Anagramm
Der Begriff Anagramm (von griechisch: anagraphein, deutsch: „umschreiben“) bezeichnet einen Satz, also eine Folge von Wörtern, der durch Umstellung (Permutation) der einzelnen Buchstaben aus einem anderen Satz gebildet wurde. Der Vorgang dieser Buchstabenumstellung wird als Anagrammieren bezeichnet.
Verallgemeinert kann ein Anagramm auch dadurch gebildet werden, dass anstelle eines Satzes beispielsweise nur eine Silbe, ein Wort, eine oder mehrere Zeilen eines Gedichts oder ganz allgemein eine beliebige Textpassage durch Anagrammieren verändert werden.
Im Deutschen wird das Anagramm auch als Letterkehr oder Letterwechsel bezeichnet. Eine spezielle Form des Anagramms ist das Palindrom. Der Text ist hierbei in beide Richtungen lesbar, wobei der Sinn gleich bleiben kann oder sich verändert. Die einfachste Form eines Anagramms ist der Buchstabendreher.
Beispiele für Anagramme: Anna → annA, Lager → regaL, Lager → erLag, aber auch: Anna → Aann, Lager → aegLr.
Ursprung
Als Vater des Anagramms gilt der griechische Dramatiker und Philosoph Lykophron aus Chalkis (um 290/250 v. Chr.), der den ägyptischen König Ptolemaios II., griechisch: Πτολεμαίος, mit der Buchstabenfolge απο μελίτος (deutsch: „von Honig“) umschmeichelte.
Das Anagramm in Kunst und Unterhaltung
Häufig ist es das Ziel des Anagrammierens, durch die Buchstabenumstellung einen neuen Satz, also ein Anagramm, mit verändertem Sinn zu erzielen. Eine derartige Anwendung des Anagrammierens gilt als eine sprachliche Form der Kunst und kann als Buchstabenspiel oder als Rätsel aufgefasst werden.
In Gedichten, Rätseln und anderen Formen der Literatur werden aus einzelnen Wörtern, aber auch aus ganzen Zeilen oder Sätzen Anagramme geformt. Dadurch und durch das lange Befassen mit den entsprechenden zu anagrammierenden Sätzen, werden neue und oft überraschende Kombinationsmöglichkeiten sichtbar. In besonders kunstvollen Anagramm-Gedichten besteht oft eine Beziehung zwischen der ursprünglichen Bedeutung eines Wortes und dem Sinn der späteren Anagramme, welche daraus gebildet wurden.
In Zeitschriften und Zeitungen findet man des Öfteren auch Rätsel in Anagrammform, sogenannte Visitenkartenrätsel. Meist ist dabei der Beruf einer Person aus dem Namen und der Stadt zu erraten. So beispielsweise: Welchen Beruf übt die Person mit der folgenden Visitenkarte aus? „Fr. Inge C. Sonst, Rheine“. Antwort: Schornsteinfegerin.
Anwendung als Verschlüsselungsmethode
Anagramme wurden auch in der Wissenschaft benutzt. Hier diente das Anagrammieren nicht als Kunstform sondern zur sicheren Verschlüsselung von wichtigen Informationen, die der Öffentlichkeit zunächst noch nicht mitgeteilt werden sollten. Dazu wurde der geheimzuhaltende Klartext anagrammiert, das heißt, seine einzelnen Buchstaben wurden beliebig umgestellt. In der Kryptographie wird dieses Verfahren als Transposition bezeichnet. Im einfachsten Fall reicht es aus, die Buchstaben des Klartextes schlicht in alphabetischer Reihenfolge zu sortieren. Der durch Anagrammieren entstandene Geheimtext wurde veröffentlicht.
Anders als bei den üblichen kryptographischen Verfahren, diente diese Art der Verschlüsselung nicht dazu, eine Nachricht von einem Sender an einen Empfänger geheim zu übermitteln, die dieser dann mit seinem Schlüssel wieder entschlüsseln und danach die Nachricht lesen konnte. Es gibt hier nämlich keinen Schlüssel. Folglich kann die Nachricht nicht entschlüsselt werden. Auch eine Entzifferung, also das „Knacken“ des Geheimtextes, ohne über den Schlüssel zu verfügen, war nicht möglich. Das schafft man übrigens selbst mit modernen kryptanalytischen Methoden aufgrund der möglichen Mehrdeutigkeit der Umkehrung außer in Ausnahmefällen noch immer nicht.
Zweck dieser „unumkehrbaren“ Verschlüsselung war es, den Geheimtext zu veröffentlichen und Jahre später den dazugehörigen Klartext publik zu machen. Dann konnte jedermann leicht den Klartext noch einmal anagrammieren und feststellen, dass er den identischen Geheimtext erhielt. Somit war klar, dass der Autor des ursprünglich veröffentlichten Anagramms schon vor Jahren im Besitz der im Klartext enthaltenen Information war. Diese Vorgehensweise diente dazu, die Priorität von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu sichern und so auch zweifelsfrei beweisen zu können, ohne die wissenschaftliche Aussage selbst frühzeitig offenbaren zu müssen und die eigene Priorität zu gefährden. Im modernen kryptographischen Sinne würde man diese Anwendung des Anagramms als „Hashen“ bezeichnen.
Historische Beispiele für Anagramme sind:
- Galileo Galilei veröffentlichte seine wissenschaftliche Erkenntnis Cynthiae figuras aemulatur Mater Amorum (deutsch: „Die Mutter der Liebe [gemeint ist der Planet Venus] ahmt die Gestalten der Mondgöttin [also die Mondphasen] nach“), mit der er seine Entdeckung der Phasen der Venus beschrieb, nicht als Klartext in lateinischer Sprache sondern in verschlüsselter Form als Anagramm: HAEC IMMATURA A ME JAM FRUSTRA LEGUNTUR OY.
- Christiaan Huygens machte es sich noch einfacher und teilte seine Entdeckung der Saturnringe in Form eines Anagramms mit, bei dem er statt des ursprünglichen Satzes Annulo cingitur, tenui plano, nusquam cohaerente, ad eclipticam inclinato (deutsch: „Er ist von einem Ring umgeben, welcher dünn und flach ist, nirgends mit ihm zusammenhängt und gegen die Ekliptik geneigt ist“) nur die sortierten Buchstabenreihe veröffentlichte: AAAAAAA CCCCC D EEEEE G H IIIIIII LLLL MM NNNNNNNNN OOOO PP Q RR S TTTTT UUUUU.
- Auch Robert Hooke veröffentlichte sein später nach ihm benanntes hookesche Gesetz, die Elementargleichung der Elastizitätslehre, auf diese Weise. Statt des Klartextes Ut tensio sic vis (deutsch: „Wie die Dehnung, so die Kraft“) gab er zunächst nur preis: CEIIINOSSSTTUV.
- Auf einer Webseite wird Carl Gustav Jungs Anagramm als Beispiel eines bis heute ungelösten Anagramms und ein Versuch seiner Lösung veröffentlicht.
Weitere Beispiele
Biologen entdecken so viele Pflanzenarten, dass ihnen zuweilen originelle Namen dafür fehlen. So wird eine in Bolivien vorkommenden Kaktee einfach Lobivia genannt oder aus dem Namen Cotyledon wird durch Anagrammieren der neue Name Tylecodon erzeugt.
Auch in der heutigen Pharmazie oder der Werbung wird das Anagrammieren gerne verwendet, um neue Produktnamen zu kreieren.
Die deutsche surrealistische Dichterin Unica Zürn veröffentlichte zahlreiche Anagrammgedichte.
Vladimir Nabokov erwähnt in Lolita eine „Vivian Darkbloom“ und „signierte“ den Roman so. Im Roman UC von Helmut Krausser gibt es die Figur „Samuel Kurthes“. Jean Améry hieß bei Geburt Mayer.
Ein Beispiel aus Harry Potter und die Kammer des Schreckens ist die Umstellung von Tom Marvolo Riddle zu I am Lord Voldemort. In der deutschen Ausgabe des Buches: „Tom Vorlost Riddle“ zu „ist Lord Voldemort“.
Walter Moers 2004 erschienener Roman Die Stadt der träumenden Bücher zieht einen Teil seines literarischen Reizes aus der großen Menge anagrammatisch verschlüsselter Namen bedeutender Schriftsteller, die als einäugige „Buchlinge“ auftreten.
Ein Beispiel aus dem Barock ist das von Christoffel von Grimmelshausen verwendete Pseudonym German Schleifheim von Sulsfort.
Joachim Ringelnatz veröffentlichte auch unter dem Pseudonym "Christian Erwin Stolze". Ein Anagramm davon lautet: "Wer ein Nazistrolch ist".
- aus Adolf Hitler wird Folterhilda
- aus Martin Luther wird lehrt in Armut
- aus Naherholungsgebiet wird Hungerlohnabsteige
- aus Révolution française wird veto – un Corse la finira (deutsch: Französische Revolution / Veto – ein Korse wird sie beenden)
- aus Fernsehen wird Ehrensenf
- aus Uli Hoeneß wird Sushi Leone (Ausspruch von Dittsche in Bezug auf ein 9Live-Ratespiel)
- aus Leonardo da Vinci wird O draconian devil (deutsch: Oh drakonischer Teufel) (aus dem Roman Sakrileg)
- aus The Mona Lisa wird Oh lame Saint (deutsch: Oh lahmer Heiliger) (ebenfalls aus Sakrileg)
- aus Madonna of the rocks (deutsch: Die Felsgrottenmadonna von Leonardo da Vinci) wird So dark the con of man (deutsch: So dunkel die Verschwörung der Menschheit) (ebenfalls aus Sakrileg)
- aus Jim Morrison wird Mr. Mojo Risin in einem Song der Doors „L.A. Woman“ auf dem gleichnamigen Album
- aus Wolfgang Amadeus Mozart wird a famous German waltzgod
- aus Angela Merkel wird Algenreklame, Generalkamel, Klare Maengel oder Karamelengel
- aus Neil Kinnock wird I knock Lenin.
- Der Dichter Paul Celan hat seinen Nachnamen als Anagramm aus dem Namen Ancel gebildet
- aus Katie Holmes wird tom likes a He
- aus Doctor Who wird Torchwood
- aus kundenfreundlich wird denk unfreundlich
- aus Dracula wird Alucard
- aus Tokyo wird Kyoto
- aus Schaeuble wird Belausche
Siehe auch
Literatur
- Astrid Poier Bernhard: Viel Spaß mit Haas. Sonderzahl Verlag, Wien 2003, ISBN 3-85449-205-7
- Klaus P. Dencker: Poetische Sprachspiele. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Reclam Verlag, Ditzingen 2002, ISBN 3-15-018238-7
- Rudolf Kippenhahn: Verschlüsselte Botschaften, Geheimschrift, Enigma und Chipkarte. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999. ISBN 3-499-60807-3
- Christian Graeff (Hg.): Die Welt hinter den Wörtern. Verlag Martin Wallimann, Alpnach 2004. ISBN 3-908713-38-2