Asexualität
Asexualität bezeichnet allgemein ein Fehlen bzw. Freisein von Sexualität, d.h. etwa an sexuellen Anlagen, Impulsen, Orientierungen, Werthaltungen oder Zuschreibungen.
Bedeutungsfeld des Begriffs
Da unter "Sexualität" meist ein biologischer Zusammenhang gemeint ist, bedeutet "Asexualität" in bisherigen lexikalen Zusammenhängen zuallererst ein Fehlen sexueller Anlagen (Deformation oder Veränderung bestimmter Gene, Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale, etc.). So werden ungeschlechtliche Tiere, Organismen oder Pflanzen als "asexuell" bezeichnet. Aber „Asexualität“ kann im Sinn des Fehlens der Libido oder der Geschlechtsdrüsen gebraucht werden, womit die allgemeine Bedeutung auf funktionelle Elemente (z.B. Steuerung des Hormonhaushalts) erweitert wird.
"Sexualität" bezeichnet allerdings ebenso die genuin psychischen, sozialen und kulturellen Aspekte im Umgang von Geschlechtern miteinander bzw. ohne einander, so dass bei Ausklammerung der Tier- und Pflanzenwelt unter "Asexualität" ein Fehlen bzw. Freisein von oder ein Mangel an geschlechtlichen Beziehungen von einzelnen Menschen oder Gruppen von Menschen verstanden werden kann.
Klar abzutrennen vom Begriff der Asexualität ist die Thematik der Menschen ohne Beziehungserfahrung, denn bei letzteren ist der Verzicht auf Sexualität nicht freiwillig und damit oft mit großem Leidensdruck verbunden.
Asexualität bei Menschen
Es gibt bisher noch keine offizielle oder wissenschaftliche Definition von Asexualität speziell für den Menschen, aber im Grunde kann als „asexueller Mensch“ z.B. ein Mensch verstanden werden, der − unabhängig von seinem Geschlecht − kein Bedürfnis nach sexueller Interaktion mit einer anderen Person hat („sexuelle Lustlosigkeit“). Die Kurzdefinition eines asexuellen Menschen der Official Asexual Society in den Niederlanden lautet: „Geboren ohne sexuelle Gefühle“ („Born without sexual feelings“)[1].
Die Internet-Plattform Asexual Visibility and Education Network (AVEN)[2] beschreibt etwa vier verschiedene Typen der Asexualität bei Menschen:
- Typ A
- Personen, die einen sexuellen Trieb verspüren, sich aber sexuell nicht von anderen Personen angezogen fühlen. Diese Personen haben eine Art biochemisches Bewusstsein von Sex, praktizieren vielleicht auch Masturbation, würden aber nie mit einer Person sexuell interagieren.
- Typ B
- Personen, die sich von anderen angezogen fühlen, aber keinen Sexualtrieb verspüren. Sie haben tiefe emotionale Verbindungen zu anderen, sie lieben vielleicht auch eine andere Person – aber ohne jedes Bedürfnis, mit ihrem oder ihrer Geliebten sexuell zu interagieren. Das heißt nicht, dass es in ihren Partnerschaften nicht Zärtlichkeit und Körperlichkeit gibt, nur eben keinen Sex.
- Typ C
- Personen, die sowohl sexuelle Triebe verspüren als auch die emotionale Anziehungskraft anderer Personen, die jedoch trotzdem nicht sexuell interagieren. Sie masturbieren im Zweifelsfall und lieben eine andere Person. Aber sexuelle Interaktion mit ihrem oder ihrer Geliebten und die „reine“ Liebe zu dieser Person sind für sie etwas völlig verschiedenes, das nicht zusammengehört.
- Typ D
- Personen, die weder einen sexuellen Trieb verspüren noch die emotionale Anziehungskraft anderer Personen. Das heißt jedoch nicht, dass diese Personen keine engen und emotionalen Freundschaften kennen oder haben, aber sie verspüren keinen Reiz an Liebe oder sexueller Interaktion.
- Typ E
- Personen, die in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht wurden und/oder als intersexuelle Menschen bereits im Kindesalter genitalangleichenden Operationen (z.B. Anlage von Neovaginen zur Geschlechtlichen Vereindeutigung) unterzogen wurden, und deren Recht auf körperliche Unversehrtheit damit verletzt wurde. Intersexualität
Problematik der Kategorisierung
Diese Kategorien sind jedoch nicht als umfassende Definitionen zu verstehen, sondern eher als eine Spannweite der Erfahrungen von Menschen, die sich selbst als asexuell bezeichnen. Sie werden auch nicht durchgehend als brauchbare Klassifizierung angesehen, da sich Menschen, die sich in mehrere oder auch keine dieser Kategorien einordnen würden, selbstverständlich trotzdem als asexuell sehen können. Umgekehrt können sich selbstverständlich auch Menschen, die sich selbst in die Kategorien A bis C einordnen, als nicht asexuell sehen, weil sie beispielsweise Masturbation als Sexualität mit sich selbst verstehen und erleben oder Fetischismus als Sexualität mit einem unbelebten Gegenstand, usw.
Verbreitung
Die Anzahl von Asexuellen in der Gesellschaft ist unbekannt, da zu diesem Thema bisher noch keine statistischen Erhebungen durchgeführt wurden. In einer englischen Studie von 1994, in der 18.000 Briten nach ihren sexuellen Praktiken befragt worden waren, kreuzte 1 % der Befragten die Option „Ich habe mich noch nie von jemandem sexuell angezogen gefühlt“ als für sie zutreffend an. Eine andere Studie aus den USA aus dem gleichen Jahr, durchgeführt von „The social organization of sexuality: sexual practices in the United States“, fragte zwar nicht gezielt nach Asexualität, zeigte aber auf, dass 13 % der 3500 Befragten nach ihren Angaben seit einem Jahr keinen Sex hatten und 2 % überhaupt noch nie in ihrem Leben. Wie viele von diesen Befragten allerdings unfreiwillig auf Sex verzichten mussten, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen oder aus mangelnder Gelegenheit, bleibt unklar.
Nicht menschliche Asexualität
Auch bei anderen Arten kommt „Asexualität“ vor.
Ungeschlechtliche Fortpflanzung
Viele, vor allem niedere, Tier- und Pflanzenarten sowie Prokaryoten kennen keine Geschlechter im üblichen Sinne. Sie vermehren sich durch Zellteilung, Knospung oder Bildung von Ablegern. Manche Arten bestehen nur aus Weibchen, die sich ohne Zutun von Männchen fortpflanzen können (Parthogenese). Es gibt auch Arten, bei denen sich geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung abwechseln (z. B. Blattläuse).
Sterile Individuen
Bei manchen Arten kommen sterile Individuen vor. So sind bei vielen Ameisenarten die Arbeiterinnen unfähig, Eier zu legen.
Siehe auch
- Hypogonadismus, Agonadismus, Infantilismus
- Impotenz, Unfruchtbarkeit, Sexualangst, Frigidität
- Sexuelle Selbstbestimmung
- Ungeschlechtliche Fortpflanzung
Literatur
- Bogaert, Anthony F. (August 2004). Asexuality: prevalence and associated factors in a national probability sample. Journal of Sex Research
- Prause, N., Graham C.A. Asexuality: a Preliminary Investigation (Powerpoint)
Weblinks
- Deutschsprachiges Asexuellen-Wiki (Asex-Wiki)
- Professor Volkmar Sigusch über Asexualität. Der Standard (Wien), 19./20. November 2005 [http://derstandard.at/druck/?id=2248351
- Official Asexual Society (englisch)
- "Feature: Glad to be asexual", New Scientist, 14. Oktober 2004 (englisch)
- "Keine Lust auf Liebe", Die Welt, 21. November 2004
- "Kein Sex und Spaß dabei", Telepolis, 16. Oktober 2004
- "Sex? Ohne uns!", ZEIT Wissen, März 2005
Quellen und Anmerkungen
- ↑ Kurzdefinition der niederländischen „Official Asexual Society“: „Geboren ohne sexuelle Gefühle“ („Born without sexual feelings“) – Stand 2006 bei archive.org
- ↑ „Asexual Visibility and Education Network“ (AVEN): „Überblick über Asexualität“ (deutsch, 4. August 2005)