Kipper- und Wipperzeit

Als große Kipper- und Wipperzeit bezeichnet man eine weite Teile Mitteleuropas erfassende Geldkrise im zweiten und dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts (siehe auch: Dreißigjähriger Krieg). Um 1680 gab es noch eine sogenannte "kleine Kipper- und Wipperzeit" in Deutschland. Der Name leitet sich von der Praktik der betrügerischen Münzentwertung ab, nämlich dem Wippen, bei dem vollwertige Münzen mittels einer Schnellwaage aussortiert wurden, um sie dann entweder einzuschmelzen oder sie an den Rändern zu beschneiden, zu kippen (niederdeutsch für „beschneiden“), und mit dem so gewonnenen Metall unter Zugabe von Kupfer neue Münzen herzustellen.
Ursachen und Praxis der Geldentwertung
Den Anreiz für die systematische Münzentwertung gab die seit Mitte des 16. Jahrhunderts eingetretene Geldknappheit im Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Die Ursachen für diese Geldknappheit lagen in dem Rückgang der deutschen Silberproduktion, der Anhäufung von Schatzgeld zur Finanzierung von Söldnerheeren und dem gleichzeitigen Ansteigen des Luxusbedürfnisses an den deutschen Fürstenhöfen. Diese Geldknappheit konnte auch die über Spanien und Portugal aus der Neuen Welt ab etwa 1560 importierten Edelmetallmengen nicht kompensieren, gleichwohl trat - neben der unten beschriebenen Münzverschlechterung durch geringeren Feingehalt - noch ein allgemeiner Preisverfall der Edelmetalle ein. Als Ursache kann in Deutschland eine allgemeine Bevölkerungszunahme in den Städten bei gleichzeitiger Stagnation der landwirtschaftlichen Produktion angesehen werden. Im ausgehendem 16. Jahrhundert überlagerten sich somit eine Reihe preistreibender Faktoren, die in den Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges in der Kipper- und Wipperzeit ihren Höhepunkte um 1622/23 fandenFo. In dieser Situation nutzten die Landesherren auch noch einen strukturellen Fehler der Reichsmünzordnung von 1559, die ihnen als territorialen Münzherren die Ausgabe von Landesmünzen mit einem – gegenüber den Reichsmünzen – geringeren Silbergehalt ermöglichte. Betroffen von dieser Geldverschlechterung waren vor allem die kleineren Münzsorten wie Pfennig, Kreuzer, Groschen und Halbbatzen. Diese wurden als Nachahmungen gängiger Münzen mit einem unter dem Nennwert liegenden Silbergehalt hergestellt und dann in großen Mengen in anderen Gegenden des Reichs in Verkehr gebracht. Beispielsweise wurden Nachahmungen des bisher wegen seiner guten Wertigkeit geschätzten Schreckenbergers im kleinen Ardennenfürstentum Château-Renault und anderen Münzstätten nachgeahmt. Eine andere Methode war das flächendeckende Überziehen des eigenen Territoriums mit sogenannten Heckenmünzen, also Münzen, die in illegalen Münzstätten hergestellt wurden und durch ihren Umlauf zum Anstieg der Inflation beitrugen.
Folgen und Beendigung
Hauptbetroffene der Geldentwertung waren Festbesoldete, die ihre Einkommen in den von den Fürsten verschlechterten Münzsorten erhielten, während die Erzeuger landwirtschaftlicher und gewerblicher Produkte eine Bezahlung in harter Währung verlangen konnten. Die einsetzende Preissteigerung führte zu Not, Verarmung und Hunger, woraufhin das Volk in Form zahlreicher Flugblätter gegen die Münzverschlechterung protestierte. Als die Landesherren erkannten, dass die erzielten Gewinne nur scheinbar waren, weil sie das Geld in Form von Steuern und Abgaben zurückerhielten, begannen sie das schlechte Kippergeld wieder einzuziehen.
Im Zusammenhang mit weiteren Perioden der Währungsmanipulation spricht man auch von einer „Zweiten Kipper- und Wipperzeit“ (sechziger bis neunziger Jahre des 17. Jahrhunderts), sowie von einer „Dritten Kipper- und Wipperzeit“ (um 1750).
Kursverlauf zwischen vollwertigem Reichstaler und minderwertigem Kreuzer
1566: 68
1590: 70
1600: 72
1610: 84
1616/17: 90
Ende 1619: 124
Ende 1620: 140
Ende 1621: bis 390
1622/23: 600 und mehr (regional bis über 1000)
ab 1623: 90
Literatur
- Ulrich Rosseaux: Die Kipper und Wipper als publizistisches Ereignis (1620–1626): eine Studie zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Berlin 2001, ISBN 3-428-10362-9 – dazu die Rezension von Silvia Serena Tschopp, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 3.
- Gustav Freytag: Die Kipper und Wipper und die öffentliche Meinung, in: Heinrich Pleticha [Hrsg.]: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Band 2. Reformationszeit und Dreißigjähriger Krieg. Gütersloh / München 1998, S. 299–318.
- Niklot Klüßendorf: Der Münzschatz von Herborn. Zur Kipperzeit in der Grafschaft Nassau-Dillenburg, Marburg 1989, ISBN 3-7708-0925-4.
- Fritz Redlich: Die deutsche Inflation des frühen Siebzehnten Jahrhunderts in der zeitgenössischen Literatur. Die Kipper und Wipper, Köln 1972, ISBN 3-412-92872-0.
- Konrad Schneider: Hamburg während der Kipper- und Wipperzeit, in: Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte 67 (1981), S. 47–74.
- Konrad Schneider: Frankfurt und die Kipper- und Wipperinflation der Jahre 1619–1623, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-7829-0395-1.
- Konrad Schneider: Artikel Kipper- und Wipperzeit, Münzwaage und Schreckenberger, in: Michael North [Hrsg.]: Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, ISBN 3-406-38544-3.
- Karl Weisenstein: Die Kipper- und Wipperzeit im Kurfürstentum Trier, Koblenz 1991, ISBN 3-923708-06-8.
- Bernd Sprenger: Das Geld der Deutschen, 3.Auflage Paderborn u.a. 2002, S.107, ISBN 3-506-78623-7