Republik Nowgorod

Die Nowgoroder Republik (russisch Новгородская феодальная республика) war ein mächtiger russischer Staat des Mittelalters, der sich zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert von der Ostsee bis zum Uralgebirge erstreckte.
Die ersten Bestrebungen Nowgorods, sich von der Kiewer Rus abzuspalten, zeigten sich bereits im 11. Jahrhundert. Die Nowgoroder Bojaren waren die Träger dieser Stimmungen und genossen die Unterstützung der städtischen Bevölkerung, die Abgaben nach Kiew bezahlen und für seine militärische Feldzüge Soldaten zur Verfügung stellen musste. Im frühen 12. Jahrhundert begann Nowgorod, verschiedene Fürsten zur Herrschaft über die Stadt einzuladen, ohne sich mit dem Großfürsten von Kiew zu konsultieren. Im Jahr 1136 erreichten die Bojaren und die führenden Kaufleute der Stadt ihre politische Unabhängigkeit. Städte wie Staraja Russa, Ladoga, Torschok und Oreschek, in denen mächtige Possadniks herrschten, wurden zu Nowgorods Vasallen und hatten den Status Nowgoroder Vorstädte. Die Stadt Pskow war zunächst Teil der Nowgoroder Republik, begann sich aber in der Mitte des 13. Jahrhundert politisch abzusetzen. Die de-jure Unabhängigkeit der Republik Pskow wurde jedoch erst im Vertrag von Bolotowo im Jahr 1348 anerkannt.
Bis zum 15. Jahrhundert expandierte Groß-Nowgorod nach Osten und Nordosten. Die Nowgoroder erforschten Gebiete um den Onega-See, entlang der Nördlichen Dwina und der Küste des Weißen Meeres (siehe Pomoren). Im frühen 14. Jahrhundert erforschten die Nowgoroder das Nordpolarmeer, die Barentssee, die Karasee und den westsibirischen Strom Ob. Die ugrischen Stämme, die den nördlichen Ural bewohnten, mussten Nowgorod Tributzahlungen leisten. Gebiete nördlich der Stadt waren reich an Pelztieren, Meeresfauna, Salz und anderen Ressourcen und waren für die Nowgoroder Republik von großer ökonomischer Bedeutung.
Politische Organisation

Das Wetsche, eine auf altslawische Tradition zurückgehende Volksversammlung, war die höchste politische Autorität in der Republik während der Epoche der Zugehörigkeit zur Kiewer Rus. Dieses Regierungsorgan hatte die Kompetenz, Possadniks, Militärführer und ab 1156 sogar Erzbischöfe zu wählen. Diese entstammten meistens dem Bojarenstand. Der Erzbischof war das Oberhaupt der Exekutivgewalt der Regierung und der reichste Feudalherr Nowgorods, der die meisten Ländereien und Einkommensquellen besaß, die ihm vom Kiewer Fürst übertragen wurden. Der Erzbischof verwaltete die republikanische Staatskasse, leitete die Außenbeziehungen und hatte das Recht, Strafurteile zu fällen. Auch gewöhnliche Kaufleute und Handwerker nahmen am politischen Leben der Nowgoroder Republik teil. Sie bildeten ihre eigenen Verbände, die man auch als Vorläufer der Parteien betrachten kann.
Ab dem 12. Jahrhundert begannen die Verbandsführer ihre Rechte, die wichtigsten republikanischen Dokumente zu ratifizieren, auszuüben. Herrscher wurden vom Wetsche aus anderen Fürstentümern eingeladen, mit denen ein Vertrag namens Rjad unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag schützte die Interessen der Nowgoroder Bojaren. Die Pflichten des Herrschers der Nowgoroder Republik waren begrenzt. Er wurde in erster Linie als militärischer Führer angesehen, konnte jedoch gegen niemanden Strafverfolgung ausüben. Das Leben in der Stadt wurde von gewählten Possadniks verwaltet, der auch als Vermittler zwischen der Stadtbevölkerung und dem Nowgoroder Fürst fungierte. Die Residenz des Fürsten wurde aus dem Nowgoroder Kreml (genannt Detinez) in eine Vorstadt namens Gorodistsche verlegt. Angefangen mit Alexander Newski wurden die Nowgoroder Fürsten aus den Reihen der Fürsten von Wladimir-Susdal gewählt.
Wirtschaft
Die Wirtschaft der Nowgoroder Republik basierte auf Landwirtschaft und Tierzucht (unter anderem Pferdezucht), Jagd, Bienenhaltung und Fischerei. An der Küste des Finnischen Meerbusens wurde Eisen gefördert. Städte wie Staraja Russa und andere Orte waren für ihre Salzgewinnung bekannt. Eine große Rolle, auch bei der Ausbreitung der Nowgoroder Siedler bis in den Ural, spielte aber vor allem die Pelzjagd.
Nowgorod war ein Mitglied der Hanse und exportierte Güter wie Pelze, Bienenwachs und Honig in den ganzen Ostseeraum. Eine strategische Bedeutung hatte daher Nowgorods kleiner Streifen der Ostseeküste, den viele andere Staaten, vor allem Schweden, zu erobern suchten, um den Handel Nowgorods zu kontrollieren.
Kultur

Die Nowgoroder Republik gehörte zu den führenden Kulturstaaten Europas. Während in Westeuropa noch viele Monarchen Analphabeten waren, war die Bevölkerung Nowgorods durch die vergleichsweise sehr hohe Alphabetisierung bekannt. Die Bürger Nowgorods kommunizierten miteinander mithilfe von Birkenrindenurkunden (russisch Берестяные грамоты), die heute oft bei archäologischen Ausgrabungen gefunden werden und für Aufsehen sorgen. Es handelt sich dabei meistens um private Briefe, Mitteilungen oder Rechnungen, die Einblick in das Alltagsleben unterschiedlicher Bevölkerungsschichten bieten.
Die Nowgoroder waren für ihren eigenständigen Stil in der Architektur und Ikonenmalerei bekannt. Vorherrschende Religion war orthodoxes Christentum. Die Sprache, die die Nowgoroder Sprechen, unterschied sich vom Russischen im zentralrussischen Fürstentum Wladimir-Susdal und wird heute als Altnowgoroder Dialekt als separate ausgestorbene ostslawische Sprache angesehen.
Außenbeziehungen
Die Republik Nowgorod kämpfte gegen den aggressiv expandierenden schwedischen und deutschen Feudalismus. Während der Schwedisch-Nowgorodischen Kriege fiel Schweden in Finnland ein, dessen einige Gebiete Nowgorod gegenüber tributpflichtig waren. Die Ritter des Deutschen Ordens versuchten ab dem späten 12. Jahrhundert, die baltische Region unter seine Kontrolle zu bringen. Insgesamt musste Nowgorod 26 Mal gegen Schweden und 11 Mal gegen den livländischen Schwertbrüderorden in den Krieg ziehen. Unter Ausnutzung der mongolischen Invasion in Russland, versuchten die deutschen Ritter zusammen mit den Dänen und den Schweden vor allem in den Jahren 1240-1242 ihre militärischen Operationen auf das Gebiet Nowgorods zu verlagern. Ihre Feldzüge scheiterten jedoch in der Schlacht an der Newa und in der Schlacht auf dem Peipussee. Am 12. August 1323 wurde der Vertrag von Nöteborg zwischen Schweden und Nowgorod unterzeichnet, der zum ersten Mal den Grenzverlauf zwischen dem russischen und dem schwedischen Teil Finnlands regulierte.
Aufgrund seiner Lage im äußersten Nordwesten Russlands entging Nowgorod den Schrecken der mongolischen Invasion, wenn auch die Republik dem Khan der Goldenen Horde Tributleistungen entrichten musste, um die Unabhängigkeit zu bewahren. Im 14. Jahrhundert reichten die Feldzüge der Nowgoroder Flussflotte (Uschkuiniki) bis nach Kasan und Astrachan und trugen zum Niedergang der Goldenen Horde bei.
Niedergang Nowgorods
Twer, Moskau und Litauen versuchten ab dem 14. Jahrhundert, Nowgorod zu unterwerfen. Nach der Erlangung des Titels des Großfürsten von Wladimir, entsandte Michail Jaroslawitsch von Twer seine Gouverneure nach Nowgorod, ohne vorherige Absprachen mit den Bürgern. Dieses Inzident bewog Nowgorod zu engeren Beziehungen mit Moskau, das sich damals in scharfer Rivalität mit Twer befand. Je mehr Moskaus Macht zunahm, gedachten seine Herrscher Iwan Kalita, Simeon der Stolze und andere, die Unabhängigkeit Nowgorods einzuschränken. In 1397 ereignete sich ein entscheidender Konflikt zwischen Moskau und Nowgorod, in dessen Folge Moskau die Gebiete entlang der Nördlichen Dwina annektierte.
Um Moskauer Druck zu widerstehen, suchte Nowgorod eine Allianz mit Litauen und wurde zum Hindernis für Moskaus Bestrebungen, die feudale Spaltung Russlands zu beseitigen. Die meisten Nowgoroder Bojaren wünschten die Erhaltung der Republik. Eine prolitauische Partei, angeführt von der Bojarin Marfa Borezkaja, beeinflusste das Wetsche zu prolitauischen Schritten. Borezkaja lud den litauischen Fürstensohn nach Nowgorod ein, um sie zu heiraten und der Herrscher über Nowgorod zu werden. Sie schloss auch eine Allianz mit Kasimir IV. Die Perspektive, einer Ausdehnung der katholischen Macht über Nowgorod verursachte jedoch große Unruhen unter der Nowgoroder Bevölkerung.
Moskau zog den Vorteil aus den bürgerlichen Unruhen in der Stadt und zog unter Verletzung des Vertrags von Jaschelbizy gegen Nowgorod in den Krieg. In der Schlacht von Schelon im Jahr 1471 konnten 5000 Moskauer ca. 15000 Nowgoroder besiegen und die Grundlage für die konsequente Beseitigung der Nowgoroder Unabhängigkeit legen. In 1478 sandte Iwan III. eine Armee zur Belagerung Nowgorods und annektierte schließlich die ganze Republik zugunsten eines zentralisierten russischen Staates.