Rote Khmer
Die Roten Khmer (franz. Khmers rouges) waren eine im Jahre 1975 mit Guerillamethoden in Kambodscha an die Macht gekommene sich zeitweise als maoistisch darstellende Befreiungsbewegung.
Ursprünge
Die Roten Khmer hatten ihren Ursprung in der Kommunistischen Partei Kambodschas, welche 1951 aus der indochinesischen KP entstanden war. Die Unterdrückung der kambodschanischen Kommunisten durch König Sihanouk und danach General Lon Nol veranlasste viele der genuin marxistisch eingestellten Parteimitglieder und -anhänger zur Flucht nach Nordvietnam, während eine sich aus dem Bauerntum rekrutierende Fraktion mit Hang zum Nationalismus, zu der sich auch der Student Pol Pot und andere spätere Khmer-Führer zählten, zurückblieb und im Untergrund den Kampf aufnahm.
Der Armeegeneral Lon Nol kommt allerdings am 18. März 1970 - während eines Auslandsaufenthaltes von Staatschef Prinz Sihanuk - durch einen von den USA unterstützten Putsch an die Macht, und erlaubt diesen in der Folge, unterstützt durch deren großzügige Wirtschafts- und Militärhilfe, den Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam auf kambodschanischen Boden auszudehnen, da der Osten des Landes im Vietnamkrieg zum Aufmarschgebiet der Norvietnamesen geworden ist. Die von Nixons Außenminister Henry Kissinger angeordneten Flächenbombardements fordern dabei mindestens 200.000 Menschenleben, vornehmlich unter Zivilisten, und helfen so mit, einen großen Teil der Bevölkerung in die Arme der der Roten Khmer zu treiben. Immerhin werden von amerikanischen B-52 mit über einer halben Million Tonnen doppelt soviele Bomben über Kambodscha abgeworfen, als über Japan während des gesamten 2. Weltkrieges. Sihanouk selbst flieht nach China und arrangiert sich dort mit den Roten Khmer, wo er einer Exilregierung unter deren Beteiligung vorsteht. Diese erobern in den nächsten Jahren weite Teile Kambodschas, so dass die Lon-Nol-Regierung zuletzt nur noch Phnom Penh unter ihrer Kontrolle weiß.
Schreckensherrrschaft
Am 17. April 1975 wird Phnom Penh von den Roten Khmer eingenommen, die "Demokratische Republik Kampuchea" ausgerufen und Norodom Sihanouk als Staatsoberhaupt eingesetzt. Massensäuberungen" und die Deportation der Stadtbevölkerung auf die Reisfelder des Landes machen das zuvor über 2 Millionen Einwohner zählende Phnom Penh binnem kurzem zur Geisterstadt. Während ihrer vierjährigen Schreckensherrschaft werden schätzungsweise 1,7-2 Millionen Menschen in Todeslagern umgebracht oder kommen bei der Zwangsarbeit auf den Reisfeldern ums Leben (bei einer Gesamtbevölkerung von etwas mehr als 7 Millionen). Geld wird abgeschafft, Bücher werden verbrannt, Lehrer, Händler, beinahe die gesamte intellektuelle Elite des Landes wird "eliminiert", um einen Agrarkommunismus, wie er Pol Pot vorschwebt, zu realisieren. Die "Bourgeoisie" wird "abgeschafft", und um ein "Bourgeois" zu sein reicht es oft, wenn jemand lesen kann oder gar eine Fremdsprache (vor allem Französisch) beherrscht. Wie unter Stalins Herrschaft werden auch unter der Diktatur der Roten Kmer massenhaft Oppositionelle ermordet, darunter auch jene Kommunisten, welche kurz vor der Machtübernahme aus Vietnam nach Kambodscha zurückgekehrt sind. Um Munition zu sparen werden missliebige Personen erschlagen, Säuglinge an Bäumen zerschmettert.
Ein großer Teil der Kämpfer besteht aus Kindersoldaten, die bei der Machtübernahme der Roten Khmer nichts anderes als die Schrecken des Krieges kennen: Die Lastwagenfahrer, die nach dem Fall Phnom Penhs - nach zähen Verhandlungen - die Ausländer aus der französischen Botschaft zur thailändischen Grenze fahren, müssen das stehend tun, da sie sonst Bremse und Gaspedal nicht erreichen würden.
Am 4. April 1976 wird Norodom Sihanouk wegen seiner Kritik am terroristischen Kurs der Roten Khmer als Staatsoberhaupt abgesetzt und unter Hausarrest gestellt, Khieu Samphan zum neuen Staatsoberhaupt und Pol Pot als Regierungschef ernannt.
Berichten über die Greueltaten der Roten Khmer wird zunächst wenig Glauben geschenkt. Pater François Ponchaud, der als erster in seinem 1978 erschienen Buch "Cambodge - année zéro" über die Massenmorde in Kambodscha schreibt, wird von westlichen Linken wie Noam Chomsky diskreditiert. Der belgische Menschenrechtsexperte François Rigaux meint, das Pol-Pot-Regime habe für die Menschenrechte in Kambodscha mehr unternommen als die westliche Welt. Fairerweise muss man diesen Kritikern zugestehen, dass der Westen für die Menschenrechte in Kambodscha so gut wie nichts unternommen hat.
"Entmachtung"
Am 25. Dezember 1978 marschieren die Truppen des wiedervereinigten Vietnam mit dem Ziel in Kambodscha ein, das Pol-Pot-Regime zu stürzen und eine pro-vietnamesische Regierung zu installieren. Dies geschieht schon am 8. Januar 1979, indem die "Einheitsfront für nationale Rettung" das Pol-Pot-Regime stürzt und als neuen Regierungschef Heng Samrin einsetzt, der drei Tage später die "Volksrepublik Kampuchea" ausruft. Pol Pot zieht sich in den Untergrund und Norodom Sihanouk neuerlich ins chinesische Exil zurück.
Die darauf folgende Guerilla-Taktik der Roten Khmer sowie die ständige Lebensmittelknappheit führen zur Massenflucht von Kambodschanern nach Thailand. Als Pol Pot im Juni 1982 mit seinen Roten Khmer und zwei nicht-kommunistischen Gruppen - der "Nationalen Front für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha" (FUNCINPEC) von Norodom Sihanouk, sowie der antikommunistischen "Khmer People's National Liberation Front" des früheren Premierministers Son Sann - wieder unter der Leitung von Sihanouk, im malayischen Kuala Lumpur eine Exilregierung bildet, wird diese von der UNO anerkannt.
Im September 1989 ziehen sich die vietnamesischen Truppen aus Kambodscha zurück, Heng Samrin bleibt jedoch weiter an der Macht. Allerdings wird die Verfassung Kamboschas geändert, der Staat neuerlich umbenannt, diesmal in "Staat Kambodscha", der Buddhismus wird zur Staatsreligion erklärt. Norodom Sihanouk kehrt 1990 nach Phnom Penh zurück, die Regierung Samrin wird durch die Aktionen der Widerstandsgruppen weiter geschwächt. Am 24. Juni 1991 unterzeichnen schließlich alle kambodschanischen Bürgerkriegsparteien einschließlich der Roten Khmer einen unter UNO-Vermittlung ausgehandelten Waffenstillstand. Vorsitzender der Übergangsregierung, des "Obersten Nationalrats" wird Norodom Sihanouk.
1992 weigern sich die Roten Khmer allerdings, sich diesem Pariser Friedensabkommen entsprechend unter UNO-Aufsicht entwaffnen zu lassen. Der Bürgerkrieg flammt wieder auf. Wirtschaftssanktionen gegen die von den Roten Khmer kontrollierten Gebiete werden verhängt und Thailand schließt die Grenzen zu diesen Regionen.
Als im September 1993 unter Aufsicht der UNO die ersten freien Wahlen seit 20 Jahren abgehalten werden, werden diese von den Roten Khmer boykottiert. Wohl zählen die Roten Khmer noch an die 10.000 Kämpfer, bilden sie nach ihrem offiziellen Verbot im Juli 1994 eine Gegenregierung in der Provinz Preah Vihear und verschleppen bis 1995 tausende von Zivilisten in ihre Konzentrationslager im unwegsamen Dschungel an der Grenze zu Thailand - gleichzeitig kommt es aber auch zu einem inneren Zerfall der Roten Khmer. Großzügige Angebote der Regierung ermöglichen es vielen Angehörigen und Führern der Roten Khmer, sich der Regierung unterzuordnen und sich großteils unbehelligt ein neues Leben aufzubauen. 1997 wird Pol Pot von den Roten Khmer, jetzt unter der Führung von Oung Choeun alias Ta Mok, dem wegen seiner Brutalität berüchtigten "Schlächter" bzw. vormaligen Chef der Südwestzone des "Demokratischen Kampuchea" aus seiner Führungsposition als "Bruder Nr.1" verdrängt und als Verräter zu lebenslanger Haft verurteilt. Anfang März 1998 humpelt auch der einbeinige ehemalige buddhistische Mönch in Begleitung vier seiner Getreuen über die Grenze zu Thailand um sich den den Behörden zu stellen. Seine Parteisäuberungen kosteten Zehntausenden das Leben. Er ist gemeinsam mit dem unter dem Pseudonym Dëuch bekannten Kang Kek Leu (Kaing Kien Iev), dem ehemaligen Leiter des Folterzentrums von Tuol Sleng, der bislang einzige Rote Khmer, der im Gefängnis einsitzt.
Pol Pot selbst stirbt am 15. April 1998 unter ungeklärten Umständen in Anlong Veng im Norden Kambodschas. Farbfotos zum Beweis für seinen Tod werden vorgelegt.
Am 25. Dezember 1998, genau 19 Jahre nach dem Einmarsch der Vietnamesen, stellen sich mit Ex-Staatschef Khieu Samphan und Chefideologe Nuon Chea, zwei der letzten hochrangigen Führer der Roten Khmer, nach Pol Pot bzw. dessen Nachfolger Ta Mok die "Brüder Nummer Zwei und Drei", den kambodschanischen Behörden und entschuldigen sich für die von ihnen begangenen Verbrechen. Am 6. Dezember 1998 kapitulieren die nach offizieller Lesart letzten Kampfverbände. Dabei wird auf dem Gelände des Tempels von Preah Vihear eine Übereinkunft zwischen Regierung und Roten Khmer ausgehandelt, ein Kontingent von 500 Khmer-Kämpfern samt Offizieren in die Nationalarmee zu übernehmen.
Gegenwart
Die Roten Khmer sind nach Angaben von Beobachtern immer noch im Untergrund von Kambodscha aktiv, stellen für den bestehenden Staat jedoch keine unmittelbare Gefahr mehr dar.
Ein Prozess gegen die Hauptverantwortlichen der Greueltaten soll in Kürze nach dem Vorbild der internationalen Gerichtshöfe in Den Haag und Arusha stattfinden - nachdem im August 1979 in Phnom Penh ein "Volkstribunal" der provietnamesichen Regierung unter Berufung auf das Londoner Statut von 1945 Pol Pot und seinen Vizepremier und Außenminister Ieng Sary aufgrund ihrer "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" schon verurteilt hatte. Hier allerdings reagierte die westliche Welt unter der Führung der USA noch anders: Mit diesem "Schauprozeß" und "Propaganda-Theater" hätten die kambodschanischen Kommunisten von der militärischen Intervention Vietnams ablenken wollen. Wie so oft: Möglicherweise ist auch an diesen Aussagen ein Körnchen Wahrheit zu finden.
Der Prozess wird allerdings nur für Angehörige der obersten Führungsriege angestrebt, da zu viele Politiker des heutigen Kambodscha, wie der derzeitige Ministerpräsident Hun Sen auf eine rote Vergangenheit blicken. Einige ehemalige Rote Khmer sind zum Christentum übergetreten, da sie sich hier mehr Vergebung erhoffen, so auch der vormalige Kommandant des Konzentrationslagers Tuol Sleng in Phnom Penh, Der Einzige, der bislang öffentlich Reue zeigte, ist Dëuch.
Einige noch lebende Führungskader der Roten Khmer führen als nette ältere Herren ein zurückgezogenes Leben in Pailin und haben von nichts gewusst. Khieu Samphan hat seine Memoiren mit der Absicht veröffentlicht, das kambodschanische Volk davon zu überzeugen, dass er an den Massakern nicht beteiligt gewesen sei, das Land als Staatspräsident nur nach außen hin vertreten und erst vor kurzem die Wahrheit über die Greueltaten während des Regimes seiner Mitstreiter erfahren habe. Im Falle einer Anklage wolle er sich von dem französischen Anwalt Jacques Vergès vertreten lassen, den er aus seiner Studentenzeit in Paris noch kenne und der auch die Verteidigung u.a. von Klaus Barbie und Carlos übernommen hatte.
Viele Kambodschaner sind allerdings vollauf mit ihrem täglichen Überlebenskampf beschäftigt. Die Stabilität des Landes will zudem niemand gefährdet sehen. So stehen die Chancen für Männer wie Khieu Samphan und Nuon Chea nicht schlecht, ihr Leben "unbescholten" beenden zu können, zumal auch die Geldmittel für das Tribunal von derzeit geschätzten 49 Mio US-Dollar noch nicht gesichert sein dürften.
Literatur
- Kiernan, Ben: The Pol Pot regime: race, power and genocide in Cambodia under the Khmer Rouge, 1975-79. Yale University Press, New Haven and London. Silkworm Books, Chiang Mai, Thailand 1997. ISBN 9747100436
- Ariane Barth, Tiziano Terzani, Anke Rashatusavan, Holocaust in Kambodscha, Rowohlt TB-V., Rnb. November 1982, ISBN 3499330032
Filme
Siehe auch
- Killing Fields (auch mit mehr Informationen zum Thema Rote Khmer)
- Tuol-Sleng-Museum
- Khmer