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Leben des Galilei

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Bertolt Brechts Theaterstück Leben des Galilei wurde 1938 im dänischen Exil fertig gestellt und am 9. September 1943 in Zürich uraufgeführt.

Andere Stücke folgen Brechts Theorie des epischen Theaters konsequenter, was Brecht selbst erkennt. So nennt er das Stück in seinem Arbeitsjournal in formaler Hinsicht einen „Rückschritt“ (vgl. Hahnengrep, Karl-Heinz, Klett Lektürenhilfe: Leben des Galilei, Stuttgart 1992, S.5).

Aufgrund der Aktualität des Themas wird die Aussage des Stückes heute oft auf die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Gesellschaft verkürzt.

Dieses Motiv ist jedoch nur eines unter vielen in dem Stück und stand für Brecht damals auch nicht im Vordergrund. Neben dem bereits genannten sind der Konflikt von Wissenschaft und Obrigkeit (in diesem Fall die Kirche), die Frage nach dem Wert und der Verwertbarkeit von Wissen und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Wissenschaft zentrale Aspekte des Stücks.

Brecht schrieb 1945 in Los Angeles eine zweite Fassung des Stücks, wo er auf Grund der politischen Ereignisse und der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki das vorletzte Bild änderte und so die Verantwortung der Wissenschaft als zentrale Aussage des Stücks hervorhob, während er in der ersten Fassung vor allem die Darstellung des Umgangs mit der Macht beabsichtigte.


Inhalt

Das Stück besitzt einen historischen Hintergrund und spielt im Italien des 17. Jahrhunderts, einer Zeit des Umbruchs und der Erneuerung. Es erstreckt sich über einen Zeitraum von 28 Jahren. Der geniale Physiker Galileo Galilei, der notorisch unter Geldmangel leidet, beweist mit Hilfe der neuen Erfindung des Fernrohrs (welches er nicht selbst erfindet, sondern welches ihm bekannt gemacht wird und er es dann als seines ausgibt) das Kopernikanische Weltbild und widerlegt somit die Vorstellung des alten ptolemäischen Weltbilds, das die Erde als Mittelpunkt des Universums sieht. Dies führt zu einem scharfen Konflikt mit der katholischen Kirche, die ihm die Verbreitung dieser „ketzerischen“ Lehre untersagt. Der allmähliche Umsturz des alten Weltbilds löst bei den Mächtigen in Kirche und Politik außerdem Besorgnis über einen daraus folgenden gesellschaftlichen Umsturz aus. Galilei wird nach einigen internen Streitigkeiten innerhalb der Kirche schließlich von der Inquisition inhaftiert, die von Galilei fordert, seine Lehre zu widerrufen, was er nach der angedrohten Folterung durch die Inquisition auch tut. Fast völlig erblindet geht Galilei nach dem Widerruf seiner Lehre Forschungen in einem Landhaus nach, das er nicht mehr verlassen darf. Als ihn sein ehemaliger Schüler Andrea Sarti besuchen kommt, eröffnet er ihm, dass er ein Exemplar seiner verbotenen Schrift, der Discorsi, außer Landes schmuggeln lassen möchte. Gegenüber Andrea gibt er zu, dass er von einem schlechten Gewissen geplagt wird, da er seine Lehre widerrufen hat und dies nicht um seinen Forschungen weiter nachgehen zu können, sondern aus Angst vor der Folter. Andrea willigt ein und schafft die verbotenen Schriften außer Landes.

Charakterisierung Galileis

Galilei ist ein italienischer Wissenschaftler. Er ist 46 Jahre alt und hat eine Tochter namens Virginia, über seinen restlichen Familienstand erfährt man nichts. Zu Beginn des Dramas wohnt Galilei zusammen mit seiner Tochter, seiner Haushälterin Sarti und deren Sohn Andrea in Padua. Seinen Lebensunterhalt verdient er dort hauptsächlich durch das Lehren von Mathematik und durch das Erfinden von nützlichen Maschinen, wie einer Wasserpumpe und einem Fernrohr, welches er aber nur kopiert hat.

Über Galileis Aussehen erfährt man nicht viel. Angesichts der Tatsache, dass er gerne und viel isst, kann man vermuten, dass er nicht schmächtig ist. Sein Lebensstil als Genießer ist nicht billig, daher hat er Geldnot. Das Lehren von Schülern beschert ihm zwar ein Einkommen, doch Galilei würde sein Leben lieber noch mehr der Forschung widmen. Sein zunehmend hohes Ansehen in der Welt hilft ihm nicht aus dieser Situation. Man kennt seinen Namen selbst im Norden Europas. Die Forschung, die Galilei betreibt, befindet sich hauptsächlich im Bereich der Astronomie. Mit dem neuen Fernrohr, das er gebaut hat, schafft er es, anhand von Beobachtungen der Jupitermonde das Weltbild zu revolutionieren. Er beweist das kopernikanische (heliozentrische = Sonne als Mittelpunkt) Weltbild, welches gegen das von der Kirche vertretene geozentrische Weltbild (Erde als Mittelpunkt) konkurriert.

Auf den daraus entstehenden Konflikt mit der Kirche reagiert er wütend. Er widerruft seine Forschungsergebnisse - bedroht von der Folter der Inquisition -, womit seine Forschungen allerdings nicht beendet sind. Die Widersprüchlichkeit seines Charakters ist daran erkennbar, dass er, obwohl die Pest grassiert, nicht aus Florenz zieht, weil er weiter forschen will und deshalb nicht um die eigene Gesundheit bedacht ist. Aber andererseits fürchtet er sich vor den Folterinstrumenten.

Der Eifer, den er besitzt, lässt sich daraus erkennen, dass er sich durch nichts von seinen Forschungen abbringen lässt. Als die Pest in die Stadt kommt, bleibt er trotzdem, um seine Forschung zu Ende zu führen und selbst die Tatsache, dass er sich mit seinen Beobachtungen selbst das Augenlicht ruiniert, hält ihn nicht von der Forschung ab. Dies hat zur Folge, dass Galilei später nahezu erblindet und auf andere Menschen, wie Virginia, angewiesen ist, um seine Arbeit zu vollbringen.

Seine Beziehungen zu anderen Menschen sind sehr unterschiedlich. Während er Andrea fast selbst erzieht, scheint er sich um Virginia recht wenig zu kümmern. Der Grund dafür ist Andreas Interesse an der Wissenschaft. Mit seinen wissenschaftlichen Kollegen arbeitet er gut zusammen, solange sie auch voll bereit sind, nur der Wissenschaft zu dienen. Wissenschaftler, die die Wahrheit zum Wohl der Kirche zurückstellen sind in seinen Augen Verbrecher. Dies wird an dem Zusammentreffen von ihm mit diversen alten Schülern und mit dem kleinen Mönch deutlich. Als ein weiterer wichtiger Aspekt wäre sein meist vorurteilsfreies Handeln zu nennen. Sein Linsenschleifer Federzoni ist für ihn kein schlechterer Wissenschaftler, nur weil er des Lateins nicht mächtig ist. Galilei betreibt seine Wissenschaft also fern von irgendwelchen gesellschaftlichen Normen. Dies äußert sich auch darin, dass er den Sohn seiner Wirtschafterin schon im Alter von elf Jahren dazu würdig befindet, die große Physik zu verstehen.

So hat Galilei einen gewaltigen, inneren Konflikt zu bewältigen, nachdem er selbst von der Kirche zum Widerruf gezwungen worden war. Daran wird aber auch deutlich, dass es doch Sachen für ihn gibt, die er nicht zu opfern bereit ist. Als Grund für den Widerruf gibt er Andrea gegenüber die Angst vor dem körperlichen Schmerz, der Folter, an.

Aus seinem Konflikt mit der Kirche kann man erkennen, dass er andere Menschen nicht besonders gut einschätzen kann. Auf die Nachricht, dass Barberini Papst wird, beginnt er naiv seine Forschungsergebnisse dem ganzen Volk zu verkünden, nur weil Barberini Mathematiker ist. Hierzu veröffentlicht er sein Buch in der Landessprache, anstatt in Latein. Gegen Ende des Stücks wird allerdings doch klar, dass er aus seinen Fehlern gelernt hat. So schafft er es, Andrea sein Buch (Discorsi) mitzugeben, ohne dass jemand etwas davon merkt. Er gibt die Hoffnung und seinen Glauben an die Vernunft der Menschen nicht auf.

Die Bedeutung von Ort und Handlung

Zu Beginn der Handlung befindet sich Galilei in der freien Handelsstadt Venedig, in der er frei seinen wissenschaftlichen Forschungen auf neuem Terrain nachgeht. Er arbeitet hier mit dem Staat zusammen, um eine Gehaltserhöhung zu erreichen. Das uneingeschränkte wissenschaftliche Arbeiten Galileis in Venedig ist besonders durch die Charakteristika der Stadt zu begründen. Venedig ist zu Galileis Zeiten eine freie Handelsstadt, die von der Bürgerschaft regiert wird. Dieser Liberalismus ermöglicht Galilei uneingeschränktes Forschen. In Venedig ist Galilei wissenschaftlich frei, jedoch auch finanziell von der Stadt abhängig. Im Gegensatz dazu herrschen in der Feudalstadt Florenz der Adel und der hohe Klerus. Hier muss die Wissenschaft dem Ruhm und der Machtausweitung des Hofs dienen, ist somit in ihren Inhalten abhängig. Die Wissenschaft ist in Florenz somit der herrschenden Ideologie unterworfen, wird jedoch finanziell großzügig unterstützt. Galilei wollte sich mit dem Umzug an den Florentiner Hof diese Großzügigkeit zunutze machen, büßte jedoch seine wissenschaftliche Freiheit ein.

Figurenkonstellation

Brecht setzte als Repräsentanten der neuen Zeit vielfach Bürger und Kaufleute, für die alte Zeit Großgrundbesitzer und Kirchenvertreter ein.

Großgrundbesitzer und Kirchenvertreter waren seinerzeit einflussreich und wohlhabend und hatten dem entsprechend nicht das Bedürfnis nach Veränderung, sondern hielten lieber an Altem fest. Zudem bezogen sich die Kirchenvertreter auf Auslegungen der Bibel und alte Schriften und waren somit nicht offen für Neues. Den Kaufleuten und Bürgern ging es dagegen schlechter, insofern war ihr Verlangen nach Veränderung größer.

Brecht setzte mit seiner Figurenkonstellation ein Zeichen dafür, dass zu beschriebener Zeit eine gesellschaftliche Neuordnung absolut notwendig war. Die einfachen Leute, wie die Bürger und Kaufleute, die jahrelang unter der Herrschaft des Adels und des Klerus gelitten haben, drängen mit den neuen Erkenntnissen und Vorstellungen von der Weltordnung an die Spitze und gefährden somit die politische und gesellschaftliche Stellung des Hofs und vor allem der Kirche. Durch das Anbrechen einer neuen Zeit, in der die Menschen anfangen vernünftig zu denken, ist die seit Jahrhunderten gefestigte Position der Kirche ins Wanken geraten.

Diesen Effekt des menschlichen Überdenkens und der menschlichen Vernunft will Brecht mit seinem epischen Theater erreichen, sodass selbst über Jahre gefestigte Strukturen nicht als selbstverständlich, sondern veränderbar zu verstehen sind.

Bild 1: Zeitenwende / Figurenkonzeption Galileis (Exposition)

Bilder aus der Seefahrt

Galileo Galilei verwendet häufig Bilder aus dem Bereich der Seefahrt. Er nutzt dieses zum einen als anschauliches Beispiel, zum anderen verweist er damit auf den Beginn des Zeitalters der großen Entdeckungen im 15. Jahrhundert, wie die Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus im Jahre 1492, später dann auch das Finden des Seewegs nach Afrika und Indien.

Nun, im 17. Jahrhundert stehen große Entdeckungen im Bereich der Astronomie und den Naturwissenschaften allgemein an. Im 17. Jahrhundert bis hinein ins 18. blieb die Wissenschaft Materie kleiner elitärer Gruppen und war in der Regel von geringem öffentlichem Interesse. Erst später nahm auch die Anteilnahme in diesem Gebiet zu.

Galilei führt im ersten Bild den Vergleich an, dass die Schiffe früher lediglich entlang der Küsten „krochen“, aus Angst, mitten im Ozean hinabzustürzen, und plötzlich, mit neuem Mut und wissenschaftlicher Erkenntnis, über alle Meere ausliefen. Dies wird auf die Gesellschaftssituation, der auch ein Umbruch bevorsteht, also sozusagen neue Ufer entdecken werden, übertragen.

Wie wird Galilei dem Zuschauer im ersten Bild vorgestellt?

Galilei befindet sich in einem Zimmer und ist gerade mit seiner Morgentoilette beschäftigt. Er erscheint gut gelaunt trotz seiner Geldsorgen, wie der Zuschauer unmittelbar darauf erfährt.

Gleich zu Beginn tritt seine Kompetenz als Lehrer zum Vorschein, als er seinem zehnjährigen Schüler Andrea sehr anschaulich das kopernikanische Weltbild zu erklären versucht. Er erscheint kritisch gegenüber überkommenen Wahrheiten und gegenüber dem Glauben, experimentierfreudig und aufgeschlossen. Geradezu emphatisch und voller Optimismus blickt er dem neuen Zeitalter entgegen. Seine eigene Überzeugung lässt ihn nicht daran zweifeln, dass sich auch die restliche Gesellschaft so schnell von den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beeinflussen lässt. In dieser Hinsicht erscheint er geradezu naiv.

Seine zum Teil sehr einfache Sprechweise (“Ihr verbindet dem Ochsen, der da drischt, das Maul“, S.20 Achtung auf Ausgabe achten!) und seine Weigerung Latein zu sprechen, zeugen davon, dass er nicht abgehoben ist und sich dem normalen Bürger, entgegen den Aristokraten, verständlich ausdrücken will.

Bild 4: Galileis vergeblicher Versuch, die Gelehrten zu überzeugen

Galileis Überzeugungsarbeit scheitert durch die zu großen Unterschiede zwischen ihm und den Gelehrten. Zum einen wollen die Gelehrten mit Galilei disputieren, wohingegen Galilei sie mit der Empirie überzeugen will. Sie sind jedoch nicht bereit, sich darauf einzulassen. Ein weiterer entscheidender Punkt für das Scheitern ist die unterschiedliche Sprache. So verwenden die Gelehrten die lateinische Sprache, Galilei hingegen bedient sich der einfachen Volkssprache und bittet die Gelehrten sogar darum, diese ebenfalls zu verwenden um auch den Linsenschleifer Federzoni, der keine Lateinkenntnisse besitzt, das Verstehen zu ermöglichen. Der Hauptgrund des Scheiterns liegt jedoch an deren unterschiedlichem Weltverständnis. So stützen sich die Gelehrten auf das Zeugnis der Antike, der Kirchenväter und schenken alten Lehren wie der des Aristoteles mehr Glauben. Galilei hingegen verlässt sich auf seine eigenen fünf Sinne und zweifelt die bereits bestehenden Theorien an.


Die Argumentationsstruktur

Die Gelehrten argumentieren, dass nach Ansicht der Antike und der Kirchenväter das Existieren solcher Sterne nicht möglich sei. Des Weiteren wenden sie ein, dass angesichts der Harmonie des alten Weltbildes diese Sterne nicht „notwendig“ seien. Vor allem aber stellen sie die Verlässlichkeit des Fernrohres in Frage und werfen Galilei Betrug vor. Nach Ansicht der Philosophen können die Lehren Aristoteles’ nicht falsch sein, da selbst die hohen Kirchenväter diese anerkannten.

Galilei hingegen versucht, das Ptolemäische System zu widerlegen, indem er auf die Schwierigkeiten bei der Berechnung der Gestirnbewegungen hinweist, wie zum Beispiel, dass Diskrepanzen zwischen errechnetem und tatsächlichem Standort der Gestirne auftreten oder dass unerklärbare Bewegungen vonstatten gehen. Als Beweis dafür, dass die Jupitermonde tatsächlich existieren, wirft er einen Blick durch das Fernrohr. Er argumentiert, dass das, was man mit eigenen Augen sehe, die Wahrheit sei. Zuletzt bedient er sich anschaulicher Beispiele aus dem Alltag.


Bewertung der Argumentationsweisen

Die Gelehrten versuchen durch lateinische Ausdrücke ihren Argumenten „mehr Glanz“ zu verleihen, was deutlich zum Ausdruck bringt, dass diese ohne dies weniger überzeugend wirken. Mit dem Verweis auf die Bestätigung alter Theorien durch hohe Institutionen ist der Gegenüber gezwungen, sich, um dieses Argument zu entkräften, auf eine höhere Stufe zu stellen. Durch das Zweifeln an der Richtigkeit des Fernrohrs bringen sie den anderen sehr in Verlegenheit, dem die Gegenbeweisführung nicht ohne weiteres gelingt.

Galilei hingegen argumentiert sehr anschaulich und so, dass es im Grunde genommen logisch und für jedes Kind leicht nachvollziehbar wäre. Er geht jedoch keineswegs auf die Gelehrten ein oder versucht, sich ihnen auf ihre Weise verständlich zu machen, weshalb er mit seiner Argumentationsweise letzten Endes zwangsläufig scheitert.

Bild 6: Verknüpfung von astronomischem Weltbild und Gesellschaft / Menschenbild

Die Vertreter der alten Zeit nahmen sich besonders wichtig, da sie der Auffassung waren, sie seien Gottes höchstes und geschätztestes Geschöpf. Somit empfanden sie das heliozentrische Weltbild als eine Kränkung und Herabwürdigung ihrer selbst. Mit der Anerkennung des heliozentrischen Weltbildes hätten sie sich einen niedrigeren Rang zusprechen müssen, was ihnen widerstrebte. Folglich traten sie in den Konflikt mit den Vertretern des neuen Weltbildes. Vor allem die Kirchen setzten alles daran, die Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes zu verhindern, weil dieses auch deren Autorität und Bedeutsamkeit und letzten Endes ihren Einfluss in Frage stellte.

Bild 7: Darstellung der Kirche als weltliche Obrigkeit

Im 7. Bild begleitet der Zuschauer Galilei bei einem Besuch im Kardinalspalast Bellarmins, wo gerade ein Ball im Gange ist. Die Ballgäste sind alle maskiert. Mit den Maskierungen der Anwesenden spielt Brecht auf Verschleierung und Heuchelei in den kirchlichen Reihen an. Zwei geistliche Sekretäre spielen im Vestibül Schach und machen sich dabei Notizen über die Gäste. Die Kirche wird hier kontrollierend dargestellt, als Verletzung gegen das Recht auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit. Galilei fragt die Sekretäre, warum sie noch immer das alte Schach spielen, bei denen man keine großen Sprünge machen könne. Er preist die neue Spielweise an, bei der man Raum hat und Pläne machen könne. Auf die Entgegnung des einen Sekretärs, große Sprünge entsprächen nicht ihren Gehältern, erwidert Galilei, dass die Kirche im Gegenteil, den Verschwenderischen am meisten zahle („Wer auf großem Fuß lebt, dem bezahlen sie auch den größten Stiefel!“, S.65). Brecht zeichnet hiermit eine Kirche, die unbeschwert und verantwortungslos mit ihrem Geld umgeht, das sie in Prunk und Bestechungsgelder anlegt. Die veraltete Spielweise und Galileis Hinweis „Man muss mit der Zeit gehen“ (S.65), deutet auf Brechts Sicht der Kirche als rückständige Institution hin, die nicht bereit ist, ihre Prinzipien zu überdenken.

Brecht führt einen sehr alten Kardinal ein, der sich gegenüber Galilei unsicher verhält. Das hohe Alter und die daraus resultierende Unsicherheit des hohen Kirchenfürsten unterstreicht Brechts Darstellung der Kirche als überaltertes System, das sich allen Reformversuchen und neuen Erkenntnissen verschließt, wie ein alter, sturer Mann, der seine über Jahrzehnte bewährten Praktiken nicht aufgeben will. (vorherige Szene 6)

Die Kardinäle Bellarmin und Barberini werden mit Masken eines Lamms und einer Taube eingeführt. Das Lamm symbolisiert das Lamm Gottes, ein schutzbedürftiges und unschuldiges Geschöpf Gottes. Die Taube ist Symbol des Heiligen Geistes und des Friedens. Mit der Eigenheit, dass diese Eigenschaften nur als Maske existieren, spricht Brecht der Kirche diese ab. Unter der harmlosen Maske der Gottesfürchtigkeit und des Friedens, versteckt die Kirche politische und finanzielle Interessen („Es ist meine Maske, die mir heute ein wenig Freiheit gestattet.“, S.70).

In der weiteren Unterhaltung berichtet Barberini von den irdischen Genüssen Roms in Form „drei oder vier Damen von internationalem Ruf“ (S.67). Brecht betont an dieser Stelle die Weltlich- und Lasterhaftigkeit der hohen römischen Kirchenfürsten.

Besonders in dem Zitatduell (S.66f.) zwischen Galilei und Barberini wird eine Grundhaltung Brechts ersichtlich. Die ursprünglich biblischen Zitate werden von den Debattierenden ad absurdum geführt, da sie politische bzw. wissenschaftliche und nicht religiöse Botschaften enthalten. Brecht will Galileis Kampf nicht als religiösen verstanden wissen, sondern vielmehr als einen gesellschaftspolitischen, zu dem sich der Zuschauer eine Meinung bilden kann.

Bild 8: Der kleine Mönch – Wissenschaftsabstinenz aus Verantwortung?

Im Bild 8 des Schauspiels bekommt Galilei Besuch von einem kleinen Mönch, der im Zwiespalt zwischen Kirche und Wissenschaft steht.

Am Anfang des Bildes wird sein innerer Konflikt deutlich, indem er sich als studierter Mathematiker vorstellt. Seine Verantwortung zur kirchlichen Lehre und die zu der wissenschaftlichen befinden sich somit im ständigen Widerstreit, sodass der kleine Mönch, um diesen zu beenden, sich für eine Lehre entscheiden muss. Im Folgenden erklärt der kleine Mönch, der Wissenschaft abschwören zu wollen. Der Grund seines Besuches bei Galilei ist in diesem Zusammenhang, die Beweggründe seines Handelns darzulegen.

Der kleine Mönch stellt die These auf, dass „ein allzu hemmungsloses Forschen“ (S.74) für die Menschen Gefahren bürge. Um seine Aussage zu belegen, erzählt er von seiner Familie, die einfache Bauern vom Lande sind. Er schildert die kräfteraubende Arbeit, die Geduld, den Hunger und die Unterwerfung, die sie nur ertragen können, wenn sie in ihrem Elend einen höheren Sinn erkennen können. Dieser höhere Sinn ist für die einfachen Leute ihr Glaube an Gott. Ihre Lebenskraft schöpfen sie somit aus dem Glauben an einen Gott, der nach der Bibel und den Sonntagspredigten über sie wacht, sie beschützt und bei dem sie sich bewähren müssen. Würde man diese Leute davon überzeugen wollen, dass es keine höhere Macht gebe, sondern nur einen unendlichen und leeren Raum, in dem sie unbeachtete Wesen auf einem unbedeutenden Planeten neben vielen anderen seien, führe dies zu einer enormen Sinnkrise und schließlich zu einem Sinnverlust. Durch diese Erkenntnis kommt der kleine Mönch zu dem Schluss, dass die Kirche mit ihrer Lehre aus „mütterlichem Mitleid“ (S. 76) und „großer Seelengüte“ (S.76) handle und aus diesem Grund in der Welt eine wichtigere Rolle spielen sollte als die Wissenschaft. An dieser Stelle wird deutlich dargelegt, dass der kleine Mönch ein inniges Verhältnis zu den Bauern hat, da er sogar selbst einer von ihnen war.

In diesem Abschnitt wird klar, dass der kleine Mönch und Galilei beide den einfachen Leuten ein glückliches Leben ermöglichen wollen, doch um dies zu erreichen unterschiedliche Wege als den richtigen betrachten. Galileis Abneigung gegenüber der Kirche wird in seiner verachtenden Art und Weise und Sarkasmus („[...] der Wein ist weggetrunken, ihre Lippen vertrocknen, mögen sie die Soutane küssen!“, S.76; „Ihre Campagnabauern bezahlen die Kriege, die der Stellvertreter des milden Jesus [...] führt.“, S.76), in der er über sie spricht, deutlich. Er möchte das arme Volk von der Repression der Kirche erlösen, indem er durch seine Forschung die vielen Missstände und Ungereimtheiten kirchlicher Regeln und Wahrheiten anprangert.

Der kleine Mönch bestreitet im Gegensatz zu seinen geistlichen Brüdern nicht die Glaubwürdigkeit Galileis Forschungsergebnisse. Er erkennt im Gegenteil die Existenz der Trabanten des Jupiters sogar an und doch möchte er die Welt nicht darüber informieren. Um die Menschen zu schützen, hält er es für seine Pflicht, der Welt neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu verschweigen und sie auf diese Weise vor Enttäuschungen oder Sinnverlust zu bewahren. Er geht dabei sogar so weit, die Kirche im Kampf gegen die Wissenschaft zu unterstützen.

Im weiteren Verlauf des Dialogs gewinnt Galilei immer mehr an Dominanz. Mit seinen Anklagen gegen die Kirche und Bekenntnis zu Wahrheit und Vernunft drängt er den Geistlichen zugunsten des Naturwissenschaftlers im kleinen Mönchen immer mehr in den Hintergrund. Zudem weckt Galilei das physikalische Interesse des Mönchs, indem er ihm eine Erklärung über etwas noch Unerforschtes zu lesen gibt.

Aus der Tatsache, dass der Mönch sich am Ende des Gesprächs ganz in den Aufzeichnungen Galileis verliert und sie sich sogar von ihm erklären lässt, seine zuvor erklärte Wissenschaftsabstinenz somit völlig vergessen zu haben scheint, lässt sich schließen, dass er sich zuvor mehr aus Verantwortungsgefühl gegenüber Kirche und Familie als aus wirklicher Überzeugung gegen die Wissenschaft stellte.

Bild 12: Papst und Wissenschaftler

Im 12. Bild des Dramas findet ein Gespräch zwischen Papst Urban VIII, dem früheren Kardinal Barberini, und dem Inquisitor statt. Der Inquisitor versucht erfolgreich mit einer langen, argumentativen Rede den Papst dazu zu bewegen, die Lehre Galileis zu verbieten.


Die äußeren Gesprächsumstände

Das Gespräch findet im Gemach des Papstes im Vatikan statt, d.h. der Inquisitor geht mit seinem Anliegen zum Papst. Dieser wird während der Audienz angekleidet, was bedeutet, dass mindestens noch eine weitere Person im Raum anwesend ist. Von außen ist „das Geschlurfe vieler Füße“ (S.105) zu hören („Dieses Geschlurfe macht mich nervös. Entschuldigen Sie, wenn ich immer horche.“, S.107; „Dieses Getrampel in den Korridoren ist unerträglich.“, S.108).

Der Aspekt, dass die Gesprächspartner nicht allein sind, lässt vermuten, dass der Papst nicht ohne Gedanken an seine Umgebung auf die Ausführungen des Inquisitors eingehen kann. Das zeitgleiche Ankleiden und die Unruhe im Umfeld lenken die Aufmerksamkeit des Papstes ab und tragen in diesem Zusammenhang auch zum vorzeitigen Einlenken des Papstes auf die Forderungen des Inquisitors bei.


Die Argumentationsebenen des Inquisitors

Um sein Ziel zu erreichen, packt der Inquisitor den Papst an seiner Eitelkeit, als er fertig angekleidet und in vollem Ornat vor ihm steht. Auf die Frage des Papstes, ob denn die ganze Welt käme, antwortet der Inquisitor „Nicht die ganze, aber ihr bester Teil.“ (S.108).

Im Gespräch wird deutlich, dass der Inquisitor eine konservative Sicht der Welt hat. Er kritisiert, dass die Menschen anfangen zu zweifeln und nicht mehr an Gott glauben und nicht mehr in ihn ihr gesamtes Vertrauen legen. Außerdem spricht er auf den Krieg mit den Protestanten an, den sie durch Interventionen der Wissenschaftler drohen zu verlieren („(...) dass Sie mit dem lutherischen Schweden in geheimem Bündnis stehen, um den katholischen Kaiser zu schwächen“, S.106). In der Argumentation des Inquisitors kommt das Ziel der konservativen Geistlichen besonders zum Ausdruck. Sie fordern die Glaubenseinheit durch geistige Gleichschaltung und Totalität.

Neben den religiösen und politischen Aspekten weist der Inquisitor auch auf die persönliche Bedrohung für den Papst hin. Er berichtet davon, dass die Menschen die Kirche nicht mehr brauchen, weil sie eine Art Ersatz gefunden haben, und sich somit schnell gegen die Kirche auflehnen könnten („Wenn das Weberschifflein von selber webte und der Zitherschlegel von selber spielte, dann brauchten allerdings die Meister keine Gesellen und die Herren keine Knechte.“, S.107). Der Inquisitor behauptet, Galilei „verhetzt“ und „besticht“ (S.107) die Menschen und gefährde somit die Kirche als geistliche Instanz. Er berichtet von Galileis Buch, in dem die Kirche als dumm dargestellt werde und erreicht in dessen Folge die Empörung des Papstes, der sein Vertrauen in diesen Mann ungerechtfertigt sieht.

Die Rolle des Papstes

Der Papst befindet sich in diesem Bild in einer schwierigen Situation. Seine wissenschaftlichen Erfahrungen und seine Zugehörigkeit zu den Mathematikern bewirken zunächst eine gewisse Solidarität in seinem Festhalten an den Lehren des Galilei. Er vertraut anfänglich der Mathematik und weigert sich strikt die Lehren Galileis zu verbieten („Ich lasse nicht die Rechentafel zerbrechen. Nein!“, S.105). Doch schon in seiner ersten Replik auf die Argumentation des Inquisitors zeigt er Unsicherheit, da er ausschließlich auf die Frage des Geschmacks in Galileis Verhalten („Das zeigt sehr schlechten Geschmack; das werde ich ihm sagen.“, S.107), anstatt auf inhaltliche Punkte eingeht.

Sein Vertrauen zunächst in die Worte Galileis („Er hat sich daran gehalten.“, S.108) und in direkter Folge sein Misstrauen gegenüber diesen und das Vertrauen in die Worte des Inquisitors zeugt von einer großen Beeinflussbarkeit des Papstes.

Der Papst ist in erster Linie an seinem weiteren Herrschaftsanspruch interessiert, da er sich erst nachdem er von der persönlichen Bedrohung, die von Galileis Schriften ausgehen, gehört hat, vom Inquisitor überzeugen lässt.

Der Kardinal und Mathematiker Barberini ist im Verlauf des Dramas Papst geworden, was auch während dieses Gespräches bildlich in Form des Ankleidens von Barbarini selbst zum Papst gezeigt wird, und beginnt nun als Konsequenz auch als Papst zu denken und zu handeln. Er gibt der Argumentation des Inquisitors nach und lässt die Lehre Galileis verbieten.

Die Rolle der Kirche

Die Kirche befindet sich in einem Dilemma, das in diesem Bild anhand des Beispiels der Sternkarten veranschaulicht wird. Auf der einen Seite will sie ihre Macht in der Welt erhalten und muss somit die neuen wissenschaftlichen Lehren verbieten, jedoch hat sie auf der anderen Seite materielle Interessen, die ihr gebieten, die neuen, wertvollen Sternkarten Galileis zu erlauben. Während sie die Seekarten anerkennt und akzeptiert, bestreitet sie paradoxerweise die Richtigkeit der Erkenntnisse, auf denen diese basieren („Man kann nicht die Lehre verdammen und die Sternkarten nehmen.“, S. 107).


Bild 14: Widerruf und seine Konsequenzen

Gesprächsanalyse

Nachdem Galilei in Bild 13 seine Lehren widerrufen hat, lebt er zusammen mit seiner Tochter Virginia und einem wachenden Mönch in einem Landhaus in der Nähe von Florenz als lebenslänglicher Gefangener der Inquisition. Seit dem letzten Bild sind einige Jahre vergangen, so dass sich Bild 14 im Jahre 1633 zuspielt.

Andrea Sarti, der mittlerweile ein Mann in mittleren Jahren geworden ist und Galilei seit jenem verhängnisvollen Tag des Widerrufs nicht wieder gesehen hat („Du bist nie gekommen.“, S.118), besucht Galilei in seinem Landhaus.

Andrea, der sich nach dem Widerruf völlig von seinem Lehrer abgewendet hat („Er war sein Schüler. So ist er jetzt sein Feind.“, S.118), befindet sich, wie er selber des öfteren betont, auf der Durchreise nach Holland, wo er wissenschaftlich arbeiten will. Ihm wurde aufgetragen über das Befinden Galileis zu berichten. Diese Tatsache lässt vermuten, dass Andrea nicht aus freien Stücken den Besuch bei Galilei antritt, sondern nur bemüht ist, seine Pflicht zu tun. Er stellt somit auch keine großen Erwartungen an das Gespräch oder den Gesprächsverlauf. Die Unterredung scheint ihm eher lästig und beschämend, da sich seine Haltung gegenüber dem Lehrer seit dem Widerruf von Bewunderung in Verachtung gewandelt hat („Weinschlauch, Schneckenfresser! Hast du deine geliebte Haut gerettet? Mir ist schlecht.“, S.113). Er geht in das Gespräch mit dem Vorsatz seine Verachtung für Galilei und seine Niedrigschätzung für dessen einstiges Handeln unmissverständlich zu zeigen.

Galilei, von Alter und Krankheit gezeichnet, erhofft sich von Andreas Besuch einen Ausspruch und die Veröffentlichung seiner Werke. Da ihm selbst der Kontakt zur Öffentlichkeit verwehrt bleibt, bietet sich ihm durch Andrea eine Möglichkeit, erneut seine alten Lehren und erstmals seine neuen Erkenntnisse zu verbreiten. Seine Erwartungen an das Gespräch sind somit sehr hoch und das auch aus dem Grund, dass es sein erster Kontakt zu seinen früheren Freunden bedeutet.

Während des Dialogs zwischen Andrea und Galilei sind Virginia und der Mönch zu Beginn zugegen. Andrea beginnt mit der kühlen floskelhaften Frage nach dem Befinden, auf die Galilei nicht eingeht, sondern im Gegensatz sofort eine Gegenfrage zu Andreas wissenschaftlicher Arbeit stellt. Und auch Andrea beantwortet die Frage des Gesprächspartners nicht und kehrt wieder zurück zu seiner ursprünglichen Frage nach Galileis Empfinden, fügt nun aber noch hinzu, dass nicht er sich für die Antwort interessiere, sondern er nur den Auftrag habe, sich zu erkundigen. Mit dieser distanzierten Einleitung setzt Andrea klare Zeichen, wie er zu seinem ehemaligen Lehrer steht. Galilei beantwortet nun seine Frage und ergänzt die Botschaft, er empfinde tiefe Reue und widme sich wissenschaftlicher Studien unter geistlicher Kontrolle.

Andrea begegnet dieser Erzählung mit einigem Sarkasmus, mit welchem er die Zufriedenheit der Kirche mit Galilei seit dem Widerruf kritisiert („Auch wir hörten, dass die Kirche mit Ihnen zufrieden ist. Ihre völlige Unterwerfung hat gewirkt.“, S.119). Er führt seine Rede direkt mit einem Vorwurf fort, indem er berichtet, die Wissenschaft stagniere seit der Unterwerfung Galileis („dass in Italien kein Werk mit neuen Behauptungen mehr veröffentlicht wurde, seit Sie sich unterwarfen.“, S.119). Es bleibt offen, ob Galilei die Anspielungen deuten kann, da er sich auf Andreas Rede hin nur mit Bedauern darüber äußert, dass sich manche Länder wohl der Kirche widersetzen und verurteilte Lehren verbreiten. Andrea, da sein erster Vorwurf nicht den Anklang fand, den er sich vermutlich erhoffte, setzt zu einem neuen Versuch der Provokation an. Auf Nachfragen über einen bestimmten Gelehrten, reagiert Andrea erneut unterschwellig angreifend („Auf die Nachricht von Ihrem Widerruf stopfte er seinen Traktat über die Natur des Lichts in die Lade.“, S.119). Trotz der Vielzahl an Provokationen von Seiten Andreas, bleibt Galilei gelassen und selbstbeherrscht. Er geht den Anschuldigungen Andreas geflissentlich aus dem Weg, betont sogar seine Erkenntnis über frühere Irrtümer und seine heutige Treue zur kirchlichen Lehre, so zum Beispiel mit der Frage „die ich auf die Bahn des Irrtums geleitet habe. Sind Sie durch meinen Widerruf belehrt worden?“ (S.120). Auf diese Frage hin, erklärt Andrea seine Abreise nach Holland. Das Gespräch entwickelt sich zu einem Bericht Andreas über das Verbleiben und wissenschaftliche Schaffen Federzonis und des kleinen Mönchs. Durch häufige und oftmals lange Pausen ist erkennbar, dass das Gespräch stockend und in einiger Verlegenheit geführt wird. Zu erklären ist dies zum Einen durch die lange Zeit, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen ist und zum Anderen durch die vermeintliche gedankliche Entfremdung. Zum ersten Mal stellt sich aber bei Andreas Erzählungen trotz seiner weiteren angreifenden Erzählweise eine leichte Vertrautheit zwischen ihm und Galilei ein. Dieser freut sich von seinen einstigen Freunde zu hören, was in seinem Lachen deutlich wird (S.120). Nachdem er erneut von seiner „seelischen Wiedergesundung“ (S.120) schwärmt, schickt er seine Tochter barsch hinaus. Der misstrauische Mönch folgt ihr hinaus.

Dies ist der Wendepunkt im Gespräch zwischen Andrea und Galilei. Nachdem Andrea drängt zu gehen, antwortet Galilei in einem vertraulicheren Ton. Er fragt, warum Andrea gekommen sei. Er erklärt ihm, dass er vorsichtiger geworden sei und nicht aufgestört werden sollte, da er rückfällig geworden sei. Erst als der Mönch den Raum verlässt, reagiert Galilei demnach auf die Anfeindungen Andreas mit dem Eingeständnis seine Lehren nicht vergessen zu haben und erklärt, dass er nach wie vor an sie glaubt. Das anfängliche Misstrauen Andreas wandelt sich schlagartig in Begeisterung, als Galilei erzählt die „Discorsi“, Aufzeichnungen zu der Mechanik und den Fallgesetzen, fertig geschrieben zu haben (S.121). Die Begeisterung wandelt sich wiederum in Entsetzen, als Andrea erfährt, dass die Kirche das Schreiben Galileis billigt und dessen Ergebnisse in Gewahrsam hält („Die ‚Discorsi’ in der Hand der Mönche! Und Amsterdam und London und Prag hungern danach!“, S.121; „Zwei neue Wissenszweige so gut wie verloren!“, S.121). An dieser Stelle ist es an Galilei sich sarkastisch zu zeigen. Er spottet über Gelehrte, die sich in Sicherheit befinden und von ihm Bücher fordern, und berichtet von seinem kräfteraubenden Unterfangen heimlich und aus Eitelkeit eine Abschrift zu fertigen. Auf Andreas Drängen, händigt er sie diesem aus, obwohl er sich dem Risiko bewusst ist („es ist die Höhe der Torheit, sie auszuhändigen.“, S.121). Aus diesem Grund überträgt er Andrea die gesamte Verantwortung und mahnt ihn, Galilei aus der Sache heraus zu halten. Dieses Abkommen leitet die Versöhnung Andreas und Galileis ein. Andrea, nun überzeugt von Galileis moralischer Unschuld und überwältigt von der Freude über seine Abschrift, entschuldigt sich für seine Verleumdungen gegen Galilei und dieser erkennt im Gegenzug die Notwendigkeit von Andreas Handeln an.

Um sich Galileis einstigen Widerruf zu erklären, entwickelt Andrea nun eine Theorie, derzufolge Galilei aus Taktik gehandelt habe. Im folgenden Abschnitt des Bildes gewinnt Andrea zunehmend an Redeanteilen, nachdem diese zuvor sehr gleichmäßig verteilt waren. Er erläutert hingebungsvoll Galileis Genie im Kampf gegen die Kirche und für die Wissenschaft, die nach ihm auf der These beruht, dass ein lebender Kämpfer mehr bewirken kann, als ein zum Tode Verurteilter („Sie kamen zurück: Ich habe widerrufen, aber ich werde leben. – Ihre Hände sind befleckt, sagten wir. – Sie sagen: Besser befleckt als leer.“, S.122; „dass sie lediglich aus einer hoffnungslosen politischen Schlägerei zurückzogen, um das eigentliche Geschäft der Wissenschaft weiter zu betreiben.“, S.123). Auf Andreas Ausführungen reagiert Galilei jedoch zurückhaltend und skeptisch („Aha.“, S.123). Dies gipfelt in seiner Aussage „Ich habe widerrufen, weil ich den körperlichen Schmerz fürchtete.“, S.123), mit der er die Theorie Andreas widerlegt und damit seine treue Verbundenheit zur Wahrheit beweist. Und auch hier reagiert Andrea versöhnlich, denn trotz diesem Geständnis verzeiht er seinem ehemaligen Lehrer („Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag:“, S.124).

Im weiteren Verlauf des Dialogs kehrt sich die Dominanz der Redeanteile um, da Galilei mit sehr langen Reden seine eigene Anklage anführt. Er verurteilt seinen Widerruf, während Andrea ihn verteidigt. Die Verhältnisse sind somit am Ende des Dialogs völlig umgedreht, da Andrea seine seit Jahren fest gefahrene Meinung, die Galilei nun überraschenderweise selbst vertritt, aufgibt.

Galileis Selbstanklage

Galilei sieht den Kampf gegen kirchliche Repression durch ihn verloren. Er befürchtet, weitere Machenschaften der Kirche, während die Menschen durch Aberglaube und die Bibel („alte Wörter“, S.124) dumm gehalten werden. Den Zweifel, den die Wissenschaft schaffte, wandle sich nun wieder in den blinden Glauben an die sogenannte Unabänderlichkeit der göttlichen Ordnung und somit dem unabänderlichen Zustand des Reichtums der Kirche und des Elends der einfachen Leute. Galileis Zweifel bot die Chance eines Umsturzes, da die Menschen auf ihn schauten und hofften, dass die Kirche ihn fürchtete. Er bedauert seinen Widerruf und stellt sich die möglichen positiven Folgen auf einen Widerstand vor, zumal er davon überzeugt ist, aufgrund seiner Stärke (S.126) nie wirklich gefährdet gewesen zu sein.

Galilei sieht in der wissenschaftlichen Arbeit zwei Ziele. Den gesellschaftlichen Kampf zwischen dem Herrschaftsapparat der kirchlichen Obrigkeit und der elementaren Bedürfnisse der armen Leute und den innerwissenschaftlichen Kampf, der für ihn zwischen zwei Zielen stattfindet. Einerseits dem Ziel, „die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern“ (S.125) und andererseits dem Ziel, „Wissen um des Wissens willen anzuhäufen“ (S.125). Galilei selbst verfolgt das erstere der beiden Ziele, denn in seinen Augen führe das andere nur zu Verstümmelung.

An dieser Stelle nimmt Brecht politischen Bezug zur Weltsituation zur Zeit der Entstehung des Dramas um 1938/39. Er verurteilt die Planung der Atombombe, die nach seiner Meinung ein Unglück auslösen könnte. („(...) und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschritt von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, dass euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.“, S.125f.).

Galilei kommt zu dem Schluss, dass er wegen seines schändlichen Verrats an der Wissenschaft, nicht mehr Wissenschaftler sein kann (S.126).

Brecht denkt, dass Galilei durch seinen Widerruf zwar die Wissenschaft in ihrem einem Ziel, der Anhäufung des Wissens bereichert hat, aber das andere Ziel, die der Erleichterung des Lebens der Menschen verraten hat. Brecht bezeichnet dies als „Erbsünde“[aus „Preis oder Verdammung des Galilei?“] Galileis und geht sogar soweit, die Atombombe als „klassisches Endprodukt seiner wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen Versagens“ zu bezeichnen.

Epische Strukturelemente

Wie bereits erwähnt, folgt Leben des Galilei noch nicht konsequent der Brecht'schen Dramentheorie. Vielmehr lassen sich hier auch noch einige Abschnitte finden, die in klassisch-aristotelischer Weise aufgebaut sind. Sehr viele typische Elemente des epischen Theaters, die beispielsweise in Der gute Mensch von Sezuan zu finden sind, fehlen. Ein episches Strukturelement, welches vorhanden ist, sind die zahlreichen Reflexionsdialoge, die eine reflektierend-kommentierende Perspektive darstellen und die eigentliche Bühnenhandlung ergänzen und verfremden. Ein weiteres angewandtes Mittel stellt das Gegenüberstellen inhaltlich konträrer Bilder dar, die dicht aufeinanderfolgen. So setzt das päpstliche Collegium Romanum im 6. Bild einen Denkprozess in Gang, der die ambivalente Haltung der Kirche entlarvt, die einerseits von Galilei profitieren möchte, ihn aber andererseits verfolgt. Dieses Mittel der Kontrastierung findet sich auch in der Sprache des Stücks wieder: Viele Sätze besitzen eine antithetische Struktur, stellen also zwei widersprüchliche Thesen gegenüber: „die alte Zeit ist rum, es ist eine neue Zeit“ (S. 9), „Sollen wir die menschliche Gesellschaft auf Zweifel begründen und nicht mehr auf den Glauben?“ (S. 105). Ein weiteres Element der Verfremdung stellt die Komik dar, die erzeugt wird, wenn sich beispielsweise eine handelnde Personen der Lächerlichkeit preisgibt, indem sie sich selbst widerlegt oder wenn Sprache und Handlung in einem offensichtlichen Widerspruch zueinander stehen, wie im 6. Bild, als der alte Kardinal, nachdem er überheblich verkündete, es komme „unwiderleglich alles an auf mich, den Menschen“, erschöpft zusammenbricht. Auch die oft zitierten Bibelstellen sind ein Stilmittel des epischen Theaters. Die ursprünglich in einem religiösen Zusammenhang stehenden Bibelzitate werden oft zur Rechtfertigung politisch-gesellschaftlicher Positionen von allen Seiten zitiert und somit in einen völlig fremden Zusammenhang gestellt, so z.B. im Zitatduell zwischen Galilei und den zwei Kardinälen im 7. Bild.

Anmerkung: Ironischerweise sind die vermeintlichen Bibelzitate der Kardinäle gar keine Bibelzitate.


Literatur

Textausgaben

Sekundärliteratur

  • Beyersdorf, Peter & Thunich, Martin B.B. - "Das Leben des Galilei" Interpretation und unterrichtspraktische Vorschläge Beyer, Hollfeld 1985 ISBN 3888050278
  • Große, Wilhelm: Bertolt Brecht: Leben des Galilei. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 293). Hollfeld: Bange Verlag 2002. ISBN 978-3-8044-1728-1