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Ich weiß, dass ich nichts weiß

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„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist ein geflügeltes Wort, das als verfälschende Verkürzung eines Zitats aus Platons Apologie dem griechischen Philosophen Sokrates zugeschrieben wird.

Bedeutung

Die geläufige, paradoxe Übersetzung von Vorlage:Polytonisch, oída ouk eidós, [oi̯da ou̯k ei̯dɔːs] trifft nicht den Sinn der Aussage. Wörtlich übersetzt heißt der Spruch „Ich weiß als Nicht-Wissender“ bzw. „Ich weiß, dass ich nicht weiß“. Mit dieser Aussage meint Sokrates also nicht, dass er nichts weiß, sondern dass er die Einsicht gewonnen habe, es gebe kein sicheres Wissen und man könne von seinen Ansichten nur überzeugt sein, aber nichts sicher wissen.[1] Aber auch diese Aussage ist paradox, da er ja dann auch nicht wissen kann, dass er nichts weiß. Dieses so genannte Münchhausen-Trilemma wird von Sokrates nicht aufgelöst.

Originalzitat

Das geflügelte Wort ist als Verkürzung der Verteidigungsrede des Sokrates entlehnt, die von Platon überliefert wurde:

Und ihr wißt doch, wie Chairephon war, wie heftig in allem, was er auch beginnen mochte. So auch als er einst nach Delphoi gegangen war, erkühnte er sich hierüber ein Orakel zu begehren - nur, wie ich sage, kein Grollen ihr Männer. Er fragte also, ob wohl Jemand weiser wäre als ich. Da leugnete nun die Pythia, daß Jemand weiser wäre. Und hierüber kann euch dieser sein Bruder hier Zeugnis ablegen, da jener bereits verstorben ist. Bedenket nun, weshalb ich dieses sage; ich will euch nämlich erklären, woher doch die Verleumdung gegen mich entstanden ist. Denn nachdem ich dieses gehört, gedachte ich bei mir also: Was meint doch wohl der Gott? Und was will er etwa andeuten? Denn das bin ich mir doch bewußt, daß ich weder viel noch wenig weise bin. Was meint er also mit der Behauptung ich sei der weiseste? Denn lügen wird er doch wohl nicht, das ist ihm ja nicht verstattet. Und lange Zeit konnte ich nicht begreifen was er meinte, endlich wendete ich mich gar ungern zur Untersuchung der Sache auf folgende Art. Ich ging zu einem von den für weise gehaltenen, um dort, wenn irgendwo, das Orakel zu überführen und dem Spruch zu zeigen: Dieser ist doch wohl weiser als ich, du aber hast auf mich ausgesagt. Indem ich nun diesen beschaute, denn ihn mit Namen zu nennen ist nicht nötig, es war, aber einer von den Staatsmännern, auf welchen schauend es mir folgendergestalt erging, ihr Athener. Im Gespräch mit ihm schien mir dieser Mann zwar vielen andern Menschen auch am meisten aber sich selbst sehr weise vorzukommen, es zu sein aber gar nicht. Darauf nun versuchte ich ihm zu zeigen, er glaubte zwar weise zu sein, wäre es aber nicht, wodurch ich dann ihm selbst verhaßt ward und vielen der Anwesenden. Indem ich also fortging, gedachte ich bei mir selbst, als dieser Mann bin ich nun freilich weiser. Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas tüchtiges oder sonderliches wissen, allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht, ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen. Hierauf ging ich dann zu einem Andern von den für noch weiser als jener geltenden, und es dünkte mich eben dasselbe, und ich wurde dadurch ihm selbst sowohl als vielen Andern verhaßt. Nach diesem nun ging ich schon nach der Reihe, bemerkend freilich und bedauernd, und auch in Furcht darüber, daß ich mich verhaßt machte. Doch aber dünkte er mich notwendig des Gottes Sache über alles andere zu setzen, und so mußte ich denn gehen immer dem Orakel nachdenkend, was es wohl meine, zu Allen welche dafür galten etwas zu wissen.[2]

Scheinwissen, Nichtwissen und Weisheit

Sokrates führt mit dieser Aussage die Gedankengänge des Xenophanes (um 500 v. Chr.) weiter, der nur vom Scheinwissen ausgeht: Vorlage:Polytonisch, „Und ein Scheinwissen ist auf allem bereitet.“ Sokrates beschäftigt sich mit diesem Thema auch in Platons Dialog Menon, in dem er selbigem sagt: Vorlage:Polytonisch − […] du freilich wusstest vielleicht früher, bevor du mit mir in Kontakt getreten bist, jetzt freilich bist du ähnlich einem Nicht-Wissenden.[3]
Auch hier spielt Sokrates auf das Ändern der Meinung Menons an, der von seiner Meinung überzeugt war und dessen „Wissen“ durch Sokrates zuvor widerlegt wurde. Ähnlich erging es Protagoras, der nach Einwänden Sokrates’ die gegenteilige Meinung zum zuvor Gesagten einnahm. Weisheit beginnt also auch für Sokrates mit der Entlarvung des Scheinwissens.

Das Mittel dazu war sein stetiges, bohrendes Bemühen, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich nicht mit dem Vordergründigen zufrieden zu geben. Er wollte den „besten Logos“ zur Sprache zu bringen, das von Zeit und Örtlichkeit unabhängige, sich gleichbleibende Wesen der Sache.[4] Sokratische Philosophie bedeutet eine innere Bewegtheit, eine Haltung, die Denken und Dasein bestimmt, was sich in der Übersetzung des Wortes Philosophie als „Liebe zur Weisheit“ ausdrückt: Die Liebe sei das einzige, wovon er etwas verstehe.[5]

Sokrates nennt in seiner Verteidigungsrede den Gott Apollon von Delphi als Garanten für die Wahrhaftigkeit seines Philosophierens. Er wurde vom Gott zur Weisheit berufen und nicht als Weiser bezeichnet - so deutete er das Orakel. Er befragte deshalb andere, die als weise galten, um von ihnen zu lernen. So kam es zu den Streitgesprächen mit den Sophisten, den Weisen seiner Zeit, den in öffentlichen Ämtern stehenden Athenern, Bekannten und Freunden. Im Gegensatz zu den Sophisten ließ er sich nicht für seine Lehrtätigkeit bezahlen. Für ihn war es wichtig, ein sicheres Fundament für menschliche Erkenntnisse zu finden. Er glaubte, dieses Fundament liege in der Vernunft. Er war der Ansicht, dass der, der wisse, was gut ist, auch das Gute tun werde. Er glaubte, die richtige Erkenntnis führe zum richtigen Handeln. Und nur wer das Richtige tue werde zum richtigen Menschen. Wenn ein Mensch falsch handelt, so tut er das aus Sokrates' Sicht nur, weil er es nicht besser weiß. Deshalb sei es so wichtig, das Wissen zu vermehren.


Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Michael Stokes: Apology of Socrates, Warminster: Aris & Phillips, 1997, Seite 18
  2. Platon, Apologie 21 St, Übersetzung von Friedrich E. D. Schleiermacher; Vorlage:Polytonisch, „Dieser meint irgendetwas zu wissen, obwohl er es nicht weiß, aber ich, wie ich es nun nicht weiß, glaube es auch nicht.“
  3. Platon, Menon 80d.
  4. Vgl. Pleger, S. 178 ff.
  5. Vgl. Platon, Theages, 128a

Literatur