Irminsul

Die Irminsul (die „emporgeschossene Säule“) oder auch Irmensäule oder Irmensul, war ein altsächsisches Hauptheiligtum und soll eine große Eiche, Fichte oder Holzsäule gewesen sein. Sie symbolisierte wahrscheinlich den Weltenbaum der germanischen Mythologie und ist mit der immergrünen Weltesche Yggdrasil aus der Edda zu vergleichen.
Standort und Funktion
Ihr genauer Standort ist unbekannt, wahrscheinlich befand sie sich aber in der Nähe der Eresburg bei Obermarsberg, wie die Formulierungen in den Annales regni Francorum („Fränkische Reichsannalen“) zum Jahr 772 nahelegen. Als weitere mögliche Standorte gelten u. a. die Externsteine, der Desenberg bei Warburg, die Iburg bei Bad Driburg, der Tönsberg bei Oerlinghausen und die Velmerstot. Die Irminsul wurde von den Franken auf Veranlassung Karls des Großen im Jahre 772 während der Sachsenkriege zerstört.
Der Mönch Rudolf von Fulda (gest. 865), dem wir die einzige ausführlichere Nachricht zur Irminsul verdanken, schreibt dazu in De miraculis sancti Alexandri (Kap. 3):
- „Truncum quoque ligni non parvae magnitudinis in altum erectum sub divo colebant, patria eum lingua Irminsul appellantes, quod Latine dicitur universalis columna, quasi sustinens omnia.“
- „Auch einen Holzklotz oder Baumstamm von nicht geringer Größe, der in die Höhe aufgerichtet worden war, verehrten sie unter freiem Himmel, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf Lateinisch ,All-Säule‘ bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.“
Geht man von der Funktion der Irminsul, das ganze All zu tragen, aus, so erweist sie sich als eine spezielle Form der sogenannten Weltsäule. Sie erhob sich vom Boden aus bis zum Himmel, den sie an der Stelle des Polarsterns erreichte. Bei den Lappen hat sich die Sitte, Weltsäulen aufzustellen bis ins 17. Jahrhundert erhalten und bei den Schamanen Nordasiens bis ins 20. Jahrhundert. Die lappischen Säulen waren als Gabelsäulen gebildet, das heißt, der Stamm teilte sich oben nach zwei Richtungen. Es wird allgemein angenommen, dass die Lappen die Sitte, Weltsäulen aufzurichten, von den südlicher lebenden Germanen übernommen hatten. Wenn diese Annahme stimmt, dürfte auch die germanische Weltsäule, die sächsische Irminsul, eine Gabelsäule gewesen sein. An mehreren Stellen spricht die Edda von der Weltensäule und ihrer Funktion. In den Eingangsstrophen der Völuspa gibt die Dichterin ihre Visitenkarte ab:
- "Neun Welten kenn ich, neun Äste weiß ich,
- am starken Stamm im Staub der Erde..." (Übersetzung: Simrock)
Sie hat neun Welten kennengelernt auf neun Ästen des Stammes. Aus dieser Erfahrung leitet sie ihren Anspruch als Seherin anerkannt zu werden ab. Von derselben Erfahrung spricht auch Odin's Runenlied:
- "Ich weiß daß ich hing am windigen Baum,
- neun lange Nächte,
- Vom Speer verwundet,dem Odin geweiht,
- Mir selber ich selbst,
- Am Ast des Baums, dem niemand ansieht,
- Aus welcher Wurzel er spross." (Übersetzung: Simrock)
Damit wird der Weltenbaum, der Himmel und Erde trennt, zugleich der, der sie wieder verbindet. (Speckner/Stamm,2002) Die an diesem Stamm in neun oder sieben oder zwölf Stufen aufsteigenden erleben die verschiedenen Bereiche der Himmelswelt. Die Schamanen im Polargürtel der Kontinente rund um das Nordpolarmeer haben diese Initiationsverfahren bis ins 20.Jahrhundert ausgeführt. Danach bezeichnet der Begriff Irminsul nicht nur einen einzelnen aufgerichteten Stamm, sondern eine Gattung von Säulen, die aufgerichtet waren, um den religiösen Weihezwecken zu dienen.
Würden sich Rudolf von Fuldas Aussagen allein auf eine Deutung des originär germanischen Wortes stützen, wäre sie durchaus anzweifelbar. Die neuere Sprachforschung legt für „irmin(-)“ eher eine Bedeutung wie „aufgeschossen“ – „aufgeschwungen (wie ein Adler)“ – oder „erhaben, groß, ragend“ nahe. Doch waren die Fuldaer Mönche am Ende des 8. und Anfang des 9.Jahrhunderts im Raum östlich von Paderborn missionierend tätig. Viele Kilianskirchen (z. B. in Höxter) bezeugen das eindrücklich. Rudolf von Fulda kann also Mönche seines Klosters gekannt haben, die ihn aus erster Hand über die Irminsul unterrichtet haben könnten.
Ein Rest einer Irminsäule soll sich laut einer seit dem 16. Jhdt. dokumentierten Überlieferung[1] heute im Hildesheimer Dom unter einer Mariensäule im Boden befinden. Walther Matthes schreibt dazu: "Es heißt dort, daß bei der Anlage des Klosters Corvey (ab 822), die in der Zeit Ludwigs des Frommen erfolgte, im Erdboden eine alte Steinsäule gefunden worden und daß es die von Karl dem Großen eroberte Irminsul gewesen sei, die man nach der Zerstörung an diese Stelle gebracht und dort vergraben habe. Weiterhin wird geschildert wie man die freigelegte Heidensäule von diesem Fundort unter dramatischen Umständen nach Hildesheim schaffte, um sie dort im Dom als Kerzenträger aufzustellen"[2] Matthes merkt an, daß die Erzählung die wachsende Bedeutung des Hildesheimer Bistums gegenüber dem Corveyer Kloster, das im 9./10. Jhdt. dominant war, widerspiegelt.
In der Nähe Hildesheims liegt übrigens der Ort Irminseul/Irmenseul. Wie in anderen Religionsgemeinschaften war nicht die Irminsul selbst der Gegenstand der Verehrung, sondern sie stand als ein Symbol für einen höheren Wert. Es wird vermutet, daß sie auch einen zentralen Thingplatz markiert habe.
Die Irminsul im christlichen und bäuerlichen Brauchtum
Als die germanischen Völker Norddeutschlands durch die irischen und römischen Missionare sowie die Zwangsmaßnahmen Karls des Großen sich dem christlichen Leben näherten, waren die alten sächsischen Symbole aber noch allgegenwärtig. An die Stelle des Weltenbaums und der Weltensäule mußte ein neues Symbol treten. So wurde im 9.Jahrhundert der Weltenbaum durch das Kreuz verdrängt, dieses mußte aber auch dessen Aufgaben übernehmen. Das war umso leichter, als das Kreuz schon im frühen Christentum mit dem Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis (des Guten und Bösen) in Verbindung gebracht worden war.
Man findet das Symbol der Gabelsäule daher auf Taufsteinen und Säulenkapitellen, an Kirchentüren und Elfenbeinschnitzereien. Auch spricht die mittelalterliche christliche Dichtung eine beredte Sprache.
Ein plastisches Beispiel ist die reliefierte Gabelsäule auf einem Kapitell in der Paderborner Abdinghofkirche.
Die Irminsul als völkisches und neuheidnisches Symbol

1929 hatte Wilhelm Teudt in seinem Buch Germanische Heiligtümer die These aufgestellt, das Kreuzabnahmerelief an den Externsteinen zeige mit dem Gegenstand, auf dem die Figur des Josef von Arimathia steht, die – zum Zeichen für den Sieg des Christentums gebogene – Kultsäule der Sachsen.[3] Dass Teudt für seine These keinen positiven Beweis antreten konnte, verhinderte nicht die Verbreitung des neuen Symbols in völkischen Kreisen. Teudt selber gründete in Detmold die Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte, welche die – wieder aufgerichtete – Irminsul als Abzeichen führte.
Im Anschluss daran wurde die Irminsul auch von anderen Gruppen wie der Nordischen Glaubensgemeinschaft und der Nordisch-Religiösen Arbeitsgemeinschaft übernommen. Die Irminsul spielte eine bedeutende Rolle als Symbol neuheidnischer Gruppen innerhalb und außerhalb des Nationalsozialismus.
Als 1936 die Vereinigung Teudts in die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe übernommen wurde, bemächtigte man sich dort auch des Emblems der Gemeinschaft. Im Vordergrund stand dort die Vorstellung, mit der Irminsul ein Gegensymbol zum christlichen Kreuz und einen sinnfälligen Ausdruck für die Idee des Ahnenerbes zu haben.
Siehe auch
Literatur
- Uta Halle: Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch! Prähistorische Archäologie im Dritten Reich. Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe Bd. 68. Verl. für Regionalgeschichte, Bielefeld 2002.
- Karlheinz Weißmann: Mythen und Symbole. Edition Antaios, Dresden 2002, ISBN 3-935063-13-X.
- Rolf Speckner/Christian Stamm: Das Geheimnis der Externsteine. Bilder einer Mysterienstätte. Urachhaus. Stuttgart 2002. ISBN 3-8251-7402-6.
Einzelnachweise
- ↑ Johannes Letzner. Corbeische Chronik. Hamburg 1590
- ↑ Walther Matthes. Corvey und die Externsteine. Schicksal eines vorchristlichen Heiligtums in karolingischer Zeit. Stuttgart 1982. S.13 ISBN 3 87838 369 x
- ↑ Wilhelm Teudt: Germanische Heiligtümer. Beiträge zur Aufdeckung der Vorgeschichte, ausgehend von den Externsteinen, den Lippequellen und der Teutoburg. 1. Auflage. Eugen Diederichs Verlag, Jena 1929, S. 27-28.