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Schwarzer Tod

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Als Schwarzer Tod wird die große Pest-Epidemie bezeichnet, die in der Zeit von 1347 bis 1353 Europa heimsuchte und während der ein großer Teil der europäischen Bevölkerung starb. (Die Pest als Krankheit, ihre Übertragungswege, Behandlungsweisen, die Gefahren, die von ihr als biologische Waffen ausgehen, weitere historische Pestepidemien und ihre Auswirkung auf Kunst und Literatur sind in dem separaten Hauptartikel „Pest“ beschrieben)

Der Begriff „Schwarzer Tod“

Ausschnitt aus dem Holzschnitt „Totentanz“ (Hans Holbein der Jüngere). Holbein verdeutlichte, dass die Pest weder Stand noch Klasse kannte.

Mit der Bezeichnung „Schwarzer Tod“ wird heutzutage die große Pestpandemie bezeichnet, an der im 14. Jahrhundert große Teile der europäischen Bevölkerung starben. Im Mittelalter selber wurde diese Bezeichnung nicht verwendet - man sprach vom „großen Sterben“ oder der „großen Pestilenz“. Dänische und schwedische Chronisten des 16. Jahrhunderts verwendeten die Bezeichnung „schwarz“ erstmals als Bezeichnung für den Pestausbruch ab 1347, um das Furchtbare und Schreckliche dieser Seuche zu betonen (schwarz wurde also nicht im Sinne einer Farbe verwendet).

Der deutsche Arzt J. F. K. Hecker griff 1832 diese Bezeichnung wieder auf. Unter dem Eindruck der gerade grassierenden Choleraepidemie fand sein Artikel Der schwarze Tod über die Pestepidemie 1348/1349 große Beachtung; er wurde 1833 ins Englische übersetzt und in den Folgejahren mehrfach neu gedruckt. „Black Death“ - „Schwarzer Tod“ - bürgerte sich vor allem im englisch- und deutschsprachigen Raum daher als standardmäßige Bezeichnung der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts ein.

Europa vor dem Ausbruch der Pest

Wie Norman F. Cantor in seinem Buch In the Wake of the Plague vermerkt, verdankt das mittelalterliche Europa das Entstehen politischer Einheiten, funktionierender Rechts- und Bildungssysteme sowie das Wachstum der Städte und die Ausweitung des Handels auch der Tatsache, dass ein Gebiet, das von Island bis Warschau, von Oslo bis Palermo reichte, in der Zeit von 800 bis 1300 eine klimatisch begünstigte Zeit erlebte, in der gleichzeitig große Krankheitsepidemien fehlten.

In der Zeit von 900 bis 1300 vervierfachte sich die europäische Bevölkerung, mehr Land wurde urbar gemacht und für die landwirtschaftliche Produktion genutzt. Die am weitesten entwickelten Gebiete Europas lagen im südlichen England, im nördlichen Frankreich in den Tälern der Seine und der Loire, umfassten das Gebiet um Paris sowie das deutsche Rheintal, die nördlichen Hansestädte, sowie Flandern und die Niederlande und das nördliche Italien von der Poebene bis nach Rom. Dieses Kerngebiet war deutlich stärker bevölkert als das übrige Europa und in diesen Gebieten befanden sich auch die größten Städte. Die europäische Gesellschaft vor 1300 besaß wohlausgestattete Universitäten, errichtete beeindruckende gotische Kathedralen und erlebte eine künstlerische und literarische Blüte. Zwischen 1214 und 1296 behinderte kein größerer Krieg die Weiterentwicklung der Gesellschaft und die Grenzen dieses Europas war weder von den Arabern im Süden noch von den griechisch-orthodoxen Slawen im Osten bedroht.

Während Theologie und Philosophie an den Universitäten große Rollen spielten, wurde den Naturwissenschaften wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Die wenigen chemischen Kenntnisse, die man besaß, fanden nur in der Alchemie Verwendung, was man über Astronomie wusste, wurde für Astrologie und Wahrsagerei benutzt. Insbesondere das medizinische Wissen war sehr wenig entwickelt. Weder verstand man die Ursache von Krankheiten, noch hatte man irgendeine Vorstellung geeigneter Gegenmaßnahmen. Wie Norman Cantor feststellt, hatte die mittelalterliche Gesellschaft überwiegend nichtmedizinische Antworten zu den verheerenden Auswirkungen einer Pandemie - Gebet und Sühne, Quarantäne der Kranken, Flucht der Gesunden und die Suche nach Sündenböcken.

Krisenhafte Entwicklungen setzten schon vor dem Ausbruch der Pest ein. Ab 1290 kam es in weiten Teilen Europas zu langanhaltenden Hungersnöten. Wesentlicher Faktor war die Abkühlung des Klimas, die als sogenannte Kleine Eiszeit die nächsten 400 Jahre anhielt.
Untersuchungen über die Entwicklung von Weizenpreisen im englischen Norfolk lassen darauf schließen, dass es zwischen 1290 und 1348 neunzehn Jahre gab, in denen der Weizen knapp wurde. Für das französische Languedoc ergeben ähnliche Untersuchungen zwanzig Jahre zwischen 1302 und 1348, in denen Nahrungsmittelknappheiten bestanden. 1314 bis 1317 waren in ganz Nordeuropa Hungerjahre. Im Jahre 1346 und 1347 herrschte Hunger in Süd- wie Nordeuropa.

Bereits 1339/1340 traten in italienischen Städten Seuchen (die Quellen lassen überwiegend auf Darminfektionen schließen) auf, die zu einem deutlichen Anstieg der Sterblichkeit führte. Vor diesem Hintergrund brach im Jahre 1347 in den Häfen des Mittelmeers die Pest aus.

Ausbruch der Pandemie in Asien und Ausbreitung in Europa

Knapp sechshundert Jahre nach der letzten europäischen Pestepidemie brach im Jahre 1331 die Seuche offenbar in China aus und gelangte von dort allmählich nach Europa.

1338 oder 1339 erreichte sie die christliche Gemeinschaft der Assyrischen Kirche des Ostens am Issyk-Kul in Kirgisistan. 1345 erkrankten die ersten Menschen in Sarai an der unteren Wolga auf der Krim, im Jahre 1346 wurden die ersten Einwohner von Astrachan Opfer dieser Krankheit. Im selben Jahr erreichte sie die Grenzen des damaligen Europas:

Die Goldene Horde belagerte die von den Genuesern gehaltene Hafenstadt Kaffa (das heutige Feodosija) auf der Halbinsel Krim; mit ihrem Gefolge kam auch die Pest vor die Stadtmauern. Berichtet wird, dass die Belagerer die an der Pest gestorbenen Menschen auf ihre Katapulte banden und sie in die Stadt schleuderten. Die Einwohner von Kaffa sollen diese Leichname sofort ins Meer geworfen haben. Aus heutiger Sicht ist es möglich, dass die Krankheit so auf die Einwohner von Kaffa kam; zu einer Übertragung des Krankheitserregers wäre es auch durch Ratten gekommen.

Mit dem Vordringen der Pest nach Kaffa geriet die Krankheit in das weitverzweigte Handelsnetz der Genueser, das sich über die gesamte Mittelmeerküste erstreckte. Von Schiffen verbreitet, gelangte die Krankheit 1347 nach Konstantinopel, Kairo und Messina auf Sizilien. Von dort aus breitete sie sich in den folgenden vier Jahren zuerst über den See-, dann auch über den Landweg über ganz Europa aus:

  • Mit Schiffen, deren Besatzung infiziert war, gelangte der Krankheitserreger von Genua nach Marseille, von wo aus die Pest der Rhone in Richtung Norden folgte. Nach kurzer Zeit erreichte sie das Languedoc und Montpellier, im August 1348 auch Carcassonne und Bordeaux, Aix und Avignon, wo sie sich sieben Monate hielt. Avignon war zu dieser Zeit Papstresidenz und eine der wichtigsten Städte Europas. Schon im März 1348 hatte sie Toulouse erreicht und im Mai Paris.
  • Von Venedig aus gelangte die Pest über den Brenner nach Österreich. Zuerst kam der schwarze Tod nach Kärnten, anschließend in die Steiermark und erreichte dann erst Wien. Wien war die einzige Stadt, in der jeder Sterbende das letzte Sakrament erhielt.
  • In Deutschland, Norwegen, Schweden und Irland trat die Pest erstmals im Jahre 1349 auf.

Um die Ansteckungsgefahr zu vermindern, wurden nach 1347 einlaufende Schiffe, auf denen man die Pest vermutete, für 40 Tage isoliert (Quarantäne, vom italienischen quaranta giorni = 40 Tage). Die Erfindung dieser Maßnahme wird Venedig zugeschrieben. Die verhängte Quarantäne mag zwar die Schiffsbesatzung vom Landgang abgehalten haben; sie verhinderte nicht, dass infizierte Ratten an den Schiffstauen entlang an Land gelangten und so zur Weiterverbreitung der Krankheit beitrugen.

Die demographischen und politischen Auswirkungen des Schwarzen Todes

So konnte, wer - zumal am Morgen - durch die Stadt gegangen wäre, unzählige Leichen liegen sehen. Dann ließen sie Bahren kommen oder legten, wenn es an diesen fehlte, ihre Toten auf ein bloßes Brett. Auch geschah es, dass auf einer Bahre zwei oder drei davongetragen wurden, und nicht einmal, sondern viele Male hätte man zählen können, wo dieselbe Bahre die Leichen des Mannes und der Frau oder zweier und dreier Brüder und des Vaters und seines Kindes trug.(Giovanni Boccaccio, Decamerone)

Man schätzt, dass etwa 20 bis 25 Millionen Menschen, rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas, durch den „Schwarzen Tod“ umkamen. Für die Anzahl der Opfer in Asien und Afrika fehlen seriöse Quellen. Jegliche Zahlen sind mit Vorsicht zu behandeln, da zeitgenössische Quellen die Anzahl der Toten eher zu hoch ansetzten, um den Schrecken und die Unbarmherzigkeit dieser Pandemie zum Ausdruck zu bringen. So schätzten beispielsweise die zeitgenössischen Chronisten unter dem Eindruck der ständig vorbeirollenden Leichenwagen die Anzahl der in Avignon Gestorbenen auf bis zu 120.000 Menschen, obwohl Avignon zu dieser Zeit nicht mehr als 50.000 Einwohner hatte.

Datei:Pestsyge Toggenburgbibeln 1411.jpg
Darstellung der Beulenpest in der Toggenburgbibel (1411)

Greifbarer als an diesen Zahlen wird die Verheerung der Pest an Einzelschicksalen: Der Chronist von Siena, Agnolo di Tura klagt, dass sich keiner mehr findet, der die Toten begräbt, und er eigenhändig seine fünf Kinder beerdigen muss; John Clyn, letzter überlebender Mönch eines irischen Klosters in Kilkenny, schreibt kurz vor seinem eigenen Pesttod die Hoffnung nieder, dass wenigstens ein Mensch diese Seuche überleben wird, der die von ihm begonnene Pestchronik fortsetzen kann; den italienischen Chronisten Giovanni Villani ereilt der Pesttod so plötzlich, dass seine Chronik mit einem unvollendeten Satz abbricht. In Venedig sterben von 24 Ärzten 20, in Hamburg zählen von 21 Ratsherren 16 zu den Toten; in London erliegen alle Zunftmeister der Schneider und Hutmacher der Seuche. Und kurz nach dem Pesttod des Erzbischofs von Canterbury erliegt auch sein designierter Nachfolger der Pest, ebenso wie kurz darauf der nächste Amtsanwärter. In Frankreich stirbt ein Drittel der königlichen Notare und ein Drittel der in Avignon versammelten päpstlichen Kardinäle.

Der „Schwarze Tod“ wütete nicht gleichmäßig in Europa, sondern ließ einige wenige Gebiete fast unberührt. Große Teile Polens und Belgiens sowie Prag blieben von ihm verschont, während er in anderen so stark zuschlug, dass ganze Landstriche weitgehend entvölkert wurden. Während Mailand der Heimsuchung durch die Pest entging, starben in Florenz vier Fünftel der Bürger. Wie M. Vasold in seinem Artikel über die Auswirkung der Pest auf die deutsche Bevölkerung nachweist, blieb beispielsweise Süddeutschland weitgehend unberührt von der Pest. Hamburg und Bremen dagegen wurden ebenso massiv von der Pest getroffen wie beispielsweise Köln. Insgesamt war die Auswirkung auf die Bevölkerung in Deutschland erheblich geringer als in Italien und Frankreich.

Die Pestepidemie hatte zur Folge, dass es mehrere Jahrhunderte dauern sollte, bis Europa wieder die alte Bevölkerungsdichte erreichte. David Herlihy weist darauf hin, dass die Zahl der in Europa Lebenden erst in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhundert nicht mehr weiter abnahm, für fünfzig Jahre auf sehr niedrigem Niveau stagnierte und erst 1460 allmählich wieder anstieg.

„Doktor Schnabel von Rom“ Kupferstisch von Paulus Fürst 1656 (nach J. Columbina), Durch diese Kleidung hofften die Ärzte während der Pestepidemie von 1656 in Rom sich vor der Pestansteckung zu schützen. Sie trugen einen Wachsmantel, eine Art Schutzbrille und Handschuhe. In dem Schnabel befand sich „wolriechende Specerey“

Die Reaktion der Ärzte

Die Ärzte dieser Zeit standen der für sie rätselhaften Krankheit ratlos gegenüber. Ein fundiertes Wissen hatten sie eher in der Astrologie, die den Hauptteil ihres Medizinstudiums beansprucht hatte. Medizinisch mussten sie auf das Wissen des spätantiken Hippokrates und seines Nachfolgers Galen zurückgreifen, nach dessen Lehren diese Infektion eine Fehlmischung der vier Körpersäfte: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle war - das Prinzip der Ansteckung war dagegen der Galenschen Medizin unbekannt. Eine Ansteckung von Tier zu Mensch war gänzlich unvorstellbar. Stattdessen vermutete man, dass faul riechende Winde die Krankheit aus Asien nach Europa trügen oder dass Dämpfe aus dem Erdinneren die Krankheit verursachten.

Obskure Ratschläge machten die Runde. So sollten beispielsweise die Fenster nur nach Norden geöffnet werden, Schlaf zur Tageszeit war verboten, schwere Arbeit verpönt. Als gefährlich galten feuchtschwüles Klima und Südwind, die Luft über stehenden Gewässern aller Art. Die Pest würde durch die Schönheit junger Mädchen angezogen, hieß es. (Es starben tatsächlich mehr Frauen als Männer, mehr Junge als Alte).

Die medizinische Fakultät von Paris, von Philipp VI. im Oktober 1348 mit einer Untersuchung über die Ursache der Krankheit beauftragt, kam zu dem Schluss, dass die Pest durch eine am 20. März 1345 eingetretene ungünstige Dreierkonstellation aus Saturn, Jupiter und Mars ausgelöst worden sei. Der Erklärungsansatz wurde europaweit als der wissenschaftlichste angesehen und in viele europäische Landessprachen übersetzt.

Viele Ärzte flohen vor der Pest. Wenn sie flohen, galten sie als feige, wenn sie blieben, als geldgierig. Die einzige ärztliche Pflicht im Angesicht der Pest war, Pestkranke zur Beichte aufzufordern. Das häufigste von den Ärzten angewandte Mittel gegen die Gefahren der Pest war das Verbrennen aromatischer Substanzen. Papst Klemens VI. verbrachte die Zeit des Pestausbruchs in Avignon zwischen zwei großen Feuern, die in seinen Gemächern brannten und die ihn möglicherweise wirklich vor einer Ansteckung bewahrten, da sie auch Flöhe fernhielten.

Langfristig bewirkte die Pest, dass man sich allmählich von der Galenschen Medizin löste. Papst Klemens selbst sprach sich für eine Sezierung der Pestopfer aus, um die Ursache der Krankheit zu entdecken. Die direkte Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper durch anatomische Studien wurde mit größerer Intensität als vor der Pest fortgesetzt und damit der erste Schritt in Richtung moderner Medizin und empirischer Wissenschaft getan. Bis zu einer systematischeren Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Ansteckung durch den Arzt Girolamo Fracastoro (1483-1533) sollte es jedoch noch fast 200 Jahre dauern.

Die Pest und die mittelalterliche Gesellschaft

Die unmittelbare Reaktion auf die Herausforderung durch die Pest

Wir wollen darüber schweigen, dass ein Bürger den anderen mied, dass fast kein Nachbar für den anderen sorgte und sich selbst Verwandte gar nicht oder nur selten und dann nur von weitem sahen. Die fürchterliche Heimsuchung hatte eine solche Verwirrung in den Herzen der Männer und Frauen gestiftet, dass ein Bruder den anderen, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Ehemann verließ; ja, was noch merkwürdiger und schier unglaublich scheint: Vater und Mutter scheuten sich, nach ihren Kindern zu sehen und sie zu pflegen - als ob sie nicht die ihren wären (...) Viele starben, die, wenn man sich um sie gekümmert hätte, wohl wieder genesen wären. Aber wegen des Fehlens an ordentlicher, für den Kranken nötiger Pflege und wegen der Macht der Pest war die Zahl derer, die Tag und Nacht starben, so groß, dass es Schaudern erregte, davon zu hören, geschweige denn es mitzuerleben.

So schildert Boccaccio den Einbruch der Pest in Florenz und die unmittelbare Reaktion der florentinischen Bevölkerung.

Viele der Menschen, welche die Pest als Gottesstrafe ansahen, fanden zu dieser Zeit den Trost in der Religion. Religiöse Bewegungen entstanden spontan im Gefolge oder in Erwartung der Pest - viele davon forderten das Monopol der Kirche auf geistliche Lenkung heraus. Bittgottesdienste und Prozessionen kennzeichneten den Alltag. Flagellanten zogen in „Geißlerzügen“ durch die Städte. Der „Pestheilige“ St. Rochus wurde intensiv verehrt, Pilgerfahrten nahmen zu. An vielen Orten zeugen Kirchen und andere Monumente wie so genannte Pestsäulen von der Angst der Menschen und ihrem Wunsch nach Erlösung von der Pest.

Andere Menschen versuchten jede Minuten ihres Lebens noch auszukosten. Mit Tanzen und Musik versuchte man, der Pest zu entgehen. Der italienische Chronist Matteo Villani schrieb:

Die Menschen, in der Erkenntnis, dass sie wenige und durch Erbschaften und Weitergabe irdischer Dinge reich geworden waren, und der Vergangenheit vergessend, als wäre sie nie gewesen, trieben es zügelloser und erbärmlicher als jemals zuvor. Sie ergaben sich dem Müßiggang, und ihre Zerrüttung führte sie in die Sünde der Völlerei, in Gelage, in Wirtshäuser, zu köstlichen Speisen und zum Glücksspiel. Bedenkenlos warfen sie sich der Lust in die Arme.

Eine funktionierende Wirtschaft konnte unter dem Eindruck einer Pestepidemie nicht mehr aufrechterhalten werden. Arbeitskräfte starben, flohen und nahmen ihre Aufgaben nicht mehr wahr. Vielen schien es sinnlos, die Felder zu bestellen, wenn der Tod sie doch bald ereilen würde.

Judenpogrome in Folge der Pest

Die kirchliche und weltliche Macht verlor angesichts der Hilflosigkeit, mit der sie der Pestepidemie begegnete, ihre Autorität. Boccaccio schrieb dazu:

In solchem Jammer und in solcher Betrübnis der Stadt war auch das ehrwürdige Ansehen der göttlichen und menschlichen Gesetze fast gesunken und zerstört; denn ihre Diener und Vollstrecker waren gleich den übrigen Einwohnern alle krank oder tot oder hatten so wenig Gehilfen behalten, dass sie keine Amtshandlungen mehr vornehmen konnten. Darum konnte sich jeder erlauben, was er immer wollte.

Boccaccios Zeilen in der Einleitung seines Decamerone galten nicht nur für Städte, die direkt von der Pest betroffen waren, sondern trafen auch für die zu, die das Eintreffen der Pest befürchteten.

Unter dem Autoritätsverlust der weltlichen und kirchlichen Macht litten am meisten die, die zu den kulturellen Randbereichen der mittelalterlichen Gesellschaften zählten: Im Rahmen der Pest kam es zu schweren Judenpogromen, weil man in ihnen die geeigneten Schuldigen zu finden meinte. Anfangs versuchte zumindest ein großer Teil der geistlichen und weltlichen Herrschaft diese Pogrome zu unterbinden.

Bereits 1348 bezeichnete der in Avignon lebende Papst Klemens VI. die Anschuldigung, die Juden würden durch das Vergiften von Brunnen die Pest verbreiten, als „unvorstellbar“, da sie in Gegenden der Erde wüte, wo keine Juden lebten, und dort, wo sie lebten, sie selbst Opfer würden. Er forderte die Geistlichkeit auf, die Juden unter ihren Schutz zu stellen. Klemens VI. - der hebräische Manuskripte sammelte - untersagte außerdem, Juden ohne Gerichtsverfahren zu töten oder sie auszuplündern. Die päpstlichen Bullen wirkten nur in Avignon und trugen ansonsten verhältnismäßig wenig zum Schutz der Juden bei. Eine ähnliche Erfahrung machte Königin Johanna I. von Neapel, die im Mai 1348 die Steuerlast der in ihrem provencalischen Herrschaftsgebiet lebenden Juden um die Hälfte reduzierte, um den Plünderungen Rechnung zu tragen. Im Juni desselben Jahres wurden ihre Beamten aus den provencalischen Städten vertrieben.

Das Gerücht, Juden träufelten Gift in Brunnen und Quellen, war bereits Anfang 1348 aufgekommen: In Savoyen hatten jüdische Angeklagte sich unter der Folter solcher Vergehen für schuldig bekannt. Ihr Geständnis fand in ganz Europa rasch Verbreitung und war die Basis für eine Welle von Übergriffen vor allem im Elsaß, der Schweiz und Deutschland. Am 9. Januar 1349 wurde in Basel ein Teil der jüdischen Einwohnerschaft ermordet – die Basler Stadträte hatten zuvor zwar die schlimmsten Hetzer gegen die Juden aus der Stadt verbannt, mussten unter dem Drängen der Stadtbevölkerung diesen Bann aufheben und stattdessen die Juden vertreiben. Ein Teil der Vertriebenen wurde festgesetzt und in einem eigens für sie gebauten Haus auf einer Rheininsel verbrannt. In Straßburg versuchte die Stadtregierung gleichfalls, die ansässigen Juden zu schützen, wurde jedoch mit den Stimmen der Zünfte ihres Amtes enthoben. Die neue Straßburger Stadtregierung duldete das anschließende Massaker, dem im Februar 1349 - die Pest hatte die Stadt zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht - 900 von 1.884 in Straßburg lebende Juden zum Opfer fielen.

Maßgeblich an den Judenpogromen beteiligt waren die Flagellanten. Für Städte wie Freiburg im Breisgau, Köln, Augsburg, Nürnberg, Königsberg und Regensburg gilt, dass noch vor dem eigentlichen Ausbruch der Pest Flagellanten Teile der Bevölkerung aufhetzten, die jüdische Bevölkerung als Brunnenvergifter zu ermorden. In Zürich beispielsweise wurden die Juden im September 1348 aus der Stadt verbannt - die Pest brach dort erst ein Jahr später aus.

Im März 1349 verbrannten sich vierhundert Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Worms in ihren Häusern, um nicht den Mordbrennern in die Hände zu fallen; im Juli 1349 beging auch die jüdische Gemeinde von Frankfurt auf diese Weise Selbstmord. In Mainz griff die jüdische Gemeinde zur Selbstverteidigung und tötete 200 der sie Angreifenden. Aber auch die Mainz lebende jüdische Gemeinde - damals die größte in Europa - beging letztlich Selbstmord, indem sie ihre Häuser anzündeten. Die Pogrome setzten sich bis Ende des Jahres 1349 fort. Die letzten fanden in Antwerpen und Brüssel statt. Nach Ende der Pest lebten nur noch wenige Juden in Deutschland und den Niederlanden.

Ein Drittel der 2,5 Millionen in Europa lebenden Juden waren im heutigen Spanien ansässig. Ihnen erging es etwas besser als ihren Glaubensbrüdern in Holland und Deutschland. König Peter IV. von Aragon gelang es mit der Unterstützung der wohlhabenderen Bürger, gegen die ersten gewalttätigen Ausschreitungen in Barcelona vorzugehen und weitere Plünderungen und Übergriffe auf jüdisches Leben zu unterbinden.

Ebenso wie Peter IV. von Aragon waren auch Albrecht II. von Österreich und Kasimir III. von Polen entschiedene Beschützer ihrer jüdischen Einwohner. Wenn sie auch Gewalttaten nicht gänzlich unterbinden konnten, blieben solche Massaker wie in Brüssel und Basel aus. Kasimir III. bot darüberhinaus den Juden an, sich in seinem Herrschaftsgebiet anzusiedeln. Es setzte eine Emigration vor allem von deutschen Juden nach Polen ein, die bis ins 16. Jahrhundert anhielt. In der Ansiedlung von Juden sah Kasimir III. die Möglichkeit, sein Land wirtschaftlich weiterzuentwickeln.

Auch Kaiser Karl IV. versuchte, die Juden zu schützen und sie in seinen Gebieten willkommen zu heißen. In der 1356 erlassenen Goldenen Bulle verpflichtete der Kaiser die Kurfürsten unter anderem dazu, die Juden zu schützen. Allerdings hatte Karl IV. bereits 1349 - seit den Pogromen war noch kein Jahr vergangen - Amnestien für viele deutsche Städte (etwa Esslingen, Reutlingen, Überlingen und Straßburg) erlassen, welche sich am Besitz der vertriebenen Juden bereicherten.

Neben der Suche nach einem Sündenbock und einer seit dem 12. Jahrhundert angestiegenen Intoleranz der Kirche gegenüber Andersgläubigen war auch Habgier ein wesentliches Motiv für den Mord an jüdischen Bürgern. Die Bedeutung der Juden als Geldverleiher war zwar nicht mehr so groß wie noch im 12. und 13. Jahrhundert, doch offenbar sah ein großer Teil der Bevölkerung im Mord an den Juden auch die Möglichkeit, sich ihrer Gläubiger zu entledigen. So war der Augsburger Bürgermeister Heinrich Portner bei jüdischen Geldleihern hoch verschuldet und ließ den Mord an den Juden bereitwillig geschehen.

Die langfristige Auswirkungen des Schwarzen Todes

Langfristig bewirkte und beschleunigte die Pest einen tiefgreifenden Wandel in der mittelalterlichen Gesellschaft Europas. Wie David Herlihy zeigt, konnten die Generationen nach 1348 nicht einfach die sozialen und kulturellen Muster des 13. Jahrhunderts beibehalten. Der massive Bevölkerungseinbruch bewirkte eine Umstrukturierung der Gesellschaft, die sich langfristig positiv bemerkbar gemacht habe. So bezeichnete Herlihy die Pest als "die Stunde der neuen Männer": Die Entvölkerung ermöglichte einem größeren Prozentsatz der Bevölkerung den Zugang zu Bauernhöfen und lohnenden Arbeitsplätzen. Unrentabel gewordene Böden wurden aufgegeben, was in manchen Regionen dazu führte, dass Dörfer verlassen oder nicht mehr wiederbesiedelt wurden (sogenannte Wüstungen). Die Zünfte ließen nun auch Mitglieder zu, denen zuvor die Aufnahme verweigert worden war. Während der Markt für landwirtschaftliche Pachten zusammenbrach, stiegen die Löhne in den Städten deutlich an. Damit konnte sich eine große Anzahl von Menschen einen Lebensstandard ermöglichen, der für sie vorher unerreichbar war.

Der deutliche Anstieg der Arbeitskosten sorgte dafür, dass manuelle Arbeit zunehmend mechanisiert wurde. Damit wurde das Spätmittelalter zu einer Zeit eindrucksvoller technischer Errungenschaften. David Herlihy nennt als Beispiel den Buchdruck: Solange die Löhne von Schreibern niedrig waren, war das handschriftliche Kopieren von Büchern eine zufriedenstellende Reproduktionsmethode. Mit dem Anstieg der Löhne setzten umfangreiche technische Experimente ein, die letztlich zur Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg führten. So interpretiert Herlihy die Weiterentwicklung der Feuerwaffe als Reaktion auf einen Mangel an Soldaten.

Die Kirche - von zahlreichen Pestopfern als Erbe eingesetzt - ging reicher, aber unpopulärer aus der Zeit des „Schwarzen Todes“ hervor. Weder hatte sie eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden, warum Gott der Menschheit eine solche Prüfung auferlegt hatte, noch hatte sie geistlichen Beistand geleistet, als das Bedürfnis der Menschen danach am größten war. Die Bewegung der Flagellanten hatte die Autorität der Kirche auf die Probe gestellt. Auch nach dem Abklingen dieser Bewegung suchten viele Gott bei mystischen Sekten und in Reformbewegungen, die letztlich die katholische Glaubenseinheit auseinanderbrechen ließ.

Insbesondere der österreichische Kulturhistoriker Egon Friedell vertrat in seinem Werk „Kulturgeschichte der Neuzeit“ die Auffassung, dass die Pest der Jahre 1348/49 die Krise des mittelalterlichen Welt- und Menschenbildes verursacht und bis dahin bestehende Glaubensgewissheiten erschüttert habe. Er sieht eine direkte, kausale Verbindung zwischen der Katastrophe des Schwarzen Todes und der Renaissance.

Die Rückkehr der Pest in den folgenden Jahren

Die erste große Pestwelle, die als sogenannter „Schwarzer Tod“ in die Geschichtsbücher einging, endete 1353. Sie flackerte jedoch in den Folgejahren immer wieder in einzelnen Regionen Europas auf, da sich die Seuche endemisierte: In lokalen und regionalen Epidemien suchte sie die nächsten drei Jahrhunderte in nahezu regelmäßigen Abständen europäisches Gebiet heim. Die zweitschlimmste Epidemie des ausgehenden Mittelalters bzw. der jungen Neuzeit suchte Europa im Jahr 1400 heim. Wenn auch die Zahl der Toten bei der großen zweiten Pestwelle nicht so hoch war, starben dabei vor allem Kinder und Jugendliche.

Literatur und Quellen

Zitierte Werke

  • Boccaccio; Il decamerone. Eine englische Übersetzung aus der Einleitung, aus der die obigen Zitate stammen, findet sich unter Introduction to il decamerone
  • Matteo Villani; Cronica di Matteo Villani, I, Kapitel 4

Literatur

  • Klaus Bergdolt; Der schwarze Tod in Europa Becksche Reihe ISBN 3-406-45918-8
  • Norman F. Cantor: In the Wake of the Plague - The Black Death and the Word it made, London 1997, ISBN 0-7434-3035-2
  • Claudia Eberhard Metzger, Renate Ries; Verkannt und heimtückisch - Die ungebrochene Macht der Seuchen, Basel 1996, ISBN 3-7643-5399-6
  • Franz-Reiner Erkens: Buße in Zeiten des Schwarzen Todes: Die Züge der Geissler in „Zeitschrift für historische Forschung“, Band 26, 1999, Berlin, S. 483-513
  • Egon Fridell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der Europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, München 1996 ISBN 3-406-40988-1 (Erstausgabe 1927-31)
  • David Herlihy: Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, Berlin 1997, ISBN 3-8031-3596-6
  • Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-15481-9
  • William H. McNeill: Seuchen machen Geschichte. Geißeln der Völker, München 1976 ISBN 3-7906-0079-2
  • William Naphy, Andrew Spicer: Der schwarze Tod, Magnus Verlag, ISBN 3-88400-016-0
  • Norbert Ohler: Sterben und Tod im Mittelalter Patmos Paperback, ISBN 3-491-69070-6
  • Jacques Ruffié, Jean-Charles Sournia: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, Stuttgart 1987, ISBN 3-423-30066-3
  • Barbara Tuchman: Der ferne Spiegel - das dramatische 14. Jahrhundert, Düsseldorf 1980, ISBN 3-546-49187-4
  • Manfred Vasold: Die Ausbreitung des Schwarzen Todes in Deutschland nach 1348, in „Historische Zeitschrift“, Band 277, 2003, S. 281-308
  • ders.: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991 ISBN 3-406-35401-7