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Mimir

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Odin findet Mimirs enthaupteten Körper

Mimir ("Der, der sich erinnert") ist ein Wesen der germanischen Mythologie. Er scheint eine uralte Naturgottheit der Germanen zu sein und steht mit Wissen, Weisheit und Wasser in Zusammenhang (unergründliche Tiefe des Wassers - die Urtiefe). Je nach Quelle wird er in der nordischen Mythologie entweder zu den Asen oder den Riesen gezählt, meist jedoch wird er als Riese angesehen. Mimir hütet dort den Brunnen der Weisheit und gilt selbst als weise. Der oberste Gott Odin erlangt durch ihn seine Weisheit und fragt ihn immer wieder um Rat.

Ein ähnliches Verhältnis gab es bei den Griechen (Bythos, der Urvater in der Tiefe und Zeus meilichios) und bei den Babyloniern, "wie wieder die Babylonier den Ea, Gott der Tiefe und des unergründlichen Wassers als Gott der wahren Weisheit dachten, und die Germanen den Tiefen- und Weisheitsgott Mimir genau genommen über dem Walvater [Odin, d. Verf.] sich dachten."[1]

Etymologie

Über die Bedeutung von 'Mimir' ist viel gerätselt worden. Mimir heißt wohl "Der, der sich erinnert".

Zugrunde liegt demnach meima, maim, mimum, das verwandt sei mit lat. memor[2] "eingedenk, sich erinnernd". Ähnlich die Auffassung, Mimir sei verwandt mit lat. reminiscere "sich erinnern" und griech. mimneskein und bedeute "Der mit Gedächtnis Begabte".[3]

Eine andere Ansicht bezieht Mimir auf die Wurzel mîm "messen" (ags. màmrian = grübeln, niederdt. mîmieren, niederländ. mymeren, norweg. meima = "abmessen"): "Mimi wäre etwa der die Entscheidung bestimmende, weise Wassergeist." [4] Diese Deutung könnte damit zusammenhängen, dass manche im Paar Odin und Mimir Sonne und Mond sehen.[5] Das Wort 'Mond' wurde oft als "Zeitmesser" gedeutet; es bedeutet aber "Wanderer".[6]

Verbreitung

Mimir ist eine Figur der nordgermanischen Mytholgie (Edda), aber auch eine der südgermanischen, wie mittelbar erschlossen werden konnte. Drei überlieferte althochdeutesche Frauennamen (Mîmâ, Mîmidrût, Mîmihilt) und verschiedene Ortsnamen in Deutschland belegen das. Als Beispiele seien genannt, die alten Namen von

a) Münster in Westfalen [PLZ D-48000] (820 'Mîmigernaford'; 890 'Mimigerneford'; 'ford' = Furt),

b) Minden in Westfalen [PLZ D-32300] (798 'Mimithum'; 852 'Mimida'; 961 'Mimidun'),

c) Memleben an der Unstrut [PLZ D-06642] ('Mîmileba'),

d) der Fluss Mümling im Odenwald, der im Ort Beerfelden [PLZ D-64743] entspringt (741 'Mimi(li)ngû'; 798 'Mimelinga'; 1821 'Mimling') und

e) Memborn, heute Meinborn bei Anhausen [PLZ D-56584] ('Mimibrunno').[7]

Mimirs Brunnen - Der Brunnen der Weisheit

Mimir ist der Hüter des Brunnens der Weisheit (Mimirs Brunnen). Der Brunnen liegt unter den Wurzeln des germanischen Weltenbaums Yggdrasil. "Der Eigner des Brunnens heißt Mimir, und ist voller Weisheit, weil er täglich von dem Brunnen aus dem Gjallarhorn trinkt." (Edda: Gylfaginning, Strophe 15)

Gjallarhorn heißt "das laut tönende Horn" und gilt in der Edda ansonsten als das Horn Heimdallrs.

Odin gewann seine Weisheit, weil er aus dem Brunnen des Mimir trank. Allerdings musste er dafür ein Auge als Pfand opfern. Seitdem war Odin einäugig.

"Der germanische Mythos hat (...) herausgefunden, daß alle wahre Besinnung und Weisheit von den Göttern (Gott) stammt und immer der Mensch, der weise sein will, zu den Göttern zurück muß (...), auf den Weg des Mimir."[8] Etwas weniger hufedonnernd: Wer etwas wirklich haben will, muss auch ein Opfer bringen. Weniger ist oft mehr. Tiefe Einsicht gewinnt man nicht mit dem Kopf allein (Auge = sehen = erkennen = geistiges Erfassen).

Kurz vor der Endschlacht Ragnarök ist aller Rat teuer. "Odin murmelt mit Mimirs Haupt." (Edda: Völuspa, Strophe 46 = Simrock 47) An andrer Stelle heißt es in der Edda:


Nirgend haftet Sonne noch Erde,

Es schwanken und stürzen die Ströme der Luft.

In Mimirs klarer Quelle versiegt die Weisheit der Männer.

Wißt ihr, was das bedeutet?"

(Hrafnagaldr Odins, Strophe 5)


Mimirs Haupt

Aus späterer Zeit überliefern die Isländischen Sagas: Mimir und Hoenir werden nach dem Wanenkrieg von den Asen als Geisel gestellt. Über Hoenir sagen sie, er tauge als Anführer. Die Wanen bemerken aber bald, dass Hoenir von Mimirs Rat abhängig ist. Sie köpfen deshalb den Weisen und schicken sein Haupt den Asen zurück. Odin konserviert den Kopf daraufhin mit Zaubersprüchen und Kräutern, um von ihm fürderhin Weissagungen und Botschaften aus der anderen Welt zu erhalten.

Dass Odin mit Mimirs Haupt sprach und um Rat ersuchte, ergibt sich aber auch aus der Edda (Lieder-Edda: Sigrdrifumal, Strophe 14 und Prosa-Edda: Gylfaginning, Strophe 51). Demnach stammt somit zumindest auch der Mythos eines Hauptes Mimirs aus älterer Zeit.

Die Interpretation sowie der Zusammenhang beider Erzählungen (Odin gibt sein Auge als Pfand und der sprechende Kopf Mimirs) war lange umstritten. So ging u. a. Jan de Vries davon aus, dass es sich um zwei separate Mythen handle. Neuere Ansätze dagegen verweisen auf die keltische Mythologie, in der häufig weissagende Köpfe in Quell- oder Wasserheiligtümern erwähnt werden. Aber nicht nur der keltischen. „Auch ein abgeschlagenes Haupt, einen Schädel kann man durch Zauber zwingen, Zukünftiges zu sagen, das ist nordischer, wie antiker und jüdischer Glaube. Als deutlicher Beleg mag hier an das Haupt Mimirs erinnert werden."[9]

Mimirs Baum: Mimameidr - Der Baum der Fruchtbarkeit

In der Edda wird auch von einem Baum des Mimir berichtet (Edda: Fiölsvinsmal, Strophen 19-24): Mimameidr. Der Baum galt als "weltkundig", damit ist vielleicht der Bezug zum weisen Mimir gemeint oder ein Weisesein des Baumes selbst. Er breitete seine Zweige über alle Länder aus. Die Menschen wussten nicht aus welcher Wurzel er erwächst. Weder Schwert/Stahl noch Feuer konnten ihm etwas anhaben. In seiner Krone war der Hahn Widofnir, ("Windweber", sofern man Windofnir liest[10]), der golden und zugleich aber schwarz war und den Menschen Beschwerden schaffte.

Die Baumfrüchte helfen den Menschenfrauen, schwanger zu werden und er werde somit zu ihrem Lebensbaum. Darin wird laut Edda seine eigentliche Aufgabe gesehen.

Der Baum wird gemeinhin mit dem germanischen Weltenbaum Yggdrasil gleichgesetzt, obwohl es sich durchaus nicht um denselben Baum handeln muss.

Vielleicht ist selbst die Übersetzung von Mimameidr als "Baum des Mimir" nicht richtig. „Mîmameidr setzt Mîmi (gen. Mîma) voraus und kann von Mîmir unterschieden sein.“[11] 'Mimi' wäre demnach möglicherweise ein eigener Name und von 'Mimir' zu unterscheiden. Vergleiche die schon unter Verbreitung erwähnten drei althochdeutschen Frauennamen, Mimi-drut, Mimi-hilt, Mima. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass es folgenden hessischen Kinderabzählreim noch heute geben soll:


Mi-ma-mei-de, steht auf der Hei-de,

hat ein grü-nes Röck-lein an,

sit-zen drei-e Jung-fern dran.[12]


Die Namensgleichheit zwischen Mimameidr und Mimameide fällt auf. Die drei Jungfern entsprächen den drei Nornen, die am Brunnen der Urd unter Yggdrasil in der Edda genannt sind.

Mime, der Schmied

In der Thidrekssaga kommt ein Zwergenschmied Mime (norwegische Form des altnordischen Mimir) vor, der Siegfried und Wieland zu Lehrlingen hat. Hier wird das Schwert 'Mimung' geschmiedet. Dieser Schmied Mime gilt als eine Entsprechung des Mimir, siehe auch Wieland der Schmied.

Schmiede galten auch im deutschen Aberglauben als wissend, als zauber- und heilkundig. "Die Metallschwerter, anfänglich wohl wegen des hohen Wertes nur im Besitz weniger, galten wegen ihrer Überlegenheit über die vorausgehenden Steinäxte als mit geheimen Kräften begabt; daher erscheinen als ihre Erzeuger Götter und Götterwesen, und die Schmiedekunst ist Zauber."[13]

In Richard Wagners Siegfried-Oper ist er in derselben Funktion Bruder des Zwergenkönigs Alberich.

Saxo Grammaticus berichtet in seiner Gesta Danorum vom dänischen 'Mimingus' (silvarum satyrus), der ein Schwert und Geschmeide besitze.[14]

Vergleichbare Mythen anderer europäischer Völker

Ausgehend von der sprachlichen Wurzel vermutet Jacob Grimm eine Vergleichbarkeit zwischen Mimir und dem griechischen Mimas, einem Giganten der griechischen Mythologie, Sohn der Erdmutter Gaia, Feind des obersten Gottes Zeus, der von Herkules getötet wird.[15]

Die germanischen Riesen entsprechen den griechischen Giganten, Odin oder der ältere oberste germanische Gott Tyr dem Zeus, der riesenbekämpfende Thor wurde von Tacitus in seiner Germania wohl mit Herkules gleichgesetzt.

Einzelnachweise

  1. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; Bd. 6, S. 747-748
  2. Grimm, Jacob; Deutsche Mythologie (3 Bd.e); Bd. 1, S. 314
  3. Döbler, Hansferdinand; Die Germanen; Gondrom Verlag; 1992; S. 143
  4. Herrmann, Paul; Deutsche Mythologie; 1898; neu aufgelegt im Aufbau Verlag; 8. Aufl.; 2007; S. 166
  5. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; Bd. 1, S. 638
  6. Duden; Das Herkunftswörterbuch; 2. Aufl.; 1989; Stichwort "Mond"
  7. Die Frauennamen und a, b, c: Grimm, Jacob; Deutsche Mythologie (3 Bd.e); Bd. 1, S. 314 /// d, e) Herrmann, Paul; Deutsche Mythologie; 1898; neu aufgelegt im Aufbau Verlag; 8. Aufl.; 2007; S. 166 /// siehe auch zu a, b: Duden Taschenbuch; Geographische Namen in Deutschland; 2. Aufl.; 1999: Hier schließt man bei Münster auf einen althochdt. Personennamen *Mimigern - der allerdings wohl auch wieder mit Mimir zusammenhängen würde. Ablehndend zu d) Grimm, Jacob; Deutsche Mythologie, Nachtrag 146; hier deutet man inzwischen Mimling = Mümmling = mummeln 'undeutlich sprechen, murmeln'
  8. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; Bd. 6, S. 731
  9. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; Bd. 9, S. 440
  10. Simrock, Karl Joseph; Die Edda; 1851; In seinen Erläuterungen zu Fiölsvinsmal
  11. Grimm, Jacob; Deutsche Mythologie (3 Bd.e); Bd. 1, S. 314
  12. Dr. Wielant Hopfner im Internet auf: http://members.fortunecity.com/nordzeit/ygdrasil.htm am 26.10.2007
  13. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; Bd. 9, S. 257-258
  14. Grimm, Jacob; Deutsche Mythologie (3 Bd.e); Bd. 1, S. 314 mit Verweis auf Seite 40 von Saxo Grammaticus' Werk
  15. Grimm, Jacob; Deutsche Mythologie (3 Bd.e); Bd. 1, S. 314