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Streit um den Victoriaaltar

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Zur Erinnerung an den Sieg bei Actium ließ Augustus eine Münze mit dem Bild der Victoriastatue prägen, wie sie auf dem Altar zu sehen war.

Der Streit um den Victoriaaltar im Sitzungsgebäue des Senats von Rom wurde von 357 bis 394 zwischen römischen Heiden und Christen ausgetragen. Er war ein letzter Höhepunkt in den geistigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des altrömischen Staatskultes und Vertretern des neuen Glaubens, der bald zur Staatsreligion des Reiches werden sollte.

Die wichtigsten Protagonisten des Streits waren der heidnische Stadtpräfekt von Rom Quintus Aurelius Symmachus und Bischof Ambrosius von Mailand, die den jugendlichen Kaiser Valentinian II. von ihrer jeweiligen Sache zu überzeugen suchten.

Bedeutung

In der Frage um die Entfernung oder Wiedererrichtung des Altars in der römischen Kurie stießen die unterschiedlichen Positionen beider Glaubenrichtungen in grundsätzlicher Form aufeinander: Vom Neuplatonismus beeinflusst, plädierte Symmachus als Anhänger der altrömischen Religion für eine prinzipielle religiöse Toleranz, die sich aus seinen polytheistischen Vorstellungen ergab. Aus der Sicht des monotheistischen Christentums, das sich als Offenbarungsreligion mit einem absoluten Wahrheitsanspruch verstand, musste diese Haltung bei Ambrosius auf Widerspruch stoßen.

Wenn der Streit auch letztlich zu Gunsten der Christen entschieden wurde, so erforderte die Argumentation des Symmachus doch grundsätzliche Erwiderungen christlicher Autoren, die erheblichen Einfluss auf die spätantike und mittelalterliche Theologie und Philosophie ausüben sollten.

Verlauf

Der Victoriaaltar war ein der römischen Siegesgöttin Victoria gewidmeter Altar. Die vergoldete Statue der geflügelten Göttin, die einen Palmzweig und einen Lorbeerkranz für den Sieger in Händen hielt, war von den Römern 272 v. Chr. im Krieg gegen Pyrrhus von Epirus erobert worden. 29. v. Chr. ließ Kaiser Augustus sie zur Feier seines Sieges bei Actium im Gebäude des Senats aufstellen. Seither war es Sitte, dass die Senatoren vor jeder Sitzung der Göttin eine Rauchopfer darbrachten.

Der Streit um den Altar wurde im Jahr 357 ausgelöst, als der christliche Kaiser Constantius II. ihn zum ersten Mal hatte entfernen lassen. Sein Nachfolger Julian, der letzte heidnische Kaiser, machte diese Entscheidung noch einmal rückgängig, aber im Winter 382/83 ordnete Kaiser Gratian erneut die Entfernung von Altar und Statue an. Gleichzeitig strich er die finanziellen Zuwendungen an heidnische Einrichtungen wie den Tempel der Vestalinnen. Dies war ein entscheidender Punkt in der folgenden Auseinandersetzung. Denn letztlich ging es im Streit nicht nur um religiöse Fragen, sondern auch um die finanzielle Ausstattung heidnischer Einrichtungen, die bis dahin eine Aufgabe des Staates gewesen war. Gratian wies alle Bittgesuche heidnischer Senatoren zurück. Nach seinem Tod wurde seine Entscheidung 384 von Valentinian II. bestätigt.

Datei:Symmachus apotheosis diptych.jpg
Darstellung einer Apotheose auf einem Diptychonflügel aus dem Hause des Symmachus. Die vergöttlichte Person könnte Symmachus selbst sein.[1]

Nachdem eine erste Petition heidnischer Senatoren abschlägig beschieden worden war, schrieb der aus der angesehenen Familie der Symmachi stammende Stadtpräfekt von Rom seine dritten Relatio, die er dem kaiserlichen Hof in Mailand übermittelte. Er bat Valentinian darin ein weiteres Mal um die Rücknahme der Entscheidung seines Vorgängers. Der Relatio trat Bischof Ambrosius von Mailand, ein enger Berater des Kaisers, zunächst in den zwei Briefen Nr. 17 und 18 sowie Jahre später in einem dritten Brief, Nr. 57, energisch entgegen. Beide argumentierten recht sachlich, was angesichts der teilweise blutigen Zusammenstöße zwischen Heiden und Christen − etwa in Alexandria im Jahr 391 − nicht selbstverständlich war.

Symmachus' Argumentation

Symmachus knüpfte in seiner dritten Relatio unter anderem an die Romidee an, nach der die Stadt zur Weltherrschaft berufen sei.[2] Er erinnerte an ihre ruhmreiche Vergangenheit und erklärte, sie verdanke ihren Aufstieg zum Haupt des Erdkreises dem treuen Vollzug des Staatskultes und der Verehrung der althergebrachten Götter. Die einstigen militärischen Siege waren aus dieser Sicht auch eine Folge der Verehrung der Siegesgöttin Victoria. Unausgesprochen blieb der Umkehrschluss, nach dem verheerende Niederlagen der neuesten Zeit, etwa die gegen die Goten in der Schlacht von Adrianopel 378 auf die Abkehr von den Göttern zurückzuführen seien. Symmachus spielt darauf nur mit einer rhetorischen Frage an: „Wer wäre den Barbaren so freundlich gesinnt, als dass er nicht die Wiedererrichtung des Altars der Victoria wünschte?“ Auch habe die Abkehr vom Vestakult 383 die Hungersnot in der Stadt Rom verschuldet. Geschichtliche Erfahrung und Klugheit geböten also ein Festhalten am traditionellen Staatskult.

Darüber hinaus argumentierte Symmachus im Sinne des Neuplatonismus: Hinter den verschiedenen Namen, die die Menschen den Göttern beilegten, stünde ohnehin nur die eine Gottheit. Diese aber sei - analog zur Ideenlehre Platons, etwa in dessen Höhlengleichnis - für die Menschen nur schattenhaft erkennbar und eingeschränkt verständlich. Im Grunde aber verehrten Heiden und Christen unter verschiedenen Namen das Gleiche, wie sie auch die gleichen Sterne betrachteten. Was mache es da aus, auf welche Weise jeder Einzelne zur Wahrheit gelange? Ein Weg alleine führe nicht dorthin.[3] Kurz: Symmachus plädierte für philosophischen Pluralismus und religiöse Toleranz. Sein Rückgriff auf neuplatonische Gedanken war insofern geschickt, da sie auch von frühchristlichen Philosophen und Theologen zur Begründung des Monotheismus herangezogen wurden.

Die Erwiderung des Ambrosius

Die Argumentation des Symmachus scheint am Kaiserhof nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. Doch nun trat ihr Ambrosius in zwei Briefen scharf entgegen. Der Bischof, der privat durchaus freundlichen Umgang mit Heiden pflegte und selbst hoch gebildet war, kannte im Grundsatz kein Nachgeben und konnte sich schließlich durchsetzen.

Ambrosius von Mailand, Mosaik in St. Ambrogio, Mailand

Ambrosius sah in der Forderung nach Toleranz offenbar eine Gefährdung des alleinigen Wahrheitsanspruchs des Christentums und bediente sich daher teils scharfer Formulierungen.[4] Der Kaiser solle sich nicht von leeren Phrasen täuschen zu lassen; er diene dem heiligen Gott und dem Glauben. Für den Einzelnen gebe es nur das Heil, wenn er auch dem wahren, also dem christlichen Glauben anhänge. Ambrosius verwies auf die Christenverfolgungen durch heidnische Herrscher. Nun fordere die Seite Toleranz ein, die unter Kaiser Julian noch vor wenigen Jahren versucht habe, das Christentum zurückzudrängen.[5] Dass jetzt auch christliche Senatoren Opferungen an einem heidnischen Altar beiwohnen sollten, sei inakzeptabel.[6] Symmachus fordere nicht Duldung, sondern Gleichberechtigung. Wie aber könne der Kaiser dies mit seinem Gewissen vereinbaren? Als Diener des allmächtigen Gottes dürfe er nicht tolerant gegen die Feinde des wahren Glaubens sein.[7]

Hatte Ambrosius seine Entgegnung noch ohne genaue Kenntnis des Inhalts der Relatio des Symmachus abgefasst, so setzte sich der Bischof in einem weiteren Brief sorgfältig mit dessen Argumentation auseinander und versuchte diese Punkt für Punkt zu entkräften. Er stellt fest, dass Rom auch schon früher Niederlagen gegen fremde Völker erlitten hatte. Als die Gallier auf das Capitol vorrückten (387 v. Chr.), seien die Römer durch das Geschnatter einer Gans gewarnt worden. Wo sei dort Jupiter gewesen? Und auch Hannibal habe keine anderen Götter verehrt.[8] Ambrosius bestreitet, dass ein Zusammenhang zwischen der alten Kultordnung, für die sich Symmachus so vehement einsetzt, und früheren Erfolgen der Römer besteht. Die Erfolge sind einzig auf die Tüchtigkeit der Römer selbst zurückzuführen. Das Einhalten der Kultvorschriften hatte einen Kaiser wie Valerian, der auch Christen verfolgen ließ, nicht davor bewahrt, in Gefangenschaft zu geraten. Auch damals habe der Victoriaaltar im Senat gestanden.[9] Was den Entzug staatlicher Mittel für die alten Kulte betraf, wies Ambrosius auf die Frühzeit der Christen hin, die sich damals ohne staatliche Hilfe organisiert hatten: Hätten die Tempel Sklaven befreit oder Essen an die Armen verteilt? Alles was die Kirche habe, diene dem Unterhalt der Armen.[10] Der mos maiorum, das Hauptargument für die Verfechter der alten Kulte,[11] sei ohnehin durch die Einführung fremder Gottheiten aus dem Osten diskreditiert worden.[12]

Nachgeschichte und Auswirkungen

Im Jahre 390 verweigerte Kaiser Theodosius I., der sich seit der Niederschlagung des Magnus Maximus in Italien aufhielt, einer senatorischen Gesandtschaft ein erneutes Gesuch um Wiederaufstellung des Altars. Erst der Usurpator Eugenius, der zwar selbst Christ war, aber mit Unterstützung heidnischer Kreise 392 in Rom die Macht ergriffen hatte, ließ den Altar noch einmal errichten. Dies war für Ambrosius Anlass, in seinem 57. Brief erneut dagegen zu argumentieren. Nach der Niederlage des Eugenius 394, ließ Theodosius Altar und Statue endgültig aus dem Senatsgebäude entfernen. In der Neuzeit wurden nur spärliche archäologische Überreste von ihnen gefunden.

Die endgültige Entfernung des Altars bedeutete eine wirkungsmächtige symbolische Niederlage für das Heidentum, nachdem Theodosius in seinem Machtbereich schon 391 sämtliche heidnischen Kulte verboten und das Christentum damit zur alleinigen Staatsreligion gemacht hatte.

Zu Beginn des 5. Jahrhunderts jedoch, nach den Einfällen der Westgoten in Italien und der Eroberung Roms durch die Truppen Alarichs im Jahr 410 (siehe Völkerwanderung), fiel Symmachus' Argumentation erneut auf fruchtbaren Boden. Die Eroberung der einstigen Reichshauptstadt durch so genannte Barbaren konnten sich manche Römer nur mit dem Abfall von den alten Göttern erklären. Christliche Theologen, die seit der Zeit Konstantins verkündet hatten, das Reich Gottes verwirkliche sich im Römischen Reich, kamen nun in Erklärungsnot. Unter dem Eindruck der Katastrophe des Jahres 410 verfasste der Kirchenlehrer Augustinus von Hippo sein Werk „De Civitate Dei“, in dem er darlegt, dass sich das Reich Gottes nicht in einem irdischen Staatswesen, sondern in den nach den Geboten des Christentums lebenden, einzelnen Gläubigen manifestiere. So stellt eines der Hauptwerke der spätantiken und mittelalterlichen Philosophie noch immer eine Antwort auf die Fragen dar, die der Heide Symmachus im Streit um den Victoriaaltar aufgeworfen hatte.

Literatur

  • Herbert Bloch: The Pagan Revival in the West at the End of the Fourth Century. In: Arnaldo Momigliano (Hrsg.), The Conflict Between Paganism and Christianity in the Fourth Century. Oxford 1963, S. 193–218.
  • Richard Klein: Der Streit um den Victoriaaltar. Die dritte Relatio des Symmachus und die Briefe 17, 18 und 57 des Bischofs Ambrosius von Mailand. Einführung, Text und Erläuterungen (Texte zur Forschung 7). Darmstadt 1972.
  • Richard Klein: Symmachus. Darmstadt 1971.
  • Friedrich Prinz: Von Konstantin zu Karl dem Großen. Entfaltung und Wandel Europas. Düsseldorf und Zürich 2000, S. 323ff.
  • Klaus Rosen: Fides contra dissimulationem. Ambrosius und Symmachus im Kampf um den Victoriaaltar. In: Jahrbuch für Antike und Christentum 37 (1994), S. 29–36.

Anmerkungen

  1. A. Cameron: Pagan Ivories. In: F. Paschoud (Hrsg.): Colloque genevois sur Symmaque: à l'occasion du mille six centième anniversaire du conflit de l'autel de la Victoire. Paris 1986, S. 41-71.
  2. Klein (1971), S. 76ff., bes. S. 99ff.
  3. Symmachus, rel. 3,9f.
  4. Vgl. Klein (1971), S. 122ff.
  5. Epist. 17, 4
  6. Epist. 17, 9f. Siehe auch Epist. 18, 31.
  7. Epist. 17, 16
  8. Epist. 18, 5f.
  9. Epist. 18, 7
  10. Epist. 18, 11ff., bes. 18, 16
  11. Epist. 18, 23, siehe auch Klein (1971), S. 57ff. und 129f.
  12. Epist. 18, 30