Babytragetuch
Ein Babytragetuch ist eine Tragehilfe, die es ermöglicht, einen Säugling über eine längere Zeitspanne am Körper zu tragen, ohne dass man dabei erhebliche Einschränkungen in der Mobilität hat.
Geschichte
Das Tragen von Säuglingen im Tuch kennt man heutzutage fast nur noch von Naturvölkern, jedoch noch vor 200 Jahren waren Tragetücher auch in Europa üblich. Die ersten Kinderwagen kamen im 19. Jahrhundert auf und verbreiteten sich auch zunächst nur in den wohlhabenderen Klassen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte der Stellmacher Ernst Albert Naether den Kinderwagen zum Gebrauchsgegenstand und gründete in Zeitz die Firma ZEKIWA, die zeitweilig Europas größter Hersteller von Kinderwagen war. Seitdem ging der Gebrauch von Tragetüchern immer mehr zurück, Mitte des 20. Jahrhunderts war das Tragen in Deutschland so gut wie vergessen.
Seit 1972 produziert die schwäbische Firma DIDYMOS Tragetücher für den deutschen Markt, mittlerweile gibt es mehrere Hersteller. Zwar nimmt der Anteil der Eltern, die ihre Kinder tragen seitdem wieder zu, bleibt insgesamt jedoch auf niedrigem Niveau.
Vor- und Nachteile des Tragens

Mit gebundenem Tragetuch hat man einige Einschränkungen in der eigenen Beweglichkeit. So fällt z. B. Bücken, Beugen oder Abhocken deutlich schwerer, bzw. bedarf aufgrund des verlagerten Schwerpunktes einiger Übung. Dies wird jedoch durch die deutliche erhöhte Mobilität mehr als ausgeglichen: So sind z. B. Treppen auch ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Auch öffentliche Verkehrsmittel, die man mit Kinderwagen nur schwer betreten kann, stellen keine Probleme mehr da. Zudem sind beide Hände frei, so dass sich ein Großteil der Alltags- bzw. Hausarbeiten (z. B. Spülen, Wäsche aufhängen) auch mit gebundenem Tragetuch durchführen lassen. Das Tragen im Tuch kommt somit dem natürlichen Bedürfnis von Säuglingen nach Körpernähe als auch dem der Eltern nach Flexibilität und Mobilität entgegen.
Viele Eltern berichten zudem, dass ihre Babies durch das Tragen ruhiger und ausgeglichener sind. Dies deckt sich mit einer Studie von Dr. Urs A. Hunziker am Kinderspital Zürich, nach der Kinder die getragen werden auffallend weniger weinten, als Kontrollgruppenkinder.
Ein weiterer, offensichtlicher Vorteil: Ein Tragetuch wiegt weniger als ein Kinderwagen, benötigt weniger Platz und kann bequem überall mitgenommen werden - auch auf Reisen z. B. im Koffer.
Mit etwas Übung ist das Tragetuch schneller angelegt und das Kind darin platziert, als im Kinderwagen. Dies gilt vor allem in den kälteren Jahreszeiten, da man im Tuch darauf verzichten kann (und soll!), dem Kind extra dicke Kleidung anzuziehen. Wenn das Baby im Tuch unter der Jacke der Eltern getragen wird, reicht normale Wohnungskleidung sowie Schühchen und Mützchen vollkommen aus, damit es nicht friert.
Es ist jedoch anzumerken, dass sich nicht jeder Säugling gerne tragen lässt. Dies kann unter Umständen auf Unsicherheit des Trägers, aber auch auf falsches Wickeln zurückzuführen sein. Deshalb sollte in solchen Fällen eine Tragebeartung in Anspruch genommen werden, bevor man auf das Tragen verzichtet.
Biologische und medizinische Betrachtungen
Biologen unterscheiden Jungtiere in Nesthocker, Nestflüchtler und Traglinge, letztere in passive und aktive. Passive Traglinge sind Jungtiere, die sich tragen lassen (z. B. Beuteltiere), während sich aktive Traglinge reflexartig am Träger festhalten (z. B. Gorilla-Babies). Menschliche Säuglinge gelten evolutionsbiologisch als aktive Traglinge. Sie haben z. B., wie auch Affenbabies, den Klammerreflex (auch Nachgreifreflex, Moro-Reflex) beim Fallen sowie den Handgreifreflex (Palma-Reflex). Legt man ein Baby auf den Rücken bzw. hebt es hoch, nimmt es instinktiv die Spreiz-Anhock-Haltung ein, mit der es enger am Körper der Eltern anliegen kann.
Schon aus biologischer Sicht sind weit verbreitete Vorurteile wie z. B., das Tragen sei schädlich für die Wirbelsäule, nicht haltbar. Auch aus medizinischer Sicht spricht nichts gegen das Tragen gesunder Säuglinge über längere Zeiträume. Nach Untersuchungen von Dr. Evelin Kirkilionis treten bei getragenen Kindern Wirbelsäulenauffälligkeiten nicht häufiger auf, als bei Kindern, die im Kinderwagen gefahren werden. Das Tragen in der Spreiz-Anhock-Haltung kann sogar vorbeugend gegenüber Hüftdysplasien wirken. Es sind zudem Fälle dokumentiert, bei denen bereits vorhandene Hüftdysplasien ohne medizinische Eingriffe wieder verschwanden, nachdem die betroffenen Babys getragen wurden.
Wenn Eltern möglichst früh mit dem Tragen anfangen (gesunde Säuglinge können ab dem ersten Tag getragen werden), wird auch deren Rücken durch langes Tragen nicht gesundheitsschädlich belastet. Gute Tragehilfen verteilen das Gewicht des Kindes entsprechend, die Muskeln der Eltern werden mit zunehmendem Gewicht trainiert und passen sich dementsprechend an. Ist das Kind für Bauchtragen zu schwer, kann es auf dem Rücken getragen werden, wo man das Gewicht durch Rucksäcke normalerweise eh schon gewohnt ist. Bei Rückenproblemen seitens der Eltern sollte das Tragen allerdings eingeschränkt bzw. mit dem Arzt abgestimmt werden.
Alternativen zum Tragetuch
Tragetücher sind aufgrund der zahlreichen Wickel- und Tragetechniken (Kreuztrage, seitlicher Hüftsitz, Rückentrage usw.) die flexibelsten Babytragehilfen. Wer jedoch noch keine Trageerfahrung hat, kann schnell frustriert aufgeben, da das Anlegen der Tragetücher anfangs etwas kompliziert und unhandlich ist.
Tragesitze (z. B. „Baby Björn“), eine Art Geschirr, das umgeschnallt und in das der Säugling hineingesetzt wird, bzw. Tragesäcke sind für den Anfänger wesentlich einfacher in der Handhabung, bieten aber meist nur eine Tragemöglichkeit und sind zudem oft nur unzureichend individuell auf den Säugling einstellbar.
Hinweise für Auswahl und Gebrauch von Tragetüchern
Mittlerweile bieten zahlreiche Hersteller Tragetücher in den verschiedensten Größen, Farben und Qualitätsstufen an.
Die Standardlänge für Tragetücher beträgt ca. 470 cm. Bei Konfektionsgrößen bis 42 bei Frauen bzw. 48/50 bei Männern sind damit alle gängigen Trageweisen bindbar. Das Tuch sollte nicht zu lang sein, da herunter hängende Enden eine Stolperfalle darstellen. Das Tuch sollte quer gewebt sein und Öko-Tex 100 Standard entsprechen. Die Farben müssen ungiftigt sein und dürfen nicht abfärben (d. h. sie müssen „speichelecht“ sein).
Bei Bauchtragen ist darauf zu achten, dass das Kind mit dem Gesicht zum Körper getragen wird. Sitzt es umgekehrt, findet der Rücken des Babies nicht genug Halt und wird unnatürlich gestaucht. Bei Jungen besteht zudem noch die Gefahr, dass die Hoden abgedrückt werden.
Obwohl sämtliche Hersteller ihren Tragetüchern detaillierte Bindeanleitungen beilegen, empfiehlt es sich, einen Tragekurs zu machen, bzw. sich das Binden von erfahrenen Eltern zeigen zu lassen. Konktaktadressen erhält man auf Nachfrage bei den Herstellern.
Weblinks
- http://www.rabeneltern.org - Hintergrundinfos, Erfahrungsberichte, Tragetuchtests
- http://www.continuum-concept.net - Hintergrundinfos, Erfahrungsberichte, Bindeanleitungen
- http://www.trageschule-dresden.de - Hintergrundinfos, Tragekurse, Links zu Herstellern
Literatur
- Evelin Kikilionis, Ein Baby will getragen sein, Kösel-Verlag München, ISBN 3-466-34408-5
- Jean Liedloff, Auf der Suche nach dem verlorenen Glück, ISBN 3-406-45724-X