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Mondnacht (Eichendorff)

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Mondnacht ist ein Gedicht des Dichters Joseph von Eichendorff und entstand 1837.

Robert Schumann vertonte dieses Gedicht im Jahr 1840; das Lied gehört zum Liederkreis op. 39 (Schumann).


Text

Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.


Interpretation

Einleitung: Durch die Augen eines lyrischen Ich (Lyrisches Ich) schildert der Dichter eine Landschaft in einer Mondnacht und die Wirkung, die sie ausstrahlt. Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Versen, wobei der Kreuzreim vorherrscht. Es ist im dreihebigen Jambus geschrieben, wobei jeweils der erste und dritte Vers eine klingende Kadenz (Verslehre) hat, der zweite und vierte eine stumpfe. Da Inhalt und Form eine sehr enge Einheit bilden, sollte man sie nicht getrennt voneinander betrachten. Obwohl die Überschrift "Mondnacht" heißt, wird der Mond im Gedicht selbst nicht erwähnt. Daraus kann man schließen, dass er gleichsam die Funktion eines Katalysators hat, denn durch den Einfluss seines Lichtes wird das Normale, Alltägliche vorübergehend in etwas Wunderbares verwandelt.

I. So entsteht im lyrischen Ich der Eindruck, als hätte der Himmel die Erde geküsst (I, 1/2). Das, was - realistisch gesehen - den oberen und den unteren Teil einer Landschaft darstellt, wird personifiziert (Personifikation) und scheint zu fühlen und zu handeln. Der Kuss lässt sich als Zeichen von Nähe und Liebe deuten. Aber es geht dabei weder um eine innige Umarmung noch um eine Vereinigung im leidenschaftlichen Liebesakt, sondern es bleibt bei einer flüchtigen sanften Berührung, deren Wirkung jedoch fortdauert, weil die Erde nun vom Himmel träumt. Die formalen Mittel, die der Dichter benutzt, unterstützen die inhaltliche Aussage: So bringen die klingenden und stumpfen Kadenzen Ruhe in den fließenden Jambus, weil man beim Lesen am Ende jedes Verses das Tempo ein wenig verlangsamen muss. Die Kreuzreime, der hypotaktische Satzbau (Hypotaxe) und die Enjambements unterstreichen den Eindruck der Nähe und der Harmonie zwischen Himmel und Erde. Der Konjunktiv zeigt jedoch, dass es sich letztendlich um eine Illusion handelt, was sich auch in dem assonantischen Reim (Assonanz) "Himmel - Blütenschimmer" spiegelt.

II. Die zweite - im Indikativ geschriebene - Strophe bezieht sich stärker auf die reale Landschaft. Im Vordergrund steht die Beschreibung von Einzelphänomenen, was sich formal in den kurzen Hauptsätzen und dem Fehlen von Enjambements spiegelt (Zeilenstil). Gemeinsam ist ihnen die Sanftheit der Bewegung, die gleichsam die ruhigen Atemzüge der träumenden Erde illustrieren. Es handelt sich um Beispiele, die eigentlich austauschbar sind; auch ließe sich die Reihe beliebig fortsetzen (etwa: Es plätscherten die Quellen, / Sanft rieselte der Bach...), was aber nicht geschieht, als könnte und wollte sich das lyrische Ich nicht weiter auf die Betrachtung der Erde konzentrieren. Und so wendet es den Blick, der von I, 2 bis II, 3 nach unten gerichtet war, wieder nach oben zum Himmel, zum Auslöser der wunderbaren Stimmung: "...So sternklar war die Nacht." (II, 4) Die staunende Ergriffenheit wird dadurch besonders hervorgehoben, dass hier, wenn man dem natürlichen Sprechrhythmus folgt, die erste Silbe gedehnt und betont wird, ohne dass die zweite ihre Akzentuierung verliert.

III. Dieses Prinzip, die schwebende Betonung, setzt sich in den ersten drei Versen der dritten Strophe fort und veranschaulicht - zunächst im Zusammenspiel mit dem Enjambement vom ersten zum zweiten Vers - das Ausbreiten der Flügel und dann das Fliegen selbst. Im Volkslied "Wenn ich ein Vöglein wär' ...“ wünscht sich das lyrische Ich, ein Vogel zu sein, um das ferne Ziel erreichen zu können. Im vorliegenden Gedicht benutzt das lyrische Ich eine Metapher, um das intensive Gefühl der Sehnsucht auszudrücken. Auf diese Weise wird die Darstellung einerseits konkreter und anschaulicher, denn der Flug selbst bleibt keine bloße Wunschvorstellung, sondern findet wirklich statt: "Flog durch die stillen Lande...". Andererseits wird die Darstellung aber auch abstrakter, denn es ist die Seele, die fliegt, und bei ihr kann man sich keine Gestalt vorstellen. Es ist der psychische Teil des Menschen, der sich hier offenbar vom Körper gelöst hat und ihn vorübergehend auf der Erde zurücklässt. Dieser Aspekt ist wichtig für die Deutung des Ausdrucks "nach Haus". Zunächst assoziiert man natürlich die irdische Heimat. Das lyrische Ich mag sich nach ihr sehnen, weil die Mondnacht in ihm vielleicht die Erinnerung an die Geborgenheit und das reine Glück der Kindheit geweckt hat. Oder aber seine Seele hat den Hauch des Himmels so intensiv gespürt, dass sie am liebsten die Enge und Schwere des irdischen Lebens gänzlich abstreifen und zum Himmel, der Heimat der Seele schlechthin, zurückkehren möchte, wobei die beiden Deutungsmöglichkeiten - die individuellere vordergründigere und die allgemeinere hintergründigere - einander nicht ausschließen müssen. Das Ziel wird jedoch nicht erreicht: Die in den Versen 1 - 3 dargestellte Euphorie mündet am Ende in eine leichte Wehmut, die sich auch in der Form spiegelt. Der Rhythmus fällt in das ursprüngliche Gleichmaß zurück, der Konjunktiv spiegelt den illusionären Charakter des Erlebnisses, der auch vorher schon durch den assonantischen Reim "spannte - Lande" angedeutet wurde, genau wie in der ersten Strophe. Es findet sich aber keine Resignation wie im oben genannten Volkslied („Weil's aber nicht kann sein, / Bleib' ich allhier.“), sondern der Schwebezustand dauert fort, das Gedicht hat ein offenes Ende.

Fazit: Die zentralen Begriffe Erde und Himmel erlauben es dem Leser, viele Gegensatzpaare zu assoziieren, je nachdem unter welchem Aspekt er sie betrachtet: Boden – Luft, schwer – leicht, unten – oben, nah – fern, endlich – unendlich, irdisch – überirdisch, Diesseits – Jenseits, Materie – Geist. Ein derartiger Gegensatz spiegelt sich auch im Wesen des Menschen, weil er sowohl aus Körperlichem als auch aus Geistig-Seelischem besteht. Im Zauber der Mondnacht scheint nun für kurze Zeit eine Synthese aus den Gegensätzen möglich; diese erwächst normalerweise nach dem dialektischen Prinzip aus These und Antithese und bildet den Höhepunkt einer Entwicklung. Eichendorff kehrt den Prozess jedoch um, indem er mit der scheinbaren Synthese beginnt und sie anschließend auflöst, so dass nur Traum und Sehnsucht bleiben. Es liegt beinahe ein wenig tragische Ironie darin, dass der Mensch sich gerade dann des Risses in seiner eigenen Natur besonders bewusst wird, wenn in der Außenwelt scheinbar eine vorübergehende Vereinigung der Gegensätze stattfindet, die sich in der Schönheit der äußeren Natur spiegelt. Statt nun in solchen Momenten von reiner Freude und vollkommener Zufriedenheit erfüllt zu sein, entbrennt der Mensch – zumindest der Romantiker – in einer Sehnsucht, die letztlich unstillbar ist.

Typische Elemente der Romantik

Die meisten der im Folgenden aufgeführten Motive und Aspekte kommen natürlich auch in anderen literarischen Epochen vor. Es ist ihre Kombination bzw. die Häufung in so wenigen kurzen Versen, also die Dichte an romantischen Elementen, die das vorliegende Gedicht zu einem 'Musterbeispiel' romantischer Lyrik machen.

Das lyrische Ich hat einen engen Kontakt zur Natur und erlebt sie sehr intensiv. Die Natur ihrerseits öffnet sich zum Transzendenten hin, erfährt also eine Entgrenzung. Die Atmosphäre der Nacht – ob sie nun dunkel und vielleicht sogar unheimlich sein mag oder klar und relativ hell wie im vorliegenden Fall – erlaubt es dem lyrischen Ich, sich von der Welt des Alltäglichen und Prosaischen zu distanzieren und sie vorübergehend zu vergessen. Der Mond bewirkt mit seinem Licht eine zusätzliche Verzauberung, so dass das Erleben teilweise dem Traum näher ist als der Realität. Emotionen spielen eine große Rolle, besonders die Sehnsucht. So absolut die Hingabe an das Gefühl aber auch zu sein scheint, so wird sie doch zugleich vom Geist beobachtet und beschrieben, wenn auch nicht ausdrücklich darüber reflektiert wird. Aus der Tatsache, dass das Ziel weder aufgegeben wird noch erreicht werden kann, resultiert eine gewisse Offenheit des Endes, also der Form.

Grundsätzlich zeigt sich eine Nähe zum Volkslied: Diese entsteht durch die Verwendung der Volksliedstrophe und durch die Wortwahl. Die genauere Untersuchung ergibt jedoch, dass das vorliegende Gedicht sowohl inhaltlich vielschichtiger als auch formal komplizierter ist. Eine scheinbare Nähe zum Kitsch wird bereits durch die Thematik suggeriert: Ein ‚gefühlvolles’ lyrisches Ich erlebt die Schönheit einer Mondnacht. Ausdrücke wie „Küssen“ und „Blütenschimmer“ lassen Liebe oder gar ein weißes Brautkleid assoziieren. Aber während dem Leser beim Kitsch die mögliche Erfüllung der Träume vorgegaukelt würde, veranschaulicht Eichendorff ihre Unerfüllbarkeit.