Drehleier

Die Drehleier oder Radleier (auch Bauernleier bzw. Bettelleier) (zu griechisch λύρα, líra - die Lyra, althochdeutsch Lira) ist ein Streichinstrument, bei dem die Saiten von einem eingebauten Rad angestrichen werden, das mittels einer Kurbel gedreht wird.

Die schwingende Länge einer oder mehrerer Melodiesaiten, wird mechanisch über Tasten verkürzt, um die Tonhöhe zu verändern.
Meist klingen eine oder mehrere Bordunsaiten auf konstanter Tonhöhe mit. Die Drehleier gehört daher wie der Dudelsack zu den Borduninstrumenten. Zum Erzeugen von rhythmischen Schnarrlauten dient oft ein Schnarrsteg ähnlich wie beim Trumscheit. Die in Museen erhaltenen böhmischen Instrumente haben keine Bordunsaiten, die traditionellen Instrumente aus Galizien (in Nordwestspanien) keinen Schnarrsteg.
Bis ins neunzehnte Jahrhundert ist die Drehleier in vielen Ländern Europas dokumentiert. Heute ist sie in Zentralfrankreich, Nordwestspanien und Ungarn als traditionelles Musikinstrument verbreitet, in vielen Regionen Europas erlebt sie eine Renaissance. Das Instrument hat heute vermutlich eine grössere Verbreitung als zu jeder anderen Zeit. Es findet im Jazz, Industrial, Rock, in der experimentellen Musik der Gegenwart Verwendung.
Bauformen
Durch die Zeiten und Regionen findet sich eine große Vielfalt an Bauformen. Eine allgemeine Standardisierung ist nicht feststellbar, jedoch lassen sich doch einige Typen eingrenzen. Es hat sich eingebürgert die verschiedenen regionalen Typen mit ihren regionalsprachlichen Worten zu bezeichnen. So bezeichnet Vielle im deutschen die französischen Drehleierformen, ist im französischen aber der Oberbegriff für alle Drehleiern.
Alto-Drehleier
Dieses moderne Instrument wurde seit den Achtzigerjahren nach den Bedürfnissen von Drehleierspielern entwickelt, die die Drehleier in modernem musikalischem Kontext verwenden. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Erweiterung der klanglichen Vielfalt. Bekannte Musiker die besonders an der Entwicklung dieser Instrumente mitgewirkt haben sind Valentin Clastrier, Gilles Chabenat und Matthias Loibner.
Die Bezeichnung leitet sich vom erweiterten Tonumfang dieser Instrumente her, von „Alto“ (französisch für Bratsche). Diese Instrumente haben meist eine tieferen Klang, insgesamt mehr Tonumfang der Tastatur, bis zu drei Oktaven, mehr Saiten, bis zu 27, unter Verwendung der verschiedenen Saiten dann bis zu viereinhalb Oktaven Tonumfang, eingebaute Vorverstärkersysteme.
Wichtige Instrumentenbauer für die Entwicklung dieses Types sind Denis Siorat, Robert Mandel, Philippe Mousnier und Wolfgang Weichselbaumer.
Vielle à Roue

Für die Vielle à Roue (wörtlich Rad-Fiedel) gibt es heute in Frankreich eine Tradition, insbesondere in der Region Centre. Seine Form mit einem Korpus aus Spänen ähnlich der Laute erhielt dieses Instrument von höfischen Instrumentenbauern zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts. Als namentlich bekannte Instrumentenbauer dieser Periode, welche diese feiner klingenden Instrumente bauten, sind Henri Bâton aus Versailles, die aus der Normandie stammenden Brüder Pierre Louvet (* 1709, † 1784) und Jean Louvet (* 1718, † 1793) sowie Jean-Nicolas Lambert (* 1708 in Épinal, † 1759 in Paris) und Nicolas Colson, (* 1785 inMirecourt) zu nennen. Neben den Instrumenten mit Spänekorpus in einer Form ähnlich der Laute wurden auch Instrumente mit gitarren-förmigem Korpus gebaut.
Im neunzehnten Jahrhundert passte sich das Instrument mehr und mehr dem Gebrauch in der dörflichen Musik an und wurde robuster. Die Instrumente aus dieser Zeit, etwa von Pimpard oder Pajot aus Jenzat in der Auvergne gleichen den heute gebauten. Für die Bretagne bauten die Instrumentenbauer aus dem Centre Drehleiern mit einem grösseren tailierten Zargen-Korpus.
Tekerõlant

Die Ungarische Tekerõlant (oder Tekerő) hat einen großen tailierten Zargen-Korpus und die Besonderheit, dass Melodie-, Schnarr- und Bordunsaiten innerhalb des Tangentenkastens, der die Tastatur aufnimmt, verlaufen. Dieses Instrument hat ein Schnarrsystem, das anders als bei den französischen Instrumenten mit einem Keil justiert wird.
Ein Charakteristikum der ungarischen Drehleier ist das im Verhältnis zu den französischen Instrumenten kleinere Rad und die kleinere Kurbel. Dies begünstigt beim Einsatz der Schnarre (ungarisch recsegő) die Erzeugung kurzer akzentuierter Schnarrtöne, deren Klangcharakter an eine Marschtrommel oder ein Tamburin erinnern.
Regional ist die ungarische Drehleier in der ungarischen Volksmusik der Gebiete um Szentes und Csongrád sowie im Gebiet der Donau südlich von Budapest beheimatet. Die ersten schriftlichen Hinweise auf Drehleiern in Ungarn finden sich im XVI. Jahrhundert, die ältesten ungarischen Abbildungen des Instrumentes stammen aus der Zeit der Kuruzzenkriege Ende des XVII. Jahrhunderts. Im Zuge der „Renaissance der Drehleier“, die in Ungarn im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzte, haben ungarische Instrumentenerzeuger die Bauweise von noch lebenden Volksmusikern gelernt und übernommen, so daß Ungarn, ähnlich wie Frankreich, eine durchgehende Tradition des Drehleierbaus und -spiels aufweist. Häufig sind in der Volksmusik Drehleierspieler im Duett mit Klarinettisten überliefert, wobei die Klarinette den Melodiepart und die Leier die Funktion eines Begleitinstrumentes übernahm. Historische Abbildungen von Drehleiern aus Süd- und Ostösterreich weisen bauliche Ähnlichkeiten zu den ungarischen Instrumenten auf.
Lira
Diese Instrumente aus Osteuropa, der Ukraine, Weißrussland und Russland haben einen geigenförmigen Korpus, meist ein sehr kleines Rad und gelegentlich eine besondere Tastatur mit Knöpfen.
Gotische Drehleier
Unter diesem Begriff wird eine Vielfalt von Instrumentenformen von heutigen Instrumentenbauern angeboten. Man versteht darunter meist Instrumente, deren Korpusform nach historischen Abbildungen aus der Zeit vom Beginn der Neuzeit bis etwa 1650 geformt ist. Es gibt sehr genaue Nachbauten nach einzelnen historischen Abbildungen, etwa nach dem Instrument, das auf dem Bild Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch dargestellt ist, aber auch rein spekulative Neuschöpfungen für die Verwendung auf Mittelaltermärkten.
Lira Organizzata, Vielle Organisée oder Orgelleier
Die Orgelleier ist eigentlich ein selbständiges Instrument, das aus einer Drehleier und einer damit integrierten kleinen Orgel besteht. Durch die Drehleier-Tastatur wird auch die Mechanik der Orgelventile gesteuert und mit der Kurbel das Windsystem betrieben. Im achzehnten Jahrhundert wurden dafür unter anderem von Joseph Haydn und Ignaz Pleyel Kompositionen geschrieben.

Organistrum
Die älteste nachgewiesene Form. Die frühesten bekannten Darstellungen stammen aus dem zwölften Jahrhundert[1].Ein Instrument für zwei Spieler, wobei einer die Saiten verkürzt und der andere die Kurbel bedient. Das Organistrum ist nur aus Abbildungen und Plastiken bekannt, unser Wissen über den Mechanismus der Saitenverkürzung, die Stimmung und andere bauliche Details gründet auf Indizien. Das Organistrum wurde in der Kirchenmusik verwendet.
Kastenleier (lat. Sinfonia)
Auch diese Form ist bereits aus mittelalterlichen Darstellungen belegt. Das Instrument hat die Form einer länglichen Kiste, nur die Tastatur und die Kurbel stehen vor. Die Tastatur der Kastenleier dürfte im Original dorisch gewesen sein. Die frühesten Abbildungen stammen aus dem 13. Jahrhundert[2]. Wie beim Organistrum beruhen alle heutigen Nachbauten auf Texten und Abbildungen und daraus abgeleiteten Folgerungen. Es ist kein historisches Instrument erhalten.
Geschichte
Als Organistrum ist die Drehleier in Texten ab dem zehnten Jahrhundert belegt. Die frühesten bekannten Darstellungen stammen aus dem zwölften Jahrhundert. Eine bedeutende Veränderung erfährt die Drehleier ausgehend von Frankreich im achtzehnten Jahrhundert. Es entstehen während einer nicht all zu langen Zeitspanne viele kammermusikalische Werke für „ländliche“ Instrumente, unter ihnen die Drehleier. Das Instrument wird für den Gebrauch in der höfischen (Kammer-)Musik adaptiert und Bauformen mit lautenähnlichem Spänekorpus sowie mit Orgelregistern entwickelt. Viele technische Grundlagen der heute verwendeten Instrumente gehen auf diese Zeit zurück.
Die Namen der Drehleier
Neben modernen Bezeichnungen Drehleier und seltener, meist in wissenschaftlichen Texten Radleier, gibt es in den historischen Quellen verschiedene weitere Bezeichnungen. Meist wurde Drehleier auf Leyer oder Leier verkürzt(Bröcker, 1977, Seite 229 - 233)[3], auch die Forme Lira kommt vor, etwa in Bezeichnungen von Stimmen für Drehleier in musikalischen Werken. In Texten ist eine Unterscheidung zwischen dem antiken Zupfinstrument, dem südosteuropäischen Streichinstrument und der eigentlichen Drehleier nur aus dem Kontext möglich (Grimm - online: Leier, 1a und 1b)[4]. Gleiches gilt für den Begriff Leierkasten. Der Grund ist, dass nach der Drehvorrichtung der Drehleier verschiedene Geräte mit einer gleichartigen Kurbel damit bezeichnet wurden (Grimm - online: Leier, 4)[4], darunter auch kleine tragbare mechanische Musikwerke die mit einer Leier betrieben werden: ein Kasten mit Leier, also Leierkasten. Auch Namen wie Bauernleier bzw. Bettelleier wurden benutzt, nicht zuletzt um eine Unterscheidung zwischen der antiken "Leier" und der dreh-"Leier" zu treffen.
Fussnoten
- ↑ Marianne Bröcker: Die Drehleier. Textband. 2. Auflage. Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn - Bad Godesberg 1977, Seite 43
- ↑ Marianne Bröcker: Die Drehleier. Bild- und Registerband. 2. Auflage. Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn - Bad Godesberg 1977, Abbildung 35
- ↑ Marianne Bröcker: Die Drehleier.. 2. Auflage. Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn - Bad Godesberg 1977
- ↑ a b Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm online: Leier
Literatur
Marianne Bröcker: Die Drehleier. 2. Auflage. Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn - Bad Godesberg 1977 (Dissertation von 1973)