nordtores informieren über Geschichte und Gegenwart.
Quellen
- Autorenkollektiv: 90 Jahre Stahl aus Brandenburg - Zeitzeugen berichten, Westkreuz-Verlag Berlin/Bonn 2005, ISBN 3-929592-80-0
- Ausstellung im Nordtor des Geländes
Weblinks
- Commons: Kirchmöser – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien