Marcel Duchamp
Marcel Duchamp (* 28. Juli 1887 in Blainville-Crevon; † 2. Oktober 1968 in Neuilly-sur-Seine), eigentlich Henri-Robert-Marcel Duchamp, war ein französischer Maler und Objektkünstler. Er ist Mitbegründer der Konzeptkunst und zählt zu den Wegbegleitern des Dadaismus und Surrealismus. Nach ihm ist der Prix Marcel Duchamp benannt.
1887 als Sohn eines Notars geboren, begann Duchamp mit 15 Jahren zu malen. Seine ersten Gemälde sind stark vom Impressionismus beeinflusst. Auch seine beiden älteren Brüder und eine seiner Schwestern widmeten sich der Kunst; sein Bruder Raymond Duchamp-Villon war ein bedeutender Bildhauer des Kubismus, Duchamps Halbbruder Gaston, unter dem Pseudonym Jacques Villon bekannt, malte, ebenso wie seine Schwester Suzanne.
Leben
1904 besuchte er ein Jahr lang die Académie Julian in Paris und widmete sich dort weiter vorwiegend der impressionistischen Malerei.
Nachdem er einige Zeit Karikaturen für mehrere Zeitschriften gezeichnet hatte, wandte er sich wie seine Brüder dem Kubismus zu und schuf unter diesem Einfluss 1912 das Gemälde "Akt, eine Treppe herabsteigend", das sich heute im Besitz des Philadelphia Museum of Art befindet und stark von Eadweard Muybridges Bildfolge "Woman walking downstairs" beeinflusst wurde. Neben Künstlern wie Francis Picabia, Albert Gleizes, Juan Gris und seinem Bruder Jacques Villon war auch Marcel Duchamp Mitglied der Section d'Or.
Ein Umdenken und radikaler Bruch mit der ihm umgebenden zeitgenössischen Kunst findet 1912 während eines einsamen längeren Aufenthalts in München statt. 1915 begann er sein Werk "Die Neuvermählte/Braut wird von ihren Junggesellen entkleidet, sogar (oder: Großes Glas)". Duchamp brachte viel Zeit mit der Konzeption dieser Arbeit zu und erwähnt sie immer wieder in seinen Notizen, ausgestellt wurde sie 1926/1927 im Brooklyn Museum. Die Skulptur besteht aus einer großen, bemalten, senkrecht stehenden zweiteiligen Glasplatte. Die Mitte bildet den Horizont. Die Braut im oberen Teil stellt sich als eine Art Maschine dar, die keine menschlichen Züge trägt - eine Weiterentwicklung des Akt, eine Treppe hinuntersteigend. Rechts von ihr befindet sich die Inschrift oder Milchstrasse. Im unteren Teil des Glases befinden sich links die Junggesellen, im Einzelnen sind dies Priester, Leichenträger, Stationsvorsteher, Schutzmann, Lakai, Kürrassier. Sie setzen durch ihr Begehren nach der Braut die Schokoladenreibe rechts daneben in Gang, ein Motiv, das Duchamp seit jeher fasziniert hatte. Das Werk funktioniert wie eine Versuchsanordnung, die Junggesellen begehren die Braut, ohne ihrer habhaft zu werden (Eros), es ist selbstreferentiell, und wirkt zunächst kryptisch. Das Glas sollte eine Vermählung von geistigen und visuellen Reaktionen hervorrufen, zugleich Darstellung und Idee sein. 1931 zerbrach das Werk beim Transport, aber Duchamp setzte es wieder zusammen und integrierte so die Spuren des Zersplitterns.
Nähere Erläuterungen zum Großen Glas und andere Ideen lieferte Duchamp in den Textfragmenten der Grünen Schachtel, die Worte sollten auch nicht bloß Kommunikation, sondern direkter Bestandteil der Kunst, wie eine Farbe (Duchamp) sein.
Seine Ansichten stellten den gängigen Kunstbegriff radikal in Frage: So kaufte sich Duchamp 1914 in einem Pariser Warenhaus einen Flaschentrockner aus Eisen und signierte ihn. Er vertrat öffentlich die Meinung, dass bereits die Auswahl dieses Gegenstandes ein künstlerisches Werk sei, was zu einem Kunstskandal führte.
Damit führte er das objet trouvé, das vorgefundene Objekt, in die Kunst ein. Für solche Objekte prägte er den Namen Ready-made (eigentlich: Konfektionsware). Das Readymade Flaschentrockner war ein massenhaft industriell erzeugter Gebrauchsgegenstand, also in den Augen der meisten ein eher wertloses Objekt, dessen Form, losgelöst von der Funktion, eine ganz eigene Charakteristik hatte, die aber zuvor - bis zu Duchamps Geste des Signierens, und der Bedeutung, die er ihm damit verlieh - sozusagen unsichtbar blieb. Duchamps Geste wird auch als die Geburt der Konzeptkunst betrachtet. Aktionen wie die Verhüllung des Reichstages von Christo stehen in dieser Tradition: Durch das Verhüllen wird etwas Gewöhnliches erst wieder wirklich sichtbar.

1967 besorgte sich Duchamp bei der New Yorker Firma J. L. Mott Iron Works, einem Händler für Sanitärbedarf, ein Urinal, ein Pissoirbecken für öffentliche Bedürfnisanstalten, gab ihm den Titel Fountain, signierte es mit dem Namen „Richard Mutt“ und reichte es unter diesem falschen Künstlernamen für die Jahresausstellung der Society of Independent Artists in New York ein. Seine Einsendung wurde heftig diskutiert, denn Duchamp verstieß mit ihr bewusst gegen alle ‚Regeln’ der traditionellen Kunst und provozierte damit die Zurückweisung seines Werkes durch die Jury der Ausstellung, der er selbst mit angehörte und aus der er nach der Zurückweisung des Werkes austrat. Das heute verlorene Objekt ist durch eine Fotografie in der zweiten Ausgabe von The Blind Man (New York, Mai 1917) authentisch überliefert [1]. Die Gruppe um Marcel Duchamp sorgte für Publizität. Fountain wurde somit "ausgestellt" – jedoch nicht im konventionellen Sinn: Fountain wurde zum Medienereignis. Vom größten Teil der Kunsthistoriker wird Marcel Duchamp daher als Erfinder des Ready-made und Kunstrevolutionär, und das Werk "Fountain" als ein zentrales Werk der Kunstgeschichte, mit dem er alle bisherigen Kunstbegriffe ironisch infrage stellte, gesehen. Außer als Provokation kann man Duchamps "Fountain" auch als Reaktion auf das zunehmende Vertrauen in die Rationalität des Menschen sehen.
1923 gab Duchamp die Malerei auf und nutzte seine Ready-mades als eine Art Gegenkunst, denn er vertrat die Ansicht, dass der Künstler jederzeit von der Gesellschaft abhängig ist und sich aufgrund deren Korruptheit nie frei entfalten könne. Das führte auch dazu, dass sich seine Bedeutung mehr am theoretischen als am künstlerischen Schaffen misst. Mit seinen Werken kritisierte er den konventionellen Geschmack und forderte die Betrachter dazu heraus, ihre bisherigen Definitionen von ‚Kunst’ zu überdenken und möglicherweise die Sinnlosigkeit der Kunst im bisherigen Sinne zu erkennen. Diese Gedanken nahmen viele Künstler nach ihm, u.a. Jasper Johns und Robert Rauschenberg, auf, weshalb Duchamp oft auch als Mitbegründer der modernen Kunst bezeichnet wird.
Im Jahr 1946 war Duchamp Mitglied der Jury des Bel Ami Kunstwettbewerbes neben Alfred H. Barr (1902 - 1981) und Sidney Janis (1896 - 1989), der für den us-amerikanischen Film The Private Affairs of Bel Ami von dessen Produzenten ausgeschrieben wurde. Die Jury wählte das Bild Die Versuchung des heiligen Antonius von Max Ernst (1891 - 1976) als Sieger des Wettbewerbs aus.
Schach
Zwischen 1928 und 1933 beschäftigte er sich hauptsächlich mit Schach. Er nahm als Mitglied der französischen Nationalmannschaft an fünf Schacholympiaden teil: 1924 in Paris, 1928 in Den Haag, 1930 in Hamburg, 1931 in Prag und 1933 in Folkestone.
Auch theoretisch befasste er sich mit dem Spiel. Zusammen mit Vitali Halberstadt (1903-1967) schrieb er das Buch L'opposition et les cases conjuguées sont réconciliées (Paris 1932, deutsche Übersetzung 2001 unter dem Titel Opposition und Schwesterfelder, ISBN 3-932170-35-0), eine Abhandlung über Bauernendspiele.
Am Schachspiel faszinierte ihn sowohl die intellektuelle Abstraktion als auch der visuelle Aspekt, der durch die Bewegungen der Schachfiguren auf dem Brett entsteht. Außerdem schätzte er das Fehlen einer gesellschaftlichen Zweckbestimmung. Schach ermöglichte es ihm, sich dem Kunstbetrieb zu entziehen.
Sein Interesse am Schachspiel schlug sich aber auch vielfach in seinem künstlerischen Schaffen nieder. Er entwarf unter anderem das Plakat für die Schachmeisterschaft von Frankreich 1925, verarbeitete seine Partieaufzeichnung gegen Savielly Tartakower in Chess Score (1965) und veranstaltete am 5. März 1968 in Toronto eine Reunion betitelte Performance zusammen mit John Cage. Dabei spielten die beiden eine Schachpartie, bei der durch Sensoren im Schachbrett Tonfolgen ausgelöst wurden.
Zitate
- Je feindseliger die Kritik, desto mehr sollte der Künstler ermutigt sein.
- Wenn wir nun die eher technische Seite einer möglichen Zukunft ins Auge fassen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass der Künstler - des Ölkults der Malerei müde - dazu bewogen sein wird, dieses 5 Jahrhunderte alte Verfahren vollständig aufzugeben, dessen akademisches Joch seine Ausdrucksfreiheit nur behindert."
- Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt.
Werke (Auswahl)
- „Portrait de Joueurs“, 1911
- „Der Übergang von der Jungfrau zur Ehefrau“, 1912
- „König und Königin, von schnellen Akten umgeben“, 1912
- „Akt, eine Treppe hinabsteigend“, 1912
- „In Advanced of the Broken Arm“, 1913
- „Fahrrad-Rad“, Ready-made, 1913
- Schokoladenreibe, 1914
- „Flaschentrockner“, Ready-made, 1914
- „Fountain“, Ready-made, 1917
- „Tu m' / Tu m'emmerdes“, das letzte Gemälde 1918
- „L.H.O.O.Q. / Elle a chaud au cul“ (eine Verfremdung der Mona Lisa), 1919
- „Anémic Cinéma“, Film in Zusammenarbeit mit Man Ray und Marc Allegret, 1926
- „Tragbares Museum“, 1938
- „Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas“, 1946–1966 (Ansicht der Installation von Innen)
- „Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas“, 1946–1966 (Ansicht der Installation von außen)
- „Gegeben sei: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas“, 1946–1966 (Blick durch das Loch in der Tür)
Literatur
Ausgaben
- Marcel Duchamp: Die Schriften. Band I. Zu Lebzeiten veröffentlichte Texte. Hrsg. von Serge Staufer. Regenbogen-Verlag, Zürich 1981
Sekundärliteratur
- Arturo Schwarz: The complete Works of Marcel Duchamp. Thames and Hudson, London 1969
- Herbert Molderings: Marcel Duchamp. Campus, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-88655-178-4 (lesenswerte Einführung in Duchamps Gedankenwelt)
- Octavio Paz: Nackte Erscheinung. Das Werk von Marcel Duchamp. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-518-38333-7
- Calvin Tomkins: Marcel Duchamp. Eine Biographie. Hanser, München 1999, ISBN 3-446-19669-2 (umfassende Biografie zu Duchamps Leben)
- Heinz Herbert Mann, Marcel Duchamp 1917. Silke Schreiber, München 1999, ISBN 3-88960-043-3 (Darstellung der Ereignisse um Fountain)
- Vlastimil Fiala: The chess career of Marcel Duchamp. Moravian Chess, Olomouc. Bd. 1: 2002, ISBN 80-7189420-6; Bd. 2: 2004, ISBN 80-7189-516-4
- Sherin Hamed: Die Unsichtbare Farbe. Der Gebrauch und die Funktion der Titel in dem frühen Werk von Marcel Duchamp. LMU-Publikationen, München 2004 (Volltext)
Weblinks
- Marcel Duchamp – Leben und Werk
- Kunst-Glossar Marcel Duchamp
- Was macht ein Werk zum Kunstwerk?
- http://www.kunstwissen.de/fach/f-kuns/o_mod/ducham1.htm
- Making Sense of Marcel Duchamp
- The Essential DADA: Marcel Duchamp
Siehe auch: Futurismus, Surrealismus, Pataphysik, Konzeptkunst, Kunstbegriff
Personendaten | |
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NAME | Duchamp, Marcel |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Maler und Objektkünstler |
GEBURTSDATUM | 28. Juli 1887 |
GEBURTSORT | Blainville-Crevon |
STERBEDATUM | 2. Oktober 1968 |
STERBEORT | Neuilly-sur-Seine |