Stasi 2.0
Der Begriff Stasi 2.0 ist ein politisches Schlagwort, das sich zunächst im Internet entwickelte. Die mit diesem Schlagwort verbundene politische Protestkampagne kritisiert verschiedene innenpolitische Vorhaben der deutschen Regierung, darunter insbesondere die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgeschlagenen Onlinedurchsuchungen von privaten Computern oder die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Die Wortwahl „Stasi 2.0“ spielt dabei sowohl auf die totalitäre staatliche Überwachungspolitik der ehemaligen DDR durch das Ministerium für Staatssicherheit ("Stasi") als auch auf den Begriff des „Web 2.0“ an, der für die neuesten Fortschritte der Internet-Technologie steht.
Begriffsgeschichte
Stasi 2.0 ist ein netzkultureller Begriff, der gegen die Bedrohung digitaler Bürgerrechte gerichtet ist. Stasi 2.0 dient dabei als Protest-Tagging, um die „Opposition gegen die umfassende Datenspeicherung“ fortzuführen. Im Mittelpunkt des Protestes stehen die innenpolitischen Forderungen des Innenministers Wolfgang Schäuble. Als Logo dieser Protestbewegung dient die sogenannte „Schäuble-Schablone“[1], kurz Schäublone genannt. Über den Begriff wurde auch in konventionellen Massenmedien wie der Tagesschau[2] und in einer Beilage der Süddeutschen Zeitung[3] berichtet.
Protest gegen die Sicherheitspolitik des Innenministeriums

Der Begriff bezieht sich vor allem auf die vom deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seinem Vorgänger Otto Schily (SPD) vertretene Sicherheitspolitik – insbesondere auf die diskutierten und teilweise bereits praktizierten Überwachungsmaßnahmen Onlinedurchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung, aber auch auf nicht technisch bedingte Maßnahmen wie zum Beispiel die bereits zuvor von der Staatssicherheit der DDR bekannte Sammlung von Körpergeruchsproben und dem Unterbindungsgewahrsam von Globalisierungskritikern vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm.[4]
Unter dem Motto „Stasi 2.0“ und der Verwendung der Schäublone als Wiedererkennungsmerkmal finden häufig verschiedene Protestaktionen gegen die genannte Sicherheitspolitik statt. Kurz nachdem der Begriff entstanden war, äußerten sich beispielsweise Aktivisten vor dem Berliner Reichstagsgebäude im Rahmen einer Kunstaktion unter dem Motto Stasi 2.0 – Der Staat weiß jetzt alles[5] besorgt, während das Kabinett des Bundestages am 18. April 2007 den Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung beschloss. Mittels großformatiger Schilder wurden dabei symbolisch sensible Informationen der Bürger preisgegeben und auf mögliche Folgen der Vorratsdatenspeicherung aufmerksam gemacht.[6]
Bei einer weiteren Aktion wurde auf der Internationalen Funkausstellung Berlin 2007 von Aktivisten des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und dem Chaos Computer Club ein spontanes Go-in über dem Stand der Telekom durchgeführt, wobei neben der Schäublone verschiedene Transparente gehisst wurden.[7]
Im Mai 2007 wurde das Schlagwort bei den Landtagswahlen in Bremen während eines Besuchs von Wolfgang Schäuble massiv auf Wahlplakaten, Protestaktionen und Informationsmaterial eingesetzt[8].

Besonders laut wurde der Protest gegen die Sicherheitspolitik des Innenministeriums unter massiver Präsenz verschiedenster Stasi 2.0-Kampagnen auf der Demonstration "Freiheit statt Angst" am 22. September 2007 in Berlin.[9] Nach Angaben sowohl des Veranstalters als auch der Polizei versammelten sich etwa 15.000 Menschen[10], wodurch die Veranstaltung laut dem Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert zur größten Protestaktion für Bürgerrechte und Datenschutz seit dem Volkszählungsboykott von 1987 wurde.[11] Unterstützt wurde die Demonstration von insgesamt von über 50 Organisationen, darunter Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP, Piratenpartei, Freie Ärzteschaft, LSVD und ver.di.
Symbol der Protestbewegung
Ein von dem Weblog dataloo veröffentlichtes Motiv [12] in Form einer Sprühschablone mit dem Begriff Stasi 2.0 und dem Konterfei von Wolfgang Schäuble entwickelte sich unter dem Namen „Schäublone“ zum Symbol und Logo der Protestbewegung. Mittlerweile existiert auch ein entsprechendes als „Platterone“ bezeichnetes Motiv mit dem Innenminister Österreichs Günther Platter. Außerdem wurden 19 weitere Politikerportraits sowie eine spezielle Schrifttype veröffentlicht.[13]
Das Logo wird bei Demonstrationen gegen staatliche Überwachungsmaßnahmen eingesetzt, wie beispielsweise bei den politischen Kunstaktionen des Chaos Computer Club[14] einem Aktionstag anlässlich des Besuches von Herrn Schäuble in Bremen[15] oder anlässlich einer Protestaktion auf der Internationalen Funkausstellung Berlin 2007 vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung[16]. Das Motiv findet zunehmende Verbreitung als gesprühte Schablonenkunst (Stencil) oder Aufkleber im öffentlichen Raum zahlreicher Städte (Streetart).[17] und existiert dort auch in mehreren weiterentwickelten Varianten[18].
Trotz Bedenken seiner Rechtsabteilung gegen das Motiv übernahm der Leipziger Onlineservice Spreadshirt nach zuvoriger Ablehnung doch die Produktion und den Versand von T-Shirts mit dem Motiv der „Schäublone“. Spreadshirt-Gründer und CEO Lukasz Gadowski setzte sich nachhaltig für den Druck ein: Ich respektiere Schäuble und habe Verständnis für die sensible Sicherheitslage. Aber mit Satire müssen Politiker einfach rechnen.[19] Der Versand spendete bis Ende Juni 2007 pro verkauftem Shirt fünf Euro an den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung wobei insgesamt über 11.000 Euro zusammenkamen.[20]
Ende August wurde ein Informatik-Student, der das Motiv sichtbar auf seinem Auto mit sich führte, von der Polizei wegen anfänglichem Verdacht auf Beleidigung angezeigt, das Bild beschlagnahmt und der Fall an die Münchner Staatsanwaltschaft weitergeleitet.[21]
Kritik
Kritiker betrachten die Bezeichnung als unangemessene Überspitzung und unzulässige Verharmlosung des Ursprungsbegriffs „Stasi“, auch im Hinblick auf deren Opfer.
Andere Kritiker sehen die Kritik zu sehr auf Politiker fixiert. Dabei würde die der Politik zugrunde liegende Kontrollmentalität in der Gesellschaft nicht berücksichtigt werden. Demnach gebe es nicht nur die Interessen des Staates nach Kontrolle, sondern auch eine „Blockwart“-Mentalität innerhalb der Gesellschaft.[22] Geraten wird, die Gründe für diese Mentalität näher zu analysieren: „Wer in der Zeitung über seine Nachbarn lesen will, was sie für sexuelle Gepflogenheiten haben oder wie gemeinschaftsfeindlich sie sich der unkorrekten Mülltrennung schuldig machen, der hat wenig Skrupel, was einen starken, schützenden Staat angeht.“ [22] Zu einer kritischen Betrachtung gehöre auch die Frage, welche Maßnahmen besonders wenig Beachtung in der Gesellschaft erfahren, zum Beispiel bei der geräuschlosen „Erweiterung des kleinen Bundesgrenzschutzes zur riesigen Bundespolizei“. Angesprochen wird dabei die Mentalität in der Gesellschaft gegenüber „Fremden“ und „Minderheiten“ wie Einwanderern.[22]
Des Weiteren drohe die Verharmlosung verfassungsfeindlicher Ideologien, wie politischen und religiösen Extremismen, die sich selbst als „Opfer“ der Verfassungsschutzes darstellten und sich so das Image unterdrückter „Widerstandskämpfer“ gäben.
Weblinks
- stasizwopunktnull.de
- stasi 2.0 – Rubrik bei Telepolis
- Stasi 2.0. – Artikel bei Die Zeit-ZUENDER
- Stasi 2.0: Widerstand mit Schäublone gegen den Bundesinnenminister – Artikel bei jetzt.de, 26. April 2007
- Kreative Überwachungsgegner im Netz – Artikel bei tagesschau.de
- Stasi-2.0-Flugblatt
Quellen
- ↑ re:publica: Vom Kalklagern zum Sprengen, heise online 13.4.07
- ↑ Kreative Überwachungsgegner im Netz, Tageschau.de Fiete Stegers v. 3. Juli 2007 [1]
- ↑ http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/378419
- ↑ Florian Rötzer: Schäuble und die Schnüffelpolizei, heise online, 23.05.2007 [2]
- ↑ Bericht und Pressemitteilung der Kunstaktion „Stasi 2.0 – Der Staat weiß jetzt alles“
- ↑ Filmbeitrag der Märkischen Allgemeinen
- ↑ Anti-Schäuble Aktion auf der IFA netzpolitik.org
- ↑ Stasi 2.0 trifft Wahlkampf-Schäuble in Bremen netzpolitik.org
- ↑ Überwachter, am überwachtesten Jungle World
- ↑ AK Vorrat: Größte Demonstration für Demokratie und Bürgerrechte seit 20 Jahren
- ↑ Tausende demonstrieren gegen Überwachung tagesschau.de
- ↑ „Schäublone“, Originalmotiv auf dataloo.de
- ↑ agitprop-font
- ↑ STASI 2.0 Aktion am Brill
- ↑ Aktionstag anlässlich des Besuches von Bundesinnenminister W. Schäuble in Bremen
- ↑ Anti-Schäuble Aktion auf der IFA
- ↑ Stasi 2.0 – Schäuble-Portrait in der Streetart
- ↑ Verschiedene Stasi 2.0-Stencils
- ↑ Vorwahl der anderen – Spreadshirt spendet Datenschützern
- ↑ Stasi 2.0-Shirt-Spendenaktion bringt über 11.000 Euro netzpolitik.org
- ↑ Schäublone auf dem Auto - Thomas im Visier der bayerischen Polizei
- ↑ a b c http://jungle-world.com/seiten/2007/36/10552.php