Funkkolleg
Das Funkkolleg wurde 1966 vom Hessischen Rundfunk (hr) als neuartiges Bildungsangebot ins Leben gerufen, und zwar letztlich aufgrund eines "Hilferufs" des damaligen hessischen Kultusministers Prof. Ernst Schütte (SPD): Hessischen Lehrerinnen und Lehrern sollte eine ergänzende Qualifizierung für Sozialkunde ermöglicht werden.
"Bildung ist Bürgerrecht"
Das damals viel beachtete Unternehmen "Funkkolleg" war Teil jener vielseitigen Anstrengungen, die Anfang der 1960er-Jahre von Georg Picht diagnostizierte deutsche "Bildungskatastrophe" zu beheben - ein Schlagwort, das heute unter dem Kürzel "Pisa" wiederauferstanden ist. "Bildung ist Bürgerrecht" hatte beispielsweise 1965 Ralf Dahrendorf unter Verweis auf die seinerzeit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland extrem niedrige Abiturienten- und Studentenzahlen postuliert. Parallel zu dieser Forderung nach "Bildung für alle" kam in Hessen der Gedanke auf, bereits im Beruf befindliche Lehrer zusätzlich für das Fach Sozial- bzw. Gemeinschaftskunde auszubilden. Politische Themen sollten verstärkt in den Unterricht einbezogen werden, wofür u.a. das erstmalige Erstarken der rechtsextremen NPD einen aktuellen Anlass gab. Damals erfand der Wissenschaftsrat ebenfalls den Ausdruck "Kontaktstudium" - die Universitäten sollten angehalten werden, sich auch für bereits Berufstätige zu öffnen, sie sollten also neben der akademischen Ausbildung zusätzliche Weiterbildungsangebote entwickeln. Darüber hinaus sollte aber auch für Menschen ohne Abitur ein neuartiger Zugang zur Universität ermöglicht werden.
Der Frankfurter Universitätsrektor Prof. Dr. Walter Rüegg hatte ohnehin schon wiederholt die öffentliche Verantwortung der Universitäten betont und hielt, obwohl politisch liberal-konservativ orientiert, nichts von einem "Elfenbeinturm" der Wissenschaften - und hatte auch keine Berührungsscheu zu den Massenmedien; vielmehr hatte er schon seit 1964 mit dem Leiter der Hauptabteilung Bildung und Erziehung des hr-Hörfunks, Dr. Gerd Kadelbach, über den Gedanken „einer Art Funk-Universität“ diskutiert.
Vor diesem Hintergrund begann am 5. Mai 1966 im Hörfunk-Programm hr2 das erste „Funk-Kolleg zum Verständnis der modernen Gesellschaft“. Die Sendereihe war auf drei Jahre (sechs Semester) ausgelegt und startete mit einer Vorlesungsreihe aus den Gebieten Politikwissenschaft, Geschichte, Volkswirtschaft, Rechtswissenschaft und Soziologie. Nach dieser Einführungsphase stand jedes dieser Fächer ein Semester lang (jeweils 20x 45 Minuten) im Mittelpunkt einer Vorlesungsreihe, die immer donnerstags in hr2 übertragen wurde. Jeweils am nachfolgenden Freitag wurde zusätzlich ein Kolloquium zwischen dem Hochschullehrer und einigen seiner Mitarbeiter übertragen.
Die erfolgreiche Teilnahme an diesem Funkkolleg wurde semesterweise mit einem Zertifikat bescheinigt. Ein solches Zertifikat wurde alsbald auch anerkannt als eine von zwei „Befähigungsnachweisen“, mit denen Nicht-Abiturienten die Zulassung zu einer speziellen Prüfung eröffnet wurde, nach deren erfolgreichem Bestehen ihnen als „besonders begabten Berufstätigen“ ein Studium gestattet wurde. Die Texte der Vorlesungen erschienen mit kurzem zeitlichem Verzug (auf Initiative des Verlags) als Fischer-Taschenbücher: In den folgenden 20 Jahren wurden insgesamt 1,5 Millionen Bücher zu den diversen Funkkollegs verkauft, etliche Bände erreichten Auflagen von mehr als 100 000 Exemplaren.
Das „Quadriga“-Funkkolleg
1967 schlossen sich drei weitere Rundfunkanstalten dem hr-Projekt an: SR, SDR und SWF, das daher ab 1969 unter dem Label „Quadriga“-Funkkolleg in den Ländern Hessen, Saarland, Baden Württemberg und Rheinland Pfalz seine Teilnehmer fand. Anfangs noch eine sehr akademische Veranstaltung (aufgezeichnete Vorlesungen und Kolloquien), wurden die Hörfunksendungen in den Folgejahren immer professioneller produziert, u.a. durch den Einsatz von professionellen SprecherInnen. Gleichwohl gab es bereits 1969 im Sendegebiet 50 Volkshochschulen, die Begleitzirkel zu den Radiosendungen des Funkkollegs anboten.
Das ausgereifte Fernstudien-Konzept
Das Funkkolleg bestand von Beginn an aus diversen, frei kombinierbaren "Bausteinen", hierzu gehörten alsbald regelmäßig:
- 30 einstündige Kollegstunden im Radio als "Taktgeber" für die Lernenden
- Studienbegleitbriefe mit umfassenden Arbeitsmaterialien zu jeder der 30 Studieneinheiten, herausgegeben vom Deutschen Institut für Fernstudien (DIFF) in Tübingen
- Studienbegleitzirkel an vielen Universitäten und Volkshochschulen
- jeweils zwei Hausarbeiten und zwei Klausuren, deren erfolgreiches Bestehen mit einem Zertifikat für die Teilnahme am Funkkolleg bescheinigt wurden.
Veranstaltet wurde Funkkollegs u.a. zu den Themen:
- Erziehungswissenschaft: 1969/70, 13 500 Teilnehmer
- Mathematik:1970/71, 25 800 Teilnehmer
- Pädagogische Psychologie: 1972/73, 40 600 Teilnehmer
- Biologie: 1973/74, 20 000 Teilnehmer
- Beratung in der Erziehung: 1975/76, 50 500 Teilnehmer
- Musik:1977/78, 36 500 Teilnehmer
- Geschichte: 1979/80, 34 000 Teilnehmer
- Kunst: 1984/85, 41 400 Teilnehmer
- Jahrhundertwende: 1988/89, 18 800 Teilnehmer
- Medien und Kommunikation: 1990/91, 18 300 Teilnehmer
- Technik: 1994/95, 10 700 Teilnehmer
- Steuern: 1995/96, 10 400 Teilnehmer
- Deutschland im Umbruch: 1997/98: 10 300 Teilnehmer.
Obwohl das Funkkolleg seit den 1980er-Jahren fast im gesamten damaligen Bundesgebiet empfangen werden konnte (zu hr, SR, SWF und SDR hatten sich auch die nördlichen Sender von Radio Bremen, WDR sowie NDR gesellt) und seit 1994 dank Deutschlandradio Berlin auch die neuen Bundesländer „versorgt“ wurden, erreichten seit Anfang der 1990er-Jahre nur noch Themen aus dem Gebiet der Erziehungswissenschaften und der Kunst genügend hohe Teilnehmerzahlen, um zumindest die Studienbegleitbriefe halbwegs kostendeckend aus den Teilnehmergebühren finanzieren zu können: Die persönliche Weiterbildung im Medienverbund kam offenbar allmählich aus der Mode.
SDR und SWF sind 1994 aus dem Funkkolleg-Verbund ausgeschieden und haben eine »Radio Akademie« gestartet, eine neue Form wissenschaftlich fundierter Erwachsenenbildung. Die verbliebenen Veranstalter führten das Funkkolleg gleichwohl noch einige Jahre gemeinsam fort, entschieden sich schließlich aber, getrennte Wege zu gehen: Das Funkkolleg „Deutschland im Umbruch“ (1997/98), von dem die Veranstalter - vergeblich - hofften, speziell auch in den neuen Bundesländern der ehemaligen DDR auf Widerhall zu stoßen, markierte den Endpunkt von über 30 Jahren letztlich äußerst erfolgreicher „Weiterbildung im Medienverbund“. Den Endpunkt?
Das Funkkolleg heute
Seit 1998 ist der Hessische Rundfunk (hr) wieder alleiniger Veranstalter und hat das Konzept unter dem Namen »Das Neue Funkkolleg« grundlegend reformiert.
In 20-30 halbstündigen Kollegsendungen (Sendestart jeweils im Oktober) werden seitdem aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen aufbereitet, zuletzt etwa: Globalisierung, Hirnforschung, Evolution & Gentechnik sowie „Ernährung heute“ und "Liebe".
Zu jedem Thema wurde ein Begleitband mit Materialien herausgegeben, dessen Texte die in den Sendungen behandelten Themen vertiefen. Ferner wurden die Manuskripte der Radiosendungen in überarbeiteter Form gleichfalls als Buch veröffentlicht.
Literatur
"Das Funkkolleg 1966-1998. Ein Modell wissenschaftlicher Weiterbilung im Medienverbund. Im Auftrag der Planungskommission für das Funkkolleg herausgegeben von Jochen Greven." 1998: Weinheim (Deutscher Studien Verlag) ISBN 3-89271-819-9
Weblinks
- www.hr-online.de Webseite des Funkkollegs
siehe auch: Liste der Unterrichtsmethoden