Lesben- und Schwulenbewegung
Die Lesben- und Schwulenbewegung ist eine soziale Bewegung, deren Entstehung durch den Stonewall-Aufstand vom 28. Juni 1969 in New York City katalysiert wurde. Ihr unmittelbarer Vorläufer war die Homophilenbewegung der 50er und 60er Jahre.
Bei der Lesben- und Schwulenbewegung handelt es sich um eine Identitätsbewegung, die durch ihr öffentliches Auftreten die symbolische Repräsentation von Homosexualität zu verändern versucht. In den USA geschah dies vor allem durch die Aneignung von nicht negativ konnotierten Begriffe wie Gay und Lesbian, die im Gegensatz zu Schimpfwörtern wie Queer standen, aber auch defensive Selbstbezeichnungen wie „Homophile“ ersetzten.
In Deutschland eignete sich die vorwiegend studentisch geprägte Schwulenbewegung der frühen 70er Jahre den Begriff „schwul“ an, um dieser Bezeichnung den Schimpfwortcharakter zu nehmen, aber auch um die Öffentlichkeit zu einer Auseinandersetzung mit ihren Vorurteilen zu provozieren. Eine ähnliche Strategie wird in den USA seit den 90er Jahren durch die Aneignung des Begriffes Queer verfolgt.
Geschichte
Geschichte ist doof!
Neuere Entwicklungen, rechtliche Situation
- Hauptartikel: Gesetze zur Homosexualität
Seit Mitte der 1990er haben die Bemühungen der schwul-lesbischen Aktivisten zu schrittweisen Fortschritten bei der rechtlichen Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in mehreren europäischen Ländern, in Canada und in Neuseeland geführt. In Deutschland existiert seit 2001 das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaften, welches vor allem für binationale Paare eine Verbesserung gebracht hat. Mit der Novelle im Jahre 2004 zum Lebenspartnerschaftsgesetz erfolgte mit Ausnahme steuer- und beamtenrechtlicher Bereiche eine weitergehende Gleichstellung zur Ehe und die Einführung der Stiefkindadoption in Deutschland.
International wird sowohl die zunehmende Netzwerkbildung unter der Führung der International Lesbian and Gay Association (ILGA) als auch eine Radikalisierung von Teilen der schwul-lesbischen Gemeinschaft beobachtet. Letztere fand ihren Ausdruck in der Bildung von Queer Nation und wird mit dem Begriff Gay Nationalism beschrieben. Die schwul-lesbische Emanzipation äußert sich auch in kultureller Hinsicht, z.B. in Form von Filmfestivalen wie Verzaubert.
Kritik
Lesbisch-schwulen Initiativen wird unter anderem vorgeworfen, mit ihrer Einschränkung auf die eigene Zielgruppe zu einer Ghettobildung beizutragen. Beispielhaft für diese Kritik steht das Buch A Place at the Table von Bruce Bawer. Seiner Ansicht nach vertritt die schwule Subkultur bzw. Bewegung oft lediglich ihre eigenen Werte und hätte oft nur die Vorurteile der Gesellschaft verinnerlicht; Homosexualität werde als ein bestimmter Lebensstil und als persönlichkeitsstiftendes Merkmal (oft eines der „Andersartigkeit“ oder „queerness“) verstanden. Wer etwa die Geschlechterrollen nicht ablehne bzw. männliche Homosexualität nicht mit „Weiblichkeit“ oder (radikalem) Feminismus in Verbindung bringe, nicht promisk lebe oder den Geschmack der Subkultur nicht teile – und diese vielleicht sogar hinterfrage –, sei „nicht wirklich schwul“ oder werde ausgegrenzt bzw. von den Initiativen nicht vertreten. Es solle eher mit homosexuellen Menschen Kontakt gepflegt werden, wodurch man sich wieder nur isoliere und auch von der falschen Annahme ausgehe, nur aufgrund der sexuellen Orientierung anderen Menschen ähnlich zu sein. Hier sieht Bawer auch die Gefahr für Jugendliche, welche erkennen, dass sie nicht heterosexuell seien: Deren Vorstellungen von Homosexualität würden vielleicht von der Subkultur nur bestätigt oder sie könnten nicht ihre eigene Identität ohne Überbetonung ihrer sexuellen Orientierung ausbilden, sondern übernähmen mangels besseren Wissens die der Subkultur. Dadurch könne Homosexualität für sie nicht etwas genauso Normales wie Heterosexualität für andere Menschen werden.
Die Kritisierten setzen sich zur Wehr, indem sie Bawer ein einseitiges Bild der Subkultur und der Initiativen vorwerfen und darauf hinweisen, dass er selbst Lesben und Schwule ebenfalls in eine bestimmte Richtung zu drängen versuche, nämlich jene der heterosexuellen Dominanzgesellschaft. Außerdem würden die Kritiker die Rolle der Lesben- und Schwulenbewegung mit dem kulturellen Einfluss der schwulen Szene verwechseln. Während die Lesben- und Schwulenbewegung hauptsächlich im politischen Raum aktiv wäre und gelegentlich die Praxis von Sexualität in der Szene als Inspiration für emanzipatorischen Theorien nutze, seien die meisten Praktiken und Einstellungen, die der Kritik unterzogen werden, unabhängig von der politischen Einstellung vorhanden.
In eine andere Richtung kritisierte Gabriel Rotello – bekannt durch einen Film über die vermeintliche Homosexualität Hitlers – die Schwulenbewegung und die schwule Subkultur in seinem Buch Sexual Ecology: AIDS and the Destiny of Gay Men: Er wirft ihr vor, mit der Verherrlichung von Promiskuität als eine Befreiung für homosexuelle Männer und dem Fördern von anonymen Sex den Ausbruch von Geschlechtskrankheiten (auch AIDS) auf fatale Weise begünstigt zu haben.
In seinem on-line Essay Fighting the Conformity that Kills kritisiert Chuck Tarver (ein Aktivist für die Rechte schwarzer homosexueller Männer) ebenso wie der amerikanische Aktivist Billy Weintraub eindringlich die Verherrlichung von Analverkehr in der schwulen Bewegung bzw. Subkultur und zeigt ihre Folgen sowie Alternativen dazu auf.
Weintraub betreibt unter den Namen Heroic Homosex und Man2Man Alliance groß angelegte Internetportale, die unter anderem über die Gefahren von Analverkehr und Promiskuität informieren. Er sieht Analverkehr als eine Nachahmung von heterosexuellem Geschlechtsverkehr mit einer männlichen und weiblichen Rolle, ohne wirklich Verkehr der Geschlechtsteile zu sein und kritisiert die kompromisslose Propagierung dieser Sexualpraktik durch die schwule Subkultur trotz der massiven gesundheitlichen Risiken. Auch verinnerlichte Klischees bzw. verinnerlichten Heterosexismus wie etwa, dass homosexuelle Männer weiblicher seien als heterosexuelle Männer, würden von der Bewegung bzw. Subkultur neben anderem ungesunden Verhalten wie Promiskuität oft gefördert (vgl. dazu auch die obigen Ausführungen zu Bawer). Alternativen zum Analverkehr und ihre Vorzüge werden ebenfalls von Weintraub vorgestellt.
Einige Kritikpunkte von Rotello, Tarver und Weintraub werden durch Susan Buchbinder bestätigt, wenn sie in einer Studie zur Verbreitung von AIDS unter homosexuellen Männern darauf hinweist, dass Promiskuität und Analverkehr die Hauptrisikofaktoren sind, bei denen die Prävention im Sinne von möglicher Eliminierung einsetzen sollte.
Siehe auch
Literatur
- Bruce Bawer: A Place at the Table: The Gay Individual in American Society. Simon & Schuster 1993. ISBN 0671795333.
- Sabine Hark: Deviante Subjekte : die paradoxe Politik der Identität. Opladen 1996. ISBN 3810025860.
- Schwules Museum (Hrsg.); Akademie der Künste, Berlin (Hrsg.): Goodbye to Berlin? : 100 Jahre Schwulenbewegung ; eine Ausstellung des Schwulen Museums und der Akademie der Künste, 17. Mai bis 17. August 1997. Berlin 1997. ISBN 3861490625.
- Eric Marcus: Making History : The Struggle for Gay and Lesbian Equal Rights, 1945 - 1990 ; An Oral History. New York 1993. ISBN 0060167084.
- Andreas Salmen; Albert Eckert; Bundesverband Homosexualität (Hrsg.): 20 Jahre bundesdeutsche Schwulenbewegung : 1969-1989. Köln 1989.
- Donn Teal: The Gay Militants : How Gay Liberation Began in America, 1969-1971. New York 1971. ISBN 0312112793.
- Werner Hinzpeter: Schöne Schwule Welt - der Schlussverkauf einer Bewegung. Berlin 1997.
- quaestio (Hrsg.): Queering Demokratie - Sexuelle Politiken. Berlin 2000.
- Volkmar Sigusch: Karl Heinrich Ulrichs. Der erste Schwule der Weltgeschichte. Berlin: Verlag rosa Winkel 2000
- Gabriel Rotello: Sexual Ecology: AIDS and the Destiny of Gay Men. Dutton 1997. ISBN 0525941649.
- Chuck Tarver: Fighting the Conformity that Kills. Paper presented at the Black Gay Research Summit 2003.
- Susan Buchbinder et al: Sexual Risk, Nitrite Inhalant Use, and Lack of Circumcision Associated With HIV Seroconversion in Men Who Have Sex With Men in the United States. In: JAIDS. Journal of Acquired Immune Deficiency Syndroms. Volume 39, Number 1, May 2005)
Weblinks
- Stonewall was a riot! - Entstehung der modernen Lesben- und Schwulenbewegung in den USA
- Initiative Queer Nations e.V. (Berlin)
- Epitaph auf die Schwulenbewegung (Stefan Etgeton, taz, 8. August 1989)
- Vom Elend der und mit den Homos (Redaktion GegenStandpunkt)