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Hanns Martin Schleyer

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Hanns-Martin Schleyer (* 1. Mai 1915 in Offenburg, † 18. Oktober 1977 bei Mülhausen, Frankreich) war ein deutscher Manager und Wirtschaftsfunktionär.

Leben

Schleyer stammte aus einer national-konservativ gesinnten Richterfamilie, er studierte ab 1933 Jura in Heidelberg, wo er dem Corps Suevia, einer schlagenden Verbindung, beitrat. 1939 promovierte er an der Universität Innsbruck nach österreichischem Recht.

Er war schon früh ein überzeugter Nationalsozialist. Nach Mitgliedschaft in der Hitlerjugend wurde er 1933 Mitglied der SS. Während des Studiums engagierte er sich in der NS-Studentenbewegung und fand im Heidelberger Studentenführer Gustav Adolf Scheel einen ersten wichtigen Mentor. Im Sommer 1935 wirft Schleyer seinem Corps mangelnde nationalsozialistische Gesinnung vor und tritt unter öffentlichem Protest aus der Verbindung aus, als der übergeordnete Kösener SC-Verband sich weigert, jüdische Alte Herren aus den Corps auszuschließen; Schleyer selbst kommentiert dies mit den Worten "Ich werde es nie verstehen können, daß ein Corps aus der Auflage, zwei Juden aus der Gemeinschaft zu entfernen, eine Existenzfrage macht".

Schleyer beginnt eine erste Karriere als Funktionär in der nationalsozialistischen Studentenschaft. Er tritt 1937 in die NSDAP ein und wird zuerst Leiter des Heidelberger Studentenwerkes, bevor Reichsstudentenführer Scheel ihn nach dem "Anschluss" Österreichs in gleicher Funktion nach Innsbruck schickt.

Nach kurzem Wehrdienst an der Westfront und seiner unfallbedingten Ausmusterung ging Schleyer 1941 als Studentenwerksleiter nach Prag. Dort lernte er Bernhard Adolf kennen, einen der führenden deutschen Wirtschaftsvertreter im Protektorat Böhmen und Mähren, der ihn 1943 zum Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren holte. Hier wurde Schleyer als Leiter des Präsidialbüros der wichtigste Zuarbeiter und Berater Adolfs, der maßgeblich für die Arisierung und Germanisierung der böhmischen Industrie verantwortlich war. Am 5. Mai 1945, kurz nach Ausbruch des tschechischen Aufstandes, flieht Schleyer aus Prag.

1939 hatte er Waltrude Ketterer (Tochter des SA-Obergruppenführers Emil Ketterer) geheiratet; mit ihr hatte er insgesamt vier Söhne.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Schleyer drei Jahre lang im Badischen interniert, da er bei der SS einen Offiziersrang (Untersturmführer) innegehabt hatte. 1948 wurde er jedoch entlassen und zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legte Schleyer Widerspruch ein, nach dem Revisionsverfahren galt er nur noch als Mitläufer.

1951 wurde Hanns-Martin Schleyer Sachbearbeiter der Daimler-Benz AG, wo er durch die Protektion Fritz Köneckes bis zum Vorstandsmitglied aufstieg. Ende der 1960er Jahre konnte er sich sogar Hoffnungen auf den Vorstandsvorsitz machen, verlor den Konkurrenzkampf aber gegen seinen Mitbewerber Joachim Zahn. Nach dieser Niederlage konzentrierte Schleyer, der im Gegensatz zu Zahn den Ausbau der Nutzfahrzeugsparte bei Daimler forcieren wollte, sich verstärkt auf seine Arbeit für die Arbeitgeberverbände. Er war Funktionär bei mehreren Arbeitgeber- und Industrieverbänden, zuletzt gleichzeitig Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Durch seine harte Haltung in den Arbeitskämpfen der 1960er Jahre - umstritten waren etwa die Aussperrungen - , seine nationalsozialistische Vergangenheit und wohl auch durch seine - vor allem im Fernsehen - aggressiv wirkende äußere Erscheinung (die New York Times beschrieb ihn als "Karikatur des hässlichen Kapitalisten") gab Schleyer ein ideales Feindbild für die 68er-Bewegung ab. Durch die Darstellung in Bernt Engelmanns Tatsachenroman "Großes Bundesverdienstkreuz" aus dem Jahr 1974 rückte Schleyer zusätzlich als Schlüsselfigur eines rechtskonservativen Netzwerks ins Licht der Öffentlichkeit, mit dessen Hilfe das Tandem Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf in Bonn an die Macht gebracht werden sollte.

Entführung und Ermordung

Schleyer wurde am 5. September 1977 von der Roten Armee Fraktion (RAF) in Köln entführt, um die Befreiung von inhaftierten RAF-Mitgliedern zu erreichen.

Drei Polizisten sowie Schleyers Chauffeur Heinz Marcicz werden bei der Entführung ermordet. Schleyer wurde unter anderem in einem Hochhaus in Erftstadt (Liblar) bei Köln versteckt, später wurde er über die grüne Grenze nach Holland gebracht. Die Nichtentdeckung Schleyers war einer der größten Fahndungsmisserfolge der deutschen Polizeigeschichte. Mehrere örtliche Polizisten waren davon überzeugt, dass Schleyer in dem Hochhaus in Autobahnnähe gefangen gehalten werde - ein Beamter hatte sogar schon an der Tür der Wohnung geläutet - und hatten dies auch dem zuständigen Krisenstab gemeldet, der dem aber nicht nachgegangen war.

Nach 43 dramatischen Tagen ging das Geiseldrama blutig zu Ende.

Nachdem die Regierung die Forderungen der RAF nicht erfüllt hatte und auch die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" durch palästinensische Extremisten von der GSG 9 beendet worden war, wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihren Zellen aufgefunden. Irmgard Möller fand man schwer verletzt.

Nachdem die Entführer Schleyers vom Tod der Gefangenen aus Stuttgart-Stammheim erfahren hatten, wurde er am 19. Oktober 1977 erschossen in Mülhausen im Elsass/Frankreich aufgefunden.

Siehe auch: Deutscher Herbst

Nach Schleyers Tod

Zur Beerdigung Schleyers fand am 25. Oktober 1977 in Stuttgart unter großer Aufmerksamkeit der Medien ein Staatsakt statt, bei dem fast alle führenden deutschen Politiker anwesend waren. Die Beleidsbekundung von Bundeskanzler Schmidt bei Schleyers Witwe wurde teils auch als eine Art Entschuldigung verstanden - die Angehörigen Schleyers waren mit der harten Haltung der Bundesregierung nicht einverstanden gewesen. Sie hatten bereits ein Lösegeld von 15 Millionen DM bereitgestellt; als dessen Übergabe durch die Behörden verhindert wurde, stellte Schleyers Sohn Hanns-Eberhard einen Antrag auf Anordnung der Freilassung der RAF-Häftlinge beim Bundesverfassungsgericht, der wenige Stunden vor Ablauf des letzten RAF-Ultimatums abgelehnt wurde.

Nach dem Tod Schleyers kursierte in der linken Szene das Gerücht, er sei enger Vertrauter Reinhard Heydrichs gewesen. Bernt Engelmann konstruierte die Möglichkeit, dass Schleyer im Prag der letzten Kriegstage an Geiselerschießungen beteiligt gewesen sei. Diese Vorwürfe sind jedoch nicht durch historische Quellen belegt.

1977 gründeten der BDA und der BDI die Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung, die heute hauptsächlich junge Wissenschaftler im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften fördert. In Stuttgart-Bad Cannstatt wurde 1984 die Hanns-Martin-Schleyer-Halle eingeweiht, die von der Messe Stuttgart geleitet wird. In vielen Städten Westdeutschlands wurden Straßen nach Schleyer benannt.

Schleyers Witwe und vor allem sein Sohn Hanns-Eberhard Schleyer (der seit 1989 Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist) haben sich immer wieder als Vertreter der RAF-Opfer in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, zuletzt in der Diskussion um eine für November 2004 in Berlin geplante Ausstellung über die RAF.

Literatur

  • Lutz Hachmeister: "Schleyer. Eine deutsche Geschichte". Beck: München, 2004 (ISBN 3-406-51863-X) Online-Leseprobe (Einleitungskapitel)
  • Klaus Pflieger: "Die Aktion "Spindy". Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns-Martin Schleyer". NOMOS Verlagsgesellschaft: Baden-Baden, 1997 (ISBN 3-7890-4598-5)
  • Carsten Polzin: Deutscher Herbst im Bundesverfassungsgericht - Zur verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Dimension terroristischer Entführungsfälle. [1]

Filme

  • "Schleyer - Eine deutsche Geschichte", Dokumentation über das Leben von Hanns-Martin Schleyer von Lutz Hachmeister, 2003.
  • "Todesspiel", 2-teiliges Doku-Drama über die Entführung Hanns-Martin Schleyers von Heinrich Breloer, 1997.