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Felix Hausdorff

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Felix Hausdorff (* 8. November 1868 in Breslau; † 26. Januar 1942 in Bonn) war ein deutscher Mathematiker. Er gilt als Mitbegründer der modernen Topologie und lieferte wesentliche Beiträge zur Mengenlehre und Maßtheorie. Neben seinem Beruf wirkte er unter dem Pseudonym Paul Mongré auch als philosophischer Schriftsteller und Literat.

Felix Hausdorff (Fotografie zwischen 1913-1921 entstanden)

Felix Hausdorff wurde am 8. November 1868 in Breslau geboren. Sein Vater, der jüdische Kaufmann Louis Hausdorff (1843--1896), zog im Herbst 1870 mit seiner jungen Familie nach Leipzig und betrieb am Leipziger Brühl im Laufe der Zeit verschiedene Firmen, darunter eine Leinen- und Baumwollwarenhandlung. Er war ein gebildeter Mann und hatte schon mit 14 Jahren den Morenu-Titel (Morenu: hebr. "unser Lehrer"; Titel eines zum Rabbinat Befähigten.) errungen. Es gibt mehrere Abhandlungen aus seiner Feder, darunter eine längere Arbeit über die aramäischen Übersetzungen der Bibel aus Sicht des talmudischen Rechts.

Hausdorffs Mutter Hedwig (1848--1902; sie wird in verschiedenen Dokumenten auch Johanna genannt) stammte aus der weitverzweigten jüdischen Familie Tietz. Aus einem Zweig dieser Familie ging auch Hermann Tietz hervor, der Gründer des ersten Warenhauses und spätere Mitinhaber der Warenhauskette "Hermann Tietz", (in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur unter der Bezeichnung HERTIE "arisiert").

Von 1878 an besuchte Felix Hausdorff das Nicolai-Gymnasium in Leipzig, eine Einrichtung, die einen ausgezeichneten Ruf als Pflanzstätte humanistischer Bildung hatte. Er war ein ausgezeichneter Schüler, über Jahre Klassenprimus und öfter dadurch geehrt, dass er zu Schulfeiern selbstverfaßte lateinische oder deutsche Gedichte vortragen durfte. In seinem Abiturjahrgang des Jahres 1887 (mit zwei Oberprimen) war er der Einzige, der die Gesamtnote "I", erreichte. Das Schwergewicht der Gymnasialbildung lag auf den alten Sprachen (ca. 45% des obligatorischen Unterrichts). Hausdorff hatte z.B. in der Abiturprüfung einen lateinischen Aufsatz zu schreiben; das Thema lautete: "Cupidius quam verius Cicero dicit res urbanas bellicis rebus anteponendas esse", (Frei etwa: Es entspricht mehr dem Interesse Ciceros als der Wahrheit, wenn er sagt, die Angelegenheiten des öffentlichen Wohles seien denen des Krieges voranzustellen). Die Wahl des Studienfaches mag dem so vielseitig begabten Oberprimaner Felix Hausdorff nicht leicht gefallen sein. Magda Dierkesmann, die als Studentin in Bonn in den Jahren 1926--1932 öfters im Hause Hausdorffs zu Gast war, berichtete 1967: "Seine vielseitige musische Begabung war so groß, daß er erst auf das Drängen seines Vaters hin den Plan aufgab, Musik zu studieren und Komponist zu werden."

Zum Abitur war die Entscheidung gefallen: Im Jahresbericht des Nicolai-Gymnasiums für 1887 steht in der Liste der Abiturienten in der Spalte "zukünftiges Studium", bei Felix Hausdorff Naturwissenschaften.

Vom Sommersemester 1887 bis Sommersemester 1891 studierte Hausdorff Mathematik und Astronomie, hauptsächlich in seiner Vaterstadt Leipzig, unterbrochen durch je ein Semester in Freiburg im Breisgau (SS 1888) und Berlin (WS 1888/1889). Die erhalten gebliebenen Studienzeugnisse (UA Leipzig, Film Nr. 60 und Nr. 67; Archiv der Humboldt-Universität Berlin, Univ.-Registratur, Littr. A, N. 6, Vol. 876, No. 28.), weisen den Studenten Felix Hausdorff als außerordentlich vielseitig interessierten jungen Mann aus, der neben den mathematischen und astronomischen Vorlesungen auch solche aus den Gebieten Physik, Chemie und Geographie hörte, ferner Vorlesungen über Philosophie und Philosophiegeschichte, über Themen der Sprach- und Literaturwissenschaften, über die Geschichte des Sozialismus und über die Arbeiterfrage. Hinzu kam ein Kolleg über die wissenschaftlichen Grundlagen des Glaubens an einen persönlichen Gott und eines über die Beziehungen zwischen Geistesstörung und Verbrechen. In Leipzig hörte er bei dem Musikwissenschaftler Paul auch Geschichte der Musik. Seine frühe Liebe zur Musik währte ein Leben lang; in Hausdorffs Haus gab es beeindruckende Musikabende mit dem Hausherrn am Klavier, wie Äußerungen verschiedener Teilnehmer bezeugen. Schon als Leipziger Student war er ein Verehrer und exzellenter Kenner der Musik von Richard Wagner.

In den letzten Semestern seines Studiums schloß sich Hausdorff eng an Heinrich Bruns (1848--1919) an. Bruns war Ordinarius für Astronomie und Direktor der Sternwarte an der Universität Leipzig. Er war Schüler von Weierstrass und ist vor allem durch seine Untersuchungen zum Dreikörperproblem und zur Optik (Brunssches Eikonal) bekannt geworden. Bei Bruns promovierte Hausdorff 1891 mit einer Arbeit über die Refraktion des Lichtes in der Atmosphäre. Es folgten zwei weitere Veröffentlichungen zum selben Thema und 1895 die Habilitation mit einer Arbeit über die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre. Diese frühen astronomischen Arbeiten Hausdorffs haben -- ungeachtet ihrer exzellenten mathematischen Durcharbeitung -- keine Bedeutung erlangt. Zum einen hat sich die zu Grunde liegende Idee von Bruns als nicht tragfähig erwiesen (es wurden horizontnahe astronomische Refraktionsbeobachtungen benötigt, welche, wie Julius Bauschinger wenig später zeigen konnte, prinzipiell nicht mit der erforderlichen Genauigkeit beschafft werden können). Zum anderen hat der Fortschritt bei der direkten Messung atmosphärischer Daten (Ballonaufstiege) sehr bald die mühevolle Berechnung dieser Daten aus Refraktionsbeobachtungen unnötig gemacht. In der Zeit zwischen Promotion und Habilitation absolvierte Hausdorff den einjährig-freiwilligen Militärdienst und arbeitete zwei Jahre als Rechner an der Leipziger Sternwarte.

Mit der Habilitation wurde Hausdorff Privatdozent an der Universität Leipzig und begann eine umfangreiche Lehrtätigkeit auf den verschiedensten mathematischen Gebieten. Neben Lehre und Forschung in der Mathematik ging er seinen literarischen und philosophischen Neigungen nach. Ein Mann mit vielseitigen Interessen, umfassend gebildet, hochsensibel und differenziert im Denken, Fühlen und Erleben, verkehrte er in seiner Leipziger Zeit mit einer Reihe bekannter Literaten, Künstler und Verleger wie Hermann Conradi, Richard Dehmel, Otto Erich Hartleben, Gustav Kirstein, Max Klinger, Max Reger und Frank Wedekind. Die Jahre 1897 bis etwa 1904 markieren den Höhepunkt seines literarisch-philosophischen Schaffens; in dieser Zeit erschienen 18 der insgesamt 22 unter Pseudonym veröffentlichten Schriften, darunter ein Gedichtband, ein Theaterstück, ein erkenntniskritisches Buch und ein Band Aphorismen.

Hausdorff hatte 1899 Charlotte Goldschmidt, die Tochter des jüdischen Arztes Siegismund Goldschmidt aus Bad Reichenhall, geheiratet. Dessen Stiefmutter war übrigens die berühmte Frauenrechtlerin und Vorschulpädagogin Henriette Goldschmidt. 1900 wurde Hausdorffs einziges Kind, die Tochter Lenore (Nora) geboren; sie überlebte die Zeit des Nationalsozialismus und starb hochbetagt 1991 in Bonn.

Im Dezember 1901 wurde Hausdorff zum außerplanmäßigen Extraordinarius an der Universität Leipzig ernannt. Bei der Beantragung hatte sich der Dekan veranlaßt gesehen, dem sehr positiven Votum der Fachkollegen, verfaßt von Heinrich Bruns, noch folgenden Zusatz beizufügen: "Die Fakultät hält sich jedoch für verpflichtet, dem Königlichen Ministerium noch zu berichten, dass der vorstehende Antrag in der am 2. November d.J. stattgehabten Fakultätssitzung nicht mit allen, sondern mit 22 gegen 7 Stimmen angenommen wurde. Die Minorität stimmte deshalb dagegen, weil Dr. Hausdorff mosaischen Glaubens ist." (Archiv der Universität Leipzig, PA 547)

Dieser Zusatz beleuchtet schlaglichtartig den unverhüllten Antisemitismus, der besonders nach dem Gründerkrach im gesamten deutschen Reich einen starken Aufschwung genommen hatte. Leipzig war ein Zentrum der antisemitischen Bewegung, insbesondere auch unter der Studentenschaft. Es mag dies ein Grund dafür gewesen sein, dass sich Hausdorff an der Leipziger Universität nicht besonders wohl fühlte; ein anderer war vielleicht das betont hierarchische Gehabe der Leipziger Ordinarien, wo der Extraordinarius nichts galt. Jedenfalls schrieb Hausdorff rückblickend aus Bonn an Friedrich Engel: "In Bonn kommt man sich, auch als Nicht-Ordinarius, förmlich existenzberechtigt vor, eine Empfindung, zu der ich mich an der Pleisse nie habe aufschwingen können." (Brief vom 21. 2. 1911. NL Engel, UB Gießen, Handschriftenabteilung.)

Hausdorff lehrte Mathematik in Leipzig bis 1910, als er eine Berufung an die Universität Bonn bekam. Von 1913 bis 1921 hatte er eine Stelle als ordentlicher Professor in Greifswald, kehrt dann aber nach Bonn zurück. Obwohl jüdischer Abstammung, glaubte Hausdorff auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten an seine Immunität als angesehener Akademiker. Doch bald wurde seine Forschung als "jüdisch", "nutzlos" und "undeutsch" denunziert und er wurde 1935 seiner Stelle verwiesen. Als ihm 1942 die Verschickung in ein Konzentrationslager drohte, nahm er sich, zusammen mit seiner Frau und seiner Schwägerin, das Leben.

Heute ist in Bonn die Hausdorff-Straße nach ihm benannt.

Siehe auch: Hausdorff-Raum, Hausdorff-Maß, Hausdorff-Dimension, Hausdorff-Metrik, Hausdorff-Lücken, Hausdorffs Maximalkettensatz, Hausdorff-Trennungsaxiom, Hausdorff-Verfahren, Hausdorff-Youngsche Ungleichung, Baker-Campbell-Hausdorff-Formel