Maoismus

Der Maoismus ist eine politische Strömung, die sich auf die Schriften des chinesischen Revolutionärs Mao Zedong stützt. Die bekannteste Schriftensammlung dieser Art ist wohl die sogenannte Mao-Bibel (auch das "rote Buch" genannt), eine thematisch geordnete Sammlung von Zitaten des "großen Steuermanns" Mao Zedong, die während der Kulturrevolution in China zusammengestellt wurde und in Übersetzungen in der ganzen Welt kursierte.
Die Theorie und ihr Einfluss in China
Die größte Bedeutung erreichte der Maoismus in seinem UrsprungslandChina, wo sie seit der kommunistischen Revolution von 1949 ofizielle Leitidee staatlich politischen Handelns war.
Der Maoismus beruft sich auf die Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, aber eben auch ausdrücklich auf Lenin und Stalin, was die extrem autoritären Züge des Maoismus erklärt.
Diese westlichen Elemente verschmolz Mao mit traditioneller Chinesischer Philosophie, etwa dem Denken in Konstellationen. Wichtiges Merkmal der chinesischen Philosophie ist aber vor allem die Vernachlässigung erkenntnistheoretischer und anderer abstrakter Probleme zugunsten der Probleme der materiellen Lebenswelt, die etwa auch dem Konfuzianismus eigen ist. Im Gegensatz zur wesentlich konservativen Ethik des Konfuzianismus suchte der Maoismus die allgemeine Wohlfahrt jedoch nicht in der guten Lebensführung des Einzelnen, sondern seine Praxis verlangt die revolutionäre Umgestaltung der Lebensverhältnisse und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.
Der Praxisbegriff
Die maoistische Theorie ist für ihren Schöpfer Mao Tse Tung der Praxis untergeordnet, eine Theorie ohne Praxis ist für ihn nichts als „Exkrement“. Jede Theorie muss sich daher in der Praxis beweisen und bei Misserfolgen im politischen Kampf geändert oder verworfen werden. Diese Praxisbetonung kann aus den Bedingungen ihrer Entstehung erklärt werden: vor dem Sieg seiner Bewegung durchliefen Mao und seine Genossen eine jahrzehntelange Phase des Guerilla-Kampfes gegen die bürgerlichen Kräfte der Kuo Min Tang und die japanischen Invasoren (Stichwort: Bürgerkrieg in China). Mao ist daher weit mehr Soldat als Philosoph gewesen, seine Schriften bestehen ebenfalls zu einem großen Teil aus Ausführungen über Militärtaktik. Und da im Krieg nur der Sieg zählt, zählt auch bei der politischen Theorie nur ihre Anwendung, die Praxis.
Die Betonung der Praxis spricht für den Maoismus, allerdings sinkt sie in letzter Konsequenz zu einem Spiel von Versuch-und-Irrtum herab. Das wohl grausamste Ergebnis dieser Versuche war der sogenannte große Sprung nach vorn, eine Kampagne zur Industrialisierung, bei der im ganzen chinesischen Hinterland ohne geschultes Personal und geeignete Rohstoffe Stahlproduktionsstätten aufgebaut werden sollten. Die Vernachlässigung der Landwirtschaft durch diese Kampagne verursachte eine Hungersnot (die „drei bitteren jahre“) mit Millionen von Toten.
Fortschritt
Das Ziel der maoistischen Praxis ist letztendlich der industrielle Fortschritt, das Ein- und Überholen der ehemaligen Kolonialherren China und USA. Beim Lesen von Maos Schriften erscheint auch der Sozialismus nur als ein Mittel zur Erlangung des Fortschritts (siehe Zitat unten). Daher könnte man die mittlerweile fast abgeschlossene Wiedereinführung des Kapitalismus in China durch Maos Nachfolger als konsequente Verfolgung seiner Theorie interpretieren. Dieses Ziel der Industrialisierung um jeden Preis teilt der chinesische Maoismus mit dem Stalinismus, der ebenfalls die Industrialisierung auf der Basis von Diktatur und Zwangsarbeit aufbaute. Ein wesentliches, wenn nicht das eigentliche Ziel des Marxismus, nämlich die Emanzipation auch des einzelnen Menschen von äußeren Zwängen, ist hier aufgegeben. Verfolgte Marx noch das Ziel der „Assoziation der freien Produzenten“, so findet sich im Maoismus der einzelne unter totalem Zwang. Für Marx war der technische und industrielle Fortschritt noch Vorbedingung für die Emanzipation des Menschen im Kommunismus - im Maoismus und den meisten Systemen des autoritären Staatssozialismus ist es umgekehrt. Der Zweck wird zum Mittel, der Mensch muss sich dem Fortschritt unterordnen anstatt ihn zur Erleichterung seines Lebens einzusetzen. Vertreter eines antiautoritären, undogmatischen oder pluralen Marxismus rücken daher wie Marx selbst den Menschen als Zweck ins Zentrum, Kommunismus und Fortschritt haben ihm zu dienen - nicht umgekehrt.
Die Widersprüche im Volke
Die Aufgabe der emanzipatorischen Ansprüche des Marxismus kaschierte Mao durch eine Anwendung seiner Widerspruchstheorie, einer Verflachung der Marxschen Dialektik. Diese "Lehre von den Widersprüchen im Volke" beruht auf der Unterscheidung zwischen Widersprüchen im Volke und Widersprüchen zwischen dem Volk und dem Volksfeinden. Die Widersprüche im Volke, etwa zwischen Bauern und Arbeitern werden durch demokratische Diskussionen gelöst, die politischen Widersprüche in der kommunistischen Partei werden durch Kritik und Selbstkritik gelöst, die Widersprüche mit dem Feind jedoch durch Auslöschung des Feindes.
Das mag beim Krieg gegen die Invasion des faschistischen Japan noch tragbar gewesen sein, enthält aber bereits die Rechtfertigung der totalen Diktatur: indem Mao selbst definiert, wer Feind und wer Freund ist, hat er die Mittel zur physischen Vernichtung jeder Art von Opposition. Diese Reduktion der Dialektik auf ein Verhältnis von Freund und Feind forderte in China tausende von Todesopfern durch "Säuberungen". Zu ähnlichen, oft noch schlimmeren Exzessen ließen sich die Roten Khmer in Kambodscha hinreißen, die ebenfalls Maoisten waren, den Maoismus aber noch durch europäischen Antiimperialimus angereichert hatten. (Die meisten Führer der Roten Khmer hatten in Frankreich studiert und dort die Thesen Frantz Fanons rezipiert.)
Einfluß in anderen Staaten
Neben den Roten Khmern in Kambodscha wurde außerhalb Chinas der Maoismus in Albanien nach dessen Austritt aus dem Warschauer Pakt zur offiziellen Staatsdoktrin unter Enver Hoxha. Eine starke maoistische Bewegung existiert noch in Nepal, eine weitere ist der so genannte "Leuchtende Pfad" in Peru. Die Kommunistische Partei Perus ist auch heute noch maoistisch orientiert. In der Türkei aktiv ist die TKPML, ebenfalls eine maoistische Partei. Auch bei den türkischen Immigranten in Deutschland hat die TKPML Anhänger, am ersten Mai in Berlin etwa kann man des öftern rote Mao-Transparente wehen sehen.
Einfluss in Deutschland
Der Maoismus übte in der BRD während der Studentenbewegung ab 1967 einen großen Einfluss aus, viele politische Gruppen bekannten sich zum Maoismus. Einige der nach dem Zerfall des SDS entstandenen sogenannten K-Gruppen waren maoistisch Inspiriert. Nach Maos Tod im Jahre 1976 ging den maoistischen Zirkeln jedoch überwiegend die Inspiration aus (bis auf einige wenige Ausnahmen wie etwa die TKPML). Die anderen K-Gruppen orthodoxer oder trotzkistischer Spielart existieren allerdings teilweise bis heute. Prominenteste Ex-Maoistin ist in Deutschland wohl Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Zitate
"Das Ziel der sozialistischen Revolution ist die Befreiung der Produktivkräfte. Die Verwandlung des individuellen Eigentums in der Landwirtschaft und im Handwerk in sozialistisches Kollektiveigentum und die Verwandlung des kapitalistischen Eigentums in den privaten Industrie- und Handelsbetrieben in sozialistisches Eigentum wird unweigerlich zu einer enormen Freisetzung von Produktivkräften führen. So werden die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine gigantische Entwicklung der Industrie und Agrarproduktion geschaffen" (Rede auf der obersten Staatskonferenz 25.1.1956, Zitiert aus dem roten Buch, S. 32)
Literatur
- Ingo Schäfer, Mao Tse-tung. Eine Einführung in sein Denken, München: C.H. Beck, 1978
Weblinks
Siehe auch: Geschichte Chinas, Marxismus, Widerspruchstheorie, [Mao-Bibel]], Kommunistische Partei, Kommunismus, Kambodscha, Mao Zedong, Killing Fields, Rote Khmer