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Entartete Kunst

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„Entartete Kunst“: Blaues Pferd I Gemälde von Franz Marc, 1911
... und Hafenkneipe von Joachim Ringelnatz, 1933.

Entartete Kunst“ ist ein Ende des 19. Jahrhunderts fachfremd von der Medizin in die Kunst – ursprünglich von dem Mediziner und Kulturkritiker Max Nordau[1] – übertragener Begriff, der bis 1945 von den Nationalsozialisten weit verbreitet wurde und in abwertender Weise besonders die moderne Kunst treffen sollte, die sich nicht in das Kunstverständnis der nationalsozialistischen Ideologie einfügte. Als Verfallserscheinung der kulturellen Lebenskraft wurden auch Pessimismus und Pazifismus stigmatisiert und auch andere Ansätze der vermeintlichen „Entartung“, also auch pseudowissenschaftlich so als „artfremde“ bezeichnete Einflüsse sowie vorgeblich unsittliche und abnorme Abweichungen vom Art- und Rassenbegriff. Als „entartet“ wurden Werke des Expressionismus und der abstrakten Kunst durch Gegenüberstellung mit pathologischen Erscheinungen diffamiert.

Das Werk vieler so verfemter Künstler wurde durch Berufsverbot, Malverbot, Konfiszierung, Entfernung aus den Museen, Emigration oder Ermordung der Künstler zerstört oder unterbunden, und noch vorhandene Werke wurden nach dem 2. Weltkrieg wegen des Siegeszuges der abstrakten Kunst häufig vergessen. Daher werden einige der Künstler dieser Generation auch als vergessene Künstler bezeichnet. Weiter wird auch die Bezeichnung Exilkunst oder "Künstler im Exil" gebraucht für die vorwiegend jüdischen Künstler, denen die Flucht ins Ausland gelang, die dann in wirtschaftlicher Not und entwurzelt in der Fremde einen neuen Anfang begannen.

Vorgeschichte

Der vom nationalsozialistischen Volksbildungsminister Thüringens Wilhelm Frick bewirkte Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ (5. April 1930) war der Ausgangspunkt der Bereinigung von „undeutschen Einflüssen“. Dies führte im Oktober 1930 zur Überstreichung von Oskar Schlemmers Wandgestaltung der Weimarer Werkstattgebäude des Bauhauses. Weiter betrieb Frick die Auflösung der „Bauhochschule“ und die Entlassung der Lehrerschaft. Er berief Paul Schultze-Naumburg, führender Vertreter einer rechtskonservativen Bau- und Kulturideologie, zum Direktor der neugegründeten „Vereinigten Kunstlehranstalten Weimar“. Unter dessen Leitung wurde das Weimarer Schlossmuseum von Werken von Ernst Barlach, Charles Crodel, Otto Dix, Erich Heckel, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und anderen „bereinigt“. Zwar wurde Minister Frick am 1. April 1931 das Vertrauen des Thüringischen Landtages entzogen, doch die Landtagswahlen vom 31. Juli 1932 brachten der nationalsozialistischen Fraktion die absolute Mehrheit und öffneten den Zugriff von Weimar auf Berlin, was konsequenterweise dazu führte, dass exemplarisch die gerade zum Goethejahr 1932 mit Wandmalereien von Charles Crodel erneuerten Kuranlagen von Bad Lauchstädt im Sommer 1933 teils verbrannt, teils überstrichen wurden, während in Berlin ein erbitterter Richtungskampf geführt wurde, den Alfred Rosenberg im Winter 1934–1935 für sich entschied und nach den Olympischen Spielen in Berlin 1936 umsetzte.

Gedenktafel in der Köpenicker Straße in Berlin vor einem ehemaligen Depot für „Entartete Kunst“

Auftakt der neuerlichen Verfolgungswelle war die Schließung der Neuen Abteilung der Berliner Nationalgalerie im Kronprinzenpalais am 30. Oktober 1936 und der Erlass vom 30. Juni 1937, der den neuen Reichskunstkammerpräsidenten Adolf Ziegler ermächtigte, „die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei und der Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen“. Der Begriff wurde übrigens - aber natürlich ohne jede rassistische oder antisemitische Konnotation - von dem Zionisten Max Nordau geprägt.

„Ausstellung für entartete Kunst“

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ wurde am 19. Juli 1937 in München in den Hofgarten-Arkaden eröffnet und zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen. Bis April 1941 wanderte sie in zwölf weitere Städte. Sie zog über 3 Millionen Besucher an und damit mehr als die propagierte "Große Deutsche Kunstausstellung". Die Ausstellung wurde von Joseph Goebbels initiiert und von Adolf Ziegler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, geleitet. Gleichzeitig setzte mit der Beschlagnahme von insgesamt rund 16.000 modernen Kunstwerken, die zum Teil ins Ausland verkauft oder zerstört wurden, die „Säuberung“ der deutschen Kunstsammlungen ein. Berufsverbote für Künstler und Museumsleute, die moderne Kunst angekauft hatten, oder Hochschullehrer gab es bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten seit 1933.

Als „Entartete Kunst“ galten im NS-Regime alle Kunstwerke und kulturellen Strömungen, die mit dem Kunstverständnis und dem Schönheitsideal der Nationalsozialisten nicht in Einklang zu bringen waren:

Expressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Kubismus oder Fauvismus. Als „entartet“ galten unter anderem die Werke von George Grosz, Elfriede Lohse-Wächtler, Karl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner, Paula Modersohn-Becker, Max Ernst, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Pankok, Max Pechstein, Paul Klee, Willi Baumeister, Otto Griebel, Max Beckmann , Otto Dix oder Ernst Barlach. In der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden ihre Exponate mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleichgesetzt und mit Fotos verkrüppelter Menschen kombiniert, die bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen erregen sollten. So sollte der Kunstbegriff der avantgardistischen Moderne ad absurdum geführt und moderne Kunst als „entartet“ und als Verfallserscheinung verstanden werden. Diese Präsentation „kranker“, „jüdisch-bolschewistischer“ Kunst diente auch zur Legitimierung der Verfolgung „rassisch Minderwertiger“ und „politischer Gegner."[2]

Zur Ausstellung „Entartete Kunst“ in München verteilten die Nationalsozialisten Flugblätter (Buchdruck auf dünnem rotem Papier, 134 x 200 mm):


Gequälte Leinwand —
Seelische Verwesung —
Krankhafte Phantasten —
Geisteskranke Nichtskönner
von Judencliquen preisgekrönt, von Literaten gepriesen, waren
Produkte und Produzenten einer „Kunst“, für die Staatliche
und Städtische Institute gewissenlos Millionenbeträge deutschen
Volksvermögens verschleuderten, während deutsche Künstler zur
gleichen Zeit verhungerten. So, wie jener „Staat“ war seine
„Kunst“.
Seht Euch das an!      Urteilt selbst!
Besuchet die Ausstellung
„Entartete Kunst“
Hofgarten-Arkaden, Galeriestraße 4
Eintritt frei      Für Jugendliche verboten

Parallel zur „Entarteten Kunst“ zeigten die Nationalsozialisten in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Münchner „Haus der Deutschen Kunst“, was man unter „deutscher“ Kunst zu verstehen habe: Motive über Blut und Boden, Soldaten und Sportler, nordischen Mythos.

NS-Kunstpolitik

Es gab drei konsequente Diffamierungs-Maßnahmen der NS-Kulturpolitik: "Bücherverbrennung" am 10. Mai 1933 in Berlin, Verfolgung der Maler und ihrer "entarteten Kunst" am 19. Juli 1937 in München und Verfolgung der "entarteten Musik" am 24. Mai 1938 in Düsseldorf.

Nach der gewaltsamen „Entfernung“ jüdischer, kommunistischer und „unerwünschter“ Künstler aus öffentlichen Ämtern und der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz, wurde bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten deutlich, dass die Vielfalt des Kunstschaffens der Weimarer Republik unwiderruflich zu Ende war.

Der Vernichtungsangriff auf die Moderne und ihre Protagonisten betraf alle Sparten der Kultur wie Literatur, Filmkunst, Theater, Architektur oder Musik. Moderne Musik wie der Swing oder der Jazz wurde auf der am 24. Mai 1938 eröffneten Ausstellung „Entartete Musik“ ebenso rücksichtslos diffamiert wie der „Musikbolschewismus“ von international bekannten Komponisten wie Hanns Eisler, Paul Hindemith oder Arnold Schönberg.[3]

Analog zur „Entarteten Kunst“ wurden auch verschiedene musikalische Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts als „Entartete Musik“ verunglimpft.

Die neue nationalsozialistische deutsche Kunst sollte eine Kunst des „nordisch-arischen Volkes“ sein. „Kunst ist immer die Schöpfung eines bestimmten Blutes, und das formgebundene Wesen einer Kunst wird nur von Geschöpfen des gleichen Blutes verstanden“, schreibt Alfred Rosenberg in seinem 1930 erschienenen Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ (S. 120). Eine in der ganzen Welt beheimatete „Kunst an sich“ lehnte er strikt ab. Zu den von der NS-Kunstpolitik bevorzugten und von Künstlern wie Arno Breker, Willy Meller, Josef Thorak und Ivo Saliger (1894-1987) umgesetzten Motiven gehörten u.a. das harte Leben von Bauern und Arbeitern, stillende Mütter, muskelbepackte Sportler, heldenhafte Soldaten, mythologische Szenen und ästhetisierte Frauengestalten.

Alles in allem hat die NS-Zeit jedoch kaum originelle Werke hervorgebracht. Die von den Nationalsozialisten propagierte neue Kunst knüpfte in allen Bereichen – Bildende Kunst, Literatur, Musik, Architektur – im wesentlichen an die Heimatkunst und die „Bauern, Blut und Boden“-Literatur der Wilhelminischen Ära an.

1936 erging ein totales Verbot jeglicher Kunst der Moderne. Hunderte Kunstwerke, vor allem aus dem Bereich der Malerei, wurden aus den Museen entfernt und entweder für die Ausstellung „Entartete Kunst“ konfisziert, ins Ausland verkauft oder zerstört. Maler, Schriftsteller und Komponisten erhielten – soweit sie nicht ins Ausland emigriert waren – Arbeits- und Ausstellungsverbot. Das bereits seit 1933 bestehende Ankaufsverbot für nicht-arische und moderne Kunstwerke wurde verschärft. Die schrittweise Entrechtung der jüdischen Bevölkerung hatte zur Folge, dass auch zahlreiche Kunstwerke aus jüdischem Privatbesitz in die Hand des Staates fielen und, sofern sie als "entartet" galten, vernichtet oder ins Ausland verschleudert wurden. Die hieraus sich ergebenden Rückforderungen der Erben beschäftigen bis heute Museen und Gerichte (vgl. Lost Art Internet Database).

1937 eröffnete die „Große Deutsche Kunstausstellung“ das neugebaute Haus der Deutschen Kunst in München. Das Ziel der Ausstellung lag nicht nur in der Präsentation deutscher Kunst, sondern auch im Versuch, dem einfachen Volk „seine“ Kunst näherzubringen. Ein offizieller Wettbewerb lud alle deutschen Künstler im In- und Ausland ein, daran teilzunehmen. Von den 16.000 eingesandten Werken wurden gut 600 ausgestellt und zum Verkauf angeboten. Auffallend war jedoch das Fehlen junger Talente. Die meisten der ausgestellten Künstler, wie Fritz Erler (1868-1940), Ferdinand Spiegel (1879-1950) oder Conrad Hommel, hatten ihre Werke bereits vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten an anderen Orten ausgestellt.

In der Vorstellungswelt führender Nationalsozialisten gingen Kitsch und Größenwahn eine Synthese ein: Das Sammeln solcher „Blut-und Boden“-Kunst war ein persönliches Anliegen des erfolglosen Malers Adolf Hitler. Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg schrieb er erstmals die Idee auf, ein „Hitlerkunstmuseum“ einzurichten. Er wollte nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner Heimstadt Linz ein Kunstmuseum eröffnen, in dem Kunstwerke aus den eroberten Gebieten ausgestellt werden sollten. Es sollte direkt neben einem Palast am Donauufer gebaut werden, in dem der Diktator seinen Lebensabend zu verbringen plante.

Folgen für die verfemten Künstler

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gab es mehrere Fluchtwellen. Direkt nach der Machtergreifung flohen viele Künstler in die Nachbarstaaten Deutschlands. Die nächste Fluchtwelle wurde durch die Nürnberger Gesetze ausgelöst. Die weiteren durch die Diffamierung als "Entartete" Kunst und die Novemberpogrome 1938. Beispielsweise flohen 64 Hamburger Künstler in 23 unterschiedliche Länder.

Ausgesprochene Berufsverbote (Auswahl)

Exilkünstler, die zurückkehrten

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Deutschlandfunk: Kardinal Meisners Warnungen zur "entarteter Kultur". Podcast, Sendezeit: 16.09.2007, 17:47
  2. Der Text folgt hier dem Beitrag Die Ausstellung "Entartete Kunst" auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums.
  3. Der Text folgt hier dem Beitrag Die Ausstellung "Entartete Kunst" auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums.

Literatur

  • Jürgen Claus (Katalog/Text/Dokumentation): "Entartete Kunst. Bildersturm vor 25 Jahren". Ausstellungskatalog Haus der Kunst München, 25.10.-16.12.1962
  • Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus (Rowohlts deutsche Enzyklopädie; 167/168). Rowohlt, Reinbek 1963.
  • Uwe Fleckner (Hrsg.): Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus. Akademie-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-05-004062-9.
  • Boris T. Grell: Entartete Kunst. Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannten entarteten Kunst. Dissertation, Universität Zürich 1999
  • Berthold Hinz: Die Malerei im deutschen Faschismus. Kunst und Konterrevolution. Heyne Verlag, München 1984, ISBN 3453-01906-7 (Heyne Buch 01/7241)
  • Dina Kashapova: Kunst, Diskurs und Nationalsozialismus. Semantische und pragmatische Studien. (Reihe Germanistische Linguistik; 266). Niemeyer, Tübingen 2006, ISBN 3-484-31266-1.
  • Hans-Peter Lühr: Die Ausstellung "Entartete Kunst" und der Beginn der NS-Barbarei in Dresden. Geschichtsverein, Dresden 2004, ISBN 3-910055-70-2.
  • Franz Roh: Entartete Kunst. Kunstbarbarei im Dritten Reich. Fackelträger-Verlag, Hannover 1962.
  • Christian Saehrendt: Die Kunst der „Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg, Stuttgart 2005. (Erschienen in der Reihe Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Eckart Henning Bd. 13.)
  • Rainer Zimmermann: Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation. Verlag Hirmer 1994, ISBN 3777464201 (Kurzbiographien von ca. 400 Künstlern, erweitert gegenüber 1. Auflage 1980)
  • Christoph Zuschlag: Entartete Kunst. Austellungsstrategien im Nazi-Deutschland. Werner Verlag, Worms 1995, ISBN 3-88462-096-7.